Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Darlegung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen Anlasstat und psychischer Störung im Urteil; Berücksichtigung nicht verfahrensgegenständlicher Taten bei der Gefährlichkeitsprognose
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Freiburg (Breisgau) Az: 15 KLs 141 Js 33795/19 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den heranwachsenden Angeklagten von sämtlichen Tatvorwürfen, insbesondere der versuchten gefährlichen Körperverletzung, freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB, § 105 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 JGG). Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Der Maßregelausspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand:
3a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrige Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 273/20 Rn. 11; vom - 1 StR 93/20 Rn. 10 und vom - 4 StR 419/14 Rn. 14; je mwN).
4b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil weder zum symptomatischen Zusammenhang (dazu unter aa) noch zur Gefährlichkeitsprognose (dazu unter bb) gerecht.
5aa) Zwar ist die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F20) rechtsfehlerfrei festgestellt. Indes bleibt offen, wie sich diese krankhafte seelische Störung auf die Begehung der gewichtigsten Anlasstat (vgl. UA S. 18), der versuchten gefährlichen Körperverletzung vom (Tat 4), und auf die zeitlich unmittelbar nachfolgende Tat, den tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Tat 5), sowie auf die Tat vom (Tat 1) auswirkte. Auch insoweit wäre die konkretisierende Darlegung erforderlich gewesen, in welcher Weise die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten die Handlungsmöglichkeit des Angeklagten in der Tatsituation und damit dessen Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit beeinflusste (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 449/20 Rn. 17 und vom - 4 StR 147/20 Rn. 14; je mwN).
6In der Einleitung zu den Sachverhaltsfeststellungen wird nur allgemein festgehalten, infolge der überdauernden Psychose im Zusammenwirken mit dem konsumierten Alkohol, den der Angeklagte vor allem trank, um ʺdie Stimmen in seinem Kopf [zu] verdrängenʺ (UA S. 4) und der lediglich auslösender Faktor war (vgl. dazu Rn. 7 mwN), sei die Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt gewesen. In der Beweiswürdigung wird dazu näher ausgeführt, der Angeklagte missdeute regelmäßig das Verhalten anderer als rechtswidrigen Angriff infolge psychotischer Dekompensation aufgrund seiner paranoiden Grundhaltung (UA S. 15). Diese auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützte Wertung des Landgerichts, auch die Taten 1, 4 und 5 seien Ausdruck der psychischen Erkrankung des Angeklagten, ist nicht tragfähig belegt. Inwieweit die psychische Erkrankung die Tatbegehungen bedingt haben könnte, wird nicht näher begründet, sondern lediglich als Ergebnis der Beurteilung durch den Sachverständigen zugrunde gelegt. Besondere, nicht mehr ʺnormalpsychologischʺ zu erklärende Auffälligkeiten des Angeklagten sind bei diesen drei Taten - anders als etwa bei der Tat 3 - nicht ersichtlich; weder der Zeuge Z. noch der Polizeibeamte T. haben Besonderheiten im Verhalten des Angeklagten geschildert, die auf ein wahnhaftes Erleben schließen lassen könnten (vgl. UA S. 16). Insbesondere die Tat 4 ließe sich mit Wut und Rache über den vorangegangenen ʺRauswurfʺ aus der Kneipe sowie mit alkoholbedingter Enthemmung erklären (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 273/20 Rn. 11 und vom - 2 StR 121/20 Rn. 10).
7bb) Bei der Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht eine am begangene Vortat herangezogen. Nicht verfahrensgegenständliche Taten dürfen jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn sie ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 449/20 Rn. 20; vom - 4 StR 371/20 Rn. 18 und vom - 4 StR 390/20 Rn. 34; je mwN). Diese Einschränkung hat das Landgericht zwar nicht verkannt (UA S. 19). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat es gleichwohl für die von ihm in die Gefährlichkeitsprognose einbezogene Tat vom nicht belegt. Es bleibt offen, warum und mit welchem Gewicht es seine Prognose dennoch auch auf diese Vortat gestützt hat.
82. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Hingegen unterliegt auch der Freispruch der Aufhebung (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 429/20 Rn. 15 und vom - 4 StR 449/20 Rn. 22; je mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:090321B1STR15.21.0
Fundstelle(n):
CAAAH-82910