Strafurteil wegen schweren Raubs und gefährlicher Körperverletzung: Notwendige Feststellung zu einer verminderten Steuerungsfähigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 3 Promille zur Tatzeit
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 224 StGB, § 249 StGB, § 250 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: Az: 2610 Js 53785/19 - 10 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Seine auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Hingegen begegnen der Strafausspruch, die Ablehnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie die Anordnung der Einziehung von 720 € durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
31. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ablehnung einer zumindest erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4a) Das sachverständig beratene Landgericht hat unter Rückrechnung einer etwa 14 bis 15 Stunden nach der Tat entnommenen Blutprobe festgestellt, dass eine maximale Tatzeit-BAK von 3,2 Promille möglich sei. Diese im Rahmen der Rückrechnung erfolgte maximale BAK sei auch mit den vom Angeklagten angegebenen und ihm nicht zu widerlegenden Trinkmengen in Einklang zu bringen. Trotz dieser möglichen hohen Blutalkoholkonzentration gebe es gleichwohl keine Hinweise darauf, dass die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt oder die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aufgehoben oder erheblich vermindert gewesen sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Ausführungen zu der Rückrechnung unter Vorbehalt zu sehen seien. Aber auch unter Zugrundelegung dieser Blutalkoholkonzentration folge bei einer Tatanalyse nichts Gegenteiliges. Aus dem konkreten Tatablauf ergäben sich keine Hinweise auf eine relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit, zudem sprächen die vom Angeklagten über einen nicht unerheblichen Tatzeitraum gezeigten motorischen und kognitiven Leistungen dafür, dass Einsichts- und Steuerungsfähigkeit während der Tat erhalten geblieben seien. Dabei hat die Strafkammer in den Blick genommen, dass der Angeklagte eine präzise Erinnerung an das Tatgeschehen habe, nach der Tat unproblematisch in der Lage gewesen sei, vom Tatort zu fliehen, und vermieden habe, sich erneut zum Tatort zu begeben. Zudem stelle es eine hinreichende Reflektion der Örtlichkeiten dar, dass der Angeklagte bewusst den Teleskopschlagstock aus dem PKW geholt und eingesteckt habe, um für eine aus seiner Sicht denkbare bedrohliche Situation gewappnet zu sein. Dies setze zudem die Fähigkeit voraus, vorausschauend zielgerichtet im Sinne des Eigenschutzes zu handeln. Auch habe das konkrete Tatgeschehen gewisse motorische und bestimmte kognitive Fähigkeiten (Erkennen der konkreten Situation und „sinnvolle“ Umsetzung des Tatentschlusses einschließlich der Flucht) erforderlich gemacht. Ausfallerscheinungen seien nicht festzustellen gewesen. Der Zeuge I. habe ausgeführt, der Angeklagte sei „völlig normal“ gewesen und „ganz ruhig reingekommen“. Zwei weitere Zeugen hätten keine Verhaltensauffälligkeiten feststellen können. Auch die Zeugin A. , die den Angeklagten seit dem Jahre 2016 persönlich kenne, beschrieb den Angeklagten lediglich als „angetrunken“, wobei „richtig betrunken“ jemand sei, der nicht mehr geradeaus laufen könne.
5b) Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
6aa) Eine Blutalkoholkonzentration von mehr als drei Promille, die hier bei dem Angeklagten sowohl in Anbetracht der Rückrechnung durch den Sachverständigen wie auch mit Blick auf eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration anhand der Trinkmengenangaben des Angeklagten in Betracht kommt, legt die Annahme einer erheblichen Herabsetzung des Hemmungsvermögens zur Tatzeit nahe (vgl. Senat, NJW 2015, 3525, 3526; NStZ-RR 2016, 103, 104). Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss (BGHSt 43, 66, 72 f.; 57, 247, 250), ist der im Einzelfall festzustellende Wert doch immerhin ein gewichtiges Beweisanzeichen für eine erhebliche alkoholische Beeinflussung. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Wirkungen einer Alkoholaufnahme individuell verschieden sind (s. Wendt/Kröber in Kröber/Dölling/Leygraf/Saß [Hrsg.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 240, 249). Je höher dieser Wert ist, umso näher liegt die Annahme einer zumindest erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit. Maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, ist dementsprechend eine Gesamtwürdigung, in die sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen sind. Bei einer starken Alkoholisierung lässt sich erheblich verminderte Schuldfähigkeit nur ausschließen, wenn gewichtige Anzeichen für den Erhalt des Hemmungsvermögens sprechen (BGH NStZ-RR 1998, 107; NJW 2015, 3525, 3526; NStZ-RR 2016, 103, 104).
7bb) Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen der Strafkammer nicht.
8Die Würdigung des Landgerichts, die zudem die Höhe der Blutalkoholkonzentration als bloßen Anhaltspunkt in die von ihr vorgenommene Gesamtbetrachtung von Tat und Täter einstellt, stellt sich mit Blick auf die dabei berücksichtigten psychodiagnostischen Kriterien als nicht tragfähig dar. Als gegen die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit sprechende psychodiagnostische Beurteilungskriterien kommen dabei nur solche Umstände in Betracht, die verlässliche Hinweise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung voll erhalten geblieben ist (BGH NStZ 1997, 591, 592; NJW 2015, 3525, 3526). Wesentlichen vom Landgericht herangezogenen Umständen kommt eine solche Bedeutung nicht oder nur in eingeschränktem Umfang zu. Dass der Angeklagte seinen Tatentschluss und die Flucht „sinnvoll“ umgesetzt hat, stellt sich als bloße Verwirklichung des Tatvorsatzes dar, mit dem Einsatz von Gewalt an die Tageseinnahmen der Bar zu gelangen; daraus lassen sich regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse in Bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Täters gewinnen (BGH NJW 2015, 3525, 3526). Dies gilt auch mit Blick darauf, dass ein Täter, wie hier der Angeklagte, nach der Tatbegehung flüchtet (vgl. BGH NStZ 1984, 259). Das Fehlen von Ausfallerscheinungen oder alkoholbedingten Einschränkungen, das die Strafkammer in verschiedener Weise heranzieht, kann zwar grundsätzlich gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sprechen; doch ist bei - wie hier - alkoholgewöhnten Tätern zu berücksichtigen, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit durchaus weit auseinander fallen können (vgl. BGH NStZ 2007, 696; NStZ 2015, 634; NJW 2015, 3525, 3526) und sich gerade bei Alkoholikern oft eine durch "Übung" erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten zeigt (BGH StV 2012, 281; NJW 2015, 3525; StV 2019, 237). Dass dies selbst bei extrem hoher Blutalkoholkonzentration zu äußerer Unauffälligkeit führen kann, hat das Landgericht, das an anderer Stelle lediglich ohne nähere Erläuterung anführt, der Sachverständige habe bei seiner Wertung auch berücksichtigt, dass der Angeklagte trinkgewohnt sei, nicht erkennbar bedacht oder erwogen. Schließlich übersieht die Strafkammer bei ihrer Wertung, es fehle an Ausfallerscheinungen, dass der Angeklagte nach Rückkehr in seine Wohnung zu Bett gegangen ist und dabei auf die Hilfe der Zeugin A. angewiesen war. Dieser Umstand deutet jedenfalls darauf hin, dass der Angeklagte einige Zeit nach der Tat auch in seinen motorischen Fähigkeiten eingeschränkt war, und hätte in die Gesamtabwägung der Kammer ebenso eingestellt werden müssen wie - mit sicher geringerem Gewicht - die Einschätzung der Zeugin A. , der Angeklagte sei „angetrunken“ gewesen. Angesichts ihrer weiteren Erläuterung, „richtig betrunken“ sei für sie jemand, der nicht mehr geradeaus laufen könne, ist ihre Angabe jedenfalls nicht ohne jede Bedeutung.
9cc) Mit Blick auf die dargelegten Würdigungsmängel kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei ordnungsgemäßer Abwägung zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB gelangt und aufgrund dessen eine mildere Strafe verhängt hätte. Der Strafausspruch ist deshalb aufzuheben.
10dd) Die Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung, zweckmäßigerweise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen. Im Übrigen schließt der Senat angesichts des festgestellten Leistungsbildes aus, dass der Angeklagte im Zustand aufgehobener Steuerungsfähigkeit gehandelt hat.
112. Auch die Ablehnung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt ist rechtsfehlerhaft. Mit nicht tragfähiger Begründung hat die Strafkammer einen Hang des Angeklagten im Sinne von § 64 StGB abgelehnt. Dazu hat es ausgeführt, dass bei dem Angeklagten zwar ein schädlicher Gebrauch von Alkohol und Kokain vorliege, dieser Missbrauch jedoch in beiden Fällen vom Ausmaß her nicht die Kriterien einer überdauernden Störung im Sinne einer Abhängigkeit und somit des Eingangskriteriums des § 20 StGB erfülle.
12Für einen Hang im Sinne von § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (st. Rspr.; vgl. nur Senat NStZ-RR 2020, 37, 38). Nicht erforderlich ist das Vorliegen eines Eingangsmerkmals nach § 21 StGB; auch gegen einen voll schuldfähigen kann eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet werden (BGH StV 2019, 262). Die Ausführungen des Landgerichts lassen besorgen, dass die Strafkammer ihrer Prüfung des § 64 StGB ein zu enges Verständnis des § 64 StGB zugrunde gelegt hat. Da der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung einen Hang angenommen hätte und im Übrigen auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB nicht von vornherein verneint werden können, bedarf die Sache auch im Hinblick auf die Maßregelentscheidung neuer Verhandlung und Entscheidung.
133. Schließlich hält auch die Einziehung von 720 € einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach der vom Landgericht ergänzend im Tenor getroffenen Feststellung, dieser Betrag sei bereits vollständig an den Nebenkläger ausgekehrt worden, ist der Anspruch des Nebenklägers auf Ersatz des Erlangten bzw. dessen Wertes erloschen, eine Einziehung deshalb nach § 73e Abs. 1 StGB ausgeschlossen. Die Einziehungsanordnung hat zu entfallen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:110521B2STR448.20.0
Fundstelle(n):
LAAAH-86160