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BGH Beschluss v. - AnwZ (B) 3/20

Richterablehnung im anwaltgerichtlichen Verfahren: Besorgnis des Befangenheit wegen eines in früheren Verfahren erfolgreich geltend gemachten Ablehnungsgrundes

Gesetze: § 112 BRAO, § 42 ZPO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Berlin Az: II AGH 4/19 Beschlussvorgehend Anwaltsgerichtshof Berlin Az: II AGH 4/19 Beschlussnachgehend Az: AnwZ (B) 3/20 Beschlussnachgehend Az: AnwZ (B) 3/20 Beschluss

Gründe

I.

1Der Antragsteller hat vor dem Anwaltsgerichtshof Berlin gegen die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch in Bezug auf das besondere elektronische Anwaltspostfach geltend gemacht. Gegen die vom Anwaltsgerichtshof erlassenen Beschlüsse hat der Antragsteller Beschwerde zum Senat erhoben.

2Mit Schriftsatz vom lehnte der Antragsteller den Vorsitzenden Richter G.    wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dies begründete er damit, dass der Senat im Verfahren AnwSt (B) 4/20 unter Beteiligung des abgelehnten Richters eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision abschlägig beschieden habe, ohne ihm zuvor die ersuchte Akteneinsicht gewährt zu haben. Der Senat habe daher in jenem Verfahren ein Ablehnungsgesuch gegen den abgelehnten Richter - was zutrifft - für begründet erklärt. Wegen der Einzelheiten des Ablaufs in jenem Verfahren und wegen der Gründe für die Entscheidung des Senats über das Ablehnungsgesuch wird auf den Beschluss vom - AnwSt (B) 4/20, AnwBl. Online 2021, 566 Bezug genommen (zur Akte gereicht als Anlage zum Schriftsatz des Antragstellers vom , Bl. 75 ff. GA III).

3Der Antragsteller ist der Ansicht, dies begründe die Besorgnis der Befangenheit auch in diesem Verfahren.

4Der abgelehnte Richter hat sich am dahingehend dienstlich geäußert, dass die Entscheidung im früheren Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde einen auf einem bedauerlichen Versehen beruhenden Verfahrensfehler darstelle.

5Der Antragsteller hat mit Schreiben vom zu der dienstlichen Äußerung dahingehend Stellung genommen, dass er befürchten müsse, dass der abgelehnte Richter die Akte auch in diesem Verfahren nicht lesen werde.

II.

6Das zulässige Ablehnungsgesuch war als unbegründet zurückzuweisen, da kein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 54 VwGO, § 42 Abs. 1, 2 ZPO.

7Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht eines Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 6; vom - V ZB 102/11, NJW 2012, 1890 Rn. 10; vom - AnwZ 3/13, juris Rn. 5; jeweils mwN). Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (vgl. BVerfGE 108, 122, 126; BGH, Beschlüsse vom und vom , jeweils aaO). Aus dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers durch ein Gericht kann zwar nicht unmittelbar auf eine Besorgnis der Befangenheit geschlossen werden; jedoch können qualifizierte Verfahrensfehler die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn sie sich unmittelbar zum Nachteil eines Beteiligten auswirken und deswegen den Schluss zulassen, der Richter sei nicht unparteiisch, sondern gegen den betroffenen Beteiligten eingestellt (vgl. BayObLG NJW-RR 2001, 642, 643; zum Ganzen auch: Senat, Beschluss vom - AnwSt (B) 4/20, AnwBl. Online 2021, 566 Rn. 9).

8Ob in früheren Verfahren erfolgreich geltend gemachte Ablehnungsgründe auch in späteren Verfahren die Besorgnis der Befangenheit begründen können (sog. übergreifende Ablehnungsgründe), ist eine Frage des Einzelfalls und hängt vom konkreten Ablehnungsgrund ab (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 86, 291; G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 42 Rn. 19). Beruhte die erste Ablehnung etwa auf persönlicher Voreingenommenheit gegen die Person des Ablehnenden selbst, so greift der Ablehnungsgrund regelmäßig auch in anderen Verfahren durch, jedenfalls wenn diese in engem zeitlichem Zusammenhang zum ersten Verfahren stehen (Brandenburgisches , juris Rn. 10).

9Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Verfahren die Besorgnis der Befangenheit nicht gegeben. Zwar hat der Senat im Beschluss vom die Besorgnis der Befangenheit aufgrund des Übergehens von mehrfach angebrachten Akteneinsichtsgesuchen bejaht. Hinweise darauf, dass dies auf einer individuellen Voreingenommenheit des abgelehnten Richters gegen den Antragsteller beruhen könnte, sind aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr hat der abgelehnte Richter in seiner in diesem Verfahren abgegebenen dienstlichen Äußerung darauf hingewiesen, dass die verfahrensfehlerhafte Vorgehensweise in jenem Verfahren auf einem Versehen beruhte, das er bedauere. Der Antragsteller hat diese Äußerung zwar als unzureichend kritisiert, aber keine Gründe aufgezeigt, warum an der Richtigkeit der Äußerung zu zweifeln wäre. Auch der Senat sieht hierfür keine Anhaltspunkte.

10Soweit der Antragsteller geltend macht, er befürchte, der abgelehnte Richter führe auch dieses Verfahren nicht mit der gebotenen Sorgfalt, zeigt er Hinweise auf mangelnde Sorgfalt in diesem Verfahren nicht auf noch sind sie sonst ersichtlich. Die auch in diesem Verfahren vom Antragsteller angebrachten Akteneinsichtsgesuche vom und vom (Bl. 150 GA II und Bl. 30 GA III) hat der abgelehnte Richter mit Verfügung vom (Bl. 66 GA III) bewilligt und lediglich die Aktenübersendung an den Antragsteller abgelehnt. Ein weiteres Akteneinsichtsgesuch, angebracht durch den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom (Bl. 84 GA III), konnte wegen des gegenständlichen Ablehnungsgesuchs, über das vorrangig zu entscheiden war, noch nicht beschieden werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:220621BANWZ.B.3.20.0

Fundstelle(n):
SAAAH-93828