Berücksichtigung einschlägiger Berufserfahrung
Gesetze: § 16 Abs 2 S 3 TV-L, § 16 Abs 2 S 4 TV-L
Instanzenzug: ArbG Freiburg (Breisgau) Az: 10 Ca 136/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 10 Sa 9/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anrechnung der bei anderen Arbeitgebern erworbenen einschlägigen Berufserfahrung und die Berücksichtigung förderlicher Beschäftigungszeiten im Rahmen der Stufenzuordnung bei Einstellung der Klägerin.
2Die Klägerin war von September 1998 bis März 2015 unterbrochen durch eine dreijährige Elternzeit bei verschiedenen Kindertagesstätten in kirchlicher und kommunaler Trägerschaft als Erzieherin beschäftigt. Während dieser Tätigkeit betreute sie nur vereinzelt Kinder mit Beeinträchtigungen. Vom bis zum und vom bis zum war sie beim beklagten Land als Vertretungslehrerin an der H-Schule, einer sonderpädagogischen Bildungseinrichtung mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung, bzw. an der A-Schule, einer Schule für geistig Behinderte, eingesetzt. In diesen Arbeitsverhältnissen erhielt sie eine Vergütung nach Entgeltgruppe 9 Stufe 3 TV-L. Von Februar 2016 bis Juli 2017 absolvierte sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des Fachlehrers an Sonderschulen für geistig Behinderte - Abteilung Sonderpädagogik. Seit dem ist sie als Lehrkraft für allgemeine Unterrichtstätigkeiten beim beklagten Land abermals an der H-Schule angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung.
3Hinsichtlich der Stufenzuordnung bei Einstellung sieht § 16 TV-L idF der Sonderregelungen für Beschäftigte als Lehrkräfte in § 44 Nr. 2a TV-L iVm. § 6 Abs. 2 Nr. 1 TV EntgO-L - soweit vorliegend von Belang - folgende Regelungen vor:
4§ 6 Abs. 2 Nr. 4 TV EntgO-L bestimmt:
5Die Klägerin erhielt ab ihrer Einstellung zum zunächst Vergütung nach Entgeltgruppe 9 Stufe 1 TV-L. Das beklagte Land berücksichtigte auf ihren Antrag vom die tariflich vorgesehenen sechs Monate für den Vorbereitungsdienst sowie ihre Beschäftigungszeiten als Vertretungslehrerin als einschlägige Berufserfahrung und ordnete sie rückwirkend auf den Tag ihrer Einstellung der Stufe 2 der Entgeltgruppe 9 TV-L zu. Die Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin erkannte das beklagte Land bei der Stufenzuordnung nicht an. Aufgrund des Änderungstarifvertrags Nr. 3 zum Tarifvertrag über die Eingruppierung und die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L) vom wurde die Entgeltgruppe 9 TV-L zum in die Entgeltgruppen 9a und 9b TV-L aufgespalten. Seitdem ist die Klägerin in die Entgeltgruppe 9a TV-L eingruppiert und seit November 2019 der Stufe 3 zugeordnet.
6Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei bereits seit ihrer Einstellung am der Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L zuzuordnen gewesen. Bei ihrer jetzigen Tätigkeit handele es sich aufgrund der erheblichen geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen der Kinder eher um eine Erzieher- als um eine Lehrertätigkeit. Sie greife beständig auf die Materialien und Erfahrungen aus ihrer Arbeit als Erzieherin zurück. Diese Zeiten seien daher bei der Stufenzuordnung als einschlägige Berufserfahrung zu berücksichtigen. Ihr Anspruch auf Vergütung nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L ab diesem Zeitpunkt begründe sich zudem daraus, dass der Personalbedarf an der H-Schule - wie sich aus der „schulscharfen“ Stellenausschreibung und der schriftlichen Äußerung der Rektorin vom , die Zuweisung des Lehrdeputats der Klägerin sei für die Deckung des Personalbedarfs an der Schule erforderlich, ergebe - weder quantitativ noch qualitativ anderweitig habe gedeckt werden können. Eines ausdrücklichen Verlangens, förderliche Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen, habe es nicht bedurft.
7Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
8Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt. Die Klägerin habe während ihrer vorherigen Beschäftigungen als Erzieherin keine einschlägige Berufserfahrung für ihre jetzige Tätigkeit erworben. Die Aufgabeninhalte von Erziehern und Lehrern unterschieden sich erheblich. Die Tätigkeiten seien zudem nicht gleichwertig. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung förderlicher Beschäftigungszeiten als Erzieherin lägen ebenfalls nicht vor. Bei der Einstellung der Klägerin hätten keine Schwierigkeiten bestanden, den Personalbedarf zu decken.
9Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin unter Vertiefung ihrer rechtlichen Argumentation ihr Klageziel weiter.
Gründe
10Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, bereits ab ihrer Einstellung am nach Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L vergütet zu werden.
11I. Die Klage ist insgesamt zulässig. Für den Feststellungsantrag besteht sowohl der von § 256 Abs. 1 ZPO verlangte Gegenwartsbezug als auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klägerin erstrebt gegenwärtige rechtliche Vorteile in Form eines höheren Entgelts aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (vgl. - Rn. 17 mwN).
12II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
131. Der Anspruch der Klägerin scheitert allerdings nicht bereits daran, dass zwischen ihrer Einstellung zum beim beklagten Land und dem Ende ihres letzten Arbeitsverhältnisses mit der evangelischen Kirchengemeinde O am eine Unterbrechung von mehr als sechs Monaten lag (zur Anwendbarkeit der Protokollerklärung auf vorherige Arbeitsverhältnisse bei einem anderen Arbeitgeber iSv. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L siehe - Rn. 12 mwN; - 6 AZR 232/17 (A) - Rn. 17 mwN, BAGE 164, 64). Unter Berücksichtigung des im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses absolvierten Vorbereitungsdienstes und der Zeiten, in denen die Klägerin vor dessen Ableistung als Vertretungslehrerin an der H-Schule und an der A-Schule eingesetzt war, haben nie Unterbrechungen von mehr als sechs Monaten zwischen Arbeitsverhältnissen vorgelegen, in denen die Klägerin einschlägige Berufserfahrung erworben haben will.
142. Das beklagte Land hat die Klägerin jedoch richtigerweise nicht bereits mit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses am der Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L zugeordnet.
15a) Die Klägerin hat während ihrer Tätigkeiten als Erzieherin in kirchlichen und kommunalen Kindertagesstätten keine einschlägige Berufserfahrung iSd. § 16 Abs. 2 Satz 3 TV-L erworben.
16aa) Die Bewertung des Berufungsgerichts, ob einschlägige Berufserfahrung vorliegt, kann als Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle entscheidungserheblichen Umstände in sich widerspruchsfrei berücksichtigt hat (vgl. zum Kontrollmaßstab - Rn. 41).
17bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe keine einschlägige Berufserfahrung erworben, ist nach diesen Grundsätzen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
18(1) Nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L ist einschlägige Berufserfahrung eine berufliche Erfahrung in der übertragenen oder einer auf die Aufgabe bezogen entsprechenden Tätigkeit. Der Beschäftigte muss also in der früheren Tätigkeit einen Kenntnis- und Fähigkeitszuwachs erworben haben, der für die nach der Einstellung konkret auszuübende Tätigkeit erforderlich und prägend ist und ihm damit weiterhin zugutekommt. Das ist nach dem hinter dem Stufensystem des TV-L stehenden Leistungsgedanken der Fall, wenn die frühere Tätigkeit im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird oder zumindest gleichartig war. Das setzt nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich voraus, dass der Beschäftigte die Berufserfahrung in einer Tätigkeit erlangt hat, die in ihrer eingruppierungsrechtlichen Wertigkeit der Tätigkeit entspricht, die er nach seiner Einstellung auszuüben hat (vgl. - Rn. 18).
19(2) Zwar kann, wie der Senat mit dem Wort „grundsätzlich“ klargestellt hat, einschlägige Berufserfahrung bei anderen Arbeitgebern auch in Tätigkeiten erworben werden, die einem von den Bewertungsgrundsätzen des TV-L abweichenden Entgeltsystem unterfallen, sofern die Vorbeschäftigung qualitativ im Wesentlichen die gesamte inhaltliche Breite der aktuellen Beschäftigung abdeckt und deshalb einschlägig ist (vgl. - Rn. 22). Haben dieselben Tarifvertragsparteien jedoch für bestimmte Tätigkeiten - wie beispielsweise die von Erziehern und Lehrern - grundlegend unterschiedliche Eingruppierungsvoraussetzungen geschaffen und diese in verschiedene Eingruppierungsregelungen eingebettet, haben sie hierdurch ihre Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass sich die jeweiligen Tätigkeiten bezogen auf ihre Anforderungen und ihre Inhalte so maßgeblich unterscheiden, dass keine Einschlägigkeit im Sinne der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 16 Abs. 2 TV-L vorliegt. Das Vorbringen der Klägerin, ihre Arbeit als Lehrerin an der H-Schule unterscheide sich nicht von ihrer Tätigkeit als Erzieherin in den Kindertagesstätten, ist vor diesem tariflichen Hintergrund unerheblich.
20b) Die Klägerin kann die begehrte Zuordnung zur Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L seit dem auch nicht aus § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L herleiten. Sie hat keinen Rechtsanspruch auf die Ausübung des Ermessens durch das beklagte Land dahin, dass sie mit Beginn ihrer Einstellung der Stufe 3 ihrer Entgeltgruppe zugeordnet war.
21aa) Die Entscheidung des beklagten Landes über die Berücksichtigung von Zeiten einer förderlichen Tätigkeit zur Deckung des Personalbedarfs steht in seinem Ermessen (ausführlich hierzu - Rn. 21 mwN, BAGE 148, 217). Nur im Fall der Ermessensreduzierung auf Null, dh., wenn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei ist, kann das Gericht das beklagte Land verpflichten, die abgelehnte Entscheidung zu treffen (vgl. - Rn. 27 mwN).
22bb) Die Klägerin hat weder dargelegt, dass dem beklagten Land bei seiner Entscheidung über die Berücksichtigung förderlicher Beschäftigungszeiten kein Ermessensspielraum geblieben ist, noch hat sich das beklagte Land aufgrund der Stufenzuordnungen der Klägerin während ihrer Einsätze als Vertretungslehrerin selbst gebunden.
23(1) Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund der konkreten Umstände im vorliegenden Fall nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei ist, ergeben sich weder aus dem Schreiben der Rektorin der H-Schule vom noch aus der „schulscharfen“ Ausschreibung der Stelle für diese Schule. Beide Faktoren rechtfertigen nicht den Schluss, es habe einen quantitativen oder qualitativen Bewerbermangel gegeben. Sie dokumentieren lediglich einen konkreten Personalbedarf an der H-Schule zu diesem Zeitpunkt. Ein solcher Bedarf ist aber nur Voraussetzung für eine Stellenausschreibung und besagt noch nicht, dass Personalgewinnungsschwierigkeiten vorliegen (vgl. - Rn. 47 mwN).
24(2) Das beklagte Land hat sich entgegen der Annahme der Revision auch nicht selbst gebunden, weil es die Klägerin während ihrer Tätigkeiten als Vertretungslehrerin von März 2015 bis Juli 2015 und von September 2015 bis Januar 2016 der Stufe 3 der Entgeltgruppe 9 TV-L zugeordnet und sie entsprechend vergütet hat. Die Anerkennung förderlicher Zeiten gilt nur für das jeweils begründete Arbeitsverhältnis. Bei jeder Einstellung ist eine (erneute) Stufenzuordnung nach § 16 Abs. 2 TV-L erforderlich (ausführlich hierzu - Rn. 15 ff.). Damit sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L vom Arbeitgeber anhand der aktuellen Bewerberlage jeweils neu zu prüfen. Darüber hinausgehende besondere Umstände, die vor dem Hintergrund der damaligen Stufenzuordnung einen Rechtsanspruch auf die Ausübung des Ermessens dahin, die entsprechenden Zeiten zu berücksichtigen, geben könnten (sh. - Rn. 18 f. mwN), sind weder vom Landesarbeitsgericht festgestellt noch von der Klägerin vorgetragen worden.
25cc) Weil keine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist, käme - ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin keine Ermessensfehler bei der Entscheidung des beklagten Landes über die Stufenzuordnung ab dem aufgezeigt hat - regelmäßig nur ein Verbescheidungsurteil in Betracht, mit dem das Gericht die Behörde verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts abermals zu bescheiden (vgl. - Rn. 27). Eine solche Neubescheidung ist jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
26c) Nach alledem konnte offenbleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 4 TV-L erfüllt sind (siehe dazu - Rn. 18 ff. mwN).
27III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:151021.U.6AZR268.20.0
Fundstelle(n):
BB 2021 S. 3059 Nr. 51
YAAAH-95887