Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Nachholen der versäumten Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist ohne Wiedereinsetzungsantrag; Unterschriftserfordernis für nachgereichten bestimmenden Schriftsatz
Gesetze: § 130 Nr 6 ZPO, § 236 Abs 2 S 2 Halbs 2 ZPO, § 520 Abs 2 S 1 ZPO, § 520 Abs 5 ZPO
Instanzenzug: Az: 26 S 8/20vorgehend AG Berlin-Mitte Az: 8 C 168/19
Gründe
I.
1Die Klägerin, eine Fraktion einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung, begehrt von dem Beklagten die Zahlung von 4.550 € mit der Behauptung, dieser habe bei mehreren Veranstaltungen zu ihren Gunsten Spendengelder mindestens in dieser Höhe eingesammelt, aber nicht an sie weitergereicht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom hat das Berufungsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass bis zum Ablauf der bis zum verlängerten Frist keine Berufungsbegründung eingegangen sei. Mit Schriftsatz vom , der am selben Tag per Fax beim Berufungsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin hierauf mitgeteilt, die Berufungsbegründung sei mehrere Tage vor Ablauf der Frist erfolgt und nachweislich postalisch zugestellt worden. Hierzu hat sie eine eidesstattliche Versicherung einer Auszubildenden der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten vorgelegt, nach der diese die Berufungsbegründung in unterschriebener Urschrift, beglaubigter Abschrift und einfacher Abschrift am kuvertiert und in einen Postbriefkasten eingeworfen habe. Dem Schriftsatz war - wie darin angekündigt - die Fotokopie einer unterschriebenen Berufungsbegründungsschrift mit Datum beigefügt.
2Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
II.
3Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist zulässig, weil die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist auch begründet.
41. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe die Berufung entgegen § 520 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig begründet. Eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, da die Klägerin nicht innerhalb der Frist des § 234 ZPO eine Wiedereinsetzung beantragt habe; ein konkludenter Antrag lasse sich dem Schriftsatz vom nicht entnehmen. Eine Wiedereinsetzung scheitere zudem daran, dass die Klägerin entgegen § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO die versäumte Prozesshandlung nicht innerhalb der Antragsfrist nachgeholt habe. Denn die Klägerin habe lediglich eine einfache Ablichtung der Berufungsbegründungsschrift eingereicht, so dass die nach § 520 Abs. 5 i.V.m. § 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten fehle. Eine Unterschrift sei auch nicht deshalb entbehrlich gewesen, weil der Schriftsatz vom seinerseits vom Klägervertreter unterzeichnet gewesen sei. Dies könnte nur genügen, wenn die Klägerin zumindest sinngemäß erklärt hätte, der Schriftsatz vom werde gerade mit dem Ziel eingereicht, nunmehr die Berufung zu begründen. Die Klägerin habe jedoch lediglich erklärt, die Kopie "noch einmal beigefügt" zu haben. Dies sei nicht ausreichend. Dabei sei zu beachten, dass die Klägerin eine Wiedereinsetzung ersichtlich nicht für notwendig gehalten habe, so dass es aus ihrer Sicht keinen Grund gegeben habe, die Berufungsbegründung nachzureichen.
52. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6a) Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Klägerin die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet hat.
7b) Rechtsfehlerhaft sind hingegen die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt hat. Dass die Klägerin keinen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hat, trägt deren Ablehnung nicht. Denn gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, wenn die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist. Dies hat die Klägerin - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - getan.
8Zwar ist für die Wiedereinsetzung die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen (vgl. , VI ZB 23/19, NJW-RR 2020, 309 Rn. 9 mwN), so dass die nachzureichende Berufungsbegründung gemäß § 130 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 520 Abs. 5 ZPO als bestimmender Schriftsatz grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein muss. Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird (Senat, Beschluss vom - III ZB 88/18, WM 2019, 723 Rn. 8). Wenn jedoch auch ohne die Unterschrift aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernommen hat, darf deren Wirksamkeit nicht allein deshalb verneint werden, weil es an der Unterschrift fehlt (vgl. , NJW 2005, 2086, 2088; Beschlüsse vom aaO Rn. 12; vom - IV ZB 9/11, BeckRS 2011, 26453 Rn. 6 und vom - VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 f; vgl. auch BVerfG, NJW 2002, 3534, 3535).
9Nach diesen Maßstäben kann die Wirksamkeit der Berufungsbegründung der Klägerin nicht wegen der darauf fehlenden eigenhändigen Unterschrift im Original verneint werden. Die Erklärung des Prozessbevollmächtigten, er füge "die Kopie der Berufungsbegründung" bei, lässt keinen Zweifel, dass er dieser Schrift als der von ihm verantworteten Berufungsbegründung Geltung verschaffen wollte. Indem der Prozessbevollmächtigte erklärt hat, bei der Schrift handele es sich um die von ihm bereits eingereichte Berufungsbegründung, hat er deutlich gemacht, dass er für diese die Verantwortung übernehmen wollte.
10Soweit das Berufungsgericht die fragliche Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin deshalb als nicht ausreichend bewertet hat, weil dieser hätte erklären müssen, "nunmehr" die Berufung zu begründen und die Berufungsbegründung "nachzureichen", ist es von einem zu engen Maßstab ausgegangen. Erforderlich, aber auch hinreichend ist, dass die Partei die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vornimmt; einer ausdrücklichen Erklärung die Prozesshandlung "nachzuholen" bedarf es dagegen nicht (vgl. Senat, Versäumnisurteil vom - III ZR 168/12, NJW-RR 2013, 692 Rn. 16).
11Eine andere Beurteilung ist nicht im Hinblick auf den (aaO Rn. 13) geboten. Dort ist lediglich ausgesprochen, dass die Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften auf die Nachholung einer Berufungsbegründung im Zusammenhang mit einem Wiedereinsetzungsantrag nach Einreichung einer mangels Unterzeichnung unwirksamen Begründung nicht übertragbar ist. Dabei hat der Bundesgerichtshof aber gerade darauf abgestellt, dass die Partei auf diesen konkreten Mangel durch das Gericht hingewiesen worden war und ihr deshalb ohne weiteres zuzumuten war, die Prozesshandlung nunmehr durch die Einreichung einer wirksamen, also unterzeichneten Berufungsbegründung nachzuholen und sich nicht mit Erklärungen zum eingereichten unwirksamen Begründungsschriftsatz zu begnügen (BGH aaO). So liegt es hier nicht.
123. Danach kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Der Senat kann über die Wiedereinsetzung nicht selbst abschließend entscheiden (§ 577 Abs. 5 ZPO), da das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragene Sachverhalt zur Fertigung und Versendung der Berufungsbegründung hinreichend glaubhaft gemacht ist. Dies ist im neuen Verfahren des Landgerichts nachzuholen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:290721BIIIZB84.20.0
Fundstelle(n):
CAAAH-95261