BSG Beschluss v. - B 13 R 276/20 B

(Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Gehörsrüge - Widerruf der Erklärung über die Rücknahme einer Berufung - unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG)

Gesetze: § 62 SGG, § 106 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 179 Abs 1 SGG, § 179 Abs 2 SGG, § 139 Abs 2 ZPO, § 578 ZPO, §§ 578ff ZPO, § 586 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: S 36 R 1801/15 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 3 R 90/20 Beschluss

Gründe

1I. Das festgestellt, dass der Rechtsstreit über die Berufung des Klägers gegen das durch Rücknahme der Berufung am erledigt ist.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Telefax vom Beschwerde beim BSG eingelegt und Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten beantragt. Mit dem Kläger am zugestellten Beschluss vom hat der erkennende Senat dessen Antrag auf PKH sowie auf Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten mangels Erfolgsaussichten abgelehnt und die nicht formwirksam eingelegte Beschwerde verworfen.

3Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom erneut Beschwerde beim BSG eingelegt und Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist beantragt. Zur Begründung der Beschwerde beruft er sich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

4II. Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Insbesondere fehlt es an der hinreichenden Bezeichnung der allein geltend gemachten Verfahrensmängel.

5Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; - SozR 1500 § 160 Nr 33; - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23).

6Die vom Kläger allein geltend gemachten Verfahrensmängel wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund ungenügender Hinweise auf die Folgen einer Berufungsrücknahme und fehlerhafter Anhörung vor einer Entscheidung im Beschlusswege (§ 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG, § 106 Abs 1 bzw § 153 Abs 4 Satz 2 SGG) werden nicht hinreichend bezeichnet. Hierfür fehlt es in der Beschwerdebegründung vom - wie auch den vorangehenden Schriftsätzen - schon an einer - zumindest knappen - Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Vorliegend wird bereits der ursprüngliche Gegenstand des Rechtsstreits nicht kenntlich gemacht. Zugleich fehlt eine geordnete Darstellung von Ablauf und Inhalt des Berufungsverfahrens, die gerade im Hinblick auf die konkret geltend gemachten Verfahrensmängel notwendig gewesen wäre. Ein Verfahrensmangel wird jedoch nur dann iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Demgegenüber ist es nicht Aufgabe des erkennenden Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung des LSG herauszusuchen (vgl - juris RdNr 8 mwN; - juris RdNr 3 f).

7Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen an die Bezeichnung der geltend gemachten Verfahrensmängel aber auch aus anderen Gründen nicht. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger die gerichtliche Hinweispflicht nach § 139 Abs 2 ZPO (für das sozialgerichtliche Verfahren zutreffender § 62 iVm § 106 Abs 1 SGG) verletzt sieht, weil er in der mündlichen Verhandlung vom nach Erörterung der Sach- und Rechtslage die Berufung zurückgenommen habe ohne zuvor darauf hingewiesen worden zu sein, dass dies eine endgültige Erklärung darstelle. Er habe das Gericht so verstanden, dass ihm eine große Kostenlast auferlegt werde, wenn er die Berufung nicht zurücknehme. Die Folgen seiner Erklärung seien ihm erst durch ein späteres Schreiben des Gerichts bewusst geworden. Anders als für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels erforderlich wird damit aber nicht erkennbar, weshalb das LSG aufgrund dieser Umstände im angegriffenen Beschluss vom zu einem anderen Ergebnis als der ausgesprochenen Feststellung der Erledigung der Berufung durch Rücknahme hätte kommen können. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Berufungsrücknahme wie auch die Klagerücknahme als Prozesshandlungen grundsätzlich unwiderruflich und nicht wegen Irrtums anfechtbar sind (vgl - juris RdNr 18; vgl auch 9/10 RV 31/77 - SozR 1500 § 102 Nr 2 - juris RdNr 12; - juris RdNr 14 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 156 RdNr 2a; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 156 RdNr 37 ff, Stand , mwN). Die Rücknahmeerklärung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 179 Abs 1 SGG iVm § 578 ff ZPO bzw § 179 Abs 2 SGG) erfüllt sind und die Notfrist von einem Monat (§ 586 ZPO) eingehalten wird ( 9/10 RV 31/77 - SozR 1500 § 102 Nr 2 - juris RdNr 15). Der Beschwerdebegründung vom - wie auch den vorangehenden Schriftsätzen des vom Kläger für das erneute Beschwerdeverfahren bestellten Prozessbevollmächtigten - sind keine Umstände zu entnehmen, aufgrund derer eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig sein könnte. Ebenso wenig werden Umstände mitgeteilt, die eine Berufung auf die Berufungsrücknahme als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen könnten, etwa weil der geltend gemachte Irrtum über die das Verfahren endgültig beendende Wirkung der Rücknahneerklärung für Beklagte und Gericht offensichtlich gewesen wäre (vgl hierzu - juris RdNr 9; - juris RdNr 20; Heßler in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 516 RdNr 9 mwN). Darüber hinaus ist diesen Schriftsätzen nicht zu entnehmen, dass ein Widerruf durch den Kläger innerhalb der Monatsfrist des § 586 ZPO erklärt wurde.

8Schließlich ist auch ein Verfahrensmangel der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen mangelhafter Anhörung zu einer Entscheidung durch Beschluss (§ 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG, § 153 Abs 4 Satz 2 SGG) nicht nur wegen der unzureichenden Sachverhaltsdarstellung nicht hinreichend bezeichnet. Zwar kann - wie der Senat bereits im Beschluss über den PKH-Antrag und die formunwirksame Beschwerde des Klägers vom (B 13 R 83/20 B) ausgeführt hat - ein Verfahrensmangel darin gesehen werden, dass das LSG in seiner Anhörungsmitteilung vom über das weitere Vorgehen nach § 153 Abs 4 SGG - Beschluss ohne mündliche Verhandlung - nicht ausdrücklich auf die beabsichtigte Entscheidung hingewiesen hat (zu diesem Erfordernis jedenfalls bei Naturalparteien vgl - SozR 3-1500 § 153 Nr 7 - juris RdNr 16; - SozR 3-1500 § 193 Nr 10 - juris RdNr 9; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 153 RdNr 105, Stand ). Die nicht in jeder Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG stellt eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung allerdings nicht zu unterstellen ist (vgl - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; - juris RdNr 8; - juris RdNr 14). Denn die unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung lässt die in § 153 Abs 4 Satz 1 SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des LSG, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht zwangsläufig entfallen. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn der Fehler den Betroffenen an Vorbringen gehindert hat, welches das LSG hätte veranlassen müssen, von einem Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG Abstand zu nehmen (vgl - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; - juris RdNr 14).

9Solches wird jedoch aus der Beschwerdebegründung nicht erkennbar. Vielmehr räumt der Kläger ausdrücklich ein, er habe noch versucht, seine Argumente vorzutragen. Zwar macht er geltend, bei einem ordnungsgemäßen Anhörungsschreiben des Gerichts hätte er "möglicherweise Rechtsbeistand gesucht, um rechtliche Erwägungen zur tatsächlichen Problematik vorzutragen". Jedoch wird mit Ausnahme der insoweit ungeeigneten Ausführungen im Rahmen der oben behandelten Rüge einer Hinweispflichtverletzung nicht einmal angedeutet, durch welche rechtlichen Erwägungen bei den Berufsrichtern des LSG Zweifel an der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme und der Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung hierüber hätten entstehen können. Jedenfalls in Konstellationen wie der vorliegenden steht einer solchen Anforderung der vom Kläger benannte Beschluss des Senats vom (B 13 R 37/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 5 RdNr 10) nicht entgegen, wonach bei einer Verletzung des § 153 Abs 4 SGG keine näheren Ausführungen dazu erforderlich sind, was in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden wäre.

10Dass der Kläger die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).

11Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

12Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

13Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:090421BB13R27620B0

Fundstelle(n):
IAAAH-83060