BAG Urteil v. - 9 AZR 176/20

Zusatzurlaub nach § 19 Abs 2 Spartentarifvertrag Nahverkehr Sachsen - Mitwirkungsobliegenheiten tariflicher Zusatzurlaub

Gesetze: § 7 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG, § 7 Abs 3 BUrlG

Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 5 Ca 2310/18 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 208/19 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gewährung von Zusatzurlaub in Anspruch.

2Die Beklagte, ein Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, beschäftigt den 1964 geborenen Kläger seit 1997 als Straßenbahnfahrer. Die wöchentliche Regelarbeitszeit des Klägers beträgt 40 Stunden. Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die für den Nahverkehr Sachsen geltenden Tarifverträge Anwendung.

3Der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom in der Fassung des 12. Ergänzungstarifvertrags vom (BMT-G-O) - enthält ua. folgende Regelungen:

4Der „Spartentarifvertrag Nahverkehr Sachsen“ vom , der am in Kraft trat, in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 5 vom (TV-N Sachsen) regelt ua. Folgendes:

5Der mit Wirkung zum in Kraft getretene „Überleitungstarifvertrag zum TV-N Sachsen“ vom (TVÜ-N Sachsen) sieht ua. Folgendes vor:

6Im Jahr 2016 leistete der Kläger 299,44 Nachtarbeitsstunden, im Folgejahr 221,15 Nachtarbeitsstunden. Die Beklagte gewährte ihm neben dem tariflichen Grund-/Erholungsurlaub von 29 Tagen in den Jahren 2017 und 2018 jeweils zwei Tage Zusatzurlaub gemäß § 41a Abs. 3 BMT-G-O und jeweils einen weiteren Tag Zusatzurlaub gemäß § 41a Abs. 5 BMT-G-O.

7Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte erfolglos auf, ihm für die Jahre 2017 und 2018 jeweils einen zusätzlichen Urlaubstag für die Tätigkeit im Fahrdienst und einen weiteren Urlaubstag wegen Vollendung des 50. Lebensjahres zur gewähren.

8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei aufgrund seiner Tätigkeit im Fahrdienst gemäß § 19 Abs. 2 TV-N Sachsen verpflichtet, ihm Zusatzurlaub zu gewähren.

9Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

10Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub bestimme sich gemäß § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen auch nach dem Inkrafttreten des TV-N Sachsen allein nach dem zuvor geltenden Tarifrecht. Im Übrigen sei der Anspruch für das Jahr 2017 verfallen.

11Die Vorinstanzen haben der Klage - soweit der Rechtsstreit in die Revision gelangt ist - stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Gründe

12Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts - soweit für die Revision von Bedeutung - zu Recht zurückgewiesen. Die Beklagte ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-N Sachsen verpflichtet, dem Kläger aufgrund des von ihm geleisteten Fahrdiensts für die Jahre 2017 und 2018 jeweils zwei weitere Arbeitstage Zusatzurlaub zu gewähren. Aufgrund derselben Tarifbestimmung hat der Kläger Anspruch darauf, dass die Beklagte ihm ab dem Jahr 2019 jährlich einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen über den Grund- und Zusatzurlaub nach § 7 TVÜ-N Sachsen iVm. § 41a Abs. 3 und 5 BMT-G-O hinaus gewährt, solange der Kläger im Fahrdienst beschäftigt ist und soweit die Gesamtzahl der Zusatzurlaubstage für das Jahr fünf Arbeitstage sowie der Gesamturlaub aus Erholungs- und Zusatzurlaub kalenderjährlich 34 Arbeitstage nicht übersteigt. Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zusatzurlaub richtet sich nach den Tarifvorschriften des § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-N Sachsen, die ungeachtet der Übergangsvorschrift des § 7 TVÜ-N Sachsen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, an die die maßgebenden Tarifbestimmungen den Anspruch auf Zusatzurlaub wegen einer Tätigkeit im Fahrdienst knüpfen, liegen im Streitfall vor.

13I. Streitgegenstand des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Zusatzurlaub, den der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit im Fahrdient beansprucht. Das Klagebegehren (zu den für die Auslegung des Rechtsschutzbegehrens maßgebenden Grundsätzen vgl.  - Rn. 13), das ausweislich der Klageanträge zu 1. und zu 2. auf die Gewährung von Zusatzurlaub aus einem in der Vergangenheit liegenden Urlaubsjahr gerichtet ist, umfasst - über den Wortlaut des Klageantrags hinaus - nicht nur den Ersatzurlaub als Schadenersatz für verfallenen Urlaub, sondern auch den ursprünglichen Urlaub als Ausfluss des primären Urlaubsanspruchs (vgl. zum Erholungsurlaub  - Rn. 10). Davon ist das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen, ohne dies im Einzelnen auszuführen.

14II. Die von dem Kläger erhobene Klage ist zulässig. Insbesondere begegnet der Klageantrag zu 3., mit dem der Kläger im Wege der Elementenfeststellungsklage den Umfang zukünftiger Ansprüche auf Zusatzurlaub gerichtlich geklärt wissen will, keinen Bedenken. Die in § 256 Abs. 1 ZPO genannten Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger hat sein Klagebegehren zulässigerweise auf den Umfang des jährlichen Zusatzurlaubs beschränkt (sog. Elementenfeststellungsklage, vgl. hierzu  - Rn. 12), ohne dass dem Feststellungsbegehren der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage (vgl. hierzu  - Rn. 13) entgegensteht (vgl. im Einzelnen  - Rn. 30). Da der Kläger zunächst eine nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungsklage erhoben hatte, war er nicht gehalten, aufgrund eines „überholenden Ereignisses“, dem im Verlauf des Berufungsverfahrens erfolgten Ablauf des Urlaubsjahres 2019, insoweit zur Leistungsklage überzugehen (vgl.  - Rn. 20).

15III. Soweit der Rechtsstreit in die Revision gelangt ist, ist die Klage begründet.

161. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklage verpflichtet ist, dem Kläger für die Jahre 2017 und 2018 jeweils zwei weitere Arbeitstage Zusatzurlaub zu gewähren. Anspruchsgrundlage ist § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-N Sachsen, der aufgrund der Tarifbindung beider Parteien auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

17a) Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen erhalten Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - Tätigkeit im Fahrdienst leisten, im Urlaubsjahr einen Urlaubstag zusätzlich und ab Vollendung des 50. Lebensjahres einen weiteren Urlaubstag (§ 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N Sachsen). Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis - wie das der Parteien - vor dem begründet wurde und darüber hinaus fortbesteht (§ 1 TVÜ-N Sachsen) löst die Neuregelung die bisherigen Tarifverträge, wie etwa den BMT-G-O, ab (§ 2 Abs. 1 Satz 2 erster Spiegelstrich TVÜ-N Sachsen). Abweichend hierzu ist der diesen Arbeitnehmern wegen Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit zustehende Zusatzurlaub auch für die Zeit nach dem nach Maßgabe des bisherigen Tarifrechts zu bestimmen (§ 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen).

18b) Der vom Kläger erhobene Anspruch auf Zusatzurlaub wegen seiner Tätigkeit im Fahrdienst richtet sich nach den tariflichen Bestimmungen in § 19 Abs. 2 TV-N Sachsen. Das zuvor geltende Tarifrecht kommt insoweit nicht zur Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die dem Überleitungsrecht zugehörige Bestimmung des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen nur Ansprüche auf Zusatzurlaub für Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit, nicht aber solchen für die Tätigkeit im Fahrdienst erfasst. Dies ergibt die Auslegung der maßgebenden Tarifvorschriften (vgl. zu den für Tarifverträge maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen  - Rn. 17).

19aa) Der Wortlaut des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen spricht bereits deutlich für das Auslegungsergebnis, zu dem das Landesarbeitsgericht gelangt ist.

20(1) Die Tarifbestimmung sieht vor, dass Arbeitnehmer „Zusatzurlaub für Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit ab dem Jahr 2009 nach Maßgabe des bisherigen Tarifrechts“ erhalten. Zusatzurlaub für Arbeitnehmer im Fahrdienst wird vom Wortlaut des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen nicht erfasst. Hätten die Tarifvertragsparteien mit dieser Regelung sämtliche Zusatzurlaubsansprüche einschließlich der erstmals durch § 19 Abs. 2 TV-N Sachsen begründeten Ansprüche auf Zusatzurlaub für Arbeitnehmer im Fahrdienst abschließend den Voraussetzungen des „bisherigen Tarifrechts“ in § 41a BMT-G-O unterwerfen wollen, hätte es nahe gelegen, entweder den umfassenden Begriff „Zusatzurlaub“ zu verwenden oder eine Formulierung wie „Die Arbeitnehmer erhalten Zusatzurlaub ab dem Jahr 2009 nach Maßgabe des bisherigen Tarifrechts“ zu wählen.

21(2) Auch aus dem grammatikalischen Verständnis der Tarifnorm ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Aufzählung in § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen hat enumerativen Charakter, wie die Verwendung der Konjunktion „und“ belegt. Hätte sich der Regelungswille der Tarifvertragsparteien darauf beschränkt, anhand einer beispielhaften, nicht abschließenden Übersicht zum Ausdruck zu bringen, welche verschiedenen Arten von Zusatzurlaub aus der Neuregelung ausgenommen werden, spricht alles dafür, dass die Tarifvertragsparteien eine übliche Tarifformulierung („wie“, „zB“, „insbesondere“ …) gewählt hätten. Da dies nicht geschehen ist, bietet der Wortlaut der Tarifnorm keinen Anhaltspunkt dafür anzunehmen, dass Zusatzurlaub aufgrund einer Tätigkeit im Fahrdienst nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 TV-N Sachsen erfasst ist.

22bb) Der systematische Zusammenhang, in den § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen eingebettet ist, bestätigt dieses Verständnis der Tarifnorm.

23(1) In § 2 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-N Sachsen, dem zufolge die Regelungen des TV-N Sachsen alle bisherigen Tarifbestimmungen, insbesondere die des BMT-G-O, ersetzen, manifestiert sich der Wille der Tarifvertragsparteien, mit Wirkung für die Zukunft ein neues, einheitlich geltendes Tarifrecht zu schaffen. Von diesem Grundsatz formuliert § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen eine Ausnahme. Hinsichtlich des Zusatzurlaubs für Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit verbleibt es beim bisherigen Tarifstand. Nach den für die Tarifauslegung geltenden Grundsätzen sind tarifliche Ausnahmevorschriften eng auszulegen (vgl.  - Rn. 24 mwN). Eine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen, wie sie die Beklagte befürwortet, wäre weder mit diesem Auslegungsgebot noch mit dem Regelungsziel des § 2 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-N Sachen zu vereinbaren, die Arbeitsbedingungen grundsätzlich einer einheitlichen, für alle Beschäftigte geltenden Regelung zuzuführen.

24(2) § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen räumt - wie im Übrigen auch § 19 Abs. 2 Satz 1 TV-N Sachsen - Arbeitnehmern, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind, Anspruch auf Zusatzurlaub ein. Die Tarifbestimmung nennt dabei zwei Gruppen von Arbeitnehmern, nämlich solche, die ständig Schichtarbeit leisten, und solche, die ständig im Fahrdienst tätig sind, und unterscheidet damit bewusst zwischen Zusatzurlaub für Schichtarbeiter auf der einen und Zusatzurlaub für Arbeitnehmer, die Fahrdienst leisten, auf der anderen Seite. Es widerspricht dem Grundsatz einer kohärenten Tarifauslegung, bei der Auslegung einer Tarifbestimmung - wie vorliegend § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen - eine begriffliche Unterscheidung unberücksichtigt zu lassen, wenn das Tarifwerk eine solche an anderer Stelle - so in § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen - ausdrücklich vorsieht.

25(3) Soweit die Revision geltend macht, die am Wortlaut orientierte Auslegung des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen führe in systemwidriger Weise zu einer doppelten Berücksichtigung der Tätigkeit im Fahrdienst, stellt dies das Auslegungsergebnis, zu dem das Landesarbeitsgericht gelangt ist, nicht in Frage. Zum einen sind die Tariftatbestände des § 41a Abs. 3 BMT-G-O und des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen nicht deckungsgleich. Die nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 TV-N Sachsen Zusatzurlaub generierende Tätigkeit im Fahrdienst kann, muss aber nicht die tariflichen Voraussetzungen der Schichtarbeit iSd. § 41a Abs. 3 BMT-G-O erfüllen. Zum anderen verfolgten die Tarifvertragsparteien mit der Schaffung des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen das Ziel, durch die Gewährung von Zusatzurlaub den besonderen Belastungen Rechnung zu tragen, denen Arbeitnehmer ausgesetzt sind, die der Arbeitgeber ständig im Fahrdienst einsetzt. Diese besondere Belastungssituation unterscheidet sich von der Belastungssituation durch Schichtarbeit, deren zusatzurlaubsrechtliche Folgen in § 41a BMT-G-O eine tarifliche Regelung gefunden haben. Dies folgt bereits daraus, dass § 19 Abs. 2 Satz 1 und 2 TV-N Sachsen beide Tatbestände gesondert aufführt. Darüber hinaus erhalten ständig im Fahrdienst eingesetzte Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, über den in § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen geregelten Zusatzurlaub weiteren Zusatzurlaub nach § 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N Sachsen. Für Arbeitnehmer, die - nur - im Schichtdienst tätig sind, sieht das neue Tarifrecht eine nach dem Lebensalter differenzierende Regelung nicht vor.

26cc) Die Auslegung, dass ständig im Fahrtdienst tätige Arbeitnehmer Zusatzurlaub nach § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen beanspruchen können, steht auch mit dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen im Einklang.

27(1) Es handelt sich um eine Besitzstandsregelung, die den Zusatzurlaub für Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit, auf den die Arbeitnehmer vor der Überleitung in den TV-N Sachsen gemäß § 41a Abs. 3 BMT-G-O Anspruch hatten, für die Zeit nach dem Inkrafttreten des TV-N Sachsen verstetigen soll. Eine Besitzstandswahrung kann sich jedoch nur auf die Regelungsmaterien beziehen, die das frühere Tarifrecht normierte. Im Falle des § 41a Abs. 3 BMT-G-O zählte hierzu allein der Zusatzurlaub für Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit. Eine Regelung über Zusatzurlaub für die Tätigkeit im Fahrdienst nach § 19 Abs. 2 TV-N Sachsen war dem überkommenen Tarifrecht fremd. Dies übersieht die Revision, wenn sie darauf abstellt, die in § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen genannten Arten von Zusatzurlaub stimmten mit der tariflichen Überschrift des § 41a BMT-G-O überein.

28(2) Dem Einwand der Revision, die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung führe zu dem von den Tarifvertragsparteien nicht gewollten Ergebnis, dass Arbeitnehmer wie der Kläger im Vergleich zum bisherigen Rechtsstand einen erhöhten Zusatzurlaub beanspruchen könnten, liegt ein Zirkelschluss in Form einer sog. petitio principii (für ein Beispiel vgl.  - Rn. 24) zugrunde, denn er steht und fällt mit der in der Schlussfolgerung vorausgesetzten Prämisse, dass die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmern, die sowohl die tariflichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen als auch die des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen erfüllen, keinen erhöhten Urlaubsanspruch einräumen wollten. Dies lässt sich aus dem Tarifwerk aber gerade nicht herleiten.

29dd) Soweit die Revision für eine abweichende Auslegung des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen die Tarifgeschichte heranzieht, gibt diese kein anderes Ergebnis vor. Wegen der weitreichenden Wirkung von Tarifnormen auf die Rechtsverhältnisse Dritter, die an den Tarifvertragsverhandlungen nicht beteiligt waren, kann der Wille der Tarifvertragsparteien im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nur ausnahmsweise dann berücksichtigt werden, wenn er in den tariflichen Normen unmittelbar seinen Niederschlag gefunden hat ( - Rn. 22, BAGE 150, 184). Das ist hier nicht der Fall. Der im Wortlaut und im tariflichen Gesamtzusammenhang zum Ausdruck gekommene Wille der Tarifvertragsparteien lässt eine Auslegung zu, die einen Rückgriff auf die Tarifgeschichte weder erfordert noch zulässt.

30ee) Schließlich verfängt der Hinweis der Revision auf die Tarifübung nicht. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, fehlt es an einem Verhalten der tarifvertragschließenden Gewerkschaft, das darauf schließen lässt, dass sie § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen im nämlichen Sinne versteht wie die Beklagte.

31c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen, an die § 19 Abs. 2 TV-N Sachsen den Anspruch auf jeweils zwei Arbeitstage Zusatzurlaub je Kalenderjahr knüpft, liegen im Streitfall vor. Die Beklagte setzte den Kläger, der 2014 das 50. Lebensjahr vollendete (§ 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N Sachsen), in den Jahren 2017 und 2018 durchgehend als Straßenbahnfahrer und damit im Fahrdienst ein (§ 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen). Eine Anrechnung des Zusatzurlaubs, der dem Kläger infolge seines ständigen Einsatzes im Fahrdienst zusteht, auf den Zusatzurlaub nach § 41a Abs. 9 BMT-G-O kommt nicht in Betracht. § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen honoriert nicht den Einsatz „wegen Wechselschicht-, Schicht- oder Nachtarbeit“, sondern allein den wegen der Tätigkeit im Fahrdienst.

32d) Der Anspruch auf jeweils zwei Tage Zusatzurlaub ist in der Folgezeit nicht gemäß § 19 Abs. 3 TV-N Sachsen verfallen, da die Beklagte - wie das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen mit bindender Wirkung für den Senat festgestellt hat - den sie treffenden Obliegenheiten, an der Verwirklichung des dem Kläger zustehenden Urlaubs mitzuwirken, nicht nachgekommen ist.

33aa) Nach der ständiger Rechtsprechung des Senats (seit  - Rn. 21 ff., BAGE 165, 376; vgl. etwa - 9 AZR 98/19 - Rn. 12 ff.; zuletzt - 9 AZR 266/20 (A) - Rn. 19 f.) erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus in richtlinienkonformer Auslegung abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG.

34bb) Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Zudem darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub wahrzunehmen. Er darf ihn insbesondere nicht mit Umständen konfrontieren, die ihn davon abhalten könnten, seinen Jahresurlaub zu nehmen.

35cc) Hat der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 BUrlG vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen. Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des Übertragungszeitraums untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt.

36dd) Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) Übertragungszeitraums.

37ee) Diese Grundsätze der Befristung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs gelten auch für den tarifvertraglichen Zusatzurlaub, dessen Gewährung der Kläger begehrt. Es ist insoweit von einem Gleichlauf des tariflichen Zusatzurlaubs mit dem gesetzlichen Mindesturlaub auszugehen, weil die Tarifvertragsparteien die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, die dieser bei der Festlegung des Urlaubs zu beachten hat, im Vergleich mit der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BUrlG nicht abweichend geregelt haben (ständige Rechtsprechung seit  - Rn. 36; zuletzt etwa - 9 AZR 113/19 - Rn. 12 und - 9 AZR 364/19 - Rn. 32).

382. Soweit der Klageantrag zu 3. in die Revisionsinstanz gelangt ist, ist er begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger ab dem Jahr 2019 jährlich einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen über den Grund- und Zusatzurlaub nach § 7 TVÜ-N Sachsen hinaus zu gewähren, solange der Kläger im Fahrdienst beschäftigt ist und soweit die Gesamtzahl der Zusatzurlaubstage für das Jahr fünf Arbeitstage sowie der Gesamturlaub (Erholungsurlaub und Zusatzurlaub zusammen) für das Urlaubsjahr 34 Arbeitstage nicht übersteigt. Ab dem Jahr 2019 erfüllt der Kläger, der zu diesem Zeitpunkt das 50. Lebensjahr bereits vollendet hat (§ 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N Sachsen), die tariflichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N Sachsen, wenn und solange die Beklagte ihn weiterhin ausschließlich im Fahrdienst einsetzt. Die dem Überleitungsrecht zugehörige Tarifbestimmung des § 7 Abs. 2 TVÜ-N Sachsen steht der Anwendung der Vorschrift nach dem Gesagten nicht entgegen.

39IV. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:160221.U.9AZR176.20.0

Fundstelle(n):
IAAAH-82613