Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Verfahrensübernahme durch schlüssiges Verhalten des zuständigen Gerichts
Gesetze: § 126a StPO, § 225a Abs 1 S 1 StPO, § 225a Abs 1 S 2 StPO, § 269 StPO, § 270 Abs 1 S 1 Halbs 1 StPO
Instanzenzug: LG München I Az: 262 Js 158966/19 - 8 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
21. Unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung dürfte das Landgericht zwar als sachlich unzuständiges Gericht entschieden haben, da der Vorsitzende der Strafkammer lediglich in einem Vermerk die Übernahme des Verfahrens niedergelegt hat, nachdem der Strafrichter das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung zuständigkeitshalber an das Landgericht abgegeben hatte. Dementsprechend hat auch der Generalbundesanwalt die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils nach § 349 Abs. 4 StPO wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrenshindernisses beantragt. Der Senat bezweifelt jedoch angesichts des vom Landgericht erlassenen Unterbringungsbeschlusses nach § 126a StPO das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses.
3a) Die Übernahme des Verfahrens nach Aussetzung der Hauptverhandlung richtet sich nach § 225a StPO. Eine bindende Verweisung des Verfahrens an das Landgericht gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO, wie es vorliegend das entschieden hatte, ist in dieser Verfahrenssituation somit nicht möglich (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 360/20 Rn. 12; vom – 3 StR 164/11 Rn. 2 und vom – 4 StR 273/98 Rn. 3). Für eine wirksame Verfahrensübernahme durch das Landgericht bedarf es daher eines Übernahmebeschlusses gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO.
4b) Die Verfügung des Vorsitzenden vom , in der er die Übernahme des Verfahrens durch die Strafkammer festgehalten hat, genügt hierfür nicht (vgl. Rn. 6). Der Senat neigt jedoch dazu, in Fällen, in denen – wie hier – das Landgericht nach Abgabe eines Verfahrens durch das Amtsgericht einen Unterbringungsbeschluss erlässt, eine konkludente Übernahmeentscheidung zu bejahen (anders noch Rn. 4). Das Argument, das Landgericht habe nicht in dem Bewusstsein gehandelt, über die Übernahme entscheiden zu können (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 360/20 Rn. 14; vom – 4 StR 290/20 Rn. 7 und vom – 3 StR 164/11 Rn. 2), trägt in diesem Fall nicht. Denn mit der Entscheidung über die vorläufige Unterbringung des Angeklagten nach § 126a StPO nimmt das Landgericht gleichzeitig die Voraussetzungen für seine sachliche Zuständigkeit an (§ 74 Abs. 1 Satz 2 GVG). In einem solchen Fall, in dem dem empfangenden Gericht die exklusive Zuständigkeit für das Verfahren gesetzlich zugewiesen ist, liegt in einer allein in der konkreten Verfahrensart vorgesehenen Entscheidung gleichzeitig eine Manifestation der sachlichen Zuständigkeit.
52. Letztlich bedarf dies hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, denn unabhängig vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses wäre das Urteil ohnehin auf die Sachrüge des Angeklagten mit den Feststellungen aufzuheben gewesen.
6a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. Rn. 5 mwN). Diese Darlegungsanforderungen hat der Tatrichter auch dann zu beachten, wenn der Angeklagte – wie im vorliegenden Fall – eine Exploration abgelehnt hat ( Rn. 7).
7b) Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
8aa) Das Landgericht war gehalten, zur Begründung der Unterbringung in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwischen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte auch nicht ausnahmsweise verzichtet werden. Anhand des Tatbilds ist nicht ohne weiteres erkennbar, dass den Handlungen eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie zugrunde lag. Denn der Angeklagte, der nach den Zeugenaussagen zum Tatzeitpunkt alkoholisiert war, wurde erst körperlich übergriffig, nachdem die Geschädigte S. angekündigt hatte, die Polizei zu rufen, und ihn aufgefordert hatte, die Anwohnerin – die er nach den Feststellungen mit dem nicht näher feststellbaren Inhalt einer Dose bewarf – in Ruhe zu lassen. Auch der Umstand, dass er gezielt auf die heruntergefallene Brille der Geschädigten trat und sie dabei anlächelte, ließe sich ebenso mit einer normalpsychologischen Reaktion eines Alkoholisierten vereinbaren. Dass der Angeklagte auf die herbeigerufenen Polizeibeamten aggressiv und unruhig wirkte, weil er auf und ab ging und unverständlich vor sich hin redete, begründet den Symptomcharakter der Tat nicht hinreichend. Dies gilt insbesondere auch, weil der Angeklagte anschließend mit Schmerzen im Knöchel in ein Krankenhaus verbracht wurde, ohne dass die behandelnden Ärzte dort offenbar einen Anlass für eine psychiatrische Untersuchung des Angeklagten sahen.
9bb) In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt zudem unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Taten jedenfalls erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen sein soll. Das Landgericht hat bereits versäumt, das Vorliegen der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt zu prüfen. Eine Aussage über die Steuerungsfähigkeit kann jedoch nur bei rechtsfehlerfrei festgestellter Einsichtsfähigkeit getroffen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 324/20 Rn. 8 und vom – 3 StR 90/17 Rn. 12). Eine Prüfung der Einsichtsfähigkeit war insbesondere vor dem Hintergrund angezeigt, dass das Landgericht mehrfach auf die nicht näher beschriebene Realitätsverkennung (UA S. 28, 31) des Angeklagten abgestellt hat.
103. Auch der Freispruch unterliegt der Aufhebung.
11Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen, § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. Rn. 20).
124. Der Senat verweist die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück, das nunmehr eine Entscheidung über die Übernahme des Verfahrens gemäß § 225a StPO zu treffen und in der Sache neu zu entscheiden hat.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:150721B1STR157.21.0
Fundstelle(n):
GAAAH-92753