Übergangsgebührnisse; gesetzesimmanenter Rückforderungsvorbehalt; Überzahlungsrisiko; Rückforderung
Gesetze: § 11 Abs 3 S 4 SVG vom
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 6 B 8.09 Urteil
Gründe
1Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Aus ihrer Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass ein Revisionszulassungsgrund (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO; § 127 Nr. 1 BRRG) vorliegt.
2Die Beklagte bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung seines Dienstverhältnisses als Soldat auf Zeit ab monatliche Übergangsgebührnisse in Höhe von 75 % der letzten Dienstbezüge. Durch Bescheid vom setzte sie diese Bezüge mit Wirkung ab auf 60 % der letzten Dienstbezüge herab und forderte die gezahlten Differenzbeträge in Höhe von insgesamt 6 495,30 € zurück. Dieses Vorgehen hatte seinen Grund darin, dass der Kläger seit ein monatliches Bruttogehalt von 3 900 € bezog, das nach der am gleichen Tag in Kraft getretenen neuen Anrechnungsvorschrift des § 11 Abs. 3 Satz 4 des Soldatenversorgungsgesetzes - SVG - in der Fassung des Gesetzes vom (BGBl I S. 1234) zu einer Verminderung des Bemessungssatzes um 15 % führte.
3Das Oberverwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid vom aufgehoben. In dem Berufungsurteil heißt es, der Beklagten stünden die festgesetzten Rückforderungsansprüche nicht zu, weil der Bescheid vom nach wie vor Rechtsgrundlage für die Zahlungen an den Kläger sei. Zwar sei dieser Bescheid durch die Einführung des § 11 Abs. 3 Satz 4 SVG rechtswidrig geworden. Die in dem Bescheid vom jedenfalls konkludent ausgesprochene Rücknahme sei aber als rechtswidrig aufzuheben, weil die Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe. Es liege kein Fall der Ermessensreduktion auf Null vor, weil der Kläger die bevorstehende Gesetzesänderung bei Erlass des ursprünglichen Bewilligungsbescheids weder gekannt habe noch habe kennen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehe die Zahlung von Versorgungsbezügen nicht unter dem Rückforderungsvorbehalt, dass die Versorgungsbehörde das Versorgungsrecht unrichtig angewandt habe. Dies gelte auch, wenn die Behörde wie im vorliegenden Fall Gesetzesänderungen nicht umsetze, die nach der Festsetzung der Versorgungsbezüge in Kraft getreten seien.
4Die Beklagte hält die Rechtssache für rechtsgrundsätzlich bedeutsam, weil das Oberverwaltungsgericht in Bezug auf die Reichweite des gesetzesimmanenten Vorbehalts von der Rechtsprechung des BVerwG 6 C 37.83 - Buchholz 238.41 § 49 SVG Nr. 4 = NVwZ 1986, 745) und des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg (Beschluss vom - 1 L 2/08 - juris) abgewichen sei. Sie habe den Festsetzungsbescheid vom ohne Ausübung von Ermessen rückwirkend aufheben können, weil der Vorbehalt auch Überzahlungen aufgrund nachträglicher Gesetzesänderungen umfasse.
5Damit hat die Beklagte nicht dargelegt, dass der Revisionszulassungsgrund der Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gegeben ist. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg ist nach dem Wortlaut des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von vornherein nicht geeignet, eine derartige Divergenz zu begründen. Das Berufungsurteil weicht nicht von dem angeführten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ab. Das Oberverwaltungsgericht hat keinen das Berufungsurteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der in Widerspruch zu einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts steht (vgl. zu den Voraussetzungen der Divergenz: BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26). Vielmehr steht die von der Beklagten angegriffene Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts inhaltlich in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
6In dem Urteil vom (a.a.O). hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass Versorgungsbezüge und damit auch Übergangsgebührnisse unter dem gesetzesimmanenten Vorbehalt gezahlt werden, dass sich die Einkommensverhältnisse des Versorgungsempfängers in einer für die Anrechnung erheblichen Weise ändern. Ein ausdrücklicher Vorbehalt in der Versorgungsfestsetzung oder in der Ruhensberechnung ist nicht erforderlich. Aufgrund des gesetzesimmanenten Vorbehalts muss der Versorgungsempfänger die zuviel gezahlten Beträge auch dann erstatten, wenn er sie im Rahmen der Lebensführung verbraucht hat (sog. verschärfte Haftung nach § 49 Abs. 2 Satz 1 SVG, § 818 Abs. 4, § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB). Diesem Vorbehalt liegt die Erwägung zugrunde, dass aus Sicht der Versorgungsbehörde ungewiss ist, wie sich die Einkommensverhältnisse des Versorgungsempfängers während des Zahlungszeitraums entwickeln. Die Versorgungsbehörde kann nicht vorhersehen, ob und in welchem Umfang ein Versorgungsempfänger anrechenbares Erwerbseinkommen erzielt. Andererseits muss sich der Versorgungsempfänger darauf einstellen, dass die Höhe der ausgezahlten Versorgungsbezüge von seinem Erwerbseinkommen abhängt.
7Ein gesetzesimmanenter Rückforderungsvorbehalt mit der Folge der verschärften Haftung des Versorgungsempfängers für die Erstattung gesetzwidrig gezahlter Beträge besteht jedoch nicht, wenn die Überzahlungen darauf zurückzuführen sind, dass die Versorgungsbehörde aufgrund einer rechtsfehlerhaften Anwendung des Versorgungsgesetzes überhöhte Versorgungsbezüge festgesetzt hat. Rechtsanwendungsfehler der Versorgungsbehörde gehören nicht zum Risikobereich des Versorgungsempfängers. Es kann ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass die Versorgungsbehörde eine einschlägige Rechtsvorschrift übersehen oder fehlerhaft ausgelegt hat.
8Der nunmehr für das Beamten- und Soldatenversorgungsrecht ausschließlich zuständige 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der Rechtsauffassung des 6. Senats angeschlossen. Auch er hat entschieden, dass sich der gesetzesimmanente Rückforderungsvorbehalt bei der Gewährung von Bezügen nicht darauf erstreckt, dass die zuständige Behörde die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften nicht beachtet oder unzutreffend angewandt hat ( BVerwG 2 B 182.89 - Buchholz 239.1 § 57 BeamtVG Nr. 4).
9Das Oberverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in dem Berufungsurteil zutreffend dargelegt und sich ihr angeschlossen (vgl. Seite 15 f. des Urteilsumdrucks). Es hat daraus den zutreffenden Schluss gezogen, dass ein gesetzesimmanenter Rückforderungsvorbehalt auch dann nicht besteht, wenn ein Versorgungsfestsetzungsbescheid wie im vorliegenden Fall aufgrund einer nach seinem Erlass in Kraft getretenen Verschärfung der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften rechtswidrig geworden ist. Auch in diesem Fall kann das Überzahlungsrisiko nicht dem Versorgungsempfänger auferlegt werden, weil er keine Ursache für die gesetzwidrig zu hohen Zahlungen gesetzt hat. Demzufolge muss die Versorgungsbehörde über die Rücknahme eines derartigen Versorgungsfestsetzungsbescheids rückwirkend für die Zeit ab Inkrafttreten der Gesetzesänderung nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der Belange des Versorgungsempfängers entscheiden, soweit der Schutz des Vertrauens in den Bestand der Festsetzung nicht nach Maßgabe des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG ausgeschlossen ist. Die Rückforderung der gesetzwidrig gezahlten Versorgungsbezüge setzt die Rücknahme des Versorgungsfestsetzungsbescheids für den Zeitraum der Zahlungen voraus.
10Nach alledem kann die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage zur Reichweite des gesetzesimmanenten Vorbehalts der Rückforderung von Versorgungsbezügen ist nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam, weil sie durch die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt ist. Daran vermag der von der Beklagten angeführte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom nichts zu ändern. Dieses Oberverwaltungsgericht hat sich für seine Rechtsauffassung, der gesetzesimmanente Rückforderungsvorbehalt erstrecke sich auf den Fall einer nachträglichen Verschärfung der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften, zu Unrecht auf das (a.a.O.) berufen. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in dem Berufungsurteil (Seite 16 des Urteilsumdrucks) und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
11Die Revisionszulassung nach § 127 Nr. 1 BRRG, § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG kommt nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur für Klagen aus dem Beamtenverhältnis gilt. Das Klagebegehren muss nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Rechtsgrundsätzen zu beurteilen sein ( BVerwG 2 A 3.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 24 Rn. 18 = NVwZ-RR 2011, 682). Klagen von Soldaten, die Auslegung und Anwendung des Soldatenversorgungsgesetzes betreffen, fallen hierunter nicht. Im Übrigen könnte die Abweichung des Berufungsurteils von dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg auch deshalb nicht zur Revisionszulassung nach § 127 Nr. 1 BRRG führen, weil in der aufgeworfenen Rechtsfrage die dargestellten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ergangen sind. Danach ist die Rechtsfrage im Sinne des Berufungsgerichts geklärt.
12Der Vortrag der Beklagten, der Kläger habe den Bezug des Erwerbseinkommens erst lange nach dem mitgeteilt, betrifft die rechtliche Würdigung des Einzelfalls, insbesondere die unterbliebene Ausübung des Rücknahmeermessens. Der Vortrag ist ohne Bedeutung für die Beantwortung der generellen Frage, ob der gesetzesimmanente Rückforderungsvorbehalt bei der Verschärfung von Anrechnungsvorschriften eingreift.
Fundstelle(n):
EAAAH-91721