BVerwG Urteil v. - 5 C 15/19 D

Verfahrensbeteiligung "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG

Leitsatz

1. Das verwaltungsgerichtliche Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren ist ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

2. Ein Träger der kommunalen Selbstverwaltung ist an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur dann "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG beteiligt, wenn er in diesem Verfahren sein Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend macht.

Gesetze: § 198 Abs 6 Nr 2 GVG, § 198 Abs 6 Nr 1 GVG, § 198 Abs 2 GVG, § 198 Abs 1 S 1 GVG, Art 28 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 164 VwGO, § 165 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 3 A 7.18 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten über eine Entschädigung für die überlange Dauer eines Kostenerinnerungsverfahrens, das sich an ein abgabenrechtliches Klageverfahren angeschlossen hat.

2Kläger ist der Bürgermeister der Stadt W., die Trägerin der örtlichen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung ist. Nach Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gegen einen von ihm in diesem Zusammenhang erlassenen Gebührenbescheid stellte er einen Kostenfestsetzungsantrag, über den die Urkundsbeamtin mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom entschied. Hiergegen leitete der Kläger mit Schriftsatz vom das Erinnerungsverfahren ein, woraufhin die Urkundsbeamtin mit Abhilfebeschluss vom einen weiteren Erstattungsbetrag zugunsten des Klägers festsetzte, eine von ihm geforderte Kostengrundentscheidung zu Lasten der Landeskasse aber verweigerte. Diese erging durch ergänzenden Beschluss vom , der am versandt wurde, nachdem der Kläger sie mehrfach angemahnt und schließlich Verzögerungsrüge erhoben hatte. Der Kläger hat im Juni 2018 bei dem Oberverwaltungsgericht Entschädigungsklage erhoben und wegen der aus seiner Sicht unangemessenen Dauer des Erinnerungsverfahrens von mindestens 31 Monaten von dem beklagten Land die Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile begehrt, die 3 100 € nicht unterschreiten soll. Das Erinnerungsverfahren habe innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können.

3Das Oberverwaltungsgericht hat die Entschädigungsklage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei zur Geltendmachung des Anspruchs gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht aktivlegitimiert, weil er nicht Verfahrensbeteiligter im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG sei. Träger der öffentlichen Verwaltung wie Gemeinden seien danach nur dann Verfahrensbeteiligte, wenn sie in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts am Verfahren beteiligt seien. Diese Voraussetzung sei nur gegeben, wenn das Selbstverwaltungsrecht - anders als hier - selbst Streitgegenstand des als überlang gerügten Ausgangsverfahrens gewesen sei.

4Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Entschädigungsbegehren weiter. Er trägt insbesondere vor, es sei nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG ausreichend, dass sich das streitige Rechtsverhältnis im gerichtlichen Verfahren auf die Ausübung eines Selbstverwaltungsrechts zurückführen lasse. Die Befugnis zur Heranziehung der Nutzer einer öffentlichen Einrichtung sei Teil der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG, sodass denklogisch nicht nur der Erlass des Gebührenbescheides, sondern auch dessen Verteidigung vor Gericht eine Wahrnehmung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung sei. Eine unangemessene Verfahrensdauer schädige außerdem die Refinanzierung der kommunalen Selbstverwaltungsträger, sodass deren Ausschluss vom Entschädigungsanspruch des § 198 GVG nicht nur dem Grundgedanken der Entschädigungsregelung widerspreche, sondern auch mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG in ihrer Ausprägung als kommunale Finanzhoheit nicht vereinbar sei. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei außerdem anerkannt, dass Art. 19 Abs. 4 GG auch für juristische Personen des öffentlichen Rechts gelte.

5Das beklagte Land verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Gründe

6Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I 1077), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 3256), auf Ausgleich eines immateriellen Nachteils wegen unangemessener Dauer des Kostenerinnerungsverfahrens zusteht. Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).

7Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier nicht erfüllt. Das Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren gemäß §§ 164 f. VwGO stellt zwar gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG entschädigungsrechtlich ein eigenständiges Gerichtsverfahren dar (1.). Der Kläger ist aber als Behörde einer Kommune für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nicht aktivlegitimiert, weil er kein Verfahrensbeteiligter im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG ist (2.).

81. Bei dem Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren gemäß §§ 164 f. VwGO handelt es sich nicht um ein unselbstständiges Annexverfahren zum vorangegangenen Klage- bzw. Hauptsacheverfahren, sondern um ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Danach ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Wie das Bundessozialgericht bereits wiederholt entschieden hat, stellt das sozialgerichtliche Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren als ein vom Hauptsacheverfahren abgrenzbares gerichtliches Verfahren mit eigenem Streitgegenstand, dessen Entscheidungen gesondert der Rechtskraft fähig sind, ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren dar (vgl. B 10 ÜG 8/13 R [ECLI:DE:BSG:2014:100714UB10UEG813R0] - SozR 4-1720 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 13 ff. und vom - B 10 ÜG 11/13 [ECLI:DE:BSG:2015:120215UB10UEG1113R0] - BSGE 118, 102 Rn. 23, jeweils m.w.N.). Für das verwaltungsgerichtliche Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren gilt nichts anderes. Der Senat schließt sich insofern der überzeugenden Begründung des Bundessozialgerichts an. Dafür spricht außerdem, dass das Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren eine eigenständige Bedeutung für die verfassungsrechtlich garantierte Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes im Hauptsacheverfahren hat (vgl. [ECLI:DE:BVerfG:2005:rk20050912.2bvr027705] - BVerfGK 6, 206 = juris Rn. 14 f.). Dieser Bezug zum effektiven Rechtsschutz war - mit dem "umgekehrten" zeitlichen Bezugspunkt des Verfahrensbeginns - für den Gesetzgeber bei der ausdrücklichen Nennung des Prozesskostenhilfeverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG leitend (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 23). In gleicher Weise besteht ein Interesse an einem zeitgerechten Verfahrensabschluss auch für das sich an das Klage- bzw. Hauptsacheverfahren anschließende Kostenfestsetzungsverfahren.

9Die Begrenzung der Entschädigungsklage auf den Nachteil, dessen Ausgleich der Kläger wegen der aus seiner Sicht unangemessenen Dauer des mit Schriftsatz vom eingeleiteten Erinnerungsverfahrens gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom begehrt, ist auch prozessrechtlich zulässig. Die Beschränkung des Anspruchs auf Ausgleich des Nachteils für einen Verfahrenszug - hier das Erinnerungsverfahren - ist auf der Grundlage der auch im Entschädigungsverfahren geltenden Dispositionsmaxime zulässig, weil sie sich auf einen abtrennbaren Teil des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines über mehrere Instanzen geführten Gerichtsverfahrens bezieht. Materiellrechtlich bleibt als Bezugsrahmen für die Begründetheit des Entschädigungsanspruchs dagegen das gesamte Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren von dessen Einleitung durch den Kostenfestsetzungsantrag bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss im Erinnerungsverfahren maßgeblich (vgl. 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 16 ff., 60 f. und vom - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 12, jeweils m.w.N.).

102. Dem Kläger fehlt für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch aber die Anspruchsberechtigung, weil er nicht gem. § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG Verfahrensbeteiligter des als überlang gerügten Ausgangsverfahrens gewesen ist.

11Nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG ist Verfahrensbeteiligter (im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind. Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass der Kläger als Bürgermeister einer Stadt ein Träger öffentlicher Verwaltung im Sinne der Regelung ist. Die allein streitige Frage, ob er am Ausgangsverfahren gem. § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts beteiligt war, ist zu verneinen. Die Stadt, deren Behörde der Kläger ist, verfügt zwar über ein Selbstverwaltungsrecht im Sinne dieser Vorschrift (a). Ihre Beteiligung an dem als überlang gerügten Erinnerungsverfahren stellt sich jedoch nicht als Wahrnehmung des Selbstverwaltungsrechts im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG dar (b).

12a) Auf die Rückausnahme des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG können sich grundsätzlich alle Körperschaften des öffentlichen Rechts berufen, denen ein Selbstverwaltungsrecht eingeräumt worden ist. Das gilt unabhängig davon, ob das Selbstverwaltungsrecht - wie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG für die Gemeinden und damit für die klagende Stadt - (auch) verfassungsunmittelbar geregelt, aus Grundrechten - wie zum Beispiel bei Universitäten (aus Art. 5 Abs. 3 GG) oder Rundfunkanstalten (aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) - abgeleitet wird oder nur einfachrechtlich begründet ist (vgl. zur Herleitung, dass auch ein nur einfachgesetzlich gewährleistetes Selbstverwaltungsrecht, wie es kommunalen Zweckverbänden gewährt ist, ausreicht: 5 C 16.19 D und 5 C 17.19 D < zur Veröffentlichung vorgesehen > jeweils Rn. 9 ff.).

13b) Ein Träger der kommunalen Selbstverwaltung ist aber an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur dann "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG beteiligt, wenn er in diesem Verfahren sein Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend macht.

14aa) Dieses Auslegungsergebnis lässt sich allerdings nicht schon damit begründen, die genannte Formulierung des Gesetzes sei eng auszulegen, weil es sich dabei um eine (Rück-)Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass nach § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG Verfassungsorgane, Träger öffentlicher Verwaltung und sonstige staatliche Stellen von dem Entschädigungsanspruch ausgenommen sind. Denn auch Ausnahmevorschriften sind nicht generell eng auszulegen. Ihre Interpretation folgt vielmehr den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, sodass auch diese Vorschriften je nach der ihnen innewohnenden Zweckrichtung einer einschränkenden oder ausdehnenden Auslegung zugänglich sind ( 9 C 73.95 - BVerwGE 100, 23 <30> und vom - 5 C 9.19 [ECLI:DE:BVerwG:2020:111220U5C9.19.0] - juris Rn. 30 m.w.N.).

15bb) Das Gesetzesverständnis, dass eine Kommune in einem verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren ein Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend machen muss, um gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG als Verfahrensbeteiligte im entschädigungsrechtlichen Sinne zu gelten, folgt aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dieser Vorschrift.

16(1) Dafür spricht in gewichtiger Weise bereits die grammatikalische Auslegung des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG. Ein Recht - hier das Selbstverwaltungsrecht - in einem Gerichtsverfahren "wahrzunehmen", meint dem Wortsinn nach, dieses Recht in diesem Verfahren geltend zu machen, es zu verteidigen bzw. von ihm Gebrauch zu machen. Das Selbstverwaltungsrecht als subjektive Rechtsstellung steht einem Träger öffentlicher Verwaltung nur im Verhältnis zu anderen staatlichen Stellen zu, sodass nur diese in das Selbstverwaltungsrecht eingreifen und es verletzen können. Eine "Wahrnehmung" des Selbstverwaltungsrechts im Sinne einer Geltendmachung oder Verteidigung desselben kommt deshalb bei Körperschaften, die - wie die Gemeinden - selbst Teil der organisierten Staatlichkeit sind, nur im Verhältnis zu anderen Trägern öffentlicher Gewalt in Betracht. Denn das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden verleiht diesen keine abwehrrechtlich geschützte Position gegenüber den Gemeindebürgern. Art. 28 Abs. 2 GG ist eine Kompetenzverteilungsgarantie im gewissermaßen innerstaatlichen Verhältnis der Kommunen zu ihrem Land oder zum Bund. Er betrifft aber nicht das Außenverhältnis der Kommunen zu den Bürgern ( 8 B 6.13 - juris Rn. 6; vgl. dazu ferner BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 1619/83 - BVerfGE 79, 127 <150 f.> und vom - 2 BvR 696/12 [ECLI:DE:BVerfG:2020:rs20200707.2bvr069612] - NVwZ 2020, 1342 Rn. 49 ff.). Eine Kommune kann daher eine Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts grundsätzlich nur gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt, nicht aber gegenüber dem Bürger gerichtlich geltend machen. An einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, an dem - wie hier - ein Bürger beteiligt ist, kann sie unter diesem Blickwinkel von vornherein nicht "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" beteiligt sein. Diese gesetzliche Wortwahl spricht damit zugleich gegen die aus dem Vortrag des Klägers sinngemäß zu entnehmende Ansicht, der Gesetzgeber habe jegliches für ihre Finanzhoheit bedeutsames Handeln einer Gemeinde, das sich auf Angelegenheiten der Selbstverwaltung bezieht, erfassen und auch die sich aus der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsangelegenheiten ergebenden gerichtlichen Streitigkeiten mit Bürgern in den Schutz des § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 2 GVG einbeziehen wollen. Dem steht auch entgegen, dass der Gesetzgeber in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG gerade nicht auf die Wahrnehmung einer Selbstverwaltungsaufgabe oder Selbstverwaltungsangelegenheit abgestellt, sondern die Voraussetzung formuliert hat, dass der Träger öffentlicher Verwaltung in "Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt" sein muss.

17(2) Der sich damit bereits aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG ergebende Befund, dass die Beteiligung am Gerichtsverfahren durch die Geltendmachung des Selbstverwaltungsrechts gegenüber einem anderen Hoheitsträger gekennzeichnet sein muss, wird durch die Entstehungsgeschichte der Norm bekräftigt. So macht bereits die Begründung des Referentenentwurfs vom deutlich, dass mit der Wahrnehmung des Selbstverwaltungsrechts in einem Verfahren die gerichtliche Geltendmachung der daraus folgenden subjektiven Rechtsposition gegenüber dem Staat gemeint ist. Wörtlich heißt es in dem Referentenentwurf zu der dort bereits vorgesehenen Rückausnahme: "Nicht unter den Begriff des Verfahrensbeteiligten fallen damit staatliche Stellen, [...] es sei denn, sie machen - wie beispielsweise Kommunen - als Kläger gegenüber dem Staat subjektive Rechte geltend" (RefE S. 22). Nachdem die im Referentenentwurf vorgeschlagene Regelung zunächst keinen Eingang in den Gesetzesentwurf der Bundesregierung gefunden hatte (BR-Drs. 540/10 S. 3, 33), wurde der entsprechende Zusatz in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG auf Vorschlag des Bundesrates in seiner Stellungnahme vom (BT-Drs. 17/3802 S. 36), dem die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zustimmte (BT-Drs. 17/3802 S. 42), wieder in den Gesetzesentwurf, der schließlich verabschiedet wurde, aufgenommen. Dass sich der Gesetzgeber dabei die ursprünglichen Überlegungen des Referentenentwurfs zu eigen gemacht hat, folgt aus der uneingeschränkten Bezugnahme des Bundesrates auf diesen.

18(3) Der aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm gewonnene Befund wird durch teleologische Erwägungen bestätigt. Es entspricht dem Sinn und Zweck der Rückausnahme in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG, dass Kommunen in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur dann einen Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer des Verfahrens haben können, wenn sie gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt ein Selbstverwaltungsrecht geltend machen. Ziel der Regelung ist es, auch Körperschaften des öffentlichen Rechts einen effektiven Rechtsbehelf zur Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit zur Verfügung zu stellen, soweit sie darauf wie ein Bürger einen verfassungsrechtlich begründeten Anspruch haben. Das erschließt sich aus der Gesetzesbegründung unter Einbeziehung des Zwecks der §§ 198 ff. GVG sowie der Gründe, die den Gesetzgeber bewogen haben, Verfassungsorgane, Träger öffentlicher Verwaltung und andere öffentliche Stellen grundsätzlich von dem Anspruch auf Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens nach § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG auszuschließen.

19Zweck des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die Schließung einer bis dahin bestehenden Rechtsschutzlücke. Die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren stellt sich als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 1 f., 15 ff., 18; 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 38 m.w.N.).

20Diese verfassungsrechtliche Verortung legt eine Interpretation nahe, nach der Träger öffentlicher Verwaltung grundsätzlich nur insoweit in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG einbezogen sind, als diesen gemäß Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG oder aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen ein Recht auf effektiven Rechtsschutz durch Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit zusteht. Gemeinden haben zwar einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, der allerdings nur Verfahren erfasst, in denen das kommunale Selbstverwaltungsrecht gegenüber einem anderen Träger öffentlicher Gewalt geltend gemacht wird. Sie können sich jedoch weder auf Art. 19 Abs. 4 GG noch in verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG berufen.

21Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG findet auf Gemeinden und ihre Organe grundsätzlich keine Anwendung. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert dem Einzelnen bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt effektiven Rechtsschutz als Grundrecht und gilt deshalb grundsätzlich nicht für inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts wie Gemeinden. Diese können sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar auf die Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berufen, nicht jedoch auf die materiellen Grundrechte (vgl. etwa [ECLI:DE:BVerfG:2011:gs20110819.2bvg000110] - BVerfGE 129, 108 <118>; Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 2203/18 [ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190222.2bvr220318] - NVwZ 2019, 642 Rn. 17 ff. und vom - 2 BvR 163/15 [ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20201109.2bvr016315] - juris Rn. 5, jeweils m.w.N.).

22Aus dem gleichen Grund können Gemeinden im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mangels Beschwerdeberechtigung auch nicht den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG geltend machen, der außerhalb des auf den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt beschränkten Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG effektiven Rechtsschutz insbesondere in der Straf-, Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit gewährleistet (vgl. - BVerfGE 61, 82 <103 f.>; Kammerbeschlüsse vom - 1 BvR 1987/07 [ECLI:DE:BVerfG:2008:rk20080221.1bvr198707] - NVwZ 2008, 778 Rn. 7 f. und vom - 2 BvR 163/15 [ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20201109.2bvr016315] - juris Rn. 5). Die Frage, ob etwa im Bereich rein fiskalischen Handelns einer Gemeinde etwas anderes gilt (vgl. [ECLI:DE:BVerfG:2007:rk20070529.2bvr069507] - BVerfGK 11, 241 <249>), stellt sich hier nicht und ist gegebenenfalls in einer zivilprozessualen Verfahrenskonstellation zu entscheiden.

23Soweit Gemeinden ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zusteht, greift ein solcher jedoch nicht für Streitigkeiten mit Bürgern. Die subjektive Rechtsstellungsgarantie, die Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthält, gewährleistet Kommunen, Eingriffe in den Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 GG mithilfe von Unterlassungs-, Beseitigungs- und Teilhabeansprüchen durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes überprüfen und gegebenenfalls untersagen zu lassen (vgl. [ECLI:DE:BVerfG:2018:fs20180919.2bvf000115] - BVerfGE 150, 1 Rn. 217). Davon ist zwar auch ein Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (vgl. [ECLI:DE:BVerfG:2015:fs20150826.2bvf000115] - BVerfGE 140, 99 Rn. 19) und damit ein Recht auf Entscheidung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit umfasst. Die Schutzwirkung dieses Rechts reicht aber nicht weiter als der materielle Schutz des Art. 28 Abs. 2 GG. Es greift daher nur ein, wenn die Gemeinde in einem gerichtlichen Verfahren eine Beeinträchtigung ihres Selbstverwaltungsrechts durch andere Träger öffentlicher Verwaltung geltend macht. Dazu können zwar auch andere Gemeinden gehören (vgl. z.B. 4 C 14.01 - BVerwGE 119, 25 <34>). Nicht erfasst werden jedoch Verfahren, an denen Bürger als Kläger oder Beklagte beteiligt sind, weil Eingriffe in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht von Privaten ausgehen können (Hellermann, in: Epping/Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, Stand: , Art. 28 Rn. 23).

24Daran ändert sich nichts, wenn die überlange Dauer von verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wie dies der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf das beklagte Land vorgetragen hat, keinen Einzelfall, sondern einen strukturellen Mangel darstellen und zu Belastungen für die Refinanzierung kommunaler Aufgabenerfüllung führen sollte. Zunächst greift dieser Einwand des Klägers schon deshalb nicht, weil er der Sache nach einen unzureichenden Schutz der Selbstverwaltungsträger durch das Land rügt, hier jedoch seine Beteiligtenstellung im Ausgangsverfahren nach der bundesrechtlichen Regelung des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG in Rede steht und das Land in dem vom Kläger als überlang gerügten Erinnerungsverfahren nicht selbst Partei gewesen ist. Überdies vermag der genannte Einwand weder zu begründen, warum aus diesem Grund der Schutz des Selbstverwaltungsrechts gegen den Bürger zu richten ist, noch die Annahme zu rechtfertigen, dass in der Folge etwaiger Mängel in der Justiz des Landes eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eingetreten ist. Zwar mag es sein, dass eine strukturelle Überlänge in abgabenrechtlichen Streitigkeiten mittelbar auch für die Gemeindehaushalte finanzielle Unsicherheiten und Planungsschwierigkeiten mit sich bringen kann. Solche mittelbaren Folgen sind aber grundsätzlich nicht als Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG anzusehen (vgl. Mehde, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand August 2020, Art. 28 Abs. 2 Rn. 102). Jedenfalls gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger angeführten Umstände zu untragbaren Belastungen oder gar einer Aushöhlung der Selbstverwaltungsgarantie führen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Belastungen für Gemeinden und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts, die von der Dauer gerichtlicher Verfahren in Abgabensachen herrühren, grundsätzlich dadurch relativiert werden, dass Abgaben von den Verwaltungsträgern selbst durch Verwaltungsakt tituliert sowie vollstreckt werden können und Rechtsbehelfe hiergegen gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben. Ebenso wenig sind Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Dauer der abgabenrechtlichen Streitigkeiten nachfolgenden Kostenfestsetzungs- und -erinnerungsverfahren und die damit unter Umständen einhergehende verzögerte Realisierung von Kostenerstattungsansprüchen das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht untragbar belasten oder gar aushöhlen. Die Reichweite der subjektiven Rechtsstellungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vermag unter diesem Gesichtspunkt daher nicht erweitert zu werden.

25Aus der weiteren Absicht des Gesetzgebers, mit § 198 GVG den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention Rechnung zu tragen (vgl. z.B. BT-Drs. 17/3802 S. 39, 42), ergibt sich kein weitergehender Schutz von Selbstverwaltungsträgern, insbesondere von Gemeinden. Denn gemäß Art. 34 Satz 1 EMRK haben grundsätzlich nur natürliche Personen und nichtstaatliche Organisationen oder Personengruppen das Recht, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit der Verletzung eines Konventionsrechts zu befassen, sodass sich Gemeinden als Träger öffentlicher Verwaltung unabhängig von ihrem eventuell autonomen Status nicht auf das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK berufen können (stRspr, vgl. z.B. EGMR, Entscheidung vom - Nr. 50108/06 - Dösemealti Belediyesi/Türkei - NVwZ 2011, 479 <480> m.w.N.).

26Soweit das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg entschieden hat, dass auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts gemäß Art. 52 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg vom (GVBl. I S. 298), zuletzt geändert durch Gesetz vom (GVBl. I Nr. 16), über die Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 und des Art. 28 Abs. 2 GG hinaus ein Recht auf ein zügiges Verfahren zusteht (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschlüsse vom - 26/99 [ECLI:DE:VERFGBB:1999:1021.26.99.OA] - LVerfGE 10, 257 sowie vom - 50.10 - LVerfGE 22, 94 Rn. 12 ff.), führt dies im vorliegenden Kontext zu keinem anderen Ergebnis. Der Bundesgesetzgeber hat als verfassungsrechtlichen Maßstab allein das Grundgesetz zu beachten. Widerspricht einfaches Bundesrecht Landesgrundrechten, die mehr oder weniger Schutz als das Bundesgrundrecht verbürgen, gilt im konkreten Fall nach Art. 31 GG nur das einfache Bundesrecht, sofern es keine Spielräume für die Berücksichtigung von weitergehendem Landesrecht lässt (vgl. [ECLI:DE:BVerfG:1997:ns19971015.2bvn000195] - BVerfGE 96, 345 <365 f.>). Daran fehlt es hier, zumal wegen der mit dem Erlass von Bundesrecht bezweckten Rechtseinheit eine Vermutung für den abschließenden Charakter der bundesrechtlichen Regelung besteht, sodass grundsätzlich kein Raum für die Beachtung landesverfassungsrechtlicher Maßstäbe mehr bleibt (vgl. Held, NVwZ 1995, 534 <537>; Huber, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 31 Rn. 8a).

27c) Gemessen daran war der Kläger an dem Erinnerungsverfahren, dessen Überlänge er rügt, nicht "in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts" im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG beteiligt. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts kommt es insofern allerdings nicht auf das Klage- bzw. Hauptsacheverfahren an. Denn es handelt sich bei dem sich daran anschließenden Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren um ein davon abtrennbares eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG mit eigenem Streitgegenstand, das gerade keinen bloßen Annex zum Hauptsacheverfahren darstellt und deshalb nicht die Natur seines Verfahrensgegenstandes teilt. Der Kläger war hieran schon deshalb nicht im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts beteiligt, weil sein Antragsgegner im Erinnerungsverfahren kein anderer Träger öffentlicher Gewalt, sondern ein Bürger war, der das Recht des Klägers auf Selbstverwaltung weder in Zweifel gezogen hat noch überhaupt zu beeinträchtigen vermochte.

283. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:260221U5C15.19D0

Fundstelle(n):
GAAAH-82790