Strafurteil u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung: Notwendige Feststellungen zur Gesundheitsbeeinträchtigung durch Beibringung von Kokain
Gesetze: § 223 Abs 1 StGB, § 224 Abs 1 Nr 1 Alt 2 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Kempten Az: 2 KLs 350 Js 17242/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, mit gefährlicher Körperverletzung, mit vorsätzlicher unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln, mit Nötigung, mit Bedrohung und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Änderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Wesentlichen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. a) Der Generalbundesanwalt hat zur Abmilderung des Schuldspruchs von gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 StGB) auf (einfache) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zutreffend ausgeführt:
ʺDie Annahme einer gefährlichen Körperverletzung durch das Beibringen eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken, da das Landgericht nur feststellt, dass der Angeklagte den Geschädigten B. zum Konsum einer Line Kokain veranlasst hat. Es verhält sich weder zur Gesundheitsschädlichkeit noch zu den etwaigen Folgen des Konsums (UA S. 7).ʺ
3Auch wenn Kokain keine weiche Droge ist, muss ein Gelegenheitskonsum das körperliche Wohlbefinden nicht notwendigerweise beeinträchtigen; daher waren Feststellungen zu den konkreten Auswirkungen beim Nebenkläger erforderlich (vgl. Rn. 9, BGHSt 49, 34, 37 f. mwN). Neue Erkenntnisse, die solche Feststellungen tragen könnten, sind in einem neuen Rechtsgang nicht zu erwarten.
4b) Zur hiernach gebotenen Schuldspruchänderung hat der Generalbundesanwalt wie folgt Stellung genommen:
ʺDie Feststellungen tragen jedoch einen Schuldspruch wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB, da der Angeklagte dem Geschädigten B. mit dem Fuß ins Gesicht trat sowie ihm zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht schlug (UA S. 7). Die Körperverletzung ist auch vollendet, da der Geschädigte B. durch den Fußtritt jedenfalls eine Schwellung im Gesicht und Schmerzen erlitt (UA S. 7). Soweit das Landgericht zugunsten des Angeklagten in der Strafzumessung erwägt, der Geschädigte habe keine körperlichen Schäden erlitten (UA S. 19), bezeichnet es so nur den Umstand, dass es zu keinen bleibenden physischen Schäden gekommen ist. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ist auch ein Einschreiten von Amts wegen geboten, § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB.ʺ
5c) Auch dem schließt sich der Senat an. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Denn auch der Fußtritt und das Schlagen mit der flachen Hand waren Gegenstand der Anklage; im Übrigen ist nicht ersichtlich, wie sich der geständige Angeklagte hiergegen wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
6d) Insbesondere angesichts der Schwere des Tatbilds, das von der sexuellen Erniedrigung des Nebenklägers geprägt ist, der Vielfältigkeit der abgenötigten Handlungen (u.a. Essen von Katzenfutter), der Dauer der Tat von über zwei Stunden und der gravierenden psychischen Folgen für den Nebenkläger schließt der Senat aus (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend), dass das Landgericht eine niedrigere Einzelfreiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es von dem geringfügig abgeänderten Schuldspruch ausgegangen wäre.
72. Da der Angeklagte den Nebenkläger zwang, das Kokain einzunehmen, ist die Tatbestandsvariante des Verabreichens einschlägig (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b) Alternative 1 BtMG; vgl. , BGHSt 53, 288 Rn. 11) und der Schuldspruch entsprechend zu berichtigen.
83. Im Übrigen bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:
9a) Dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) verurteilt hat, beschwert diesen nicht.
10b) Die Vorschrift des § 241 StGB wird hier beim länger andauernden Geschehen nicht von den Vorschriften des § 177 StGB (dazu Rn. 4 f.), des § 239 StGB (dazu Rn. 6 mwN) oder des § 240 StGB (dazu Rn. 3 mwN) verdrängt. Denn der Angeklagte sprach jedenfalls mit dem Androhen, die Leiche des Nebenklägers zu zerstückeln, eine Bedrohung aus, die nicht dem Herbeiführen eines Nötigungserfolgs diente und mithin kein Nötigungsmittel war. Diese Androhung hat in dem mehraktigen Tatablauf ihre selbständige Bedeutung behalten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:080921B1STR286.21.0
Fundstelle(n):
YAAAH-95903