BGH Beschluss v. - XIII ZB 24/20

Abschiebungshaftaufhebung: Aufhebung einer Beschwerdeentscheidung bei nicht erkennbarem Sachverhalt; Begründung des Haftaufhebungsantrags und der Beschwerde durch eine Vertrauensperson

Gesetze: § 27 FamFG, § 62 Abs 1 FamFG, § 65 Abs 1 FamFG, § 69 Abs 2 FamFG, § 69 Abs 3 FamFG, § 74 Abs 3 S 4 FamFG, § 74 Abs 6 S 2 FamFG, § 426 Abs 2 S 1 FamFG, § 559 ZPO

Instanzenzug: LG Mönchengladbach Az: 5 T 82/20vorgehend AG Mönchengladbach Az: 65 XIV (B) 58/19

Gründe

1I. Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, ist am aus der Abschiebungshaft nach Ghana abgeschoben worden. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht einen von der Person des Vertrauens des Betroffenen (fortan: Vertrauensperson) am gestellten Haftaufhebungsantrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Vertrauensperson ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Vertrauensperson die Feststellung, dass der Vollzug der Haft den Betroffenen im Zeitraum vom 23. bis zum in seinen Rechten verletzt hat.

2II. Das - zulässige (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 26/12, juris Rn. 2, und vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 13) - Rechtsmittel der Vertrauensperson ist begründet.

31. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der vom Amtsgericht als unzulässig angesehene, mit der Beschwerde weiterverfolgte Antrag der Vertrauensperson des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit "des angegriffenen Beschlusses" gemäß § 62 Abs. 1 FamFG feststellen zu lassen, habe jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Die Vertrauensperson habe weder ihren ursprünglichen Aufhebungsantrag noch das eingelegte Rechtsmittel näher begründet. Anhaltspunkte dafür, dass die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts rechtswidrig sei, fänden sich in der Akte nicht.

42. Die Beschwerdeentscheidung kann keinen Bestand haben, weil sie den Sachverhalt nicht erkennen lässt, über den das Beschwerdegericht entschieden hat.

5a) Gemäß § 69 Abs. 2 FamFG ist die Beschwerdeentscheidung zu begründen. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen insbesondere den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, da das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 ZPO grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen hat, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die keine rechtliche Überprüfung ermöglichen, begründen einen Verfahrensmangel, der von Amts wegen zu berücksichtigen ist und die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 3/12, juris Rn. 3, vom - V ZB 26/12, juris Rn. 4, vom - V ZB 136/15, juris Rn. 3, jeweils mwN).

6b) Der angefochtene Beschluss enthält danach keine Grundlage für eine Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

7aa) Er lässt schon das Feststellungsbegehren, das die Vertrauensperson mit der Beschwerde weiterverfolgt hat, nicht klar erkennen. Allerdings mag die Wendung, das Beschwerdebegehren sei "erkennbar darauf gerichtet, die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angegriffenen Beschlusses ... feststellen zu lassen", im Hinblick darauf, dass das Amtsgericht über einen Haftaufhebungsantrag entschieden hat, dahin verstanden werden können, dass die Vertrauensperson festgestellt wissen will, dass der Vollzug der - durch einen nicht mitgeteilten Beschluss - angeordneten Haft den Betroffenen für den Zeitraum von der Stellung des Haftaufhebungsantrags am bis zur Abschiebung des Betroffenen am und dem dadurch eingetretenen Haftende in seinen Rechten verletzt hat.

8bb) Mit Ausnahme des im Zusammenhang mit der Erörterung des Beschwerdeantrags vom Beschwerdegericht erwähnten Umstands, dass der Betroffene aus der Abschiebungshaft abgeschoben worden ist, fehlen jedoch jegliche Feststellungen zu dem Sachverhalt, auf dessen Grundlage die Haft angeordnet worden und der deshalb auch für die vom Beschwerdegericht verneinte Frage maßgeblich ist, ob der weitere Vollzug der - ebenfalls nicht mitgeteilten - Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Auch der amtsgerichtliche Beschluss enthält keinerlei Feststellungen, die gegebenenfalls als - stillschweigend - in Bezug genommen angesehen werden könnten.

93. Die Sache ist daher zur Feststellung des Sachverhalts an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).

10III. Für das neue Beschwerdeverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

111. Zu Unrecht hat das Amtsgericht den Feststellungsantrag als unzulässig angesehen. Ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Haftvollzugs kann entgegen dem insoweit zu engen Wortlaut des § 62 Abs. 1 FamFG nicht nur in einem Beschwerdeverfahren gestellt werden. Wenn der Betroffene gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG die Aufhebung der Haftanordnung beantragt und sich dieser Antrag durch die Entlassung aus der Haft erledigt, kann der Betroffene bereits im Verfahren vor dem Amtsgericht zu dem Antrag übergehen, die Rechtswidrigkeit der weiteren Vollziehung der Haftanordnung nach dem gestellten Haftaufhebungsantrag feststellen zu lassen. Auch die Vertrauensperson des Betroffenen kann beantragen, in dessen Interesse diese Feststellung zu treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 358 Rn. 9, und vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 15 jeweils mwN).

122. Der Umstand, dass die Vertrauensperson des Betroffenen weder den Haftaufhebungsantrag noch die Beschwerde begründet hat, ist für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ohne Belang und hat grundsätzlich auch für die Begründetheit des Rechtsmittels keine Bedeutung.

13a) Nach § 65 Abs. 1 FamFG soll die Beschwerde begründet werden. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Norm als Sollvorschrift führt eine fehlende Begründung nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, BT-Drucks. 16/6308, S. 206; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 65 Rn. 4 mwN).

14b) Die Beschwerde darf auch nicht als unbegründet zurückgewiesen werden, weil ihr die Begründung fehlt.

15Zwar kann der Beschwerdeführer dadurch, dass er die Beschwerde entgegen § 65 Abs. 1 FamFG nicht begründet, gegen seine Mitwirkungspflicht aus § 27 FamFG verstoßen, die über § 69 Abs. 3 FamFG auch in der Beschwerdeinstanz gilt (vgl. Abramenko in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 65 Rn. 3). Ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht enthebt das Gericht indes nicht von seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts. Vielmehr hat es auch bei fehlender Mitwirkung eines Beteiligten grundsätzlich die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen von Amts wegen festzustellen (vgl. Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 65 Rn. 4; Prütting in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 27 Rn. 8; Bartels in Jox/Fröschle, Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsverfahren, 4. Aufl., § 65 FamFG Rn. 1).

16IV. Die Entscheidung zu den Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GNotKG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:230321BXIIIZB24.20.0

Fundstelle(n):
JAAAH-86729