Online-Nachricht - Donnerstag, 01.07.2021

Umsatzsteuer | Behandlung von Gutachtertätigkeiten (BFH)

Leistungen einer Gutachterin, die im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten erstellt, sind nach nationalem Recht nicht von der Umsatzsteuer befreit. Auch eine Steuerbefreiung nach dem Unionsrecht ist nicht zu gewähren (Nachfolgeentscheidung zum EuGH-Urteil „Finanzamt D“ v. - C 657/19) (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL sind eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, steuerfrei.

Sachverhalt und Verfahrensverlauf: Die Klägerin erstellte im Streitzeitraum 2012 bis 3. Quartal 2014 für den MDK als Auftraggeber Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten. Die Leistungen rechnete der MDK monatlich gegenüber der Klägerin ab, wobei er keine Umsatzsteuer auswies. Die Klägerin erklärte die Entgelte aus ihrer Gutachtentätigkeit als steuerfreie Umsätze mit Vorsteuerabzug. Das FA gelangte zu der Ansicht, die Gutachtertätigkeit sei weder nach nationalem noch nach EU-Recht umsatzsteuerlich befreit (s. hierzu unsere Online-Nachricht v. 8.9.2017).

Mit wurde das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH wurden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH führte aus, dass die durch einen unabhängigen Gutachter im Auftrag des MDK erfolgende Erstellung von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit, die von dieser Krankenversicherung zur Ermittlung des Umfangs etwaiger Ansprüche ihrer Versicherten auf Leistungen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verwendet werden, eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung ist, soweit sie für die sachgerechte Bewirkung der Umsätze in diesem Bereich unerlässlich ist ( „Finanzamt D“; s. unsere Online-Nachricht v. 9.10.2020 ).

Der BFH hob das FG-Urteil auf:

  • Es handelt sich bei den im Rahmen der Gutachtertätigkeit erbrachten Leistungen um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.

  • Dabei schadet es nicht, dass die Klägerin ihre Leistungen nicht an den jeweiligen Hilfsbedürftigen, sondern an den MDK erbracht hat.

  • Ein erfolgreiches Berufen auf die Steuerbefreiung nach dem Unionsrecht scheitert im Streitfall allerdings daran, dass die Klägerin nicht von der Bundesrepublik Deutschland als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ anerkannt ist; eine solche Anerkennung, die Voraussetzung für die unionsrechtliche Steuerbefreiung ist, folgt insbesondere nicht aus der nur mittelbaren Kostenerstattung über den MDK.

Anmerkung von Prof. Dr. Alois Nacke, Richter im XI. Senat des BFH:

Die Entscheidung ist aufgrund des EuGH-Urteils „Finanzamt D“ v. – C-657/19 ergangen. Sie setzt die vom EuGH aufgestellten Grundsätze zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL um und kommt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin keine steuerfreien Leistungen in Form von Gutachten zur Pflegebedürftigkeit gegenüber dem MDK erbracht hat. Der EuGH hat zwar nicht den Fall entschieden; aber die Entscheidung zeichnete den Weg vor, der vom XI. Senat daraufhin gegangen wurde. Zwar handelte es sich bei den gutachterlichen Tätigkeiten der Klägerin danach um unerlässliche Umsätze i.S.d. Rechtsprechung des EuGH. Die Gutachten waren unverzichtbar. Die Klägerin erfüllte aber nicht die weitere personelle Voraussetzung des § 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.

Es fehlte an der vom EuGH geforderten Qualifizierung der Klägerin durch die Bundesrepublik Deutschland als Einrichtung mit sozialem Charakter. Vor allem fehlte es bei der nur indirekt - über dem MDK - durch die Pflegekasse vollzogenen Kostenübernahme an einem mit der Klägerin durch die Pflegekasse geschlossenen Vertrag.

Der Fall zeigt, dass eine Steuerfreistellung der Umsätze von ausgebildeten Krankenschwestern, die für den MDK Gutachten erstellen, nur dann erreicht werden kann, wenn vor allem mit der Pflegekasse entsprechende Verträge geschlossen werden oder die Pflegekasse explizit die Entscheidung trifft, dass für die konkrete Krankenschwester die Kosten übernommen werden. Überdies ist eine spezifische Vorschrift erforderlich, nach der nicht nur im Ausnahmefall unabhängige Gutachter eingesetzt werden können. Der Einsatz dieser Kräfte sollte nach den Vorschriften einen Regelfall darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass entsprechende Änderungen auch im Interesse der Pflegekassen geschaffen werden.

Quelle: BFH Pressemitteilung v. ; NWB Datenbank (JT)

Fundstelle(n):
NWB QAAAH-82457