BFH Beschluss v. - VIII B 103/20

Ablehnung eines Terminverlegungsantrags aufgrund schwerwiegender Mitwirkungspflichtverletzungen und einer länger andauernden Erkrankung

Leitsatz

NV: Die Ablehnung einer Terminänderung kann selbst bei Vorliegen erheblicher Gründe ermessensgerecht sein, wenn eine Verletzung der Mitwirkungspflichten bereits im Veranlagungsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren vorliegt und wenn der Beteiligte zusätzlich trotz einer bereits seit geraumer Zeit bestehenden Erkrankung keine Vorsorge für die Wahrnehmung eines anstehenden Termins trifft.

Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 227 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; FGO § 155;

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet.

2 Der gerügte Verfahrensverstoß, das Finanzgericht (FG) habe den Anspruch der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es der beantragten Terminverlegung nicht nachgekommen sei, liegt nicht vor.

3 1. Trotz der vom Kläger für den Termin am glaubhaft gemachten Verhandlungsunfähigkeit musste das Gericht nicht vertagen, sondern konnte die mündliche Verhandlung am durchführen.

4 a) Einem Verfahrensbeteiligten wird das rechtliche Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl der Beteiligte einen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO— i.V.m. § 227 Abs. 1 der ZivilprozessordnungZPO—). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gehört zu diesen erheblichen Gründen auch die krankheitsbedingte Verhinderung. Grundsätzlich sind die erheblichen Gründe für eine Terminverlegung nur „auf Verlangen“ des Vorsitzenden glaubhaft zu machen (§ 227 Abs. 2 ZPO).

5 b) Strengere Anforderungen gelten allerdings, wenn ein Terminverlegungsantrag „in letzter Minute“ gestellt wird und dem Gericht keine Zeit bleibt, den Antragsteller oder dessen Prozessbevollmächtigten zur Glaubhaftmachung aufzufordern. In diesem Fall müssen die Beteiligten von sich aus alles unternehmen, damit ihrem Vortrag auch in tatsächlicher Hinsicht gefolgt werden kann. In derartigen eiligen Fällen ist daher entweder die Vorlage eines ärztlichen Attests erforderlich, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit der erkrankten Person ergeben muss; ersatzweise muss der Beteiligte die Erkrankung so genau schildern und glaubhaft machen, dass das Gericht selbst beurteilen kann, ob sie so schwer ist, dass ein Erscheinen zum Termin nicht erwartet werden kann (, BFH/NV 2020, 226, Rz 10; ebenso , BFH/NV 2020, 900, Rz 13, 14, 17, 18). Jedenfalls gegenüber sachkundigen Prozessbevollmächtigten wie dem Kläger als Rechtsanwalt, der sich vorliegend selbst und die Klägerin als Prozessbevollmächtigter vertritt, besteht keine richterliche Hinweispflicht in Bezug auf die Verpflichtung, einen kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellten Terminverlegungsantrag von sich aus substantiiert zu begründen und die darin aufgestellten tatsächlichen Behauptungen glaubhaft machen zu müssen (, BFH/NV 2020, 905, Rz 8).

6 c) Ein „in letzter Minute“ gestellter Terminverlegungsantrag, bei dem auch ohne Hinweis des Gerichts erhöhte Anforderungen an die sofortige Glaubhaftmachung der erheblichen Gründe gelten, ist anzunehmen, wenn er erst am Sitzungstag selbst gestellt wird und dem Gericht keine Zeit bleibt, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung aufzufordern. Gleiches gilt für einen am Vortag der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, wenn besondere Umstände hinzutreten. Dies ist z.B. der Fall bei Anträgen, die erst nach Dienstschluss des Vortags gestellt wurden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 226, Rz 15, mit Bezugnahme auf , BFH/NV 2017, 433, Rz 14: Eingang des Antrags um 19:26 Uhr und auf , BFH/NV 2014, 542: Eingang des Antrags um 16:08 Uhr).

7 d) Nach diesen Vorgaben handelte es sich bei dem vom Kläger für sich und für die Klägerin als deren Prozessbevollmächtigter gestellten Antrag um einen „Antrag in letzter Minute“, da der Antrag am Vortag der mündlichen Verhandlung (dem ) um 19:44 Uhr und damit nach Dienstschluss des FG gestellt wurde. Der Kläger hat seine Verhandlungsunfähigkeit auch glaubhaft gemacht. Das von dem behandelnden Arzt des Klägers am ausgestellte Attest bestätigt, dass der Kläger nicht in der Lage sei, am (dem Sitzungstag) an einer Verhandlung teilzunehmen. Dies genügt auch bei einem kurzfristig gestellten Terminverlegungsantrag grundsätzlich den erhöhten Anforderungen an die Glaubhaftmachung (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2020, 226, Rz 19; in BFH/NV 2020, 905), da der Arzt in Bezug auf die Verhandlungsfähigkeit sachkompetenter als ein Richter ist.

8 e) Das FG hat jedoch die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung trotz der für den glaubhaft gemachten Verhandlungsunfähigkeit des Klägers ohne Ermessensfehler abgelehnt.

9 aa) Die Ablehnung einer Terminverlegung kann selbst bei Vorliegen erheblicher Gründe wie einer Erkrankung ermessensgerecht sein, z.B. bei einer erheblichen Verletzung der Mitwirkungspflichten im Veranlagungs- und Rechtsbehelfsverfahren und wenn der Beteiligte trotz einer bereits seit geraumer Zeit bestehenden Erkrankung keine Vorsorge für die Wahrnehmung eines Termins trifft oder bei der Ankündigung des Gerichts, eine Verhinderung könne nur bei Vorlage eines amtsärztlichen Attests angenommen werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom  - V B 153/05, juris, unter II.1.b, m.w.N.; vom  - V B 9/91, BFH/NV 1993, 180, unter II.3.; , BFH/NV 1996, 43, unter II.2.a; BFH-Beschlüsse vom  - IV B 86/99, BFH/NV 2000, 1353, unter II.2.; vom  - III B 12/13, BFH/NV 2014, 1581, Rz 35).

10 bb) Das FG hat gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend festgestellt, dass die Kläger im Veranlagungs- und im anschließenden Rechtsbehelfsverfahren mit der Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten säumig waren und zusätzlich trotz einer geraume Zeit bestehenden Erkrankung des Klägers keine prozessuale Vorsorge zur Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung getroffen haben. Danach war die Ablehnung des abermaligen Terminverlegungsantrags durch das FG nicht ermessensfehlerhaft.

11 Gegenstand des Streitfalls waren Bescheide der Kläger zur Einkommen- und Umsatzsteuer für das Streitjahr 2017, in denen die Besteuerungsgrundlagen mangels rechtzeitiger Abgabe der Steuererklärungen geschätzt worden waren. Zusätzlich hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) Verspätungszuschläge festgesetzt. Innerhalb der vom FG gesetzten Ausschlussfrist gemäß § 65 Abs. 2 FGO wurde das Klagebegehren von den Klägern nicht bezeichnet. In der Nichtabgabe der Steuererklärungen für das Streitjahr bis hinein in das Klageverfahren und in der fehlenden Bezeichnung des Klagebegehrens innerhalb der gesetzten Ausschlussfrist sind schwerwiegende Mitwirkungspflichtverletzungen der Kläger zu sehen.

12 Zusätzlich haben die Kläger keine prozessuale Vorsorge zur Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung für den Fall einer länger andauernden Erkrankung des Klägers getroffen. Nach Ergehen eines Gerichtsbescheids, in dem das FG die Klage als unzulässig abwies, beantragten die Kläger gemäß § 90a Abs. 2 FGO die Durchführung der mündlichen Verhandlung, die das FG auf den terminierte. Das FG kam anschließend einem Antrag auf Terminverlegung des Klägers vom wegen einer Erkrankung des Klägers nach und verlegte den Termin auf den sowie aufgrund einer beruflichen Verhinderung des Klägers nochmals auf den . Am um 02:52 Uhr beantragte der Kläger für sich und als Prozessbevollmächtigter der Klägerin wegen eines Magen-Darm-Infekts abermals die Terminverlegung. Das FG führte die mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Kläger durch und eröffnete diese nach Vorlage eines ärztlichen Attests für den zur Verhandlungsunfähigkeit des Klägers in einem am anberaumten Termin wieder. Da der Kläger in seinem Terminverlegungsantrag vom selbst vorgetragen hat, die Erkrankung sei „noch nicht ausgeheilt“, ist es nicht zu beanstanden, dass das FG aus dieser Äußerung auf eine seit dem durchgehend bestehende Magen-Darm-Erkrankung des Klägers geschlossen hat. Dass die Kläger trotz der ihnen bekannten länger andauernden Erkrankung und Möglichkeit einer erneuten Verhandlungsunfähigkeit des Klägers zum Termin am keine prozessuale Vorsorge für eine Vertretung getroffen haben und daher erneut kurzfristig die Terminverlegung beantragen mussten, geht zu ihren Lasten. Unter diesen Umständen war es ermessensgerecht, dass das FG die mündliche Verhandlung nicht erneut verlegt hat.

13 cc) Zudem hatte das FG im Hinblick auf einen weiteren Terminverlegungsantrag der Kläger für die Sitzung am in der Ladung vom mitgeteilt, im Fall einer krankheitsbedingten Verhinderung sei diese durch ein amtsärztliches Attest zu belegen. Ob es sich angesichts der eingeschränkten Möglichkeiten, amtsärztliche Untersuchungen in zeitlicher Nähe zum Sitzungstermin am zu erlangen, für die Ablehnung der Terminverlegung auch darauf hätte stützen können, dass die Krankheit des Klägers nur durch ein amtsärztliches Attest glaubhaft gemacht werden konnte, ist angesichts der die Entscheidung des FG allein tragenden vorstehenden Begründung unerheblich.

14 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.280521.VIIIB103.20.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2021 S. 364 Nr. 11
BFH/NV 2021 S. 1361 Nr. 11
NJW 2021 S. 10 Nr. 41
GAAAH-88658