Patentnichtigkeitssache: Einlegung eines Rechtsmittels durch die Partei und ihren Streithelfer bei streitgenössischer Nebenintervention; Patentfähigkeit eines Verfahrens zum Vorhalten eines elektronischen Dokuments auf einem ftp-Server - Diskontinuierliche Funkverbindung
Leitsatz
Diskontinuierliche Funkverbindung
1. Bei einer streitgenössischen Nebenintervention im Sinne von § 69 ZPO ist die Zulässigkeit der von einer Partei und ihrem Streithelfer eingelegten Rechtsmittel grundsätzlich gesondert zu beurteilen (Bestätigung von , DtZ 1994, 29 und , NJW 2001, 2638).
2. Ein elektronisches Dokument, das im Internet auf einem ftp-Server vorgehalten wird, ist jedenfalls dann der Öffentlichkeit zugänglich, wenn es über ein Verzeichnis aufgerufen werden kann, das der Öffentlichkeit als Speicherort für fachbezogene Veröffentlichungen bekannt ist und als Informationsquelle zur Verfügung steht.
Gesetze: § 69 ZPO, § 511 ZPO, § 520 ZPO, Art 54 Abs 2 EuPatÜbk, § 3 Abs 1 PatG
Instanzenzug: Az: 6 Ni 34/16 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 344 323 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom angemeldet worden ist und eine diskontinuierliche Funkverbindung betrifft. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache:
A method for providing a discontinuous radio link for user equipment (18, 20, 22) in a telecommunication network (10) in a physical radio transmission layer when receiving packets while maintaining the logical connection in higher protocol layers during a packet service mode,
characterized in that the user equipment (18, 20, 22)
enters into a discontinuous reception mode receiving either:
a) two or more slots (120, 122, ..., 134, 202, 204, ..., 220, ..., 230) of each radio frame (n, n+1, 200, 300), or
b) one or more frames (n, n+1, 200, 300, 402, 404a, 404b, 404c, 404d, 406, 410);
and powers down its receiver circuitry (18a) for either
a) the remaining slots of the radio frame or
b) one or more predefined periods, signaled by the telecommunication network (10).
2Die Klägerinnen und die Streithelferin der Klägerin zu 2 haben das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1, 22 und 26 wegen mangelnder Patentfähigkeit angegriffen. Die Klägerinnen zu 2 bis 4 und die Streithelferin haben ferner geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit fünf Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.
3Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit dem dritten Hilfsantrag verteidigte Fassung hinausgeht, nach der die Patentansprüche 22 und 26 vollständig und in Patentanspruch 1 die beiden mit a) eingeleiteten Passagen entfallen. Die weitergehende Klage hat das Patentgericht abgewiesen. Dagegen wenden sich die Berufungen der Klägerinnen und der Streithelferin, die ihre erstinstanzlichen Anträge im Hinblick auf Patentanspruch 1 weiterverfolgen. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Schutzrecht ergänzend mit drei Hilfsanträgen.
Gründe
4Die Berufungen sind zulässig, aber unbegründet.
5I. Die Streithelferin hat ihre Berufung zwar nicht innerhalb der dafür maßgeblichen Frist begründet. Auf ihren Antrag hin ist ihr insoweit aber Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.
61. Die den Klägerinnen gewährte Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung hat im Streitfall nicht zugunsten der Streithelferin gewirkt.
7Wenn eine Partei und ihr Streithelfer ein Urteil anfechten, liegt grundsätzlich ein einheitliches Rechtsmittel vor, über das einheitlich zu entscheiden ist (, NJW-RR 2006, 644 Rn. 7). Bei einer streitgenössischen Nebenintervention im Sinne von § 69 ZPO ist die Zulässigkeit der von einer Partei und ihrem Streithelfer eingelegten Rechtsmittel hingegen grundsätzlich gesondert zu beurteilen (, DtZ 1994, 29; Urteil vom - II ZR 328/00, NJW 2001, 2638).
8Im Patentnichtigkeitsverfahren gilt ein Streithelfer des Klägers gemäß § 69 ZPO als Streitgenosse, weil die Entscheidung über den Rechtsbestand des Patents nur einheitlich ergehen kann (, GRUR 2008, 60 Rn. 44 - Sammelhefter II). Im Streitfall ist die Zulässigkeit der von der Streithelferin eingelegten Berufung deshalb gesondert zu beurteilen.
9Die Streithelferin hat die Frist zur Begründung ihres Rechtsmittels danach nicht gewahrt.
102. Der Streithelferin ist auf ihren fristgerecht gestellten und auch im Übrigen zulässigen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
11Die Streithelferin hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigten hinreichend Vorsorge dafür getroffen haben, dass ihnen die Akte vor Ablauf der Begründungsfrist vorgelegt wird, und eine rechtzeitige Vorlage aus einem Grund unterblieben ist, den sie nicht verschuldet haben.
12II. Das Streitpatent betrifft eine diskontinuierliche Funkverbindung für ein Endgerät in einem Telekommunikationsnetzwerk.
131. Das Streitpatent befasst sich mit der Datenübertragung in einem Funknetzwerk, insbesondere bei der Betriebsart Wideband Code Division Multiple Access (WCDMA), die in den damals vor der Einführung stehenden Mobilfunknetzwerken der dritten Generation (3G, UMTS) zum Einsatz kommt.
14Nach der Beschreibung des Streitpatents kann eine Paketdienstsitzung (packet service session) relativ lange Zeit aktiv sein. Weil die Daten stoßweise übertragen würden, könne es zu längeren Zeiträumen ohne Datenfluss kommen. Auch in diesen Phasen sei der Stromverbrauch hoch, weil der Empfänger des Endgeräts aktiv sein müsse.
152. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, den Energieverbrauch des Endgeräts während einer Paketdienstsitzung zu reduzieren.
163. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in der im Berufungsverfahren noch zu beurteilenden Fassung von Anspruch 1 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
184. Einige Merkmale bedürfen näherer Betrachtung.
19a) Merkmal 1 geht von einem Telekommunikationsnetzwerk aus, wie es in Figur 1 des Streitpatents schematisch gezeigt und in Abs. 26 beschrieben wird.
20Das Netzwerk weist einen Funknetzcontroller (radio network controller, RNC) sowie mehrere Basisstationen (BS) und Endgeräte (user equipment, UE) auf. Dieser Teil stellt das Funkzugangsnetz (UTRAN) dar, welches über den Funknetzcontroller mit dem Kernnetz (core network) verbunden ist.
21b) Mit der in Merkmal 1.0.1 normierten Anforderung, dass das Verfahren eine physikalische Funkübertragungsschicht betrifft, nimmt das Streitpatent auf das von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) entwickelte OSI-Modell (open systems interconnection model) Bezug.
22Die physikalische Schicht ist im OSI-Modell die unterste Schicht, auf der die physikalische Datenübertragung stattfindet.
23c) Eine Paketdienstbetriebsart im Sinne von Merkmal 1.0.4 ist ein Betriebsmodus, in dem das Endgerät Datenpakete aus dem Netzwerk empfangen kann.
24Zu Recht ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass darunter nicht nur Betriebsphasen fallen, in denen tatsächlich Datenpakete übermittelt werden.
25aa) Den bereits erwähnten Ausführungen, wonach die Übertragung stoßweise erfolgen und Phasen aufweisen kann, in denen kein Datenfluss stattfindet (Abs. 2), ist zu entnehmen, dass es um einen Modus geht, in dem das Netzwerk Datenpakete an das Endgerät übertragen kann, ohne zuvor in einen anderen Betriebsmodus wechseln zu müssen.
26bb) Dies steht in Einklang mit den Ausführungen in der Beschreibung, wonach das Endgerät bei WCDMA während einer Paketübertragungssitzung (packet transfer session) in den Zuständen CELL-FACH und CELL-DCH sein kann (Abs. 3).
27Nach der am Prioritätstag verfügbaren Spezifikation der Übertragungsprotokolle für die (im OSI-Modell zur dritten Schicht gehörende) RRC-Schicht (3G TS 25.331 V3.3.0 (2000-06), NK14) kann ein UMTS-Endgerät in diesen Zuständen Datenpakete empfangen und übertragen. Im Modus CELL-DCH stehen hierfür eigene physikalische Kanäle und Transportkanäle zur Verfügung (S. 134 Kap. 9.3.1), im Modus CELL-FACH gemeinsame Kanäle (S. 135 Kap. 9.3.2).
28In den beiden anderen in diesem Zusammenhang vorgesehenen Betriebszuständen (CELL PCH, URA PCH) kann das Endgerät nur bestimmte Steuerinformationen empfangen (S. 137 ff. Kap. 9.3.3 und 9.3.4). Zum Empfang von Datenpaketen muss es in einen der beiden zuerst genannten Zustände wechseln.
29Patentanspruch 1 sieht zwar weder den Einsatz in einem WCDMA- oder UMTS-Netz noch die Nutzung bestimmter Betriebszustände zwingend vor. Aus dem aufgezeigten Zusammenhang ergibt sich aber, dass eine Paketdienstbetriebsart ein Betriebszustand ist, der wie die Betriebsarten CELL-FACH und CELL-DCH den Empfang von Datenpaketen ermöglicht.
30cc) Ebenfalls in Einklang mit diesem Verständnis stehen die Ausführungen zu den Grundlagen der Erfindung.
31In diesem Zusammenhang führt die Beschreibung aus, das Endgerät schalte den Empfänger für bestimmte Zeiträume einer Paketübertragungssitzung ab (Abs. 27). Diese Zeiträume sind Phasen, in denen zwar keine Pakete empfangen werden, die Übertragungssitzung aber noch andauert, so dass in der Folgezeit bei Bedarf weitere Pakete empfangen werden können, ohne erst in einen anderen Betriebszustand wechseln und geeignete Kanäle einrichten zu müssen.
32d) Der in Merkmal 1.1 vorgesehene diskontinuierliche Empfangsmodus stellt im Verhältnis zu der Paketdienstbetriebsart im Sinne von Merkmal 1.0.4 keinen eigenständigen Betriebszustand dar, sondern nur eine Modifikation derselben.
33aa) Nach den Merkmalen 1.1 und 1.2 empfängt das Endgerät in diesem Modus nur noch einzelne Rahmen und schaltet den Empfänger in den dazwischenliegenden Zeiträumen aus.
34Die während dieser Phase empfangenen Rahmen zeigen an, ob weitere Pakete zum Empfang anstehen und das Endgerät deshalb wieder in den kontinuierlichen Betrieb wechseln muss. Diese Information wird in einem der Ausführungsbeispiele mit Hilfe eines besonderen Felds (transport format combination indicator, TFCI) übertragen (Abs. 39). In einem anderen Ausführungsbeispiel erfolgt die Signalisierung in einer höheren Schicht, indem in einzelnen Rahmen bestimmte Daten zusammen mit einer Prüfsumme (cyclic redundancy check, CRC) übertragen werden und das Endgerät die Prüfsumme auswertet. Eine korrekte Prüfsumme zeigt an, dass Pakete zum Empfang anstehen und das Endgerät deshalb in den kontinuierlichen Betrieb zurückkehren muss (Abs. 50). Diese Datenübertragung kann in UMTS-Netzen auf dem physikalischen Kanal DPCCH (dedicated physical control channel) erfolgen (Abs. 55).
35Daraus ergibt sich, dass während des diskontinuierlichen Betriebs keine Datenpakete übermittelt werden müssen. Es genügt vielmehr die Übermittlung von Signalen, denen entnommen werden kann, dass das Endgerät den Empfang solcher Pakete wieder aufnehmen soll.
36Wie die Beklagte im Ergebnis zu Recht geltend macht, schließt Patentanspruch 1 allerdings nicht aus, dass zusammen mit diesem Signal bereits ein erstes Datenpaket übertragen wird. Den Ausführungen zu dem zuletzt genannten Ausführungsbeispiel lässt sich zwar nicht eindeutig entnehmen, ob es sich bei den mit einer Prüfsumme versehenen Daten um ein Datenpaket in diesem Sinne handelt. Weder die Beschreibung noch Patentanspruch 1 stehen einer solchen Vorgehensweise aber zwingend entgegen.
37bb) Aus Merkmal 1.0.4, wonach der diskontinuierliche Betrieb in einer Paketdienstbetriebsart verfügbar sein muss, ergibt sich, dass der Empfang von Datenpaketen nach Rückkehr zum kontinuierlichen Empfang auch dann ohne Wechsel des Betriebszustands möglich sein muss, wenn während des diskontinuierlichen Empfangs keine Datenpakete empfangen werden. Der Übergang zum diskontinuierlichen Betrieb darf also nur zur Folge haben, dass vorübergehend keine oder nur wenige Datenpakete empfangen werden, die übrigen Parameter des zuvor bestehenden Betriebszustandes aber grundsätzlich unverändert bleiben.
38Entgegen der Auffassung der Klägerinnen reicht es zur Verwirklichung der Merkmale 1.0.4 und 1.1 folglich nicht aus, wenn das Endgerät beim Übergang in den kontinuierlichen Empfang in einen Betriebszustand wechselt, der nach Rückkehr zum kontinuierlichen Empfangsmodus weitere Anpassungen erforderlich macht, um wieder Datenpakete empfangen zu können.
39e) In unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Anforderungen steht das in Merkmal 1.0.3 normierte Erfordernis, dass bestehende logische Verbindungen in höheren Protokollschichten aufrechterhalten bleiben.
40Diese Anforderung bildet eine Bestätigung dafür, dass eingerichtete Sitzungen oder Verbindungen vom Übergang in den diskontinuierlichen Betrieb grundsätzlich nicht betroffen sind, sondern durch Rückkehr in den kontinuierlichen Betrieb fortgesetzt werden können.
41Entgegen der Auffassung der Klägerinnen reicht es hierzu nicht aus, wenn eine logische Verbindung in einzelnen Schichten bestehen bleibt, in anderen hingegen beendet wird. Vielmehr ist erforderlich, dass logische Verbindungen grundsätzlich in allen höheren Schichten aufrechterhalten bleiben, in denen sie bestehen.
42Daraus folgt andererseits nicht, dass vor dem Beginn des diskontinuierlichen Empfangsbetriebs zwingend logische Verbindungen in allen Ebenen bestehen müssen. Merkmal 1.0.3 trifft keine Festlegungen zu Anzahl und Beschaffenheit der logischen Verbindungen vor dem Übergang in den diskontinuierlichen Empfangsbetrieb. Es bestimmt lediglich, dass grundsätzlich alle Verbindungen aufrechtzuerhalten sind, die in diesem Zeitpunkt bestehen.
43Entgegen der Auffassung der Beklagten kann Merkmal 1.0.3 danach auch dann verwirklicht sein, wenn eine logische Verbindung nur in einer einzigen Schicht aufrechterhalten bleibt - nämlich dann, wenn dies die einzige Verbindung ist, die beim Übergang in den diskontinuierlichen Empfangsbetrieb besteht.
44Die Verwendung des Plurals steht diesem Verständnis nicht entgegen. Sie bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine logische Verbindung in mehreren Schichten bestehen kann und gegebenenfalls in allen diesen Schichten aufrechterhalten werden muss. Da die Zahl der Schichten, in denen eine Verbindung besteht, nicht festgelegt ist, wird damit aber auch die Konstellation erfasst, dass eine logische Verbindung nur in einer einzigen höheren Schicht besteht.
45f) Die Länge der Zeiträume, in denen das Endgerät seinen Empfänger während des diskontinuierlichen Betriebs ausschaltet, wird nach Merkmal 1.2b vom Netzwerk signalisiert. Nähere Festlegungen zur Art der Signalisierung oder zur Länge der Zeiträume können daraus nicht abgeleitet werden.
46Aus Merkmal 1.2b ergibt sich allerdings, dass das Endgerät nicht auf eine feste Zeitspanne festgelegt sein darf, sondern in der Lage sein muss, die Dauer der Inaktivität auf die vom Netzwerk mitgeteilte Länge einzustellen.
47Die signalisierte Periode kann aber vordefiniert sein. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist deshalb nicht zwingend erforderlich, dass die Länge der Periode während des Betriebs geändert werden kann.
48Aus den Ausführungen in der Beschreibung, wonach das Endgerät eine vereinbarte Zeitspanne (an agreed period of time) abwartet, bevor es weitere Rahmen decodiert (Abs. 16, 50, 55), ergeben sich schon deshalb keine weitergehenden Anforderungen, weil dieser Begriff in Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden hat.
49Unabhängig davon ist diesen Ausführungen nicht zu entnehmen, dass die Dauer der Zeitspanne zwischen dem Netzwerk und dem Endgerät ausgehandelt wird oder aushandelbar ist. Vielmehr reicht es aus, wenn entsprechende Festlegungen im Zusammenhang mit Planung oder Betrieb des Netzwerks getroffen werden.
50Bei den Ausführungsbeispielen, bei denen von einer vereinbarten Zeitspanne die Rede ist, wird diese Zeitspanne durch eine Komponente des Netzwerks festgelegt (Abs. 17, 50, 55). Ein Aushandeln mit dem Endgerät wird hierbei nicht erwähnt. Im Zusammenhang mit einem dieser Beispiele wird ausgeführt, es sei lediglich eine Frage der Vereinbarung (an agreement issue), ob das Ende der Paketdatenübertragung durch den Anfang oder das Ende des letzten Rahmens definiert werde (Abs. 50). In diesem Kontext erscheint es fernliegend, dass diese Frage zwischen Netzwerk und Endgerät ausgehandelt wird. Näherliegend erscheint das Verständnis, dass es um Festlegungen bei der Spezifikation des Netzwerks geht.
51III. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit sie mit der Berufung angegriffen wird, im Wesentlichen wie folgt begründet:
52Das Streitpatent nehme die Priorität vom wirksam in Anspruch. Die Erfindung sei auch ausführbar offenbart, weil anhand des WCDMA-Systems zumindest ein Weg gezeigt werde, auf dem die Erfindung ausgeführt werden könne. In der aufrecht erhaltenen Fassung sei der Gegenstand des Patents ferner patentfähig.
53Die bereits erwähnte UMTS-Spezifikation (NK14) offenbare einen diskontinuierlichen Empfang (DRX) des Endgeräts zur Reduzierung des Stromverbrauchs im Betriebszustand CELL PCH. In diesem Status seien keine Ressourcen für eine Datenübertragung vergeben. Deshalb seien die Merkmale 1.0.2 und 1.0.4 nicht offenbart. Die technische Spezifikation 3G TS 25.304 V3.3.0 (2000-06, NK15), auf die NK14 wegen der Paging-Anlässe Bezug nehme, offenbare einen diskontinuierlichen Empfang im Ruhemodus. Deshalb seien die Merkmale 1.0.2 bis 1.0.4 auch dort nicht offenbart.
54Der von Ericsson stammende Vorschlag für ein Treffen einer mit der Standardisierung befassten Arbeitsgruppe (Description of DRX, TSGR2#5(99)590, NK12) beschreibe die Verwendung eines diskontinuierlichen Empfangskonzepts im Ruhemodus und in einem als UTRAN connected bezeichneten Modus. Letzterer unterscheide sich vom Ruhemodus dadurch, dass die Steuerung nicht durch das Core-Netzwerk erfolge, sondern durch das Zugangsnetzwerk (UTRAN). Den diesbezüglichen Ausführungen in NK12 sei zu entnehmen, dass der DRX-Zyklus nur eingesetzt werde, wenn sich das Endgerät im Unterzustand PCH befinde, in dem ein Empfang von Datenpaketen nicht möglich sei. Dem in NK12 enthaltenen Hinweis, das Zugangsnetz könne den zu verwendenden DRX-Zyklus auch dann definieren, wenn sich das Endgerät nicht im PCH-Unterzustand befinde, sei lediglich zu entnehmen, dass der Zyklus in anderen Unterzuständen definiert werden könne, nicht aber, dass er in diesen Zuständen eingesetzt werde.
55Die Veröffentlichung von Sreetharan und Kumar (Cellular Digital Packet Data, Boston/London, 1996, NK16) offenbare einen Schlafmodus für Endgeräte, bei dem eine Datenverbindung beibehalten werde. Die Empfangsschaltung werde nach einer Zeitspanne T204 wieder eingeschaltet, um einen oder mehrere Rahmen zu empfangen. Diese Zeitspanne werde jedoch nicht im Sinne von Merkmal 1.2b durch das Netzwerk signalisiert. Eine Signalisierung in diesem Sinne liege nicht vor, wenn das Endgerät die Länge der Zeitspanne schon kenne und vom Netzwerk nur noch mitgeteilt bekomme, wann sie anfange. Aus der Spezifikation des in NK16 behandelten Standards (TIA/EIA/IS-732-403, NK16b) ergebe sich ebenfalls nicht, dass die Zeitspanne T204 aushandelbar sei. Darüber hinaus wecke die in NK16 und NK16b angeführte Schlafdauer von 60 Sekunden Zweifel an der Aufrechterhaltung des Paketdienstbetriebs gemäß der Merkmale 1.0.2 und 1.0.4, weil im Streitpatent schon eine Unterbrechung von 30 Millisekunden als ziemlich lang bezeichnet werde.
56Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei in der aufrecht erhaltenen Fassung auch durch eine Kombination der genannten Entgegenhaltungen nicht nahegelegt. Die übrigen Entgegenhaltungen lägen weiter ab.
57IV. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Berufung im Ergebnis stand.
581. Die Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass der vom Patentgericht zutreffend bestimmte Fachmann sie ausführen kann.
59a) Eine Erfindung ist ausführbar offenbart, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Dabei reicht es aus, wenn dem Fachmann ein allgemeines Lösungsschema an die Hand gegeben wird. Der Patentanspruch muss nicht alle zur Ausführung der Erfindung erforderlichen Angaben enthalten (, GRUR 2016, 361 Rn. 45 - Fugenband).
60b) Diese Voraussetzungen erfüllt das Streitpatent.
61aa) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist nicht erforderlich, dass das Streitpatent offenbart, wie ein diskontinuierlicher Empfang im Sinne von Patentanspruch 1 in einem WCDMA-System in der Betriebsart CELL FACH realisiert werden kann.
62Wie bereits oben ausgeführt wurde, wird dieser Betriebszustand in der Beschreibung des Streitpatents zwar ausdrücklich angeführt. Daraus ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das geschützte Verfahren zwingend auch in diesem Zustand anwendbar sein muss. Für eine ausführbare Offenbarung reicht es deshalb jedenfalls aus, wenn das Verfahren in dem Betriebszustand CELL DCH anwendbar ist. Letzteres ziehen die Klägerinnen nicht in Zweifel.
63bb) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist ein diskontinuierlicher Empfangsbetrieb jedenfalls in dem in Abs. 55 geschilderten Ausführungsbeispiel (DPCCH grating method) hinreichend detailliert offenbart.
64In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob eine hinreichende Offenbarung nähere Angaben zu dem Inhalt der im diskontinuierlichen Betrieb empfangenen Rahmen und zu dem physikalischen Kanal erfordert, auf dem die Daten übertragen werden. Wie auch die Klägerinnen nicht in Zweifel ziehen, enthält das Streitpatent solche Informationen jedenfalls im Zusammenhang mit dem in Abs. 55 geschilderten Ausführungsbeispiel, bei dem der physikalische Kanal DPCCH (dedicated physical control channel) genutzt wird, um Rahmen zu übertragen, die dem Empfangsgerät die bevorstehende Wiederaufnahme des kontinuierlichen Empfangsbetriebs signalisieren.
65Dass in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich das Abschalten der Empfangseinrichtung und die Signalisierung einer vorbestimmten Periode erwähnt werden, ist unschädlich, weil die Beschreibung insoweit auf das vorangehende Ausführungsbeispiel (higher layer scheduling scheme) Bezug nimmt. Bei diesem werden beide Merkmale geschildert (Abs. 49 f.).
66cc) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist der Patentschrift hinreichend deutlich zu entnehmen, wie sich eine Paketdienstbetriebsart von anderen Betriebsarten unterscheidet und in welcher Weise ein DRX-Schema in einer solchen Betriebsart signalisiert werden kann.
67Auch insoweit geben die bereits erwähnten Ausführungsbeispiele ausreichenden Anhalt darüber, in welcher Weise die Merkmale des Streitpatents verwirklicht werden können.
682. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist in NK14 und NK15 nicht vollständig offenbart.
69a) NK14 beschreibt Protokolle zur Steuerung der Funkressourcen (radio resource control, RRC) für die Funkschnittstelle zwischen einem Endgerät (UE) und dem terrestrischen UMTS-Zugangsnetz (UTRAN).
70Diese Mechanismen sind im OSI-Schichtenmodell auf der dritten Schicht angeordnet (S. 24 f., Fig. 1-3). Zu ihren Funktionen gehören unter anderem der Verbindungsaufbau und -abbau sowie der Betrieb und die Kontrolle der Verbindung zwischen Endgerät und Zugangsnetz (S. 26 Kap. 7).
71Wie bereits oben dargelegt wurde, sind für den Verbindungsmodus vier unterschiedliche Betriebszustände (CELL DCH, CELL FACH, CELL PCH, URA PCH) vorgesehen (S. 134 Kap. 9.3). Diese Zustände und die möglichen Übergänge von einem Zustand in den anderen sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 55 (S. 133) dargestellt.
72Für den Zustand CELL PCH unterstützt das RRC-Protokoll einen diskontinuierlichen Empfang (DRX), um den Stromverbrauch des Endgeräts zu reduzieren. Ressourcen für eine Datenübermittlung stehen in diesem Zustand nicht zur Verfügung. Falls Daten übermittelt werden sollen, ist ein Wechsel in einen anderen Zustand erforderlich (S. 138 Kap. 9.3.3.2).
73Das Endgerät empfängt Paging-Informationen auf einem physikalischen Kanal (PICH, paging indicator channel) und wertet diese in einem vorgegebenen DRX-Zyklus aus (S. 137 Kap. 9.3.3). Das Netzwerk kann hierzu eine spezifische DRX-Zykluslänge vorgeben (S. 138 Kap. 9.3.3.2).
74b) NK14 offenbart damit die Merkmale 1.0, 1.0.1, 1.0.3 sowie die Merkmalsgruppen 1.1 und 1.2.
75c) Nicht offenbart sind die Merkmale 1.0.2 und 1.0.4.
76Wie oben dargelegt wurde, kann das Endgerät im Betriebszustand CELL PCH keine Datenpakete empfangen. Um den Empfang von Datenpaketen zu ermöglichen, genügt es also nicht, aus dem diskontinuierlichen Empfangsbetrieb zu einem kontinuierlichen Betrieb zurückzukehren. Vielmehr muss auch zu einem anderen Betriebszustand gewechselt werden. Dies reicht aus den oben aufgezeigten Gründen für die Verwirklichung der Merkmale 1.0.2 und 1.0.4 nicht aus.
77Für die übrigen drei Betriebszustände ist ein diskontinuierlicher Betrieb in NK14 nicht offenbart.
78d) Entgegen der Auffassung der Streithelferin ergibt sich aus NK15 kein weitergehender Offenbarungsgehalt.
79NK15, auf die in NK14 an vielen Stellen Bezug genommen wird (vgl. etwa S. 231 Kap. 10.3.3.6), spezifiziert Einzelheiten des diskontinuierlichen Empfangs. Unter anderem ist vorgesehen, dass die Länge des DRX-Zyklus durch das Netzwerk bestimmt wird (S. 33 f. Kap. 8).
80Damit ist, wie die Streithelferin im Ansatz zutreffend geltend macht, unter anderem die Merkmalsgruppe 1.2 offenbart. Auch aus NK15 ergibt sich jedoch nicht, dass der diskontinuierliche Empfang in Betriebszuständen zum Einsatz gelangt, in denen das Endgerät Datenpakete empfangen kann.
813. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist in NK12 ebenfalls nicht vollständig offenbart.
82a) Entgegen der Auffassung der Beklagten gehört NK12 zum Stand der Technik.
83Das Dokument war vor dem Prioritätstag des Streitpatents öffentlich zugänglich, weil es nach den insoweit nicht angegriffenen und zutreffenden Feststellungen des Patentgerichts am auf dem ftp-Server des Standardisierungsgremiums 3GPP gespeichert wurde und dort zum Abruf bereitstand.
84Dabei kann dahingestellt bleiben, ob jedes im Internet verfügbare Dokument ohne weiteres der Öffentlichkeit zugänglich ist oder ob es zusätzlicher Mittel bedarf, um die Zugänglichkeit zu ermöglichen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist jedenfalls nicht zwingend erforderlich, dass das Dokument bei Eingabe geeigneter Suchbegriffe mit einer Suchmaschine auffindbar ist. Vielmehr reicht es aus, wenn das Dokument über ein Verzeichnis aufgerufen werden kann, das der Öffentlichkeit als Speicherort für fachbezogene Veröffentlichungen bekannt ist und als Informationsquelle zur Verfügung steht.
85Die zuletzt genannte Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Deshalb bedarf es keiner Klärung der Frage, ob gängige Suchmaschinen schon vor dem Prioritätstag in der Lage waren, in einer zip-Datei abgelegte Word-Dokumente zu indizieren.
86Der ftp-Server von 3GPP ist nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Patentgerichts in Fachkreisen bekannt und für Fachleute zugänglich. Wie die Klägerinnen durch den Ausdruck des Dateiverzeichnisses (NK12b) illustriert haben, können die auf dem Server abgelegten Dateien in einem nach Arbeitsgruppen, Sitzungen und Dateityp eingeteilten Verzeichnis aufgelistet und von dort heruntergeladen werden. Dies reicht, wie auch schon eine Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts entschieden hat (EPA, Beschluss vom - T 1469/10, Abs. 2.3.2), aus, um die dort gespeicherten Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
87b) NK12 befasst sich mit der Ausgestaltung des diskontinuierlichen Empfangs (DRX) im Ruhemodus (S. 1 Nr. 3) und im UTRAN-Verbindungsmodus (S. 3 Nr. 4).
88aa) NK12 beschreibt die Ausgestaltung eines diskontinuierlichen Empfangs (DRX) zunächst für einen Ruhemodus (idle mode), in dem das Endgerät mit dem Kernnetz (CN) verbunden ist.
89Verschiedene Kernnetze verwendeten unterschiedliche DRX-Zykluslängen. Die konkrete Länge und die PCH-Konfigurationsparameter der Zelle würden über den Steuerkanal BCCH (broadcast control channel) an die Endgeräte gesendet. Aufgrund dieser Informationen bestimme das Endgerät, wann ein Paging-Anlass (paging occasion) stattfinde und es einen Rahmen lesen könne. Zwischen zwei Rufereignissen könne der Empfänger des Endgeräts ausgeschaltet werden (S. 2 vorletzter Absatz).
90Die Länge eines DRX-Zyklus wird als Mehrzahl von Rahmen zu je 10 Millisekunden ausgedrückt. Die minimale Länge beträgt einen Rahmen. Die Figur 1 der NK12 zeigt Beispiele mit Zykluslängen von 27 und 211 Rahmen. Dies entspricht 1,28 Sekunden bzw. 20,48 Sekunden.
91bb) In einem anschließenden Kapitel befasst sich NK12 mit der DRX-Nutzung im UTRAN-Verbindungsmodus.
92Der grundlegende Unterschied zu DRX im Ruhemodus bestehe darin, dass das Zugangsnetz anstelle des Kernnetzes den diskontinuierlichen Empfang steuere. DRX sei in der Regel von den Unterzuständen des Endgeräts und den Dienstgüteanforderungen (quality of service; QoS) für den zugewiesenen Funkzugangsträger (radio access bearer, RAB) abhängig. Da DRX vor allem der Senkung des Energieverbrauchs des Endgeräts diene, solle dem Endgerät ermöglicht werden, beim Zugangsnetz eine Änderung der Zykluslänge innerhalb der definierten Grenzen anzufordern (S. 3 Nr. 4 Abs. 2).
93Es werde auch als schwierig angesehen, die optimale Länge eines DRX-Zyklus für jedes Endgerät zu finden, wenn hierzu ausschließlich die Dienstgüteanforderungen und Pufferkapazitäten des Zugangsnetzes betrachtet würden. Deshalb solle das Zugangsnetz die Möglichkeit haben, die DRX-Zykluslängen einzelner Endgeräte anzupassen (S. 3 Nr. 4 Abs. 2).
94Die Übertragung von DRX-Parametern zu dem Endgerät könne in verschiedenen Prozeduren erfolgen. Auf diese Weise könne das Zugangsnetz den zu verwendenden DRX-Zyklus definieren, auch wenn sich das Endgerät gerade nicht im PCH-Unterzustand befinde (S. 3 Nr. 4 Abs. 3).
95c) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass damit die Merkmale 1.0.2 und 1.0.4 nicht offenbart sind.
96aa) Wie bereits im Zusammenhang mit NK14 dargelegt wurde, umfasst der in NK12 behandelte UTRAN-Verbindungsmodus allerdings auch Betriebszustände, in denen der Empfang von Datenpaketen möglich ist. NK12 gibt aber nicht klar und eindeutig an, in welchen Betriebszuständen ein diskontinuierlicher Betrieb erfolgen soll.
97bb) Den Ausführungen lässt sich auch nicht entnehmen, dass ein diskontinuierlicher Betrieb in jedem verfügbaren Betriebszustand möglich ist.
98Der in NK12 enthaltene Hinweis, dass DRX in der Regel von den Unterzuständen des Endgeräts abhängig sei, und der Umstand, dass DRX zunächst im Zusammenhang mit dem Ruhezustand geschildert wird, deuten vielmehr darauf hin, dass diese Funktion auch im UTRAN-Verbindungsmodus nur in bestimmten Unterzuständen zur Verfügung steht. Der Hinweis auf die Unterzustände könnte bei isolierter Betrachtung zwar auch dahin ausgelegt werden, dass ein diskontinuierlicher Betrieb in allen Unterzuständen möglich ist, aber unterschiedlichen Anforderungen unterliegt. Mindestens ebenso viel spricht aber für das Verständnis, dass ein diskontinuierlicher Betrieb nur in bestimmten Unterzuständen möglich ist.
99cc) Vor diesem Hintergrund ist das Patentgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der abschließende Hinweis, die Länge eines DRX-Zyklus könne auch dann definiert werden, wenn das Endgerät nicht im Unterzustand PCH sei, nicht unmittelbar und eindeutig für das von den Klägerinnen postulierte Verständnis spricht.
100Der Hinweis, dass bestimmte Funktionen bei der in NK12 vorgeschlagenen Vorgehensweise auch in anderen Unterzuständen als PCH verfügbar sind, deutet eher darauf hin, dass ein diskontinuierlicher Betrieb grundsätzlich nur in diesem Unterzustand möglich ist. NK12 will diesbezügliche Beschränkungen zwar überwinden, spricht insoweit aber nur die Definition der Zykluslänge an, nicht aber den diskontinuierlichen Betrieb selbst.
101Angesichts dessen fehlt es an einer klaren und eindeutigen Offenbarung, dass über den Wortlaut des Hinweises hinaus auch die zuletzt genannte Funktion zur Verfügung steht.
102dd) Ebenfalls zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass auch die Ausführungen zur Pufferkapazität im Zugangsnetz keinen unmittelbaren und eindeutigen Hinweis auf einen diskontinuierlichen Empfang in den Unterzuständen CELL-DCH und CELL-FACH geben.
103Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Pufferung von Daten im Unterzustand PCH nur im Kernnetz möglich ist und eine Pufferung im Zugangsnetz nur in den Unterzuständen CELL-FACH und CELL-DCH in Betracht kommt. Selbst wenn dies zuträfe, hätte sich diese Erkenntnis nicht unmittelbar und eindeutig aus NK12 ergeben, sondern allenfalls unter ergänzendem Rückgriff auf Fachwissen. Dies reicht für eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung nicht aus.
1044. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist auch in NK16 nicht vollständig offenbart.
105a) NK16 beschreibt die Technologie CDPD (cellular digital packet data), die die Übertragung von Datenpaketen auf der Grundlage der analogen Technologie AMPS (analog mobile phone system) ermöglicht.
106Die Architektur eines solchen Netzes, das aus Basisstationen (MDBS), mobilen Endgeräten (M-ES), Zwischensystemen (MD-IS, IS) und festen Endgeräten (F-ES) besteht, ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1.1 (S. 2) dargestellt.
107Die Daten werden in Segmenten, Rahmen und Blöcken übertragen, wobei zwischen verschiedenen Schichten unterschieden wird. Dies ist schematisch in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 4.2 (S. 72) dargestellt.
108Die Datensicherungsschicht (link layer), die im OSI-Modell der Schicht 2 (data link) entspricht (S. 103 Kap. 5.1), hat unter anderem die Aufgabe, temporäre Gerätebezeichner (temporary equipment identifiers, TEI) zu vergeben, um einzelne Endgeräte ansprechen zu können. Ein Kanal kann eine oder mehrere logische Datenverbindungen (data link connections) enthalten. Diese werden anhand des Gerätebezeichners (TEI) unterschieden, der in jedem Rahmen enthalten ist (S. 105 f. Kap. 5.2.1.1). Eine solche Datenverbindung wird auch im Schlafmodus aufrechterhalten, um Stromsparmechanismen im Endgerät implementieren zu können (S. 106 Kap. 5.2.1.1 vorletzter Absatz).
109Im Schlafmodus ist die Datenverbindung nur zeitweise (intermittently) aktiv (S. 119 Kap. 5.6 Abs. 1). Hierzu handeln das Endgerät und das Zwischensystem für mobile Daten (MD-IS) im Rahmen der Zuteilung eines Gerätebezeichners (TEI) eine Zeitspanne (timer value) T103 aus. Nach einer entsprechenden Zeit der Inaktivität in der Verbindungsschicht leiten Endgerät und Zwischensystem den Schlafmodus ein. Nach Ablauf eines vorkonfigurierten (configured) Zeitraums T204 überprüft das Zwischensystem, ob Nachrichten für das schlafende Endgerät vorhanden sind. Wenn dies der Fall ist, ist die TEI in einer Liste aufgeführt, die zu der TEI-Benachrichtigung gehört. Das Endgerät wacht nach jedem Ablauf des Zeitraums T204 auf, um die TEI-Benachrichtigung zu empfangen und zu analysieren. Wenn sie ihren Gerätebezeichner (TEI) nicht findet, wechselt sie wieder in den Schlafmodus. Wenn sie ihren Gerätebezeichner (TEI) findet, sendet sie einen bestimmten Rahmen (RR frame, ready to receive) aus, um dem Zwischensystem mitzuteilen, dass sie nun etwa gespeicherte Rahmen empfangen kann (S. 119 f. Kap. 5.6; S. 172 f. Kap. 7.4.3.7). Solche Prozeduren werden als besonders geeignet bezeichnet für Situationen, in denen zwischen einzelnen Phasen der Datenübertragung lange Zeiträume der Stille liegen (S. 120 Abs. 2).
110Diese Abläufe sind in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 7.17 (S. 174) dargestellt. Darin ist unter anderem vermerkt, dass das Endgerät nach Ablauf der Zeitspanne T204 seinen Empfänger einschaltet.
111Der Wert T204 kann ebenso wie der Wert T203 konfiguriert werden; als Standardwert sind 60 Sekunden angegeben (S. 267 Kap. 11.8.2).
112Wie bereits oben erwähnt wurde, ist für T203 darüber hinaus ein Aushandeln zwischen Endgerät und Zwischensystem beschrieben. Entsprechende Ausführungen zu T204 enthält NK16 nicht. Aus den von den Klägerinnen ergänzend vorgelegten Unterlagen ergibt sich insoweit kein weitergehender Offenbarungsgehalt.
113b) Damit sind die Merkmale 1.0 und 1.0.1, die Merkmalsgruppe 1.1 und das Merkmal 1.2 offenbart.
114Die Kommunikation zwischen Endgerät und Zwischensystem findet zwar in der Schicht 2 statt. Da der Empfänger des Endgeräts während der Schlafphasen abgeschaltet ist, betrifft der diskontinuierliche Betrieb aber die physikalische Schicht.
115c) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist auch das Merkmal 1.2b offenbart.
116Wie bereits oben dargelegt wurde, ist zur Verwirklichung dieses Merkmals nicht erforderlich, dass der vom Netzwerk vorgegebene Wert im Verlauf des Betriebs geändert werden kann. Vielmehr ist ausreichend, dass das Netzwerk dem Endgerät einen vorgegebenen Wert für die Zeitspanne übermitteln kann, während das Endgerät seinen Empfänger abschaltet.
117Diesen Anforderungen wird die in NK16 offenbarte Vorgehensweise auch dann gerecht, wenn eine Änderung des Werts T204 während des Betriebs nicht möglich ist, sondern eine Neukonfiguration des Netzwerks erfordert.
118d) Nicht unmittelbar und eindeutig offenbart ist Merkmal 1.0.3.
119Dabei kann dahingestellt bleiben, ob schon die als Standardwert für T204 angegebene Zeitdauer von 60 Sekunden gegen ein Aufrechterhalten von logischen Verbindungen in höheren Schichten spricht. An einer hinreichenden Offenbarung fehlt es insoweit jedenfalls deshalb, weil NK16 ein Aufrechterhalten der Verbindung nur für die Schicht 2 offenbart, nicht aber für höhere Schichten.
120Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ergibt sich aus dem Umstand, dass das Endgerät im Schlafmodus einen zugeordneten Gerätebezeichner (TEI) beibehält, keine eindeutige Schlussfolgerung. Dieser Umstand ermöglicht es zwar, logische Verbindungen auch in höheren Schichten aufrechtzuerhalten. Als Grund für diese Ausgestaltung wird in NK16 aber lediglich die Implementierung von Stromsparmechanismen im Endgerät angeführt, nicht die unterbrechungsfreie Fortsetzung bestehender logischer Verbindungen oberhalb der Schicht 2. Angesichts dessen kann NK16 nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, dass auch solche Verbindungen aufrechterhalten bleiben.
121e) Aus der erst in der Berufungsinstanz vorgelegten Spezifikation des Standards DCPD in der am Prioritätstag verfügbaren Form (Cellular Digital Packet Data System Specification, Release 1.1, , NK21) ergibt sich kein weitergehender Offenbarungsgehalt.
122Die Ausführungen in NK21 zu den Abläufen und zur Konfigurierbarkeit der Parameter 203 und 204 stimmen mit der Darstellung in NK16 überein.
1235. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht auf erfinderischer Tätigkeit.
124a) Ausgehend von NK16 war es nicht naheliegend, bestehende logische Verbindungen in höheren Schichten aufrechtzuerhalten.
125Wie bereits aufgezeigt wurde, enthält NK16 keine Ausführungen zu der Frage, wie mit bestehenden logischen Verbindungen oberhalb der Schicht 2 zu verfahren ist. Eine Anregung, sich mit dieser Frage zu befassen und sie im Sinne des Streitpatents zu beantworten, ergibt sich ausgehend von NK16 weder aus der Entgegenhaltung selbst noch aus anderen Entgegenhaltungen oder dem allgemeinen Fachwissen.
126b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 war auch ausgehend von NK12 nicht nahegelegt.
127In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob die Darlegungen der Klägerinnen zu dem erforderlichen Aufwand, den ein Übergang in den Zustand CELL PCH verursacht, zu den dabei auftretenden Verzögerungen und zur erforderlichen Größe der Zwischenspeicher zutreffen.
128Selbst wenn dies zu bejahen wäre, könnte daraus nur die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das Streitpatent eine in vielen Beziehungen vorteilhafte Lösung bietet. Hieraus ergäbe sich keine Anregung, ausgehend von NK12 die aufgezeigten Überlegungen anzustellen.
129c) Aus NK14 ergeben sich keine weitergehenden Anregungen.
130d) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist auch durch den in zweiter Instanz vorgelegten Vorschlag für Maßnahmen zur Verringerung des Energiebedarfs (Clarification of UE battery life calculations, Vorschlag für die 15. Sitzung der TSG-RAN Arbeitsgruppe 1 in Berlin, 22. bis , NK22) nicht nahegelegt.
131aa) Zu Recht macht die Beklagte geltend, dass die Klägerinnen die öffentliche Zugänglichkeit dieses Dokuments nicht dargelegt haben.
132Die Klägerinnen zeigen nicht auf, dass das Dokument auf dem ftp-Server von 3GPP veröffentlicht worden ist. Sie machen lediglich geltend, das Dokument sei per E-Mail zirkuliert, zeigen aber nicht den Empfängerkreis auf. Trotz entsprechender Rüge der Beklagten haben sie diese E-Mail nicht vorgelegt.
133bb) Unabhängig davon ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 auch in NK22 nicht vollständig offenbart.
134(1) NK22 befasst sich mit Grundannahmen für die Berechnung der Lebensdauer der Batterie von Endgeräten.
135Hierbei wird ein Paketmodell zugrunde gelegt, bei dem während einer Paketdienstsitzung (packet service session) immer wieder Phasen auftreten, in denen kein Paketanruf (packet call) stattfindet. Ausgehend davon wird berechnet, wie groß bei typischerweise zu erwartenden Bedingungen der Zeitanteil ausfällt, in der ein diskontinuierlicher Betrieb (gating) im Kanal DPCCH (dedicated physical control channel) erfolgen kann (S. 1 f. Nr. 2.1).
136Bei den weiteren Berechnungen wird davon ausgegangen, dass im Downlink, also bei der Übertragung von Daten zum Endgerät, ein kontinuierliches Decodieren erforderlich ist, weil die Paketübertragung in jedem Rahmen beginnen kann und kontinuierlich Messungen für eine Übergabe (handover) angestellt werden. Hieran anknüpfend weist NK22 darauf hin, dass für den Stromverbrauch ein deutlich anderer Wert angesetzt werden könnte, wenn ein kontinuierliches Dekodieren vermieden werden könnte; bis dahin werde jedoch davon ausgegangen, dass der Energiebedarf während der gesamten Dauer der Verbindung gleich bleibe (S. 2 Nr. 2.2 Unterpunkt 1).
137(2) Damit ist zwar der Wunsch offenbart, eine im Stand der Technik bekannte Vorgehensweise aufzugeben, um den Energieverbrauch deutlich verringern zu können, nicht aber ein konkreter Weg, der Anlass zu weitergehenden Überlegungen in diese Richtung geben könnte.
138V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 2 und § 100 Abs. 1 ZPO sowie § 92 Abs. 1 ZPO.
1391. Die Kosten der Berufungsinstanz fallen gemäß § 97 Abs. 1 den Klägerinnen und der Streithelferin zur Last, weil das Rechtsmittel erfolglos geblieben ist.
140a) Die Streithelferin hat gemäß § 101 Abs. 2 und § 100 Abs. 1 ZPO auch einen Teil der Gerichtskosten zu tragen. Wie bereits oben dargelegt wurde, gilt sie gemäß § 69 ZPO als Streitgenossin der Klägerin zu 2 und damit der Klägerinnen insgesamt.
141b) Gemäß § 100 Abs. 1 ZPO haben die Klägerinnen und die Streithelferin je ein Fünftel der angefallenen Kosten zu tragen. Für eine abweichende Verteilung nach § 100 Abs. 2 ZPO fehlt es an einer hinreichenden Grundlage.
142Das Vorbringen der Streithelferin, sie habe nur einen geringen Anteil der von der Klägerin zu 2 eingesetzten Basisstationen geliefert, enthält keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, denen sich eine erhebliche Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit entnehmen lässt.
1432. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung - die der Senat gemäß § 308 Abs. 2 ZPO unabhängig von einer Anschlussberufung von Amts wegen zu überprüfen hat (, NJW 1981, 1453, juris Rn. 22; Urteil vom - IVb ZR 68/86, NJW 1988, 568, juris Rn. 16; Urteil vom - X ZR 61/19 - Laufradschnellspanner) - ist zugunsten der Klägerinnen und der Streithelferin zu korrigieren.
144a) § 99 Abs. 1 ZPO steht einer solchen Korrektur jedenfalls insoweit nicht entgegen, als es um die Bemessung der Anteile geht, die auf den in die Berufungsinstanz gelangten und auf den nur in erster Instanz zu beurteilenden Teil des Streitgegenstands entfallen.
145b) Im Ansatz zutreffend hat das Patentgericht diese Anteile nicht nach der Anzahl der für nichtig erklärten Patentansprüche oder der gestellten Hilfsanträge bestimmt, sondern nach dem Verhältnis des Werts, den das Patent in der erteilten Fassung und in der Fassung des angefochtenen Urteils hat.
146Entgegen der Auffassung des Patentgerichts entfällt auf den für nichtig erklärten Teil jedoch nicht nur die Hälfte des Gesamtwerts, sondern ein Anteil von sechs Siebteln.
147Der Streitwert des Nichtigkeitsverfahrens wird im Streitfall - entsprechend den allgemeinen Grundsätzen - im Wesentlichen durch den Streitwert der Verletzungsverfahren geprägt. Aus diesen Werten ergibt sich die vom Senat vorgenommene Gewichtung.
148Von den insgesamt neun Klagen waren sechs auf die Patentansprüche 22 und 26 bzw. auf den vom Patentgericht für nichtig erklärten Teil von Patentanspruch 1 gestützt. Auf diese sechs Verfahren entfällt ein Verletzungsstreitwert von insgesamt 22,5 Millionen Euro. Auf die drei Klagen, die auf den aufrechterhaltenen Teil von Anspruch 1 gestützt sind, entfällt demgegenüber nur ein Verletzungsstreitwert von 3,75 Millionen Euro. Dies ist ein Siebtel des Gesamtwerts von 26,25 Millionen Euro.
149c) Nicht zu beanstanden ist, dass das Patentgericht bei der Verteilung der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten nach den drei ursprünglich getrennten Klageverfahren differenziert hat.
150Aufgrund der separaten Erhebung von drei Nichtigkeitsklagen sind die Gerichtsgebühren und die Verfahrensgebühren für die Anwälte der Beklagten in allen drei Verfahren aus dem vollen Streitwert entstanden. Die Klägerinnen zu 3 und 4 haben die Entstehung einer weiteren Gebühr hingegen vermieden, indem sie gemeinsam Klage erhoben haben. Entsprechendes gilt für den Beitritt der Streithelferin auf Seiten der Klägerin zu 2. Deshalb erscheint es angemessen, den genannten Beteiligten die Vorteile ihrer kostensparenden Vorgehensweise trotz der späteren Verbindung der drei Verfahren zu erhalten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:130721UXZR81.19.0
Fundstelle(n):
CAAAH-94678