BGH Beschluss v. - VII ZR 94/21

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anwaltliche Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130a Abs 5 S 1 ZPO, § 130a Abs 5 S 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 ZPO, § 544 ZPO

Instanzenzug: Az: 8 U 1281/20vorgehend LG Ingolstadt Az: 33 O 279/19

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt den beklagten Kraftfahrzeughersteller wegen der Verwendung einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

2Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision. Der Senatsvorsitzende hat die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde auf Antrag des Klägers bis zum , einem Donnerstag, einschließlich verlängert.

3Am Abend des unternahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers um 21:33 Uhr den Versuch, die Begründungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) an den Bundesgerichtshof zu übermitteln. In dem klägerischen Übermittlungsprotokoll von 21:33 Uhr wurde die Signaturprüfung als "Erfolgreich" bestätigt. In der Spalte "Meldungstext" hieß es hingegen: "Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden." Der Übermittlungsstatus lautete "Fehlerhaft".

4Am Folgetag erreichte den klägerischen Prozessbevollmächtigten um 0:36 Uhr ein den Übermittlungsvorgang betreffendes Prüfprotokoll, wonach der Eingang auf dem Server des Empfängers am um 0:31 Uhr bestätigt wurde. Tatsächlich war die klägerische Begründungsschrift dort jedoch zu keinem Zeitpunkt eingegangen. Die Gründe für die gescheiterte Übermittlung des Schriftsatzes ließen sich später nicht mehr aufklären.

5Mit am bei dem Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, und zugleich die Nichtzulassungsbeschwerde (erneut) begründet.

6Zur Rechtfertigung des Wiedereinsetzungsgesuchs trägt der klägerische Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen vor, er habe in der Vergangenheit noch nie entsprechende Probleme bei der Versendung von Schriftsätzen über das beA gehabt. Er habe am Abend des davon ausgehen dürfen, dass die Übermittlung erfolgreich gewesen sei. Das Übermittlungsprotokoll von 21:33 Uhr habe den Eingang des Schriftsatzes bestätigt. Der darin enthaltene Vermerk zur gescheiterten Übermittlung an den Intermediär des Gerichts habe auch in der Vergangenheit der Weiterleitung eines ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatzes nie entgegengestanden.

II.

7Der nach § 233 Satz 1, § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger ohne ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten verhindert war, die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Diese Frist lief am , 24:00 Uhr, ab.

81. Die Begründungsschrift ist erst mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung am per beA bei Gericht eingegangen. Die vom klägerischen Prozessbevollmächtigten am Abend des über das beA versandte Begründungsschrift hingegen ist bei dem Bundesgerichtshof zu keinem Zeitpunkt eingegangen.

9Nach § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO ist ein elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ein über das beA eingereichtes elektronisches Dokument ist wirksam bei Gericht eingegangen, wenn es auf dem für dieses eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (im Folgenden: EGVP) gespeichert worden ist. Ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte, ist demgegenüber unerheblich ( Rn. 18, NJW 2021, 2201; Urteil vom - X ZR 119/18 Rn. 7 ff., WM 2021, 463).

10Im vorliegenden Fall konnte die Begründungsschrift ausweislich des vorgelegten Übermittlungsprotokolls am nicht an den Intermediär des Gerichts übermittelt werden. Ein entsprechender Eingang fand nicht statt. Auch das Prüfprotokoll deutet jedenfalls nicht auf einen Eingang am hin.

112. Den klägerischen Prozessbevollmächtigten trifft hinsichtlich des nicht fristgerechten Eingangs der Begründungsschrift ein Verschulden, welches dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

12Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt wurde. Die Eingangsbestätigung soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen ( Rn. 21 ff., NJW 2021, 2201; , BAGE 167, 221, juris Rn. 20).

13Gemessen daran hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers seinen Kontrollpflichten nicht genügt. Er hätte bereits aufgrund des Übermittlungsprotokolls von 21:33 Uhr erkennen müssen, dass die Übermittlung "Fehlerhaft" und eine Übermittlung an den Intermediär des Gerichts gescheitert war. Entgegen seiner Auffassung hat das Übermittlungsprotokoll von 21:33 Uhr den Eingang des Schriftsatzes gerade nicht bestätigt, sondern die Übermittlung ausdrücklich als "Fehlerhaft" bezeichnet. Die Angabe "Erfolgreich" betraf lediglich die Signaturprüfung, nicht jedoch den Versand. Auch ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor Fristablauf eine Eingangsbestätigung erhalten hat. Diese Umstände hätten ihn bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt dazu veranlassen müssen, den Übermittlungsvorgang zu wiederholen, um einen noch fristgerechten Eingang der Begründungsschrift zu bewirken. Denn er hätte erkennen müssen, dass zumindest die Gefahr bestand, dass sein Schriftsatz nicht übermittelt worden war. Dass er nach der fehlgeschlagenen Übermittlung per beA noch einen weiteren Übermittlungsversuch innerhalb der noch laufenden Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde unternommen hat, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

143. Schließlich ist auch nicht auszuschließen, dass das Verschulden des klägerischen Prozessbevollmächtigten ursächlich für die Fristversäumung war.

15Liegt ein Verschulden im Sinne des § 233 Satz 1 ZPO vor, so kann Wiedereinsetzung nur dann gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht ist, dass es sich nicht auf die Fristversäumung ausgewirkt hat. Nur wenn eine solche Auswirkung auszuschließen wäre, könnte trotz des Verschuldens Wiedereinsetzung gewährt werden. Besteht hingegen die Möglichkeit, dass die Versäumung der Frist auf dem festgestellten Verschulden beruht, scheidet eine Wiedereinsetzung aus ( Rn. 16, WM 2019, 2181; Beschluss vom - IX ZB 67/00, NJW 2000, 3649, juris Rn. 6).

16Hier steht gerade nicht fest, dass ein in Ansehung der gescheiterten Übermittlung gebotener erneuter Übermittlungsversuch per beA noch vor Fristablauf ebenfalls fehlgeschlagen wäre. Entsprechendes wird vom Kläger auch nicht behauptet. So trägt der klägerische Prozessbevollmächtigte selbst vor, dass die Ursache für das Scheitern seines (einzigen) Übertragungsversuchs am im Unklaren geblieben sei, in den folgenden Tagen jedoch Versendungen per beA in unregelmäßigen Zeitfenstern möglich gewesen seien. Einer dauerhaften Störung bei einem Versand aus dem beA an das EGVP jedenfalls bis 24:00 Uhr des steht auch die klägerseits vorgelegte Mitteilung der beA-Anwenderbetreuung vom entgegen, wonach es lediglich "in Einzelfällen" zu Versandfehlern bei einem Versand aus dem beA an Empfänger in der Justiz gekommen sei.

III.

17Der Senat wird nach Ablauf von vier Wochen ab Zugang dieses Beschlusses über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheiden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:290921BVIIZR94.21.0

Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2021 S. 12 Nr. 44
NJW 2021 S. 3471 Nr. 47
KAAAH-95186