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BGH Beschluss v. - XII ZB 545/20

Betreuungssache: Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers; Voraussetzung der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts

Leitsatz

1. Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 25/20, FamRZ 2020, 1588 Rn. 9 m.w.N.).

2. Für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge muss eine konkrete Gefahr des Vermögens des Betroffenen durch sein aktives Tun festgestellt werden, indem er etwa vermögenserhaltende und -schützende Maßnahmen des Betreuers konterkariert oder andere vermögensschädigende Maßnahmen trifft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 10/18, FamRZ 2018, 1770).

Gesetze: § 1896 Abs 2 S 1 BGB, § 1903 BGB

Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 3 T 447/20vorgehend AG Freiberg Az: 2 XVII 615/12

Gründe

I.

1Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung der für ihn eingerichteten Betreuung.

2Nach den Feststellungen der Instanzgerichte leidet er an einem hirnorganischen Psychosyndrom mit Hirnleistungsdefiziten, einer organischen Wesensänderung und wahnhafter Erlebnisverarbeitung bei einem Zustand nach einem Schädel-Hirn-Trauma und einem zerebralen Insult. Für den Betroffenen wurde erstmals im Jahr 2013 ein Betreuer eingesetzt. Gegenwärtig erstreckt sich die Betreuung auf die Aufgabenbereiche Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt, Gesundheitssorge und Vertretung vor Ämtern und Behörden, Aufenthaltsbestimmung und Postverkehr.

3Das Amtsgericht hat die Betreuung verlängert und entschieden, dass spätestens bis zum über eine Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung zu beschließen sei. Das Landgericht hat die hiergegen von dem Betroffenen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet er sich mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

51. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

6Das Sachverständigengutachten habe die Kammer in der mündlichen Anhörung bestätigt gefunden. Aufgrund seiner Erkrankung sei der Betroffene nicht mehr in der Lage, in dem übertragenen Aufgabenkreis eigenverantwortlich zu handeln. Insoweit habe sich das Krankheitsbild in den letzten Jahren nicht geändert. Auch ein Betreuerwechsel komme nicht in Betracht. Die Schwierigkeiten des Betroffenen lägen nicht in der Person des Betreuers, sondern in der Einrichtung der Betreuung. Die Beschwerde des Betroffenen sei daher als unbegründet zurückzuweisen.

72. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8a) Entgegen der Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde genügen die Feststellungen zum fehlenden freien Willen allerdings den Anforderungen des § 1896 Abs. 1a BGB.

9Der Sachverständige hat festgestellt, der Betroffene sei hinsichtlich der Einrichtung der Betreuung zu einer freien Willensbildung nicht ausreichend in der Lage. Ergänzend hierzu hat er ausgeführt, dass der Betroffene nicht in der Lage sei, Vor- und Nachteile in diesem Zusammenhang adäquat gegeneinander abzuwägen. Zudem hat der Sachverständige festgestellt, dass der Betroffene keine Krankheitseinsicht habe. Das genügt für die Feststellung eines fehlenden freien Willens. Denn ohne Krankheitseinsicht ist der Betroffene nicht in der Lage, die für oder gegen eine Betreuung sprechenden Gesichtspunkte abzuwägen, und kann daher auch keinen freien Willen im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB bilden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 504/19 - FamRZ 2020, 1219 Rn. 18 mwN).

10b) Jedoch fehlt es der äußerst knappen Begründung des Landgerichts an den erforderlichen Feststellungen zur Notwendigkeit der einzelnen Aufgabenbereiche i.S.v. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB.

11aa) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (Senatsbeschluss vom - XII ZB 25/20 - FamRZ 2020, 1588 Rn. 9 mwN).

12bb) Diesen Anforderungen ist das Landgericht mit seiner Entscheidung nicht gerecht geworden. Weder der Beschluss des Landgerichts noch der - von ihm in Bezug genommene - Beschluss des Amtsgerichts enthalten hierzu eigene Feststellungen.

13Das Landgericht lässt insoweit jede Begründung vermissen. Zwar erwähnt der Sachverständige, dessen Gutachten vom Landgericht ebenfalls in Bezug genommen worden ist, dass der Betroffene in den Bereichen Gesundheitssorge, Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt, Wohnungsangelegenheiten, Behörden- und Rechtsangelegenheiten, Postangelegenheiten sowie Antragstellung auf Leistung aller Art seine rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen könne. Eine Begründung enthält das Gutachten insoweit allerdings nicht. Vielmehr beschränkt sich der Sachverständige auf die Erklärung, dass der Betroffene aufgrund des psychischen Krankheitsbildes auch weiterhin seine rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen könne. Hinzu kommt, dass der Sachverständige den Aufgabenbereich Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht einmal erwähnt hat. Auch lässt sich dem Sachverständigengutachten nicht entnehmen, inwieweit in diesen Bereichen jederzeit ein Handlungsbedarf auftreten kann.

14c) Erst recht hat das Landgericht die Erforderlichkeit des Einwilligungsvorbehalts nicht hinreichend begründet.

15aa) Nach § 1903 Abs. 1 BGB ordnet das Betreuungsgericht an, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf, soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist (Einwilligungsvorbehalt). Der Einwilligungsvorbehalt schützt den Betroffenen vor Vermögensgefährdungen durch eigenes, aktives Tun. Für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge muss daher eine konkrete Gefährdung des Vermögens des Betroffenen durch sein aktives Tun festgestellt werden, indem er etwa vermögenserhaltende und -schützende Maßnahmen des Betreuers konterkariert oder andere vermögensschädigende Maßnahmen trifft (Senatsbeschluss vom - XII ZB 10/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 25 mwN).

16bb) An solchen Feststellungen fehlt es. In dem vom Landgericht in Bezug genommenen Sachverständigengutachten ist lediglich ausgeführt, der Betroffene sei mit der Verwaltung seiner Finanzen sowie der Geldeinteilung überfordert. Zwar ergibt sich aus der Anhörung vor dem Amtsgericht, dass der Betroffene bei Beginn der Betreuung im Jahr 2013 Schulden in Höhe von rund 300.000 € angehäuft hatte. Insoweit lässt sich dem Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom entnehmen, dass das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Keine Feststellungen enthält die angefochtene Entscheidung allerdings zu der Frage, woraus die Schulden resultierten. Ferner ergibt sich aus der Anhörung, dass der Betreuer dem Betroffenen die ihm im Monat zustehenden 200 € in wöchentlichen Raten zu je 50 € zuteilt. Wie der Betroffene bei dieser Sachlage sein Vermögen konkret gefährden könnte, wird vom Landgericht aber nicht ansatzweise ausgeführt. Ebenso wenig ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, dass es in letzter Zeit zu Vermögensgefährdungen gekommen ist.

173. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil das Landgericht noch weitere Feststellungen zu treffen haben wird. Deshalb ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:090621BXIIZB545.20.0

Fundstelle(n):
LAAAH-86442