BSG Beschluss v. - B 12 KR 101/20 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz - Vorwurf der Fehlinterpretation der Rechtsprechung des BSG <hier: zur Statusbewertung von Honorarärzten>

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 7 Abs 1 S 2 SGB 4

Instanzenzug: Az: S 143 KR 1802/12 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 9 KR 399/17 Urteil

Gründe

1I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom bis aufgrund Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht unterlag.

2Die Beigeladene zu 1. arbeitete in diesem Zeitraum für die Klägerin als Stadtführerin in B. Auf deren Antrag stellte die Beklagte fest, dass die Beigeladene zu 1. aufgrund Beschäftigung sozialversicherungspflichtig sei. Klage und Berufung dagegen sind erfolglos geblieben. Das LSG hat auf die erstinstanzliche, die Klage abweisende Entscheidung Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass an der Eingliederung der Beigeladenen zu 1. in den Betrieb der Klägerin und an deren Weisungsunterworfenheit in wesentlichen Belangen kein vernünftiger Zweifel bestehe. Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV lägen hierin von Gesetzes wegen zu beachtende Anhaltspunkte für eine Beschäftigung, die auch für den Senat in einer Gesamtbetrachtung den Ausschlag gäben. Die inhaltliche Freiheit der Beigeladenen zu 1. bei der Durchführung der Touren stehe dem nicht entgegen. Das gesprochene Wort und der eigene Stil lägen in der Natur der Sache. "Selbstständigkeit" folge aus dieser eigenkreativen Arbeit nicht (Urteil vom ). Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil.

3II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

41. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschlüsse vom - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Eine solche Abweichung hat die Klägerin mit ihren Ausführungen nicht dargetan.

5a) Die Klägerin macht zunächst eine Divergenz geltend, weil das LSG hier abweichend von der Rechtsprechung des BSG von einer Eingliederung der Beigeladenen zu 1. in den Betrieb der Klägerin ausgehe. Soweit das LSG diese Auffassung damit begründe, dass die von der Beigeladenen zu 1. wahrgenommenen Aufgaben Teil der "unternehmerischen Konzeption" der Klägerin seien und die Beigeladene zu 1. an organisatorische, äußere Vorgaben, insbesondere zum Beginn der jeweiligen Touren, gebunden gewesen sei, komme darin der Rechtssatz zum Ausdruck, dass bereits die Übernahme von zum Geschäftskonzept des Auftraggebers gehörenden Aufgaben und die Bindung an äußere Vorgaben eine weisungsgebundene Eingliederung in den Betrieb begründe. Aus dem Senatsurteil vom (B 12 KR 26/02 R - juris RdNr 29) zur Statusbewertung von Lehrern an einer Volkshochschule leitet die Klägerin sodann ab, die Erbringung von Leistungen im Rahmen eines Gesamtkonzepts des Auftraggebers und eine geminderte Autonomie des Auftragnehmers durch Vorgaben zum äußeren Ablauf einer Tätigkeit seien noch keine für Abhängigkeit sprechende Indizien, sondern hätten vielmehr neutralen Charakter. Auf der daraus folgenden Divergenz beruhe das Berufungsurteil. Hätte das LSG demgegenüber die eigenverantwortlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewürdigt, hätte es eine selbstständige Tätigkeit angenommen.

6Auf diese Weise legt die Klägerin aber keine sich widersprechenden Rechtssätze dar. Sie verallgemeinert vielmehr das vom LSG gefundene Subsumtionsergebnis. Soweit sie einen konkludent aufgestellten Rechtssatz behaupten wollte, hätte sie aber näher darlegen müssen, dass dieser Rechtssatz sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus einem abstrakten Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung eindeutig enthalten ist und mit dem das LSG eigene von der Rechtsprechung des BSG abweichende Kriterien aufstellen wollte (vgl - juris RdNr 8; - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45 = juris RdNr 12). Sie zeigt auch nicht ausreichend auf, inwieweit der tatsächliche und rechtliche Kontext der herangezogenen bundesgerichtlichen Entscheidung mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist; vielmehr schlussfolgert sie auch hier verallgemeinernd, dass "Vorgaben zum äußeren Ablauf einer Tätigkeit" einen für die Statusbeurteilung "neutralen Charakter" hätten. Mit ihrem Vorbringen macht sie im Kern die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung geltend, weil das LSG die Tatsachen aus ihrer Sicht falsch gewürdigt bzw Vorgaben des BSG nicht richtig angewandt haben soll. Die Behauptung einer unrichtigen Rechtsanwendung kann die Zulassung der Revision aber nicht begründen (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 14 ff = juris RdNr 9).

7b) Dasselbe gilt auch für die Rüge der Klägerin, die Rechtsauffassung des LSG, wonach die "enge und weisungsgebundene Eingliederung" ohne Weiteres den Befund abhängiger Beschäftigung nach sich ziehe, sei eine "Fehlinterpretation der Rechtsprechung des BSG zur Statusbewertung von Honorarärzten". Der Vorwurf einer angeblich "rechtsirrige(n) Interpretation" der BSG-Rechtsprechung (zB zu - juris RdNr 27) begründet nicht den Zulassungsgrund der Divergenz.

82. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN).

9Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

11Insoweit hat die Klägerin bereits keine abstrakt-generellen Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht ( - juris RdNr 11 mwN) formuliert. Dies ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann ( B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN). Vielmehr geht es der Klägerin auch hier im Kern um die Richtigkeit der Entscheidung bzw die richterliche Überzeugungsbildung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), auf deren Verletzung eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann. Zur Klärungsbedürftigkeit führt die Klägerin selbst zutreffend aus, dass die Zuordnung zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw der selbstständigen Tätigkeit grundsätzlich nach dem Gesamtbild der Tätigkeit erfolgt. Auch weist sie auf die Senatsrechtsprechung hin, wonach die Weisungsgebundenheit - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein kann. Schließlich zitiert sie aus der Rechtsprechung des BSG auch, dass eine Tätigkeit weisungsfrei sein könne, wenn die Art und Weise, wie die Ziele erreicht werden könnten, der eigenen Entscheidung überlassen bleibe. Insoweit liegen aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung ihrer Fragen vor. Ihr Anliegen nach höchstrichterlichen Festlegungen, welches Gewicht die Gestaltungsfreiheit in der Gesamtabwägung generell oder in besonderen Konstellationen haben könne, verkennt den Charakter der Abwägungsentscheidung, die als solche stets auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls bezogen ist. Mit ihrer Argumentation lässt sich der Ausschluss der Nichtzulassungsbeschwerde wegen einer fehlerhaften Würdigung im Einzelfall nicht umgehen.

13Auch hier liegt keine abstrakte Rechtsfrage vor. Die Frage richtet sich im Kern nach der richtigen Bewertung im Einzelfall, denn die "entscheidende" Bedeutung eines Kriteriums lässt sich nicht losgelöst von den konkreten Umständen beantworten. Ob dem "Tragen eines Namensschildes" eine Indizwirkung zukommt, hängt davon ab, ob daraus im Einzelfall eine nachvollziehbare und relevante Schlussfolgerung abgeleitet werden kann. So hat die Klägerin selbst auf die Entscheidung des - SozR 4-2400 § 7 Nr 41 RdNr 26, 30) hingewiesen, wonach die zahlreichen Verpflichtungen eines Bereitschaftsarztes, zu denen ua auch diejenige zum Tragen eines Namensschildes gehörte, für die Einbindung in die Organisations- und Weisungsstruktur des Krankenhauses sprachen. In anderem Zusammenhang hat das BSG entschieden, dass die Verwendung des fremden Namens auf dem Briefbogen zum Ausdruck bringen könne, dass die Tätigkeit im Rahmen einer von einem Dritten getragenen Arbeitsorganisation erfolge (vgl - SozR 2200 § 165 Nr 51 S 73 = juris RdNr 20). Soweit die Klägerin über solche bereits vorliegende Anhaltspunkte hinaus eine Aussage dazu fordert, ob das Tragen von Namensschildern "generell ein Indiz für abhängige Beschäftigung" ist, verkennt sie erneut, dass die Statusentscheidung eine wertende Entscheidung im Einzelfall erfordert.

143. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

154. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 und § 162 Abs 3 VwGO.

165. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 2, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:010721BB12KR10120B0

Fundstelle(n):
AAAAH-88634