BGH Beschluss v. - XIII ZB 66/20

Überstellungshaft: Wahrung des Grundsatzes des fairen Verfahrens bei Anhörung des Betroffenen ohne Teilnahme des Verfahrensbevollmächtigten

Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 104 Abs 1 GG, § 11 S 5 FamFG, § 420 FamFG, § 427 FamFG, § 85 ZPO

Instanzenzug: LG Limburg Az: 7 T 2/20vorgehend AG Wetzlar Az: 62 XIV 53/19 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein äthiopischer Staatsangehöriger, reiste am nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom als unzulässig ab und ordnete die Überstellung des Betroffenen nach Schweden an. Eine für den geplante Überstellung scheiterte am Widerstand des Betroffenen. Ein weiterer für den terminierter Überstellungsversuch blieb erfolglos, weil der Betroffene in der ihm zugewiesenen Unterkunft nicht angetroffen werden konnte.

2Nachdem zunächst am eine vorläufige Freiheitsentziehung angeordnet worden war, hat das Amtsgericht den Betroffenen nach dessen Festnahme am Folgetag ohne persönliche Anwesenheit seines zuvor telefonisch von dem Termin in Kenntnis gesetzten Verfahrensbevollmächtigten angehört. Anschließend hat das Amtsgericht antragsgemäß mit Beschluss vom Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen bis zum angeordnet. Die hiergegen erhobene Beschwerde, mit der der Betroffene nach der am erfolgten Überstellung nach Schweden noch die Feststellung begehrt hat, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter.

3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

41. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung sei rechtmäßig gewesen. Der Beschluss des Amtsgerichts sei verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Zwar sei der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen erst am Tag des Anhörungstermins über diesen informiert worden. Auch habe der Verfahrensbevollmächtigte an der Anhörung wegen der weiten Anreise und weiterer Termine nicht teilnehmen können. Jedoch habe dieser keinen Verlegungsantrag gestellt und im Beschwerdeverfahren erklärt, er wäre für das Verfahren auch an einem anderen Termin nicht zum Amtsgericht gefahren. Außerdem habe der Betroffene ausreichend Gelegenheit gehabt, sich telefonisch durch seinen Rechtsanwalt beraten zu lassen. Die Haftanordnung sei schließlich auch in der Sache rechtmäßig gewesen.

52. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand. Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Amtsgericht habe den Betroffenen in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, vgl. zu diesem allgemeinen Prozessgrundrecht BVerfG, StV 1994, 552 f.; , juris Rn. 22 mwN; , juris Rn. 32 ff.; , juris Rn. 12 ff.), greift nicht durch.

6a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 mwN). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Verfahrensbevollmächtigten hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung die Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

7b) Nach diesen Maßstäben hat das Gericht die Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung nicht vereitelt. Das Beschwerdegericht ist unter Heranziehung des Protokolls zusammen mit dem von dem Amtsrichter zulässigerweise (vgl. , juris Rn. 22) nachträglich angefertigten Vermerk (§ 28 Abs. 4 FamFG; beides nachfolgend: Protokoll) zutreffend davon ausgegangen, dass der Amtsrichter den Bevollmächtigten des Betroffenen nach der Festnahme umgehend telefonisch von dem noch am selben Tag geplanten Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt hat. Der Bevollmächtigte hat erklärt, an der Anhörung nicht teilnehmen zu können, aber keinen Verlegungsantrag gestellt. Das Amtsgericht war daher nicht zur Verlegung des Anhörungstermins verpflichtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZA 2/10, juris Rn. 10; vom - XIII ZB 28/20, juris Rn. 18, und vom - XIII ZB 12/19, z. Veröff. best.). Der Verzicht seines Bevollmächtigten auf eine Teilnahme an der Anhörung ist dem Betroffenen gemäß § 11 Satz 5 FamFG, § 85 ZPO zuzurechnen.

8c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde musste das Amtsgericht sich nicht auf eine Entscheidung über die Fortdauer der bereits nach § 427 FamFG einstweilig angeordneten Freiheitsentziehung beschränken und einen neuen Anhörungstermin bestimmen. Zwar hat der Betroffene ausweislich des Protokolls erklärt, er warte darauf, was sein Rechtsanwalt zu der Sache zu sagen habe. Diese Erklärung war aber im vorliegenden Fall - anders als in der dem Beschluss vom (XIII ZB 123/19, juris Rn. 10 ff.) zugrundeliegenden Fallgestaltung - eindeutig.

9Das Amtsgericht hat ausweislich des Protokolls den zunächst begonnenen Anhörungstermin unterbrochen und dem Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, mithilfe des Dolmetschers mit seinem Bevollmächtigten zu telefonieren. Danach machte der Betroffene kurze Angaben zum Sachverhalt, berief sich aber im Wesentlichen darauf, was sein Bevollmächtigter für ihn sagen werde. Der Richter unterbrach sodann die Anhörung erneut und telefonierte mit dem Bevollmächtigten, der ihm seine Einwände gegen die Anordnung der Haft darlegte. Nach Wiedereintritt in den Anhörungstermin erklärte der Betroffene, er habe nichts mehr zu sagen. Vor diesem Hintergrund konnten die Erklärungen des Betroffenen und die ihm zuzurechnenden Erklärungen seines Bevollmächtigten nur so verstanden werden, dass der Betroffene keine weitere Beiziehung seines Bevollmächtigten wünschte; weiterer Klärungsbedarf bestand nicht.

10d) Soweit die Rechtsbeschwerde schließlich darauf verweist, es sei unklar, ob der Betroffene darüber unterrichtet worden sei, was sein Bevollmächtigter während der Unterbrechung mit dem Richter besprochen hatte, kommt es darauf nicht an. Denn auch eine Pflicht zu einer solchen Unterrichtung und ihr Fehlen unterstellt, liegt darin unter den Umständen des vorliegenden Falles jedenfalls kein Verfahrensfehler, der nicht nur den formal ordnungsgemäßen Ablauf der Anhörung, sondern deren Grundlagen betrifft und damit § 420 FamFG und Art. 104 Abs. 1 GG verletzte (vgl. , InfAuslR 2016, 235 Rn. 26). Dies ergibt sich hier daraus, dass der Betroffene sich zunächst mit dem Verfahrensbevollmächtigten über das hat besprechen können, was seitens des Bevollmächtigten für ihn sodann telefonisch gegenüber dem Gericht ausgeführt werden sollte, und er darauf ausdrücklich verwiesen hat. Nachdem das Telefonat wie geplant erfolgt war, erhielt der Betroffene erneut Gelegenheit, noch etwas auszuführen oder nachzufragen, wovon er aber keinen Gebrauch gemacht hat.

113. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

12III. Mangels Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde ist Verfahrenskostenhilfe nicht zu bewilligen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:230321BXIIIZB66.20.0

Fundstelle(n):
QAAAH-86731