Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versäumte Berufungsfrist nach Einlegung der Berufung bei einem unzuständigen Gericht aufgrund fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung und nach Hinweis des angerufenen Gerichts auf seine Unzuständigkeit
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 S 1 ZPO, § 234 Abs 1 S 1 ZPO, § 234 Abs 2 ZPO, § 237 ZPO
Instanzenzug: Az: 2 S 38/20 WEGvorgehend AG Mainz Az: 74 C 33/19
Gründe
I.
1Die Parteien sind die Mitglieder einer Teileigentümergemeinschaft. Das Amtsgericht Mainz hat die von der Klägerin erhobene Beschlussanfechtungsklage abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin am zugestellt worden. In der Rechtsmittelbelehrung wird das Landgericht Mainz als zuständiges Berufungsgericht bezeichnet. Dorthin hat die Klägerin ihre Berufung gerichtet und innerhalb verlängerter Frist begründet. Nachdem die Beklagten auf die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts hingewiesen hatten, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom vorsorglich Verweisung an das für Wohnungseigentumssachen zuständige Landgericht Koblenz und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. In einer der Klägerin am zugegangenen Verfügung hat das Landgericht Mainz darauf hingewiesen, dass das Landgericht Koblenz gemäß § 72 Abs. 2 GVG (aF) zuständiges Berufungsgericht sein dürfte, da es sich um eine Wohnungseigentumssache handele. Die Klägerin solle kurzfristig mitteilen, ob das Berufungsverfahren an das Landgericht Koblenz abgegeben werden solle; andernfalls dürfte die Berufung als unzulässig zu verwerfen sein. Zugleich wurde den Parteien eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen eingeräumt. Die Klägerin möge, sofern sie die Abgabe beantrage, mitteilen, ob die Stellungnahme abgewartet werden solle. Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin Verweisung an das Landgericht Koblenz beantragt und mitgeteilt, dass eine Stellungnahme nicht abgewartet werden solle. Nach der Abgabe sind die Akten am bei dem Landgericht Koblenz eingegangen. Dort ist das Rechtsmittel durch Beschluss als unzulässig verworfen worden. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Durchführung der Berufung erreichen will.
II.
2Das Landgericht Koblenz hält sich für zuständig, sieht aber die Berufungsfrist nicht als gewahrt an. Weder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist sei zu gewähren. Die Klägerin habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das Landgericht Mainz die Akten innerhalb der am endenden Wiedereinsetzungsfrist an das Landgericht Koblenz weiterleiten werde.
III.
3Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. dazu Senat, Beschluss vom - V ZB 193/10, NZM 2011, 488 Rn. 7 mwN).
41. Zutreffend ist zunächst die Annahme, dass die Berufung fristwahrend nur bei dem Landgericht Koblenz als dem von der Regelung des § 72 Abs. 2 GVG aF vorgegebenen Berufungsgericht eingelegt werden konnte (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 45/20, NJW-RR 2021, 140 Rn. 4 mwN); denn bei einer Beschlussanfechtungsklage handelt es sich unzweifelhaft um eine Wohnungseigentumssache gemäß § 72 Abs. 2 GVG aF i.V.m. § 43 Nr. 1 WEG aF. Bei dem Landgericht Koblenz ist die Berufung erst am und damit nach Ablauf der Berufungsfrist eingegangen.
52. Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist hat das Landgericht Koblenz rechtsfehlerfrei versagt. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) endete am , denn sie begann durch den am zugegangenen Hinweis des Landgerichts Mainz zu laufen (§ 234 Abs. 2 ZPO; vgl. Senat, Beschluss vom - V ZR 17/19, NJW 2020, 1525 Rn. 17). Innerhalb der Frist ist bei dem für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung gemäß § 237 ZPO zuständigen Landgericht Koblenz weder ein Wiedereinsetzungsantrag eingegangen noch ist die versäumte Prozesshandlung nachgeholt worden; die Berufungsschrift ist dort erst am mit den Akten eingetroffen.
63. Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass der Klägerin auch die Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist (§ 233 Satz 1, § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) versagt worden ist. Die Klägerin war nicht im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden an der Fristwahrung gehindert. Wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt, durfte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht darauf vertrauen, dass das Landgericht Mainz das Verfahren so rechtzeitig abgeben werde, dass die Akten vor Ablauf des bei dem Landgericht Koblenz eintrafen. Diese Fristversäumnis ist nicht durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verursacht worden, sondern sie ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin (§ 85 Abs. 2 ZPO) anzulasten.
7a) Geklärt ist in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, zu deren Ergänzung der Sachverhalt keinen Anlass gibt, dass der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz enge Grenzen gesetzt sind. Nur unter besonderen Umständen kann ein Gericht gehalten sein, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. So darf es nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (vgl. , NJW-RR 2012, 1269 Rn. 13; Beschluss vom - VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 mwN). Deshalb darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 81/15, juris Rn. 7; Beschluss vom - V ZB 187/06, FamRZ 2007, 1640 Rn. 9 mwN).
8b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde sind solche besonderen Umstände, die zu einer Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist führen könnten, nicht gegeben.
9aa) Dem an das Landgericht Mainz gerichteten Schreiben der Klägerin vom ließ sich schon nicht entnehmen, dass es dazu dienen sollte, eine fristgebundene Entscheidung des Landgerichts Koblenz herbeizuführen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin teilte lediglich dem Landgericht Mainz mit, dass das Verfahren an das Landgericht Koblenz abgegeben und eine Stellungnahme nicht abgewartet werden solle. Daraus ging weder ein an das Landgericht Koblenz gerichteter Wiedereinsetzungsantrag hervor noch war die Eilbedürftigkeit der Abgabe durch andere Ausführungen erkennbar; auch wurde nicht auf den Schriftsatz vom , der einen Wiedereinsetzungsantrag enthielt, hingewiesen und klargestellt, dass dieser Antrag nunmehr fristwahrend an das Landgericht Koblenz weitergeleitet werden sollte. Infolgedessen war für das Landgericht Mainz in keiner Weise ersichtlich, dass die Abgabe (auch) der Wahrung der Wiedereinsetzungsfrist dienen sollte; es konnte davon ausgehen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nur die formlose (und nicht eilbedürftige) Abgabe des Verfahrens (vgl. dazu Senat, Beschluss vom - V ZB 151/19, ZWE 2021, 161 Rn. 11) erreichen wollte, nachdem er sich - wie es anwaltlicher Sorgfalt entsprochen hätte - direkt an das für die Wiedereinsetzung und die Berufung zuständige Landgericht Koblenz gewandt und die erforderlichen Anträge dort gestellt hatte.
10bb) Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis des Landgerichts Mainz, wonach die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei, wenn die Abgabe nicht beantragt werde. Das lässt sich - anders als die Rechtsbeschwerde meint - nicht so verstehen, dass das Landgericht Mainz es sich zur Aufgabe machen wollte, nach beantragter Abgabe anstelle der Partei für den fristwahrenden Eingang bei dem Landgericht Koblenz zu sorgen. Der Hinweis diente lediglich der gebotenen Wahrung rechtlichen Gehörs im Hinblick auf das vor dem Landgericht Mainz eingeleitete Berufungsverfahren. Wäre die Abgabe nicht beantragt worden und hätte das Landgericht Mainz auch keine Kenntnis von einem vor dem Landgericht Koblenz eingeleiteten Berufungsverfahren erlangt, hätte es die Berufung als unzulässig verwerfen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 151/19, ZWE 2021, 161 Rn. 10), worauf es - wie geschehen - zuvor hinweisen musste (vgl. , NJW-RR 2010, 1075 Rn. 7 mwN).
IV.
11Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Den Gegenstandswert hat der Senat gemäß § 3 ZPO in Anlehnung an die Entscheidung des Berufungsgerichts festgesetzt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:010721BVZB71.20.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2021 S. 1317 Nr. 20
WAAAH-90273