BGH Beschluss v. - XII ZB 97/21

Unterbringungssache: Gegenstand des Beschwerdeverfahrens; zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Unterbringung als unterschiedliche Verfahrensgegenstände

Leitsatz

1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens kann grundsätzlich nur der Verfahrensgegenstand sein, über den im ersten Rechtszug entschieden worden ist (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 240/10, FamRZ 2011, 367; vom - XII ZB 671/10, FamRZ 2011, 1143 und vom - XII ZB 43/11, FamRZ 2011, 1289).

2. Bei der zivilrechtlichen Unterbringung gemäß § 1906 BGB und der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach den Landesgesetzen - hier nach §§ 10 ff. PsychKG NRW - handelt es sich um unterschiedliche Verfahrensgegenstände. Wenn das Landgericht die Beschwerdezurückweisung auf eine öffentlich-rechtliche Unterbringung stützt, obwohl das Amtsgericht eine zivilrechtliche Unterbringung genehmigt hat, tauscht es die Verfahrensgegenstände in unzulässiger Weise aus.

Gesetze: § 1906 Abs 1 Nr 1 BGB, § 10 PsychKG NW, §§ 10ff PsychKG NW, § 11 PsychKG NW, § 12 PsychKG NW, § 37 Abs 2 FamFG, § 68 Abs 3 S 2 FamFG

Instanzenzug: LG Mönchengladbach Az: 5 T 30/21vorgehend AG Erkelenz Az: 10 XVII 602/19

Gründe

I.

1Für die im Jahr 1966 geborene Betroffene, die nach den getroffenen Feststellungen an einer organischen Persönlichkeitsstörung, einer organisch affektiven Störung, einem Alkoholabhängigkeitssyndrom und einem primär cerebralen malignen Lymphom frontal leidet, besteht eine Betreuung. Sie war seit mit gerichtlicher Genehmigung, befristet bis , zivilrechtlich untergebracht.

2Auf den im November 2020 gestellten Antrag des Betreuers (Beteiligter zu 2) hat das die weitere geschlossene Unterbringung der Betroffenen bis längstens genehmigt und dies mit einer Selbstgefährdung der Betroffenen im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB begründet. Das Landgericht hat die - im Tenor unzutreffend als „sofortige“ bezeichnete - Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen und dies ausschließlich darauf gestützt, dass die Voraussetzungen einer geschlossenen Unterbringung gemäß § 11 PsychKG NRW vorlägen.

3Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

4Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Landgerichts.

51. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, hat das Landgericht den Verfahrensgegenstand des Beschwerdeverfahrens verkannt und seine Zurückweisungsentscheidung rechtsfehlerhaft mit dem Vorliegen der Voraussetzungen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung begründet, nicht aber geprüft, ob eine zivilrechtliche Unterbringung der Betroffenen zu genehmigen ist.

6Gegenstand des Beschwerdeverfahrens kann grundsätzlich nur der Verfahrensgegenstand sein, über den im ersten Rechtszug entschieden worden ist. Das ergibt sich aus dem Wesen des Rechtsmittelverfahrens, das notwendigerweise keine andere Angelegenheit betreffen darf als diejenige, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gewesen ist (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 240/10 - FamRZ 2011, 367 Rn. 7; vom - XII ZB 671/10 - FamRZ 2011, 1143 Rn. 12 und vom - XII ZB 43/11 - FamRZ 2011, 1289 Rn. 11). Nur in diesem Umfang erwächst dem Beschwerdegericht eine Entscheidungskompetenz.

7Bei der zivilrechtlichen Unterbringung gemäß § 1906 BGB und der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach den Landesgesetzen - hier nach §§ 10 ff. PsychKG NRW - handelt es sich jedoch um unterschiedliche Verfahrensgegenstände. Das folgt schon daraus, dass § 1906 BGB die Unterbringung durch einen Betreuer regelt, während die öffentlich-rechtliche Unterbringung auf Antrag der zuständigen Behörde - in Nordrhein-Westfalen gemäß § 12 Satz 1 PsychKG NRW der örtlichen Ordnungsbehörde - vom Gericht angeordnet wird. Die beiden Unterbringungsarten unterscheiden sich zudem in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen und auch in der Ausgestaltung (vgl. etwa Grotkopp in Bahrenfuss FamFG 3. Aufl. § 312 Rn. 19 ff.).

8Mit seinem Beschluss hat das Landgericht letztlich nicht die von der Betroffenen angegriffene Unterbringungsgenehmigung überprüft, sondern durch eine öffentlich-rechtliche Unterbringungsanordnung ersetzt und auf diese Weise den Verfahrensgegenstand unzulässig ausgetauscht. Schon deshalb kann die Beschwerdeentscheidung keinen rechtlichen Bestand haben.

92. Im Übrigen hält der angefochtene Beschluss zum einen auch den weiteren Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Zum anderen enthält er nicht die erforderlichen Feststellungen für eine Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB.

10a) Die Rechtsbeschwerde weist mit Recht darauf hin, dass die Verwertung des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens rechtsfehlerhaft erfolgt ist und das Landgericht nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen im Beschwerdeverfahren absehen durfte.

11aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut dem Betroffenen im Hinblick auf seine Verfahrensfähigkeit (§ 316 FamFG) grundsätzlich rechtzeitig vor dem Anhörungstermin zu überlassen, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu diesem und den sich hieraus ergebenden Umständen zu äußern. Wird das Gutachten dem Betroffenen nicht ausgehändigt, verletzt das Verfahren ihn grundsätzlich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GG (Senatsbeschluss vom - XII ZB 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 8 mwN). Von diesen Vorgaben kann nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden. Liegen diese vor, kann durch die Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn zusätzlich die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht. Letzteres setzt in der Regel einen entsprechenden Hinweis des Betreuungsgerichts an den Verfahrenspfleger voraus (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 153/20 - FamRZ 2021, 385 Rn. 13 mwN).

12Dem wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend ausführt, hat das Amtsgericht das Sachverständigengutachten nicht an die Betroffene, sondern nur an den Verfahrenspfleger und den Betreuer hinausgegeben; der Akte lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Betroffene das Gutachten in seinem vollen Wortlaut anderweitig erhalten hätte. Der Sachverständige hat zwar ausgeführt, zur Vermeidung erheblicher Nachteile für die Gesundheit der Betroffenen sei es erforderlich, von der Bekanntgabe des Gutachtens an sie abzusehen, so dass § 325 FamFG entsprechende Anwendung finden konnte. Den getroffenen Feststellungen und den Gerichtsakten lässt sich jedoch weder ein Hinweis an den Verfahrenspfleger entnehmen, das Sachverständigengutachten mit der Betroffenen zu besprechen, noch dass der Verfahrenspfleger trotz Unterbleibens dieses Hinweises eine solche Besprechung vorgenommen hat. Deshalb ist rechtsbeschwerderechtlich davon auszugehen, dass dies nicht geschehen ist. Der darin liegende Verfahrensfehler ist auch im Beschwerdeverfahren nicht behoben worden. Das Beschwerdegericht hat nicht festgestellt und es ist auch nicht aus den Gerichtsakten ersichtlich, dass der Betroffenen das Sachverständigengutachten im Beschwerdeverfahren zur Verfügung gestanden oder der Verfahrenspfleger es mit ihr besprochen hat.

13bb) Die Rechtsbeschwerde rügt weiter zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer erneuten Anhörung der Betroffenen absehen durfte, weil die im ersten Rechtszug erfolgte Anhörung schon wegen der nicht erfolgten Aushändigung des Gutachtens an sie bzw. wegen dessen unterbliebenen Besprechung mit dem Verfahrenspfleger verfahrensfehlerhaft war (vgl. etwa Senatsbeschluss vom - XII ZB 153/20 - FamRZ 2021, 385 Rn. 19 mwN).

14b) Die Erwägungen des Landgerichts können die Genehmigung einer Unterbringung der Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB im Übrigen auch materiell-rechtlich nicht tragen. Die zivilrechtliche Unterbringung eines Betroffenen setzt voraus, dass er aufgrund seiner psychischen Krankheit oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschluss vom - XII ZB 183/20 - NJW-RR 2021, 3 Rn. 11 mwN). Hierzu finden sich weder im Beschluss des Amtsgerichts noch in der Beschwerdeentscheidung tragfähige Feststellungen. Das Landgericht erwähnt lediglich „Defizite ihrer Kritik- und Urteilsfähigkeit“ und „nicht hinreichend vorliegende Einsicht in ihre Hilfsbedürftigkeit“, das Amtsgericht zitiert die Sachverständige mit der „tief defizitären, fast aufgehobenen Kritik- und Urteilsfähigkeit“ der Betroffenen. Die durch ein Sachverständigengutachten gesicherte Feststellung, dass es der Betroffenen am freien Willen fehlt, lässt sich dem nicht entnehmen.

153. Der angefochtene Beschluss ist daher gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist. Dabei macht der Senat von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch.

16Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:090621BXIIZB97.21.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2021 S. 1081 Nr. 17
PAAAH-86646