Zivilrecht | Sonderrechtsfähigkeit von Freiland-Photovoltaikanlagen (BGH)
Eine Freiland-Photovoltaikanlage stellt kein Gebäude i. S. von § 94 BGB dar, wenn sie aus einer gerüstähnlichen Aufständerung aus Stangen oder Schienen sowie darin eingesetzten Photovoltaikmodulen besteht (, V ZR 8/20, V ZR 44/20 und V ZR 69/20).
Sachverhalt: Kläger ist in allen vier Verfahren der Insolvenzverwalter einer Gesellschaft, die im Jahr 2010 eine Freiland-Photovoltaikanlage mit insgesamt 5.000 Photovoltaikmodulen, neun Wechselrichtern und einer Gesamtleistung von 1.050 kWp erwarb, welche zuvor auf dem Grundstück eines Dritten errichtet worden war. Die Gesellschaft erhielt an dem Grundstück ein Nutzungsrecht. Ende 2010 verkaufte sie die Module dieser Anlage an insgesamt 65 Kapitalanleger. Diese sollten gemäß den jeweiligen Kaufverträgen – mit Unterschieden in den Einzelheiten – das Eigentum an einer bestimmten Anzahl von Modulen nebst einem Miteigentumsanteil an der Unterkonstruktion der Photovoltaikanlage erwerben. Zugleich vermieteten die Anleger die Module an ein Tochterunternehmen der die Module veräußernden Gesellschaft zurück. Im März 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Bisheriger Prozessverlauf: Der Kläger hat in einer Reihe von Verfahren die Feststellung begehrt, dass die jeweiligen Beklagten kein Eigentum an den Modulen und der Unterkonstruktion erworben haben. In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Bamberg ist die Klage abgewiesen worden (V ZR 69/20), das Oberlandesgericht Karlsruhe hat ihr stattgegeben (V ZR 44/20). In zwei weiteren Verfahren haben die jeweiligen Beklagten Widerklage u.a. auf Herausgabe der Module erhoben und haben die jeweiligen Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Klage für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Widerklagen hatten in den Verfahren vor dem Oberlandesgericht München (V ZR 225/19) und vor dem Oberlandesgericht Bamberg (V ZR 8/20) jeweils Erfolg. Der Kläger hat mit seiner Revision die drei für ihn nachteiligen Urteile angegriffen und seinen Feststellungsantrag bzw. seinen Antrag auf Abweisung der Widerklage weiterverfolgt, in dem Verfahren des Oberlandesgerichts Karlsruhe wollte der Beklagte mit seiner Revision erreichen, dass die Klage abgewiesen wird.
Der BGH hat die vier Berufungsurteile aufgehoben und die Sachen an die jeweiligen OLG zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen:
Der Eigentumserwerb der jeweiligen Beklagten setzt u. a. voraus, dass die Module zum Zeitpunkt der Übereignung sonderrechtsfähig, d. h. weder wesentliche Bestandteile des Grundstücks (§ 94 Abs. 1 BGB) noch der Photovoltaikanlage (§ 93 BGB oder § 94 Abs. 2 BGB) waren. Die Berufungsgerichte gehen übereinstimmend rechtsfehlerfrei davon aus, dass die Photovoltaikanlage selbst – und damit die Module als Teile dieser – nicht nach § 94 Abs. 1 BGB wesentliche Bestandteile des Grundstücks sind, weil die Anlage mit diesem nicht fest verbunden oder jedenfalls als Scheinbestandteil i.S.v. § 95 BGB anzusehen ist, da sie aufgrund eines Nutzungsvertrages errichtet wurde, der ihren Abbau zum Ende der Vertragslaufzeit vorsieht.
Die Module sind auch nicht deshalb wesentliche Bestandteile der Anlage, weil diese als Gebäude i. S. von § 94 Abs. 2 BGB anzusehen wäre, in das die Module zur Herstellung eingefügt wurden. Gebäude i. S. dieser Vorschrift sind zwar auch andere größere Bauwerke, deren Beseitigung eine dem (Teil-)Abriss eines Gebäudes im engeren Sinne vergleichbare Zerschlagung wirtschaftlicher Werte bedeutete. Ein Bauwerk setzt in diesem Zusammenhang aber regelmäßig etwas mit klassischen Baustoffen "Gebautes" von solcher Größe und Komplexität voraus, dass die Beseitigung die Zerstörung oder wesentliche Beschädigung und den Verlust der Funktionalität der Sache zur Folge hätte.
Eine Freiland-Photovoltaikanlage stellt jedenfalls dann, wenn sie – wie hier – aus einer gerüstähnlichen Aufständerung aus Stangen oder Schienen sowie darin eingesetzten Photovoltaikmodulen besteht, kein Gebäude i. S. von § 94 BGB dar.
Die Module könnten aber nach § 93 BGB wesentliche Bestandteile der Gesamtanlage sein. Ob ein Bestandteil i. S. dieser Vorschrift wesentlich ist, bestimmt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Verbindung, wenn es darauf ankommt, ob an dem Bestandteil bestehende Rechte Dritter infolge der Verbindung untergegangen sind. Ist dagegen – wie hier – zu beurteilen, ob Rechte Dritter an einem Bestandteil begründet werden können, der bereits in eine zusammengesetzte Sache eingefügt ist, kommt es auf die Verhältnisse bei Entstehung des Rechts und darauf an, welche Folgen der gedachte Ausbau in diesem Zeitpunkt gehabt hätte. Hätten die Module bei der Übereignung im Falle der Trennung noch durch zumindest vergleichbare, auf dem Markt verfügbare Modelle ersetzt und ihrerseits in anderen Anlagen verwendet werden können, wären sie sonderrechtsfähig gewesen. Hiervon kann angesichts der kurzen Zeitspanne zwischen der Errichtung der Anlage und Übereignung der Module an die Anleger ausgegangen werden, wenn der Kläger nicht etwas Anderes darlegt und ggf. beweist.
Unerheblich ist – entgegen der Auffassung des Klägers –, ob die gesamte Anlage durch den Ausbau eines oder mehrerer Module die bisherige Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verloren und nur noch die geringere Einspeisevergütung aus dem Jahr der Übereignung an den Beklagten erhalten hätte, weil für sie dann ein neues Fertigstellungsdatum i. S. des EEG gegolten hätte. Eine solche Veränderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führte nicht dazu, dass die Module zu wesentlichen Bestandteilen der Anlage geworden wären. Sollten die Module nach den genannten Maßstäben als wesentliche Bestandteile der Anlage anzusehen sein, ergäbe sich ihre Sonderrechtsfähigkeit nicht daraus, dass sie Scheinbestandteile i. S. von § 95 Abs. 1 BGB darstellten. Denn diese Vorschrift, nach der zu den Bestandteilen eines Grundstücks solche Sachen nicht gehören, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind, ist auf Bestandteile einer beweglichen Sache i. S. von § 93 BGB nicht entsprechend anwendbar.
Die Photovoltaikanlage ist eine bewegliche Sache im Rechtssinne, weil sie weder ein Gebäude noch wesentlicher Bestandteil des Grundstücks ist. Sollten die Module nicht als wesentliche Bestandteile der Gesamtanlage anzusehen sein, werden die Berufungsgerichte teilweise noch ergänzende Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die jeweiligen Module in den der Übereignung zu Grunde liegenden Lageplänen hinreichend deutlich gekennzeichnet waren, da die dingliche Einigung nur dann dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügte. Zudem sind ggf. ergänzende Feststellungen zu der Übergabe der Module und der Unterkonstruktion an die jeweiligen Beklagten bzw. zu einer nach §§ 929 ff. BGB zulässigen Surrogation zu treffen.
Quelle: BGH Pressemitteilung Nr. 192/2021 (JT)
Fundstelle(n):
NWB NAAAH-93312