Zuständigkeit in Strafvollsteckungssachen: Befasststein einer Strafvollstreckungskammer mit der Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung in Ansehung der Verlegung des Verurteilten in eine andere Vollzugsanstalt
Gesetze: § 462a Abs 1 S 1 StPO, § 57 Abs 1 StGB
Gründe
I.
1Die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Bonn und Siegen streiten darüber, welches von ihnen für die nachträgliche Entscheidung im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung zuständig ist.
21. Das Landgericht Bonn hat gegen den Verurteilten am ‒ 22 KLs 31/17 ‒ wegen Diebstahls in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Diese wurde ab dem in der Justizvollzugsanstalt E. vollstreckt.
3Das Amtsgericht Brühl hatte zuvor gegen den Verurteilten am ‒ 55 Ds 43/15 ‒ wegen versuchten Diebstahls eine Freiheitsstrafe von neun Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Das Landgericht Bonn hat die Bewährung mit Beschluss vom widerrufen.
42. Aufgrund des zum anstehenden Ablaufs von zwei Dritteln der verhängten Strafen in beiden Vollstreckungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Bonn unter dem bei der Justizvollzugsanstalt E. einen Führungsbericht zur Vorbereitung einer Antragstellung nach § 57 Abs. 1 StGB angefordert. Der Bericht vom , der eine positive Entlassungsprognose enthielt, ging allerdings erst am bei der Staatsanwaltschaft Bonn ein. Bereits am war der Verurteilte in die Justizvollzugsanstalt A. verlegt worden.
53. Mit am der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zugeleiteter Verfügung hat die Staatsanwaltschaft Bonn eine bedingte Reststrafenaussetzung befürwortet. Dem zwischenzeitlich gestellten Antrag des Verurteilten auf Bewährungsaussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln trat die Staatsanwaltschaft Köln - ohne Kenntnis der Stellungnahme der JVA E. - mit am beim Landgericht Siegen eingegangener Verfügung entgegen. Das Landgericht Bonn hat seine örtliche Zuständigkeit verneint und beide Vollstreckungshefte mit Verfügung vom dem Landgericht Siegen übersandt. Mit Beschluss vom hat sich das Landgericht Siegen für örtlich unzuständig erklärt.
II.
61. Der Bundesgerichtshof ist nach § 14 StPO als gemeinschaftliches oberstes Gericht der Landgerichte Bonn (Oberlandesgerichtsbezirk Köln) und Siegen (Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
72. Für die Entscheidung über die Reststrafenaussetzung ist gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zu-ständig, da in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt E. liegt, in der der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Landgericht mit der Sache befasst war, aufgenommen war. Die Verlegung des Verurteilten am in die Justizvollzugsanstalt A. steht dem nicht entgegen.
8In seiner Antragsschrift vom hat der Generalbundesanwalt u.a. ausgeführt:
„Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung ist eine Strafvollstreckungs-kammer schon dann mit der Entscheidung über die Reststrafenaussetzung konkret befasst, wenn der von Amts wegen zu beachtende maßgebliche Zeitpunkt nach § 57 Abs. 1 StGB herannaht. Dies gilt selbst dann, wenn die Strafvollstreckungskammer bislang untätig geblieben ist (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom ‒ 3 Ws 476/07, NStZ-RR 2008, 29, ‒ 3 (s) Sbd I - 10/14, juris Rn. 13 ff.; Appl in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 462a Rn. 18; Coen in: BeckOK-StPO, 40. Ed. , § 462a Rn. 5; Nestler in: MüKo-StPO, 1. Aufl. 2019, § 462a Rn. 18, jeweils m. w. N.). Dabei steht der Annahme einer vorherigen Befassung des Gerichts insbesondere nicht entgegen, dass vor der Verlegung des Verurteilten weder ein Aussetzungsantrag eingegangen noch der gesetzliche Zeitpunkt des § 57 Abs. 1 StGB verstrichen war (vgl. Senat, Beschluss vom ‒ 2 ARs 377/13, juris; OLG Hamm, a. a. O., Rn. 14, Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Senat, Beschluss vom ‒ 2 ARs 377/04, StraFo 2005, 171).
Zwar ist bislang nicht einheitlich entschieden, wann der maßgebliche Zeitpunkt nach § 57 StGB „herannaht“ (vgl. OLG Hamm, a. a. O., Rn. 15). Indes setzt das Interesse an einer sachgerechten Entlassungsvorbereitung eine so frühzeitige Entscheidung voraus, dass die Entlassung des Verurteilten bei Eintritt der Aussetzungsreife möglich ist. Bei der Bemessung der hierfür erforderlichen Vorbereitungszeit ist auch ein möglicherweise durchzuführendes Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen (vgl. OLG Frankfurt am Main, a. a. O., m. w. N.).
Hieran gemessen ist das Landgericht Bonn noch als mit der Sache befasst anzusehen, da die Vorlaufzeit der Entscheidung der Reststrafenaussetzung schon vor der Verlegung des Verurteilten am in die Justizvollzugsanstalt A. begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt war bereits der Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt angefordert und erstellt worden. Mit dessen Zugang wäre unter üblichen Umständen noch vor der Verlegung des Verurteilten zu rechnen gewesen (vgl. hierzu: OLG Hamm, a. a. O., Rn. 15). Dass vor einer rechtskräftigen Entscheidung noch ein Beschwerdeverfahren durchzuführen sein würde, war vorliegend konkret zu besorgen, weil die Staatsanwaltschaften Köln und Bonn divergierende Anträge gestellt haben.
Aus denselben Gründen kommt ‒ entgegen der Ansicht des Landgerichts Bonn (VH Bl. 93) ‒ eine Befassung des Landgerichts Siegen seit dem nicht in Betracht, weil zu diesem Zeitpunkt eine rechtskräftige Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB bis zum maßgeblichen zwei-Drittel-Termin am erst Recht nicht (mehr) gewährleistet war.“
9Dem tritt der Senat bei.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:131021B2ARS322.21.0
Fundstelle(n):
SAAAH-96219