Insolvenzeröffnungsverfahren: Kostentragungspflicht des Gläubigers nach einseitiger Erledigterklärung seines Insolvenzantrags
Leitsatz
Erklärt der Gläubiger seinen Insolvenzantrag nach Erfüllung der Antragsforderung einseitig für erledigt, kann seine Kostentragungspflicht nicht damit begründet werden, dass der Insolvenzantrag trotz der Erfüllung weiterhin zulässig ist.
Gesetze: § 4 InsO, § 14 Abs 1 S 2 InsO, § 91 ZPO
Instanzenzug: Az: 326 T 16/20vorgehend Az: 67b IN 35/20
Gründe
I.
1Der Schuldner war als Einzelunternehmer gewerblich tätig und beschäftigte einen bei der weiteren Beteiligten (fortan: Gläubigerin) gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmer. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Monate November 2018 bis Juni 2019 entrichtete der Schuldner nicht. Am hat die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners beantragt. Nach Begleichung der Beitragsrückstände hat die Gläubigerin den Insolvenzantrag für erledigt erklärt. Das Insolvenzgericht hat dem Schuldner die Erledigungserklärung ohne Hinweis gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO zugestellt. Der Schuldner hat sich zu der Erledigungserklärung nicht geäußert.
2Das Insolvenzgericht hat die Kosten des Verfahrens der Gläubigerin auferlegt und sich dabei auf § 4 InsO, § 91a ZPO gestützt. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht nach Übertragung auf die Kammer zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin die Feststellung erreichen, dass ihr Insolvenzantrag in der Hauptsache erledigt ist. Die Kosten des Verfahrens sollen dem Schuldner auferlegt werden.
II.
3Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Auf die statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde ist festzustellen, dass sich der Eröffnungsantrag der Gläubigerin erledigt hat. Der Schuldner trägt die Kosten des Verfahrens.
41. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Das Insolvenzgericht habe der Gläubigerin zu Recht die Kosten des Verfahrens auferlegt. Allerdings liege entgegen den Ausführungen des Insolvenzgerichts nur eine einseitige Erledigungserklärung vor. Deshalb sei zu prüfen, ob der Eröffnungsantrag der Gläubigerin zunächst zulässig gewesen sei und sich durch ein erledigendes Ereignis erledigt habe. Danach sei der so zu deutende Antrag der Gläubigerin auf Feststellung eines erledigenden Ereignisses zurückzuweisen. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO werde der Insolvenzantrag nicht allein dadurch unzulässig oder unbegründet, dass die Antragsforderung erfüllt werde. Ein Sozialversicherungsträger, wie die Gläubigerin, könne nicht verhindern, dass jederzeit neue Forderungen gegen den Schuldner entstünden. Deshalb entfalle das rechtliche Interesse des Sozialversicherungsträgers an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens trotz Erfüllung der Antragsforderung nur ausnahmsweise, wenn der Schuldner den versicherten Arbeitnehmern gekündigt und seinen Betrieb geschlossen habe. Davon sei hier nicht auszugehen. Schließlich habe die Begleichung der Antragsforderung auch den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit nicht beseitigt. Es sei nicht dargetan, dass der Schuldner seine Zahlungen an alle Gläubiger wiederaufgenommen habe.
52. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
6a) Mit Recht hat das Beschwerdegericht allerdings erkannt, dass im Streitfall von einer einseitigen Erledigungserklärung des Antrags der Gläubigerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners auszugehen ist.
7aa) Gemäß § 4 InsO (§ 4 Satz 1 InsO nF) gelten für das Insolvenzverfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend, soweit die Insolvenz-ordnung nichts anderes bestimmt. Die Insolvenzordnung regelt nicht, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen (Kosten-)Folgen der von einem Gläubiger gestellte Insolvenzantrag für erledigt erklärt werden kann. Es ist deshalb anerkannt, dass die Regelungen der Zivilprozessordnung über die Erledigung der Hauptsache und die hierzu entwickelten Grundsätze entsprechende Anwendung finden. Dies gilt für die übereinstimmende (vgl. , NZI 2008, 736 Rn. 7; vom - IX ZB 71/19, ZInsO 2020, 2537 Rn. 8) und die einseitige Erledigungserklärung (vgl. , ZIP 2005, 91, 92; vom - IX ZB 205/04, NZI 2006, 34; vom , aaO Rn. 8) gleichermaßen (, BGHZ 149, 178, 181). Der Gläubiger kann seinen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens daher, wenn auch zeitlich begrenzt (vgl. aaO; Beschluss vom , aaO), für erledigt erklären, wenn er ihn nicht weiterverfolgen will.
8bb) In entsprechender Anwendung der Regelungen der Zivilprozessordnung über die Erledigung der Hauptsache und den hierzu entwickelten Grundsätzen ist im Streitfall von einer einseitigen Erledigungserklärung des Eröffnungsantrags der Gläubigerin auszugehen.
9Die Gläubigerin hat ihren Insolvenzantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Schuldner die Antragsforderung beglichen hatte. Sie hat beantragt, dem Schuldner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Das Insolvenzgericht hat dem Schuldner die Erledigungserklärung zugestellt, ohne den Hinweis nach § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO zu erteilen. Der Schuldner hat sich zu der Erledigungserklärung nicht geäußert. Eine übereinstimmende Erledigungserklärung kann daher nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO abgeleitet werden. Das bloße Schweigen des Schuldners begründet auch sonst keine Zustimmungswirkung (vgl. aaO).
10b) Die für den Zivilprozess entwickelten Grundsätze für die Behandlung einer einseitigen Erledigungserklärung gelten im Insolvenzeröffnungsverfahren in modifizierter Form ( aaO; vom , aaO Rn. 8). Insbesondere finden keine weiteren Ermittlungen mehr dazu statt, ob ein Eröffnungsgrund gegeben war. Grundlage der vom Insolvenzgericht zu treffenden Entscheidung ist vielmehr der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigungserklärung. Ein reiner Parteienstreit über die Kostentragungspflicht ist mit § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht vereinbar; Amtsermittlungen sind nicht mehr veranlasst, sobald feststeht, dass das Insolvenzverfahren wegen des geänderten Antrags nicht mehr eröffnet werden kann. Gleichwohl bleibt der durch die Erledigungserklärung geänderte Eröffnungsantrag anhängig und muss beschieden werden ( aaO).
11Nach dieser Maßgabe ist zu prüfen, ob der Eröffnungsantrag zulässig und begründet war und sich durch ein nachträglich eingetretenes Ereignis erledigt hat ( aaO S. 182; Beschluss vom , aaO). Stellt das Insolvenzgericht danach die Erledigung fest, kann der Schuldner den Beschluss nach den §§ 6, 34 Abs. 2 InsO mit der sofortigen Beschwerde anfechten; weist das Insolvenzgericht den Antrag ab, gelten die §§ 6, 34 Abs. 1 InsO ( aaO).
12c) Das Beschwerdegericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Eröffnungsantrag der Gläubigerin zulässig und begründet war. Von einem unrichtigen Verständnis der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO getragen ist jedoch die Einschätzung des Beschwerdegerichts, es fehle an einem erledigenden Ereignis.
13Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO für den antragstellenden Gläubiger die Möglichkeit begründet, den Eröffnungsantrag weiterlaufen zu lassen, aber keine Pflicht (, ZInsO 2020, 2537 Rn. 11, 21). Die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO schließt weder die Erledigungserklärung noch die Rücknahme des Antrags ausdrücklich aus. Dies kann ihr auch nicht sonst entnommen werden. Anderenfalls würde der im Eröffnungsverfahren geltende Dispositionsgrundsatz ausgehebelt und das Verfahren gleichsam von Amts wegen fortgeführt. Das ist dem deutschen Recht fremd (vgl. aaO Rn. 11).
14Die Möglichkeit, den Eröffnungsantrag für erledigt zu erklären, kann nicht dadurch beschnitten werden, dass der Gläubiger im Falle einer einseitig bleibenden Erledigungserklärung die Kosten des Verfahrens deshalb zu tragen hat, weil ein rechtliches Interesse an der Verfahrenseröffnung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO trotz Erfüllung der Antragsforderung fortbesteht. Zwar trifft es zu, dass in diesem Fall nach den im Zivilprozess geltenden Grundsätzen nicht von einem erledigenden Ereignis ausgegangen werden kann, wenn der Antrag auch sonst weiterhin zulässig und begründet ist. Die für den Zivilprozess entwickelten Grundsätze gelten jedoch im Insolvenzeröffnungsverfahren nur in modifizierter Form (, ZIP 2005, 91, 92; vom - IX ZB 131/07, NZI 2008, 736 Rn. 8). Deshalb kann die Kostentragungspflicht des Gläubigers nach dessen einseitig gebliebener Erledigungserklärung nicht damit begründet werden, dass der Insolvenzantrag gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO weiterhin zulässig ist. Ein Zwangsgläubiger kann mit einem Insolvenzantrag mehrere schützenswerte Ziele verfolgen. Das mit § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO verfolgte Anliegen, die Insolvenzreife des Schuldners möglichst frühzeitig abzuklären, muss nicht dazu zählen (vgl. aaO Rn. 20 f).
153. Die angefochtene Entscheidung ist danach aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO). Weitere Feststellungen, insbesondere zu einem unzulässigen Druckantrag (vgl. aaO Rn. 16 ff), sind nicht zu erwarten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:230921BIXZB66.20.0
Fundstelle(n):
DStR 2022 S. 55 Nr. 1
DStR-Aktuell 2021 S. 11 Nr. 50
NJW 2021 S. 9 Nr. 47
NJW-RR 2022 S. 421 Nr. 6
WM 2021 S. 2205 Nr. 45
ZIP 2021 S. 2399 Nr. 46
ZIP 2021 S. 5 Nr. 45
GAAAH-94159