BVerwG Urteil v. - 8 C 32/20

Genehmigung der Übertragung von Rechten und Pflichten aus einer Taxikonzession bei Unzuverlässigkeit des Inhabers

Leitsatz

1. § 55 Satz 1 PBefG verpflichtet zur Durchführung eines Vorverfahrens bei der Anfechtung aller Verwaltungsakte nach dem Personenbeförderungsgesetz (§ 68 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 VwGO); Entsprechendes gilt bei Klagen auf Vornahme solcher Verwaltungsakte (§ 68 Abs. 2 VwGO), jeweils vorbehaltlich der in § 55 Satz 2 PBefG genannten Ausnahmen. Eine Befugnis, hiervon Abweichendes zu regeln, hat der Landesgesetzgeber nicht.

2. Die Zuverlässigkeit des Inhabers einer Genehmigung zur Personenbeförderung ist nicht Voraussetzung für die Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten hieraus.

3. Eine Genehmigung zur Übertragung von Rechten und Pflichten aus einer Personenbeförderungsgenehmigung kann nicht mehr erteilt werden, wenn der Genehmigungsantrag zwar vor dem Erlöschen der Genehmigung gestellt wurde, die Personenbeförderungsgenehmigung aber zum Zeitpunkt der Genehmigungsentscheidung bereits erloschen ist.

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 68 Abs 1 S 1 VwGO, § 68 Abs 1 S 2 VwGO, § 86 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 2 Abs 2 Nr 2 PBefG, § 2 Abs 3 PBefG, § 13 Abs 1 S 1 Nr 2 PBefG, § 13 Abs 5 PBefG, § 13 Abs 7 PBefG, § 15 Abs 1 S 5 PBefG, § 55 PBefG, § 110 Abs 1 S 1 JustG NW, § 110 Abs 1 S 2 JustG NW, § 110 Abs 2 S 1 Nr 1 JustG NW

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 13 A 1682/18 Urteilvorgehend Az: 18 K 7560/16 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger war Inhaber zweier bis zum befristeter Taxikonzessionen. Nachdem das Finanzamt die Beklagte im Januar 2015 über ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger informiert hatte, hörte sie ihn zum Widerruf der Taxikonzessionen an. Am beantragte der Kläger gemeinsam mit Herrn M. G. für den Fall des Widerrufs der Taxikonzessionen die Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten daraus auf diesen. Mit Bescheid vom , dem Kläger zugestellt am , widerrief die Beklagte die dem Kläger erteilten Taxikonzessionen, ordnete die sofortige Vollziehung des Widerrufs an und lehnte den Antrag auf Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten aus den Taxikonzessionen ab.

2Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Widerruf der Taxikonzessionen und hilfsweise auf Verpflichtung der Beklagten zur Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten daraus gerichtete Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts nur hinsichtlich der Abweisung des Hilfsantrags zugelassen und den Zulassungsantrag im Übrigen abgelehnt. Mit Urteil vom hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Die Klage sei gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 und 2 JustG NW ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens zulässig. § 55 Satz 1 PBefG stehe dem nicht entgegen. Jedenfalls dürfe dem Kläger ein rechtsfehlerhaft unterbliebenes Vorverfahren nicht entgegengehalten werden, weil die Beklagte sich als für den Erlass des Widerspruchsbescheides zuständige Behörde sachlich auf die Klage eingelassen habe. Die Klage sei jedoch unbegründet. Die Erteilung der begehrten Genehmigung sei zwar nicht schon mangels persönlicher Zuverlässigkeit des Klägers, wohl aber deshalb abzulehnen, weil die Rechte und Pflichten aus den Taxikonzessionen zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht durch Widerruf, jedenfalls aber aufgrund der Befristung der Konzessionen erloschen gewesen seien. Dass der Kläger die Genehmigung vor dem Erlöschen der Konzessionen beantragt habe, könne daran nichts ändern, weil sein Antrag unvollständig gewesen sei. Daher greife auch die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG nicht ein. Der Kläger habe zudem auf deren Eintritt verzichtet, indem er seinen Genehmigungsantrag lediglich hilfsweise gestellt habe. Der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei zulässig, aber unbegründet, weil der Genehmigungsantrag auch zum Zeitpunkt des Erlöschens der Taxikonzessionen unvollständig gewesen sei.

3Zur Begründung der Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht habe § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es nicht aufgeklärt habe, ob sich die nach dessen Ansicht fehlenden Antragsunterlagen in anderen Verwaltungsvorgängen zu Anträgen auf Genehmigung der Übertragung von Rechten und Pflichten aus Taxikonzessionen auf Herrn M. G. befänden. Es habe außerdem seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den Hinweis auf die vom Gericht angenommene Unvollständigkeit der Antragsunterlagen erst in der mündlichen Verhandlung erteilt habe. Die Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG sei eingetreten, weil mit dem Genehmigungsantrag alle notwendigen Unterlagen zur Überprüfung der subjektiven Genehmigungsvoraussetzungen eingereicht worden seien.

4Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom und das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Regelungen ihres Bescheides vom zu verpflichten, die Übertragung der Taxigenehmigungen mit den Ordnungsnummern 18 und 65 auf Herrn M. G. zu genehmigen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Ablehnung der beantragten Übertragung der Taxigenehmigungen mit den Ordnungsnummern 18 und 65 auf Herrn M. G. rechtswidrig war.

5Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Gründe

7Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil beruht zwar auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar. Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 4 VwGO).

81. Die Zulässigkeitserwägungen des Berufungsurteils sind revisionsrechtlich nicht fehlerfrei. Seine Annahme, der Verpflichtungsantrag sei auch ohne Vorverfahren zulässig, wird unter anderem mit einer unzutreffenden Auslegung des § 55 Satz 1 PBefG begründet (a). Sie beruht jedoch nicht darauf, sondern stützt sich alternativ auf eine revisionsrechtlich fehlerfreie, selbständig tragende Hilfserwägung (b). Dagegen beruht die Annahme, die hilfsweise erhobene (Fortsetzungs-)Feststellungsklage sei zulässig, auf dem unzutreffenden Bejahen des erforderlichen Feststellungsinteresses (c).

9a) Ein Vorverfahren war nicht schon nach § 110 Abs. 1 Satz 1 und 2 JustG NW entbehrlich. Diese Vorschrift greift gemäß § 110 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JustG NW nicht ein, weil § 55 Satz 1 PBefG für die Anfechtung aller Verwaltungsakte nach dem Personenbeförderungsgesetz - vorbehaltlich der in Satz 2 der Norm genannten, hier nicht einschlägigen Ausnahmen - die Durchführung eines Vorverfahrens vorschreibt. Entsprechendes gilt gemäß § 68 Abs. 2 VwGO für Verpflichtungsklagen auf Vornahme solcher Verwaltungsakte.

10Schon die Verwendung des Wortes "auch" in § 55 Satz 1 PBefG legt nahe, dass ein Vorverfahren nicht nur bei der Anfechtung von Verwaltungsakten oberster Landesverkehrsbehörden oder des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, sondern auch in allen übrigen Fällen durchzuführen ist. Dem entspricht der systematische Zusammenhang mit § 55 Satz 2 PBefG, der auf § 28 Abs. 3a Satz 9 PBefG und § 29 Abs. 6 Satz 1 PBefG als Ausnahmen vom generellen Erfordernis eines Vorverfahrens bei der Anfechtung von Verwaltungsakten nach dem Personenbeförderungsgesetz verweist. Auch Sinn und Zweck des § 55 Satz 1 PBefG sprechen für die Annahme eines weiten Anwendungsbereichs der Vorschrift. Sie schreibt die Durchführung eines Vorverfahrens für die Anfechtung von Verwaltungsakten einer Gruppe von Behörden vor, bei denen der Bundesgesetzgeber von einer besonders hohen fachlichen Qualifikation ausgeht und deswegen ein Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich für entbehrlich hält (BT-Drs. 3/55 S. 38). Erachtet der Bundesgesetzgeber im Bereich des Personenbeförderungsgesetzes die Durchführung eines Vorverfahrens sogar bei Verwaltungsakten solcher Behörden für erforderlich, spricht dies erst recht für die Verpflichtung zur Durchführung eines Vorverfahrens beim Erlass von Verwaltungsakten im Bereich des Personenbeförderungsrechts durch nachgeordnete Behörden.

11§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO räumt dem Landesgesetzgeber keine Befugnis ein, von der in § 55 Satz 1 PBefG angeordneten Pflicht zur Durchführung eines Vorverfahrens abzuweichen. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO ermöglicht ein solches Abweichen nur, soweit sich die Pflicht zur Durchführung des Vorverfahrens aus § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt. Dafür sprechen der systematische Bezug zwischen § 68 Abs. 1 Satz 2 und Satz 1 VwGO sowie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Begründung der ursprünglichen Fassung der Vorschrift erläutert, dass § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO spezialgesetzliche Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung eines Vorverfahrens, die bei Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung bereits vorhanden gewesen seien, unangetastet lasse (BT-Drs. 3/55 S. 38). Dass die Vorschrift auch zur Abweichung von spezialgesetzlich angeordneten Verpflichtungen zur Durchführung eines Vorverfahrens ermächtigen soll, ist der Gesetzesbegründung dagegen nicht zu entnehmen (vgl. auch , 2 BvL 44/71 - BVerfGE 35, 65 <76>). Solches hat der Gesetzgeber auch nicht durch Streichung der Worte "für besondere Fälle" mit Art. 1 Nr. 8 Buchst. a des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) vom (BGBl. I S. 1626) geregelt. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses erläutern hierzu, dass die Streichung der Worte "für besondere Fälle" den Ländern die Möglichkeit einräume, das Widerspruchsverfahren bereichsspezifisch auszuschließen (BT-Drs. 13/5098 S. 23). Sie enthält jedoch keinen Hinweis darauf, dass die Abweichungsbefugnis der Länder mit der Gesetzesänderung auch auf spezialgesetzlich angeordnete Verpflichtungen zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens erweitert werden sollte.

12b) Die Annahme, die Verpflichtungsklage sei auch ohne Vorverfahren zulässig, wird jedoch von einer von der Auslegung des § 55 Satz 1 PBefG unabhängigen, revisionsrechtlich fehlerfreien Alternativbegründung des Berufungsurteils getragen. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geht sie davon aus, dass ein Vorverfahren ausnahmsweise auch dann entbehrlich ist, wenn dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen wurde oder dessen Zweck ohnehin nicht mehr erreicht werden kann (stRspr, vgl. 8 C 21.09 - BVerwGE 138, 1 Rn. 24). Das ist der Fall, wenn sich wie hier die für den Erlass eines Widerspruchsbescheides zuständige Behörde auf die Klage sachlich eingelassen und deren Abweisung beantragt hat (vgl. 11 C 2.93 - Buchholz 436.36 § 18 BAföG Nr. 13 S. 3).

13c) Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der hilfsweise erhobenen (Fortsetzungs-)Feststellungsklage zu Unrecht bejaht. Ausgehend von dem Ziel des Klägers, einen Genehmigungsanspruch am feststellen zu lassen, hat es - den Zeitpunkt der Erledigung des Verpflichtungsbegehrens offenlassend - jeweils unzutreffend ein Feststellungsinteresse für den Fall einer Erledigung des Rechtsstreits vor Klageerhebung oder - alternativ - ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse für den Fall einer Erledigung des Rechtsstreits nach Klageerhebung angenommen. Sollte sich das Verpflichtungsbegehren bereits vor Klageerhebung erledigt haben, könnte das vom Kläger allein geltend gemachte Präjudizinteresse ihm das erforderliche Feststellungsinteresse nicht vermitteln (stRspr, vgl. 4 C 14.96 - BVerwGE 106, 295 S. 299). Sollte sich das Verpflichtungsbegehren erst mit Erlöschen der regulären Geltungsdauer der streitgegenständlichen Taxikonzessionen am erledigt haben, würde nichts Anderes gelten. Der beabsichtigte Schadensersatzprozess wäre offensichtlich aussichtslos. Er würde daran scheitern, dass das Verwaltungsgericht in Kammerbesetzung - und damit ein Kollegialgericht - den vom Kläger behaupteten Anspruch verneint hat (stRspr, vgl. 3 C 6.12 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 40 Rn. 12). Mangels selbständig tragender, fehlerfreier Alternativbegründung der Zulässigkeit des Antrags beruht das Urteil auch auf diesem Verfahrensfehler.

142. Darüber hinaus beruht die Berufungsentscheidung über den Haupt- wie den Hilfsantrag auf einer vom Kläger wirksam gerügten Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (a). Die Gehörsrüge greift hingegen nicht durch (b).

15a) Das Berufungsgericht hat seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO dadurch verletzt, dass es den von der Beklagten zum Verfahren 13 A 1680/18 nachgereichten Verwaltungsvorgang nicht zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht und ausgewertet hat. Für den Fall, dass dieser nicht die seines Erachtens fehlenden Antragsunterlagen enthielt, hätte es durch Befragen der Beklagten aufklären müssen, ob sich weitere sachlich zugehörige Anlagen in anderen Verwaltungsvorgängen zu Anträgen auf Übertragung von Rechten und Pflichten aus Taxikonzessionen auf Herrn M. G. befanden.

16Diese Aufklärungsmaßnahmen mussten sich der Vorinstanz auch ohne förmlichen Beweisantrag des dort bereits anwaltlich vertretenen Klägers aufdrängen. Nach § 86 Abs. 1 VwGO ist das Gericht verpflichtet, den nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Art und Umfang der Aufklärungsmaßnahmen stehen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Danach muss es zwar nicht ohne konkrete Anhaltspunkte nachforschen, ob vielleicht irgendwelche bislang unentdeckten Umstände Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des zu beurteilenden Verwaltungshandelns haben könnten. Ergeben sich aus dem Beteiligtenvorbringen oder dem sonstigen Prozessstoff jedoch konkrete Ansätze für die Ermittlung bislang nicht geklärter Umstände, auf die es nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidend ankommt, muss ihnen auch ohne förmlichen Beweisantrag nachgegangen werden (vgl. 9 C 74.81 - BVerwGE 66, 237 <238> und vom - 4 C 1.91 - NVwZ-RR 1992, 227 f.). Diese Voraussetzungen lagen hier vor.

17Nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz kam es für den Erfolg der Klage wegen der Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG maßgeblich auf die Vollständigkeit des Genehmigungsantrags des Klägers an. Auf die entsprechende Aufklärungsverfügung des Berichterstatters des Berufungsgerichts hatte die Beklagte mit Schriftsatz vom (Bl. 188 d.A.) mitgeteilt, der Genehmigungsantrag befinde sich samt aller zur Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen notwendigen Unterlagen in einem Verwaltungsvorgang, der zum Verfahren 13 A 1680/18 - einem Verfahren des Vaters des Klägers - nachgereicht worden sei. Wegen dieser Erklärung hätte das Berufungsgericht den Verwaltungsvorgang zum vorliegenden Verfahren beiziehen, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung auch dieses Verfahrens machen und verwerten müssen. Ein solches Vorgehen erübrigte sich nicht schon wegen der zeitgleichen Verhandlung des Verfahrens 13 A 1680/18 und weiterer Verfahren anderer Familienmitglieder des Klägers. Die Verbindung von Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung führt nicht dazu, dass sämtlicher Akteninhalt der gleichzeitig verhandelten Verfahren Teil des Prozessstoffs der jeweils anderen Verfahren wird. Sollte Akteninhalt wechselseitig ohne Beiziehung berücksichtigt worden sein, verstieße dies gegen § 108 Abs. 1 VwGO, weil der richterlichen Überzeugung dann nicht mehr ausschließlich der Prozessstoff des jeweils entschiedenen Verfahrens zugrunde läge.

18Wäre das Berufungsgericht nach Beiziehung der zum anderen Verfahren nachgereichten Verwaltungsakte zur Auffassung gelangt, dass diese keine vollständigen Unterlagen zum Antrag des Klägers enthielt, hätte es dem Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers nachgehen und durch Nachfrage bei der Beklagten sowie gegebenenfalls durch Beiziehen der übrigen Verwaltungsvorgänge zur Übertragung von Rechten und Pflichten aus Taxikonzessionen auf Herrn M. G. ermitteln müssen, ob sich darin die von ihm vermissten Unterlagen zum Antrag des Klägers befanden. Dessen Aufklärungsanregung in der Berufungsverhandlung war nicht etwa mangels ausreichender Substantiierung unbeachtlich. Der Kläger hätte nämlich mangels Kenntnis, welche weiteren Verwaltungsvorgänge es bei der Beklagten zu Herrn M. G. gibt, seine Ermittlungsanregung nicht weiter konkretisieren und auch keinen auf ein bestimmtes Beweismittel bezogenen Beweisantrag stellen können.

19Das Berufungsurteil beruht sowohl hinsichtlich der Entscheidung über den Haupt- als auch hinsichtlich der Entscheidung über den Hilfsantrag auf diesem Aufklärungsmangel, weil es jeweils entscheidungstragend auf die Unvollständigkeit des Antrags abgestellt hat. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass es ohne den Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht zu einem anderen, für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

20b) Dagegen beruht das Urteil nicht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Das Recht auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Es verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste (stRspr, vgl. - BVerfGE 107, 395 <409>; 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 4). Danach ist die Rüge einer unzulässigen Überraschungsentscheidung unbegründet, weil das Berufungsgericht den Kläger nach dessen Vortrag in der Berufungsverhandlung darauf hingewiesen hat, dass es die Antragsunterlagen für unvollständig hielt. Gerade dieser Hinweis veranlasste den Kläger zur eben erwähnten Aufklärungsanregung.

21Mit dem Vorwurf, der Hinweis sei nicht rechtzeitig erteilt worden, wird eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nicht substantiiert gemäß § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO dargetan. Der Kläger hat nicht vorgetragen, welche aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblichen Umstände er bei einem früheren Hinweis vorgetragen hätte. Außerdem hat er nicht dargetan, weshalb es ihm nicht möglich gewesen wäre, sich das erstrebte - weitere - rechtliche Gehör durch einen Antrag auf Vertagung oder Schriftsatznachlass zu verschaffen.

223. Das Berufungsurteil beruht auch auf der Verletzung materiellen Bundesrechts.

23a) Es geht allerdings revisionsrechtlich fehlerfrei davon aus, dass die Zuverlässigkeit des Inhabers einer Genehmigung zur Personenbeförderung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG nicht Voraussetzung für die Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten hieraus gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 PBefG ist. Für dieses Auslegungsergebnis spricht schon der Wortlaut der Vorschrift. Eine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz darf nur erteilt werden, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers als Unternehmer dartun. Das gilt auch für die hier streitige Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten aus einer bestehenden personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 PBefG. Bei einer solchen Genehmigung können zwar sowohl der Inhaber der Genehmigung, deren Rechte und Pflichten übertragen werden sollen, als auch derjenige, auf den die Rechte und Pflichten übertragen werden sollen, Antragsteller sein. Antragsteller als Unternehmer im Sinne der Vorschrift ist aber nur derjenige, der durch die Übertragung der Rechte und Pflichten zum Unternehmer wird, nicht auch der, der seine Unternehmereigenschaft dadurch verliert. Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 PBefG bestätigen dieses Verständnis. Die Vorschrift dient wesentlich - wenn auch nicht nur - dem Verbraucherschutz (vgl. 3 C 14.14 - BVerwGE 152, 382 Rn. 17). Für den Fahrgast ist die Zuverlässigkeit dessen von Bedeutung, der für die Erfüllung des Vertrages, also für die ordnungsgemäße Beförderung, einstehen muss. Das ist derjenige, dem die Rechte und Pflichten aus einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung übertragen werden, nicht aber derjenige, der diese Rechte und Pflichten in Folge der Übertragung verliert. Die fortdauernde Zuverlässigkeit desjenigen, der die Rechte und Pflichten aus einer Taxikonzession überträgt, noch zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Genehmigung der Übertragung zu verlangen, wäre vom Regelungszweck nicht mehr gedeckt.

24b) Das Berufungsgericht ist weiterhin zutreffend davon ausgegangen, dass die Übertragung von Rechten und Pflichten aus einer Genehmigung zur Personenbeförderung nur genehmigt werden kann, wenn diese im Zeitpunkt der Erteilung der Übertragungsgenehmigung noch bestehen. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 PBefG bedarf die Übertragung der aus der Genehmigung erwachsenden Rechte und Pflichten der Genehmigung. Schon der Wortlaut der Vorschrift legt nahe, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Genehmigung der Übertragung noch Rechte und Pflichten aus der erteilten Personenbeförderungsgenehmigung bestehen müssen. Dies wiederum setzt den Fortbestand der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung voraus, aus der sich die Rechte und Pflichten ergeben. Eine Übertragungsgenehmigung kann nur erteilt werden, solange diese Genehmigung (noch) besteht. Mit deren Erlöschen gehen auch die durch sie begründeten Rechte und Pflichten unter mit der Folge, dass sie nicht mehr auf den Übertragungsempfänger übergehen können; eine Übertragungsgenehmigung ginge deshalb ins Leere. Das ist bereits anerkannt in Fällen, in denen der Antrag auf Übertragungsgenehmigung erst nach Erlöschen der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung gestellt wurde (dazu vgl. 11 B 10.96 - juris Rn. 6 und 8). Es gilt ebenso, wenn diese Genehmigung zwar im Zeitpunkt der Antragstellung noch bestand, jedoch vor - tatsächlicher oder nach § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG fingierter - Erteilung der Übertragungsgenehmigung erloschen ist. Für dieses Verständnis sprechen auch systematische Gründe. Nach § 2 Abs. 1 PBefG muss der Unternehmer, der Personen befördert, im Besitz einer Genehmigung sein, die auf Antrag (§ 12 PBefG) gemäß § 15 PBefG schriftlich für eine bestimmte Geltungsdauer im Rahmen des § 13 Abs. 5 Satz 5 und § 16 PBefG zu erteilen ist. Daraus ergibt sich, dass die Genehmigung Rechte und Pflichten erst mit ihrem Wirksamwerden und ihrer Aushändigung sowie nur bis zum Ablauf ihres Geltungszeitraums begründet. Zugleich folgt daraus, dass die Genehmigung nicht rückwirkend für eine bereits vorher begonnene Personenbeförderung erteilt werden kann. Denn in einem solchen Falle wäre der Unternehmer bei Beförderungsbeginn gerade noch nicht im Besitz der Genehmigung gewesen.

25Mit Ablauf der Genehmigung untergegangene Rechte und Pflichten können weder übertragen, noch kann ihre Übertragung genehmigt werden. Eine dazu erforderliche Rückwirkung der Übertragungsgenehmigung sieht das Gesetz nicht vor. Entgegen der Auffassung des Klägers lässt eine Übertragungsgenehmigung nach Ablauf der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung die mit dieser erloschenen Rechte und Pflichten auch nicht rückwirkend wiederaufleben oder in der Person des Übertragungsempfängers neu erstehen. Dies widerspräche der gesetzlichen Konzeption der Übertragungsgenehmigung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 PBefG, die von einem Austausch des Genehmigungsinhabers für die verbleibende Geltungsdauer der Genehmigung ausgeht und deshalb im Gesetz kurz als "Genehmigungsübertragung" umschrieben wird.

26Träfe die gegenteilige Auffassung des Klägers zu, würden die gesetzlichen Regelungen über die Befristung von Genehmigungen und deren Verlängerung oder Wiedererteilung unterlaufen. Auch die Verpflichtung, im Fall eines Bewerberüberhangs die Auswahlkriterien des § 13 Abs. 5 PBefG zu beachten, würde zweckwidrig beschränkt, wenn die für Genehmigungsübertragungen geltenden Einschränkungen dieser Verpflichtung (§ 13 Abs. 7 PBefG) durch rückwirkende Übertragungsgenehmigungen beliebig perpetuiert werden könnten. Einer solchen Auslegung stünde auch das Recht von Neubewerbern auf chancengleichen Berufszugang entgegen. Die Privilegierung von Übertragungsempfängern gemäß § 13 Abs. 7 PBefG ist vor Art. 12 Abs. 1 GG nur gerechtfertigt, weil die Rechte und Pflichten aus der Genehmigung allein für deren restliche Geltungsdauer übertragen, aber nicht darüber hinaus verlängert oder gar rückwirkend jenseits der gesetzlichen Beschränkung der Geltungsdauer neu geschaffen werden.

27Dass eine Übertragungsgenehmigung nicht mehr nach Erlöschen der zu übertragenden Genehmigung erteilt werden kann, führt entgegen der Revisionsbegründung nicht dazu, dass Rechte der Antragsteller durch pflichtwidriges Verzögern der Bescheidung ihres Antrags über den Ablauf der zu übertragenden Genehmigung hinaus willkürlich beschränkt oder gar vereitelt werden könnten. Vielmehr gibt § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG den Antragstellern die Möglichkeit, durch Einreichen eines vollständigen Antrags mehr als sechs Monate vor Auslaufen der Genehmigung (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 und 4 PBefG) eine selbst bei zulässiger Verlängerung der Prüfungsfrist noch rechtzeitige Bescheidung oder, bei Untätigkeit der Behörde, eine Genehmigungsfiktion (§ 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG) herbeizuführen.

28c) Nicht mit Bundesrecht vereinbar sind die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine auf Billigkeitsgründe gestützte Übertragbarkeit von Rechten und Pflichten aus einer bereits erloschenen Genehmigung zur Personenbeförderung verneint hat. Sie stützen sich auf die verfahrensfehlerhafte Annahme, der Antrag des Klägers sei unvollständig und damit nicht genehmigungsfähig gewesen (Rn. 15 ff.). Auf diesem Mangel beruht das Berufungsurteil auch, weil es die von ihm für möglich gehaltene Billigkeitsausnahme nicht mit einer selbständig tragenden, revisionsrechtlich fehlerfreien Begründung abgelehnt hat.

29d) Das Berufungsurteil beruht zudem auf fehlerhaften Erwägungen, mit denen es den Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG verneint. Seine Begründung, der Genehmigungsantrag sei unvollständig gewesen, geht von einem verfahrensfehlerhaft festgestellten Sachverhalt aus (Rn. 15 ff.). Die weitere Begründung mit einem Verzicht des Klägers auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion übersieht, dass ein solcher rechtlich nicht möglich ist. § 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG bestimmt, dass die beantragte Genehmigung als erteilt gilt, wenn sie nicht innerhalb der Frist für die Entscheidung über den Antrag versagt wird. Diese Rechtsfolge tritt kraft Gesetzes und unabhängig vom Willen des Begünstigten ein. Verzichtet werden kann daher nicht auf die Fiktion, sondern allenfalls auf die Rechte aus der fingierten Genehmigung. Ein solcher Verzicht war nicht schon darin zu sehen, dass der Antrag auf Übertragungsgenehmigung nur hilfsweise für den Fall des Widerrufs der Taxikonzessionen gestellt wurde. Vielmehr zeigt das Prozessverhalten des Klägers, dass er einen Eintritt der Fiktion trotz des Widerrufs für möglich hielt und (hilfsweise) festgestellt wissen wollte.

304. Das Berufungsurteil stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

31a) Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Genehmigung der Übertragung der Rechte und Pflichten aus den ihm erteilten Taxikonzessionen auf Herrn M. G. nicht zu. Die Taxikonzessionen waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits erloschen. Sie verloren ihre Wirksamkeit nicht erst mit dem regulären Ablauf ihrer Geltungsdauer, sondern schon am mit der Zustellung des für sofort vollziehbar erklärten Widerrufsbescheids. Er wurde bis zu seiner rechtskräftigen Bestätigung durch das - insoweit nicht mehr angegriffene - Urteil des Verwaltungsgerichts weder behördlich noch gerichtlich außer Vollzug gesetzt.

32Die von dem Berufungsgericht erwogenen Billigkeitsgründe können eine andere Entscheidung nicht rechtfertigen. Für eine Ausnahme von der Regel, dass die Übertragung von Rechten und Pflichten aus einer personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 PBefG nur bis zu deren Erlöschen genehmigt werden kann, fehlt es an einem normativen Anknüpfungspunkt. Insbesondere ist nicht zu erkennen, weshalb trotz der Möglichkeit, gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2, 4 und 5 PBefG die begehrte Genehmigung rechtzeitig herbeizuführen und dazu gegebenenfalls (Eil-)Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, eine Durchbrechung der gesetzlichen Regelung aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein sollte.

33§ 15 Abs. 1 Satz 5 PBefG kann dem Hauptantrag des Klägers ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Abgesehen davon, dass die Regelung keine Anspruchsgrundlage, sondern eine Fiktion normiert, liegen auch deren Voraussetzungen hier nicht vor. Das ergibt sich unabhängig von der Frage, ob die Antragsunterlagen vollständig waren, und unabhängig von den darauf bezogenen, verfahrensfehlerhaften Tatsachenfeststellungen des angegriffenen Urteils aus dem Umstand, dass die Taxikonzessionen des Klägers wegen seines aufschiebend bedingten Übertragungsgenehmigungsantrags bereits vor Ablauf der Dreimonatsfrist des § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG erloschen waren. Diese Frist begann erst mit dem Widerruf der Konzessionen zu laufen, weil der Übertragungsgenehmigungsantrag nur hilfsweise für den Fall des Widerrufs gestellt worden war. Wegen der ununterbrochenen sofortigen Vollziehbarkeit des Widerrufs bis zu seiner rechtskräftigen Bestätigung verloren die Konzessionen ihre Wirksamkeit bereits, bevor die mit dem Widerruf beginnende Frist des § 15 Abs. 1 Satz 2 PBefG ablaufen konnte.

34b) Der hilfsweise gestellte (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag des Klägers ist unzulässig. Wie oben (Rn. 13) erläutert, ergibt sich das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse nicht aus der Absicht des Klägers, einen Amtshaftungsprozess vor den Zivilgerichten zu führen. Ein anderes Feststellungsinteresse im Sinne der Vorschrift hat er nicht geltend gemacht.

35Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:090621U8C32.20.0

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 24/2021 S. 1715
VAAAH-89612