BGH Urteil v. - 6 StR 174/21

Brandstiftung: Hütteneigenschaft eines Jagdhochsitzes

Leitsatz

Ein Jagdhochsitz kann eine Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein.

Gesetze: § 306 Abs 1 Nr 1 StGB

Instanzenzug: LG Lüneburg Az: 21 KLs 13/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen „vorsätzlicher Brandstiftung in sieben Fällen, davon in einem Fall in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und in einem weiteren Fall in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, versuchter Brandstiftung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, Diebstahls in neun Fällen, davon in einem Fall in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen fahrlässiger Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition und eines einer Schusswaffe gleichgestellten Gegenstands“ unter Einbeziehung anderweitig verhängter Freiheitsstrafen zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einer weiteren von drei Jahren verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Vollstreckung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit materiell-rechtlichen Rügen gegen seine Verurteilung; sie bleibt erfolglos. Die zulasten des Angeklagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte und auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat im tenorierten Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte sich der Angeklagte seit 1998 ohne Erfolg um die Aufnahme in die Jägerschaft an seinem Wohnort bemüht. In der Folge fühlte er sich aus der Jägergemeinschaft ausgegrenzt. Aufgrund der empfundenen Verletzung, Trauer und Wut über seine Abweisung beschloss er, sich an der Jägerschaft zu rächen. In der Zeit von April 2016 bis Januar 2020 entwendete er in neun Fällen (1, 3 bis 8, 14 und 16) in fremdem Eigentum stehende Wildkameras, die teilweise durch Schutzvorrichtungen gegen Wegnahme gesichert waren (Fälle 5 und 6). In sechs Fällen (9, 11 bis 13, 15 und 17) zündete er jeweils mehrere hundert Kilo schwere, überdachte Jagdhochsitze an, die völlig oder teilweise ausbrannten. Im Fall 10 erlosch die Zündquelle, bevor sich ein Feuer entwickeln konnte; zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Angeklagte bereits entfernt. Im Fall 2 setzte er eine auf einem Anhänger montierte Ansitzeinrichtung in Brand, die vollständig ausbrannte. Das Feuer griff auf den umliegenden Waldboden über, wodurch eine Fläche von ca. 300 Quadratmetern samt Grünbewuchs verkohlte und vier Kiefern beschädigt wurden. Der Angeklagte nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass sich der Brand aufgrund der trockenen Witterung auch auf weitere Teile des Waldgebiets ausbreiten würde. Dies konnte durch rechtzeitiges Eingreifen der Feuerwehr jedoch verhindert werden. Schließlich zündete der Angeklagte im Fall 18 eine Strohmiete an, die vollständig abbrannte. Am Folgetag wurde seine Wohnung durchsucht. Dabei wurden ein nicht industriell gefertigter Schalldämpfer gefunden, der für die Verwendung an erlaubnispflichtigen Schusswaffen geeignet und bestimmt war, sowie zahlreiche Patronen unterschiedlichen Kalibers. Diese Gegenstände lagerte der Angeklagte in Kenntnis der ihm fehlenden waffenrechtlichen Erlaubnis. Darüber hinaus verwahrte er drei ohne Genehmigung erworbene Leuchtspurpatronen, wobei er fahrlässig nicht erkannte, dass diese dem Kriegswaffenkontrollgesetz unterfielen.

32. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.

4a) Der Erörterung bedarf lediglich die von der Revision bemängelte Bewertung der jeweils in ihren Grundflächen mindestens 1,44 Quadratmeter großen und etwa mannshohen Jagdkanzeln (Fälle 9 bis 13, 15 und 17) als „Hütten“ im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Der Begriff der Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst Bauwerke, bei denen an die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Gebäuden, die aber dennoch ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bilden, das eine nicht völlig geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist. Erforderlich sind eine hinreichende Erdverbundenheit und eine damit praktizierte Immobilität (vgl. MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 306 Rdnr. 24; Schönke/Schröder/Heine/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 306 Rdnr. 4). Abgeschlossenheit erfordert dabei keine Verschlossenheit oder sonstige den Zutritt beschränkenden Vorrichtungen (vgl. MüKoStGB, a.a.O., Rdnr. 25), sondern eine gegen äußere Einwirkungen genügend schützende dauerhafte und feste Begrenzung (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 306 Rdnr. 3a). Abhängig vom Einzelfall kann eine solche auch bei nur zum Teil umschlossenen Räumen gegeben sein (vgl. Matt/Renzikowski/Dietmeier, StGB, 2. Aufl., § 306 Rdnr. 4).

Daran gemessen handelt es sich bei den vorliegend in Rede stehenden Jagdhochsitzen um unbewegliche Gebäude mit kleineren Abmessungen und damit um Hütten im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ihnen ist gemein, dass sie über eine nicht völlig unbeachtliche Bodenfläche sowie über Begrenzungen nach oben durch ein Dach und nach allen Seiten durch Wände und Türen verfügen, so dass sie jeweils von zumindest zwei Personen betreten und zum Aufenthalt genutzt werden können. Darüber hinaus weisen sie eine hinreichende Erdverbundenheit auf, weil sie entweder mittels einer Verankerung oder auf Grund ihres erheblichen Eigengewichts fest mit dem Erdboden verbunden sind. Eine durch das Eigengewicht der Baulichkeit begründete Verbindung mit Grund und Boden genügt insoweit ebenso wie eine über eine Stützkonstruktion - etwa durch Pfähle oder Pfosten - hergestellte Verbindung (vgl. -, NStZ 1981,482).“

5Dem schließt sich der Senat an (vgl. zum Begriff der „Hütte“ schon RGSt 17, 179, 184). Der Umstand, dass einige der Jagdkanzeln durch Spannseile gegen Windeinwirkung gesichert waren, ändert an ihrer „Selbstständigkeit“ nichts.

6b) Allerdings bedurfte das Urteil einer Neufassung des Schuld- und Strafausspruchs, weil sich schon aus dem Tenor und nicht nur aus den Gründen des Urteils ergeben muss, für wie viele und welche Taten der Angeklagte zu den jeweiligen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt ist (vgl. , wistra 2020, 295, 297). Zudem ist die Kennzeichnung gleichartiger Tateinheit im Hinblick auf die gebotene Klarheit und Verständlichkeit des Tenors verzichtbar (vgl. , NStZ 1996, 493, 494; Beschlüsse vom – 3 StR 224/20 Rn. 6; vom – 1 StR 296/20).

73. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist teilweise begründet.

8a) Die Strafaussprüche in den die Brandstiftungen an Jagdhochsitzen betreffenden Fällen 9 bis 13, 15 und 17 der Urteilsgründe halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.

9Die Strafkammer ist insoweit jeweils vom Strafrahmen des minder schweren Falles gemäß § 306 Abs. 2 StGB ausgegangen. Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung hat sie „in besonders erheblichem Maße“ zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, „dass wegen der Größe und der damit einhergehenden Überschaubarkeit der Jagdhochsitze der Angeklagte zum Zeitpunkt der Inbrandsetzung eine Gefährdung von Menschen (nahezu) ausschließen konnte“.

10Dies ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hat das Landgericht mit dieser Erwägung nicht in rechtsfehlerhafter Weise (vgl. zur strafschärfenden Bewertung des Fehlens von Strafmilderungsgründen etwa BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 532/10, NStZ-RR 2011, 271; vom – 2 StR 35/11, Rn. 3; vom – 5 StR 12/11, Rn. 8; und vom – 3 StR 80/11, Rn. 2; zum Ganzen Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1162 f. mwN) aus dem Fehlen von Strafschärfungsgründen einen Strafmilderungsgrund hergeleitet, sondern rechtsfehlerfrei das Ausmaß der Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Strafzumessung gewürdigt (vgl. MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 306 Rn. 67; Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 306 Rn. 22; LK-StGB/Valerius, 13. Aufl., § 306 Rn. 82). Der Tatbestand des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist – wofür bereits die Höhe seiner Strafdrohung und seine systematische Einordnung in den 28. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches sprechen – nicht ausschließlich als „qualifiziertes Sachbeschädigungsdelikt" zu charakterisieren (aA LK-StGB/Valerius, aaO, § 306 Rn. 4). Er soll vielmehr auch vor Gemeingefahren schützen, die durch unkontrollierte Brände entstehen können (vgl. , NStZ 2001, 196, 197; Urteil vom – 5 StR 603/17, NStZ 2018, 657; MüKo-StGB/Radtke, aaO, § 306 Rn. 8 f.; BT-Drucks. 13/8587, S. 87) und die durch den Ausschluss auch von abstrakten Gesundheitsgefahren für andere Personen gemindert werden.

11b) Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft allerdings darauf hin, dass die Einzelgeldstrafen von jeweils 40 Tagessätzen zu je 25 Euro in den Fällen 5 und 6 hinter dem gesetzlichen Strafmaß zurückbleiben. Denn die Strafkammer hat – freilich ohne nähere Begründung – insoweit Diebstähle im besonders schweren Fall bejaht (§ 243 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 2 StGB).

12Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Strafen sowie der sie umfassenden (zweiten) Gesamtstrafe. An einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat gehindert, weil die Voraussetzungen des § 354 Abs. 1 oder 1b StPO nicht vorliegen und auch deren entsprechende Anwendung nicht in Frage kommt. Die den aufgehobenen Strafen zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Wertungsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben; sie dürfen um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

13c) Die Strafen in den Fällen 1 und 2 sowie die aus ihnen gebildete erste Gesamtstrafe und die Aussetzung deren Vollstreckung zur Bewährung haben Bestand. Insbesondere begegnet es – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – keinen rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer nicht zulasten des Angeklagten gewertet hat, dass er als „Polizeibeamter, wenn auch im Ruhestand, (…) der Beachtung der Strafgesetze in besonderem Maße verpflichtet“ gewesen sei. Selbst das Bestehen beruflicher Pflichten könnte bei einer Straftat, die – wie hier – dem privaten Lebensbereich zuzuordnen ist, nur dann zulasten des Täters berücksichtigt werden, wenn zwischen seiner Stellung und der Tat ein innerer, das Maß der Pflichtwidrigkeit erhöhender Zusammenhang bestünde (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 578/87, NStZ 1988, 175; vom – 2 StR 425/99, NStZ 2000, 366; LK-StGB/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 104 f. mwN). Dies ist hier nicht der Fall.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:080921U6STR174.21.0

Fundstelle(n):
UAAAH-96091