Strafverfahren: Verjährungsunterbrechende Wirkung der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft; Vorrang des Freispruchs vor der Einstellung des Verfahrens
Gesetze: § 206a StPO, § 260 Abs 1 StPO, § 260 Abs 3 StPO, § 78c Abs 1 Nr 10 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB
Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 1 Ks 210 Js 26130/95
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die auf eine Verurteilung wegen Mordes abzielende und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg, während die Revision des Angeklagten zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch führt.
21. Die Staatsanwaltschaft beanstandet erfolglos die der Ablehnung von Mordmerkmalen zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts. Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten zeigt sie mit ihrer Revision nicht auf. Dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend ist das Rechtsmittel deshalb als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
32. Die Revision des Angeklagten hat dagegen Erfolg.
4a) Wie das Landgericht in den Urteilsgründen selbst festgestellt hat, ist hinsichtlich der abgeurteilten Totschlagstaten Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist hierfür beträgt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB 20 Jahre. Die Verjährung begann mit Tatbeendigung am . Durch Erlass des Haftbefehls vom und eines Durchsuchungsbeschlusses am wurde die Verjährung zwar unterbrochen. Seitdem wurden aber bis September 2019 (Kenntnis vom Aufenthalt des bis dahin in Tschechien unter Alias-Personalien lebenden Angeklagten) keine weiteren verjährungsunterbrechenden Maßnahmen mehr getroffen. Weder die lediglich von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Einstellung des Verfahrens entsprechend § 205 StPO noch verschiedene Anordnungen zur Verlängerung der Ausschreibung zur Festnahme konnten die Verjährung unterbrechen, weil § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB die - hier nicht erfolgte - Erhebung der öffentlichen Klage voraussetzt und deshalb nur gerichtliche Einstellungen erfasst (vgl. , NStZ-RR 1996, 163). Mangels vorheriger Vernehmung oder Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens konnten auch verschiedene Sachverständigenbeauftragungen durch die Staatsanwaltschaft die Verjährung nicht nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB unterbrechen.
5b) Rechtsfolge ist in dieser Konstellation nicht die Einstellung des Verfahrens wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses, sondern der Freispruch des Angeklagten, weil der angeklagte schwerer wiegende Tatvorwurf des (unverjährten) Mordes nicht erweislich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 144/13, und vom - 2 StR 510/12; Urteil vom - 5 StR 14/04, BGHSt 50, 16, 30). Diesen Freispruch nimmt der Senat nach § 354 Abs. 1 StPO selbst vor.
63. Dem Senat obliegt in dieser Konstellation nach § 8 StrEG auch die Entscheidung über Entschädigungsleistungen, weil er die verfahrensbeendende Entscheidung trifft und keine weiteren Feststellungen hierzu mehr erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 378/07, StraFo 2008, 266; vom - 3 StR 437/12, StraFo 2015, 438, 439). Die Verfahrensbeteiligten sind durch den insoweit ausführlich begründeten Antrag des Generalbundesanwalts nach § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG (vgl. auch ) angehört worden, dem die Entscheidung des Senats entspricht.
7Entschädigung ist gemäß § 2 Abs. 1 StrEG nur für den letzten Tag der Untersuchungshaft zu gewähren. Im Übrigen ist eine Entschädigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahmen durch die rechtsfehlerfrei festgestellte rechtswidrige und schuldhafte Tötung zweier Menschen sowie seine anschließende Flucht nach Tschechien vorsätzlich bzw. grob fahrlässig selbst verursacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 396/79, BGHSt 29, 168, 171; vom - 4 StR 434/98, BGHR StrEG § 5 Abs. 2 Satz 1 Fahrlässigkeit, grobe 6). Insoweit ist nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung, sondern darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt den Ermittlungsbehörden bzw. Gerichten im Zeitpunkt der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Strafverfolgungsmaßnahme dargestellt hat (vgl. , bei Holtz MDR 1983, 450; , NStZ-RR 2013, 192 [LS]). Nach der im Urteil dargestellten Auffindesituation der beiden Leichen und den übrigen Umständen des Falls sind Staatsanwaltschaft und Gericht zunächst rechtsfehlerfrei vom dringenden Tatverdacht des Mordes in zwei Fällen ausgegangen, bis sich erst am Ende der Hauptverhandlung herausgestellt hat, dass Mordmerkmale aus Sicht der Schwurgerichtskammer nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können.
8Etwas anderes gilt nur für den letzten Tag der bis zum dauernden Untersuchungshaft. Nachdem das Landgericht in der abschließenden Beratung keine Mordmerkmale feststellen konnte, hätte es den Angeklagten am freisprechen und den Untersuchungshaftbefehl sogleich aufheben anstatt aufrechterhalten müssen. Diese - bei sorgfältiger Prüfung zu diesem Zeitpunkt ohne weiteres erkennbare - rechtsfehlerhafte Sachbehandlung hat zur Folge, dass für diesen einen Tag Untersuchungshaft Entschädigung zu gewähren ist (vgl. , NStZ-RR 2017, 264). Eine Versagung der Entschädigung nach dem insoweit nachrangigen § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG kommt in dieser Konstellation nicht in Betracht (vgl. BGH, aaO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:130421B5STR14.21.0
Fundstelle(n):
LAAAH-82907