BAG Urteil v. - 6 AZR 301/20

Pauschalentgelt nach dem KraftfahrerTV Bund

Gesetze: § 1 TVG, § 6 Abs 3 S 3 TVöD, § 6 Abs 1 TVöD

Instanzenzug: ArbG Oldenburg (Oldenburg) Az: 3 Ca 191/19 E Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 8 Sa 817/19 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über ein Pauschalentgelt nach dem Tarifvertrag für die Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen des Bundes (KraftfahrerTV Bund) vom .

2Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom in der jeweils für den Bund geltenden Fassung Anwendung. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a TVöD-AT beträgt die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen für die Beschäftigten des Bundes durchschnittlich 39 Stunden wöchentlich. Die regelmäßige Arbeitszeit vermindert sich allerdings nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT für jeden gesetzlichen Feiertag sowie für den 24. Dezember und 31. Dezember, sofern sie auf einen Werktag fallen, um die dienstplanmäßig ausgefallenen Stunden. Überstunden sind nach § 7 Abs. 7 TVöD-AT die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollbeschäftigten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD-AT) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen werden.

3Da der Kläger als Kraftfahrer bei der Bundeswehr eingesetzt wird, finden bei Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen zudem die Regelungen des KraftfahrerTV Bund Anwendung. Diese lauten in der seit dem geltenden Fassung des KraftfahrerTV Bund auszugsweise wie folgt:

4§ 2 KraftfahrerTV Bund regelt tätigkeitsbezogen die Arbeitszeit und die höchstzulässige Arbeitszeit. § 3 KraftfahrerTV Bund bestimmt die Monatsarbeitszeit auszugsweise wie folgt:

5Hinsichtlich der Vergütung sieht § 4 KraftfahrerTV Bund ein sog. Pauschalentgelt vor:

6Die Regelungen zu der in § 4 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund vorgesehenen Pauschalgruppe lauten nach § 5 KraftfahrerTV Bund wie folgt:

7Hinsichtlich der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des TVöD am bereits beschäftigten Kraftfahrer ist ua. folgende Übergangsregelung vorgesehen:

8Die Beklagte vergütete den Kläger bis zum mit einem Pauschalentgelt der Pauschalgruppe II. Mit Schreiben vom teilte sie ihm mit, dass die Voraussetzungen für den Verbleib im KraftfahrerTV Bund ab dem nicht mehr erfüllt seien.

9Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit seiner Klage die weitere Zahlung eines Pauschalentgelts bis zum verlangt. Der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund sei aufgrund der von ihm im zweiten Kalenderhalbjahr 2018 geleisteten Überstunden für das erste Kalenderhalbjahr 2019 eröffnet. Es seien sowohl die Vorgaben des § 8 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund als auch die des § 1 KraftfahrerTV Bund erfüllt.

10Soweit § 8 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund die Leistung von Überstunden in mehr als sechs Wochen des vorangegangenen Kalenderhalbjahres verlange, habe er unstreitig in den Kalenderwochen 27, 28, 31, 33, 35 und 39 des zweiten Kalenderhalbjahres 2018 Überstunden geleistet. Die erforderliche siebte Woche ergebe sich daraus, dass in weiteren Wochen Überstunden angefallen seien, weil die Zeiten von Wochenfeiertagen, Arbeitsunfähigkeit und Erholungsurlaub mit den in § 3 Abs. 3 KraftfahrerTV Bund vorgesehenen Stunden berücksichtigt werden müssten. Bezogen auf die Pauschalgruppe II seien daher für jeden davon betroffenen Tag 9,65 Stunden in die Berechnung einzustellen. Dies entspreche dem Lohnausfallprinzip. Die Beklagte habe in ihrem Zeiterfassungssystem dementsprechend zutreffend für Krankheits- und Urlaubstage 9 Stunden und 39 Minuten ausgewiesen. Gleiches gelte für Tage der Teilnahme an Manövern, für welche 12 Stunden angesetzt worden seien. Dies entspreche § 3 Abs. 4 KraftfahrerTV Bund und betreffe zB die 32. Kalenderwoche.

11Unabhängig von den Vorgaben der besitzstandswahrenden Regelung in § 8 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund habe der Kläger auch die für ihn gleichfalls anwendbaren Voraussetzungen des § 1 Ziff. 2 iVm. Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund erfüllt. Er habe im Juli 2018 20,2 Überstunden geleistet.

12Der Kläger hat beantragt

13Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund sei bezogen auf das erste Halbjahr des Jahres 2019 nicht eröffnet gewesen. Es gelte diesbezüglich allein die Spezialregelung des § 8 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund, da der Kläger zu den am bereits vorhandenen Kraftfahrern zähle. Im vorangegangenen Kalenderhalbjahr des Jahres 2018 habe er nur in sechs Wochen Überstunden geleistet. Bezüglich der übrigen Kalenderwochen im Referenzzeitraum sei das Erfordernis der tatsächlichen Leistung von Überstunden nicht erfüllt worden. Feiertage sowie Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit sowie des Erholungsurlaubs seien für die Frage, ob der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund nach dessen § 8 Abs. 2 eröffnet sei, nicht in Ansatz zu bringen.

14Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte weiterhin ihr Ziel der Klageabweisung.

Gründe

15Die Revision ist begründet. Der Kläger hat bezogen auf das erste Halbjahr 2019 entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keinen Anspruch auf ein Pauschalentgelt nach § 4 KraftfahrerTV Bund. Der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund war im streitbefangenen Zeitraum nach dem im Fall des Klägers ausschließlich anwendbaren § 8 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 1 Ziff. 2 KraftfahrerTV Bund nicht eröffnet.

16I. Die Klage ist zulässig.

171. Der Feststellungsantrag ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (zu den Anforderungen vgl.  - Rn. 18). Dem steht nicht entgegen, dass der Beginn des Zeitraums der streitgegenständlichen Vergütungspflicht nicht genannt ist. Nach dem gesamten Klägervorbringen besteht kein Zweifel, dass sich die Feststellung auf die Zeit vom bis einschließlich beziehen soll. Zudem hat der Kläger in seiner Berufungserwiderung vom , auf deren Inhalt das Landesarbeitsgericht Bezug genommen hat, eine entsprechende Klarstellung des Antrags vorgenommen.

182. Das für den Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse besteht. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Antrag auf einen in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Zeitraum beschränkt. Zwar könnte der Kläger vor diesem Hintergrund seinen Anspruch beziffern und damit eine Leistungsklage erheben. Für eine Feststellungsklage kann allerdings trotz der Möglichkeit einer grundsätzlich vorrangigen Leistungsklage ein Feststellungsinteresse bestehen, wenn durch sie der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (vgl.  - Rn. 15 mwN). Dies ist hier der Fall.

19II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Klage mangels Anwendbarkeit des KraftfahrerTV Bund unbegründet.

201. Der Anspruch auf ein Pauschalentgelt nach § 4 KraftfahrerTV Bund setzt voraus, dass der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund eröffnet ist. Bei Kraftfahrern, welche wie der Kläger bereits am „vorhanden“ waren, bestimmt sich dies ausschließlich nach der Spezialregelung des § 8 Abs. 2 iVm. § 1 KraftfahrerTV Bund. Bei der danach erforderlichen Prüfung, ob Kraftfahrer nicht nur gelegentlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beschäftigt worden sind, werden grundsätzlich nur tatsächlich geleistete Überstunden berücksichtigt.

21a) Nach § 1 KraftfahrerTV Bund gilt dieser Tarifvertrag grundsätzlich für alle unter den TVöD fallenden Kraftfahrer oder Kraftfahrerinnen von Personen- und Lastkraftwagen sowie von Omnibussen. Ausnahmsweise ist dies nicht der Fall, wenn der Kraftfahrer oder die Kraftfahrerin nicht oder nur gelegentlich über die regelmäßige Arbeitszeit im Sinne des § 6 Abs. 1 TVöD-AT hinaus beschäftigt wird. Durch den KraftfahrerTV Bund soll die Entgeltberechnung für nicht nur gelegentlich Überstunden leistende Kraftfahrer erleichtert werden. Für nur gelegentlich Überstunden leistende Kraftfahrer haben die Tarifvertragsparteien hierfür keine Notwendigkeit gesehen (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Teil VII/11 KraftfahrerTV Bund Stand Dezember 2019 Rn. 9).

22b) Die Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund definiert in ihrem ersten Satz die „nicht nur gelegentliche“ Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit. Kraftfahrer sind dann nicht nur gelegentlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beschäftigt, wenn sie im vorangegangenen Kalenderhalbjahr in einem Kalendermonat mindestens 15 Überstunden geleistet haben. Maßgeblich ist damit die rückblickende Betrachtung des vorangegangenen Kalenderhalbjahres. Wurden in einem Kalendermonat mindestens 15 Überstunden geleistet, sind die anderen Monate bedeutungslos. Es kommt auch nicht darauf an, ob und in welchem Umfang ein Kraftfahrer in der Zukunft zu Überstunden voraussichtlich herangezogen wird. Der Sinn und Zweck des Tarifvertrages (vereinfachte Lohnberechnung, gleichbleibende Bezüge) kann nur verwirklicht werden, wenn aufgrund der in der Vergangenheit erfolgten tatsächlichen Inanspruchnahme des Kraftfahrers die Annahme gerechtfertigt ist, dass er in der für diese Berufsgruppe typischen Weise mit Arbeitsbereitschaft und Überstunden beschäftigt wird (vgl. zur Vorgängerregelung des Kraftfahrertarifvertrages 1965  - zu 2 c der Gründe).

23c) Abgesehen vom Sonderfall der hier nicht einschlägigen Regelung zur langandauernden Arbeitsunfähigkeit in Satz 3 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund sind bezogen auf die einzelnen Kalendermonate nur tatsächlich geleistete Überstunden zu berücksichtigen. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut der Regelung in Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Teil VII/11 KraftfahrerTV Bund Stand Dezember 2019 Rn. 11). Unter „geleisteten“ Überstunden sind Überstunden aufgrund erbrachter Arbeitsleistung zu verstehen (vgl.  - Rn. 26). Weder der tarifliche Zusammenhang noch höherrangiges Recht stehen dem entgegen.

24aa) Pauschal anzusetzende Zeiten im Sinne von § 3 Abs. 3 bis 5 KraftfahrerTV Bund - zB bei Erholungsurlaub, Arbeitsunfähigkeit oder Dienstreisen - können für die Frage, ob der KraftfahrerTV Bund Anwendung findet, nicht herangezogen werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

25(1) § 3 KraftfahrerTV Bund regelt mit Bezug auf § 2 KraftfahrerTV Bund die Monatsarbeitszeit. Die in § 3 Abs. 3 bis 5 KraftfahrerTV Bund vorgesehene Einstellung fiktiver Arbeitsstunden in pauschalierter Höhe gilt nur für die Ermittlung der Monatsarbeitszeit. Sie dient damit der in § 4 und § 5 KraftfahrerTV Bund geregelten Pauschalierung des Entgelts von Kraftfahrern. Die in § 3 KraftfahrerTV Bund genannten fiktiven Arbeitszeiten werden daher nur angesetzt, wenn der KraftfahrerTV Bund gilt, können aber nicht die Voraussetzung für dessen Anwendung schaffen (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Teil C 2.1 § 1 KraftfahrerTV Bund Stand November 2019 Rn. 6; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Teil VII/11 KraftfahrerTV Bund Stand Dezember 2019 Rn. 11). Dies entsprach schon dem Verständnis des Kraftfahrertarifvertrages 1965, der ebenfalls die Vereinfachung der Entgeltberechnung durch Pauschalierung bezweckte. Bei einem Kraftfahrer, der gar nicht oder nur gelegentlich über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beschäftigt war, besteht kein Bedürfnis, das Entgelt zu pauschalieren (vgl.  - zu I 2 b der Gründe). Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, ob der Kraftfahrer im nach Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund maßgeblichen vorangegangenen Kalenderhalbjahr ein Pauschalentgelt bezogen hat, denn die Eröffnung des Geltungsbereichs ist nach der tariflichen Konzeption für jedes Kalenderhalbjahr allein anhand des Kriteriums der tatsächlichen Überstundenleistung im vorherigen Kalenderhalbjahr neu zu prüfen.

26(2) Die Einstellung fiktiver Arbeitsstunden nach § 3 Abs. 3 bis 5 KraftfahrerTV Bund würde bei der Ermittlung der Überstundenleistung auch zu sachwidrigen Ergebnissen führen. § 1 KraftfahrerTV Bund stellt entsprechend § 7 Abs. 7 TVöD-AT auf die Überschreitung der nach § 6 Abs. 1 Satz 1 TVöD-AT maßgeblichen regelmäßigen Arbeitszeit ab. Für die Beschäftigten des Bundes beläuft sich diese auf 39 Stunden wöchentlich. Nach § 3 Abs. 3 KraftfahrerTV Bund wäre nach Auffassung des Klägers für eine Woche Erholungsurlaub oder Arbeitsunfähigkeit schon in der Pauschalgruppe I ein Wert von 43,25 Wochenstunden anzusetzen (8,65 Stunden x 5), dh. es wären 4,25 Überstunden anzunehmen. Ein Urlaubsmonat oder ein Monat der Arbeitsunfähigkeit würde im Durchschnitt zu einem Anfall von 18,40 Überstunden führen. Der Schwellenwert von 15 Überstunden wäre damit überschritten. Eine bloß fiktive Arbeitsleistung könnte daher zur Anwendbarkeit des KraftfahrerTV Bund führen. Die von Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund aufgestellte Voraussetzung wäre praktisch entwertet.

27bb) Tage des Arbeitsausfalls wegen Feiertag, Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit sind entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch nicht mit dem anteiligen Wert der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, dh. mit 7,8 Stunden, anzusetzen. Die dafür erforderliche tarifliche Regelung fehlt.

28(1) Weder § 6 noch § 7 TVöD-AT sehen eine solche fiktive Berechnung vor. Demgegenüber waren nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) bei der Überstundenberechnung für jeden im Berechnungszeitraum liegenden Urlaubstag, Krankheitstag sowie für jeden sonstigen Tag einschließlich eines Wochenfeiertags, an dem der Angestellte von der Arbeit freigestellt war, die Stunden mitzuzählen, die der Angestellte ohne diese Ausfallgründe innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich geleistet hätte. Im Hinblick auf die Abweichung von der Vorgängerregelung in § 17 Abs. 3 BAT ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des TVöD bewusst davon abgesehen haben, bei der Regelung der Überstunden Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung einzubeziehen ( - Rn. 15; vgl. auch  - zu B III 2 der Gründe; Burger in HK-TVöD/TV-L 4. Aufl. § 7 Rn. 99). Hierin liegt der Unterschied zu anderen Konstellationen, in denen tarifliche Regelungen dem Entgeltausfallprinzip folgen und es deshalb der tatsächlichen Erbringung der Arbeitsleistung gleichsteht, wenn Beschäftigte unter Fortzahlung der Bezüge von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt sind (zur Zulage für ständige Wechselschichtarbeit nach § 8 Abs. 5 TVöD-AT vgl.  - Rn. 29, BAGE 134, 34).

29(2) Dieses Tarifverständnis verletzt höherrangiges Recht nicht.

30(a) Das gesetzlich geregelte Lohn- bzw. Entgeltausfallprinzip, zB bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nach § 12 iVm. § 3 Abs. 1, §§ 4 ff. EFZG, kommt weiterhin uneingeschränkt zum Tragen. Gilt der KraftfahrerTV Bund, wird die Berechnung lediglich vereinfacht, anderenfalls gelten die allgemeinen Regelungen der §§ 21, 22 TVöD-AT. Gleiches gilt für andere Konstellationen, in denen das Entgeltausfallprinzip, ggf. in modifizierter Form, maßgeblich ist.

31(b) Die unterbleibende fiktive Berücksichtigung von Arbeitszeit für Urlaubstage setzt auch keinen unzulässigen Anreiz, auf den unionsrechtlich und gesetzlich gewährleisteten Mindesturlaub zu verzichten (vgl. hierzu  (A) - Rn. 45 ff.; - 6 AZR 576/17 - Rn. 27). Dies folgt schon aus dem Umstand, dass die Eröffnung des Geltungsbereichs des KraftfahrerTV Bund mit der Folge des Bezugs eines Pauschalentgelts für den Beschäftigten im Einzelfall auch nachteilig sein kann und dies erst nach Ablauf des fraglichen Kalenderhalbjahres beurteilt werden kann. Ob die Inanspruchnahme von Urlaub zu Nachteilen beim Urlaubsentgelt oder beim gewöhnlichen Entgelt, das dem Kraftfahrer in einem dem Urlaub vor- oder nachgelagerten Zeitraum zu zahlen ist, führt, lässt sich daher nicht prognostizieren.

32d) Vermindert sich allerdings die regelmäßige Arbeitszeit in einer Kalenderwoche nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT, kann das zu einem im Rahmen von § 1 KraftfahrerTV Bund relevanten Überstundenanfall führen und den Geltungsbereich des Tarifvertrages eröffnen.

33aa) Nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT vermindert sich die regelmäßige Arbeitszeit für jeden gesetzlichen Feiertag sowie für den 24. Dezember und 31. Dezember, sofern sie auf einen Werktag fallen, um die dienstplanmäßig ausgefallenen Stunden. Die Protokollerklärung zu § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT stellt klar, dass die Verminderung der regelmäßigen Arbeitszeit nur die Beschäftigten betrifft, die wegen des Dienstplans am Feiertag frei haben und deshalb ohne diese Regelung nacharbeiten müssten. Dies entspricht dem Zweck des § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT. Danach soll jeder, der an einem Wochenfeiertag nicht zu arbeiten braucht, für weniger Arbeit die gleiche Vergütung erhalten ( - Rn. 47). Ohne diese Regelung müssten Beschäftigte, die feiertagsunabhängig allein wegen der Dienstplangestaltung an einem Wochenfeiertag frei haben, ihre regelmäßige Arbeitszeit an einem anderen Tag erbringen. Diese Arbeitnehmer sollen durch § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT ersatzweise in den Genuss einer dem Feiertag gleichwertigen bezahlten Freizeit kommen, also den Beschäftigten, die infolge des Feiertags frei haben und Entgeltfortzahlung erhalten, gleichgestellt werden ( - Rn. 14, BAGE 136, 290).

34bb) Eine Verminderung der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT kann dazu führen, dass Überstunden in einem zeitlichen Rahmen entstehen, der ohne die Verminderung noch von der regelmäßigen Arbeitszeit umfasst wäre. Überstunden können nach den Vorgaben des TVöD-AT bei den Beschäftigten des Bundes erst dann entstehen, wenn die geleisteten Arbeitsstunden über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a TVöD-AT für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Reduziert sich die regelmäßige Arbeitszeit nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT, bewirkt dies die Absenkung der Stundenzahl, ab deren Erreichen Überstunden geleistet werden. Da die regelmäßige Arbeitszeit um die „dienstplanmäßig ausgefallenen Stunden“ vermindert wird, muss individuell festgestellt werden, wie viele Stunden der betreffende Arbeitnehmer hätte arbeiten müssen, wenn er dienstplanmäßig zur Feiertagsarbeit herangezogen worden wäre ( - Rn. 21 ff.). Dies gilt auch bei teilweiser Freistellung am Feiertag ( - Rn. 23, BAGE 152, 378; vgl. auch  - Rn. 30, BAGE 160, 192).

35cc) Da der KraftfahrerTV Bund keine eigenständige Definition von Überstunden enthält und in § 1 Nr. 2 für die Eröffnung seines Geltungsbereichs auf das nicht nur gelegentliche Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 TVöD-AT verweist, gelten die Vorgaben des TVöD zu Überstunden ohne Einschränkungen. Hiervon umfasst ist auch ein durch die Sollstundenreduzierung nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT bedingter Überstundenanfall. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT über seinen Anwendungsbereich hinaus aber kein allgemeiner Rechtsgedanke dergestalt entnehmen, dass die Reduzierung der Arbeitszeit „erst recht“ erfolgen müsse, wenn Beschäftigte infolge des Feiertags keine Arbeitspflicht gehabt haben, denn schließlich sollten alle Arbeitnehmer in der fraglichen Woche weniger arbeiten müssen. Diese Ansicht verkennt, dass der feiertagsbedingte Arbeitsausfall von § 2 Abs. 1 EFZG erfasst wird und § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT diese Regelung zur Vermeidung einer Vor- oder Nacharbeit nur ergänzt ( - Rn. 16 f., BAGE 152, 378). Für den angenommenen „Erst-recht-Schluss“ fehlt es daher an einer Grundlage.

36e) Die für den Kläger ausschließlich geltende Sonderregelung des § 8 KraftfahrerTV Bund weicht von diesen Grundsätzen nicht ab.

37aa) Diese Regelung erfasst nach § 8 Abs. 1 KraftfahrerTV Bund Kraftfahrer, welche bereits am „vorhanden“ waren, deren Arbeitsverhältnisse zum Bund über den hinaus fortbestehen und die am unter den Geltungsbereich des TVöD fielen. Ausweislich der Protokollerklärung zu § 8 Abs. 1 bis 4 KraftfahrerTV Bund sind vorhandene Kraftfahrer bzw. Kraftfahrerinnen im Sinne dieser Vorschrift alle über den hinaus beim Bund beschäftigten Fahrer bzw. Fahrerinnen, unabhängig davon, ob sie in den Geltungsbereich des Tarifvertrages für die Kraftfahrer des Bundes vom oder des Tarifvertrages für die Kraftfahrer des Bundes im Geltungsbereich des MTArb-O vom gefallen sind. Der KraftfahrerTV Bund hat diese Tarifverträge ersetzt.

38bb) Für diesen Personenkreis lässt es § 8 Abs. 2 Satz 1 KraftfahrerTV Bund für die Eröffnung des Geltungsbereichs im Sinne des § 1 KraftfahrerTV Bund ausreichen, dass im vorangegangenen Kalenderhalbjahr in mehr als sechs Wochen Überstunden geleistet worden sind. Die Tarifvertragsparteien gingen offensichtlich davon aus, dass diese Regelung bei pauschalierter Betrachtung für die betroffenen Angehörigen des Fahrpersonals im Sinne eines niedrigeren Schwellenwertes günstiger ist. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts handelt es sich dabei aber um eine abschließende Spezialregelung zu § 1 KraftfahrerTV Bund, welche die in Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund gegebene Definition der „nicht nur“ gelegentlichen Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit verdrängt.

39(1) Dies folgt aus dem Wortlaut von § 8 Abs. 2 Satz 1 KraftfahrerTV Bund, welcher die Formulierung „nicht nur“ unter Bezug auf § 1 KraftfahrerTV Bund („im Sinne des § 1“) übernimmt. Für den betroffenen Personenkreis wird damit die Schwelle zur Eröffnung des Geltungsbereichs durch eine eigenständige Regelung nach Vorstellung der Tarifvertragsparteien herabgesetzt. Für diese Beschäftigten reicht schon eine Überstundenleistung in mehr als sechs Wochen des vorangegangenen Kalenderhalbjahres. Es handelt sich um eine „andere Stundengrenze“ (so Conze/Karb/Wölk/Reidel 7. Aufl. KraftfahrerTV Bund Rn. 1969), nicht aber um eine, die alternativ heranzuziehen ist, wenn die Voraussetzungen der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund nicht erfüllt sind.

40(2) Dies entspricht auch dem Zweck des § 8 Abs. 2 Satz 1 KraftfahrerTV Bund, welcher für die Bestandsbeschäftigten die in den Vorgängertarifverträgen für die Eröffnung des Geltungsbereichs maßgebende Regelung beibehalten hat. Für die von den Vorgängerregelungen erfassten Beschäftigten gelten die abgelösten Vorgaben im Sinne eines Bestandsschutzes fort. Darüber hinaus stellt die Protokollerklärung zu § 8 Abs. 1 bis 4 KraftfahrerTV Bund klar, dass sogar von den Vorgängertarifverträgen nicht erfasste, aber bereits im Fahrdienst Beschäftigte von dem abgesenkten Schwellenwert profitieren sollen. Dies gilt auch für das Verbleiben im Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund ( - Rn. 16). Selbst wenn Bestandsbeschäftigte nach dem aus dem Geltungsbereich vorübergehend herausgefallen sein sollten, gilt der niedrigere Schwellenwert weiter (Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Teil C 2.1 § 8 KraftfahrerTV Bund Stand Februar 2018 Rn. 3).

41(3) All dies verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien mit § 8 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund für alle am „vorhandenen“ Kraftfahrer ein eigenständiges Regelungssystem schaffen wollten, welches in Verbindung mit § 1 Ziff. 2 KraftfahrerTV Bund die Eröffnung des Geltungsbereichs abschließend regeln soll. Auf die in Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund vorgesehene Grenze von 15 Überstunden in einem Kalendermonat kann bei diesem Personenkreis daher nicht abgestellt werden.

42cc) Im Übrigen verbleibt es aber bei den Vorgaben des § 1 KraftfahrerTV Bund. Folglich sind auch bei Geltung des § 8 Abs. 2 Satz 1 KraftfahrerTV Bund bei der Ermittlung der erforderlichen Überstundenleistung grundsätzlich keine fiktiven Stunden für Urlaubs-, Krankheits- und Feiertage einzustellen. Maßgeblich sind wiederum nur die tatsächlich geleisteten Stunden. Anderenfalls wäre die Regelung in § 8 Abs. 2 Satz 2 KraftfahrerTV Bund, welche sich auf Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von mindestens drei Monaten bezieht, ohne Anwendungsbereich. Erst ab einer solchen Ausfallzeit sollen fiktive Überstunden berücksichtigt werden.

432. Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts für den Kläger im ersten Halbjahr 2019 nicht eröffnet.

44a) Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten beschäftigt und war unstreitig schon am als Kraftfahrer eingesetzt. Er unterfällt daher § 8 KraftfahrerTV Bund. Soweit das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung des Geltungsbereichs auch auf den Schwellenwert nach Satz 1 der Protokollerklärung zu § 1 KraftfahrerTV Bund (15 Überstunden in einem Kalendermonat des vorangegangenen Kalenderhalbjahres) abgestellt hat, ist dies wegen Eingreifens der Spezialregelung des § 8 Abs. 2 KraftfahrerTV Bund unzutreffend.

45b) Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 1 Ziff. 2 KraftfahrerTV Bund ist der Geltungsbereich des KraftfahrerTV Bund bezogen auf das erste Kalenderhalbjahr 2019 mangels Leistung von Überstunden in mehr als sechs Wochen des vorangegangenen zweiten Kalenderhalbjahres 2018 nicht eröffnet. Zwischen den Parteien steht zwar außer Streit, dass der Kläger in sechs Wochen des zweiten Kalenderhalbjahres 2018 Überstunden geleistet hat (Kalenderwochen 27, 28, 31, 33, 35 und 39). Da in mehr als sechs Wochen Überstunden geleistet werden müssen, bedarf es aber der Erfüllung der Voraussetzung noch in einer siebten Woche. Dies ist hier nicht der Fall.

46aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe außerdem in den Kalenderwochen 34, 40 und 48 Überstunden geleistet. Dies setzt auch nach dem klägerischen Vortrag voraus, dass Tage des Erholungsurlaubs oder der Arbeitsunfähigkeit ebenso wie Feiertage mit einer fiktiven Arbeitsleistung von mindestens 7,8 Stunden zu berücksichtigen wären. Aus den genannten Gründen sehen die Tarifregelungen dies nicht vor.

47bb) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

48(1) Dem klägerischen Vortrag ist nicht zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für eine Verminderung der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT erfüllt waren und sich daraus eine Überstundenleistung ergab. Soweit der Kläger in der Revisionserwiderung erstmals mit Blick auf § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT auf die 40. Kalenderwoche mit dem Wochenfeiertag am Bezug genommen hat, hat er eingeräumt, dass dieser Tag „infolge des Wochenfeiertags“ arbeitsfrei gewesen sei bzw. „planmäßig bzw. betriebsüblich“ keine Arbeitsstunden angesetzt gewesen seien. Die Beklagte hat dementsprechend in ihrer Erwiderung bestätigt, der Tag sei wegen des Feiertags arbeitsfrei gewesen. Damit sind die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT bezogen auf diesen Feiertag unstreitig nicht erfüllt. Hinsichtlich der anderen Wochenfeiertage in Niedersachsen im zweiten Kalenderhalbjahr 2018 sowie des 24. und hat sich der Kläger nicht auf § 6 Abs. 3 Satz 3 TVöD-AT berufen.

49(2) Soweit der Kläger annimmt, es reiche aus, wenn er in den Wochen, in denen er nicht durchgehend Urlaub gehabt habe oder arbeitsunfähig gewesen sei, an den verbleibenden Tagen „Überstunden geleistet habe“, ist sein Vortrag bereits unschlüssig. Er hat zum einen nicht behauptet, die Beklagte habe ihn angewiesen, in den verbleibenden Arbeitstagen der von ihm angeführten Wochen über seine dienstplanmäßig festgesetzte Arbeitszeit hinaus zu arbeiten, diese Arbeit sei jedenfalls geduldet oder zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen (vgl.  - Rn. 9). Zum anderen hat er nichts dazu vorgetragen, ob diese „Überstunden“ in der Folgewoche nicht ausgeglichen worden sind.

50(3) Eine mindestens dreimonatige Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 Satz 2 KraftfahrerTV Bund hat der Kläger nicht behauptet.

51III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:150721.U.6AZR301.20.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 2814 Nr. 47
VAAAH-93999