Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung - Leistungsbeurteilung nach ERA-TV
Gesetze: § 164 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 9 2018, § 164 Abs 4 S 1 Nr 4 SGB 9 2018, § 164 Abs 4 S 1 Nr 5 SGB 9 2018, § 178 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 9 2018, § 178 Abs 2 S 1 SGB 9 2018, § 178 Abs 2 S 2 SGB 9 2018, § 1 TVG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 256 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: ArbG Hagen (Westfalen) Az: 1 BV 28/18 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 7 TaBV 63/19 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung bei der tariflichen Leistungsbeurteilung von schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Arbeitnehmern.
2Die Antragstellerin ist die bei der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin gebildete Schwerbehindertenvertretung. Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb etwa 50 schwerbehinderte und Schwerbehinderten gleichgestellte behinderte Menschen. Die Arbeitgeberin ist kraft Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge der nordrhein-westfälischen Metall- und Elektroindustrie gebunden, darunter an das Entgeltrahmenabkommen vom (ERA-TV). § 10 ERA-TV - Zeitentgelt und Leistungszulage - lautet auszugsweise:
3In Ergänzung der tariflichen Regelungen haben die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin und der Betriebsrat am eine Betriebsvereinbarung über die „Einführung einer tariflich basierten Leistungsbeurteilung für Mitarbeiter im Zeitentgelt“ (ERA-BV) abgeschlossen. Darin heißt es auszugsweise:
4Die Arbeitgeberin führt auf der Grundlage des ERA-TV Leistungsbeurteilungen durch, die für die Zahlung der tariflichen Leistungszulagen für Beschäftigte im Zeitentgelt maßgeblich sind. Anlässlich der Leistungsbeurteilung für 2017/2018 entstand zwischen der Arbeitgeberin und der Schwerbehindertenvertretung Streit darüber, ob die Schwerbehindertenvertretung im Zusammenhang mit der nach § 10 ERA-TV vorzunehmenden Leistungsbeurteilung schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen zu unterrichten und anzuhören ist.
5Die Schwerbehindertenvertretung hat die Auffassung vertreten, bei der tariflichen Leistungsbeurteilung auf der Grundlage des ERA-TV handele es sich um eine Entscheidung der Arbeitgeberin, bei der sie nach § 178 Abs. 2 SGB IX zu unterrichten und anzuhören sei. Die Gruppe der Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen sei von der Leistungsbeurteilung besonders betroffen, da eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung im Rahmen der Beurteilung der Einzelheiten des Arbeits- und sonstigen Leistungsverhaltens Berücksichtigung finden müsse. Das folge auch aus dem gesetzgeberischen Auftrag an die Arbeitgeberin, schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte behinderte Menschen so zu beschäftigen, dass sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können.
6Die Schwerbehindertenvertretung hat zuletzt beantragt,
7Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, die Aussetzung der „Minderung der Leistungsbeurteilung“ für das Jahr 2018 könne schon deshalb nicht verlangt werden, weil die Leistungsbeurteilung 2017/2018 vollzogen sei. Davon abgesehen bestehe ein Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung nicht, da sich die tarifliche Leistungsbeurteilung nicht spezifisch auf schwerbehinderte bzw. diesen gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer auswirke. Die Leistungsbeurteilung sei - unabhängig von einer Behinderung - für alle Arbeitnehmer nach gleichen Kriterien vorzunehmen. Etwaige im Rahmen einer Anhörung von der Schwerbehindertenvertretung geltend gemachte behinderungsspezifische Einwendungen könnten sich nach den Regelungen des ERA-TV auf die Leistungsbeurteilung und die Zulagenberechnung nicht auswirken.
8Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluss des Arbeitsgerichts auf die Beschwerde der Arbeitgeberin abgeändert, den Hauptantrag abgewiesen und auf den Hilfsantrag festgestellt, dass die Arbeitgeberin die Schwerbehindertenvertretung vor der schriftlichen Mitteilung und Erläuterung der ERA-Leistungsbeurteilung gegenüber den Schwerbehinderten und diesen Gleichgestellten zu unterrichten und anzuhören habe. Die Schwerbehindertenvertretung beantragt mit ihrer Rechtsbeschwerde, die Arbeitgeberin unter Aufhebung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts und Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts zu verpflichten, die Leistungsbeurteilung für den Zeitraum 2017/2018 betreffend Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellte nachzuholen und sie vor einer Entscheidung zu unterrichten und anzuhören. Die Arbeitgeberin begehrt mit ihrer Rechtsbeschwerde die vollständige Abweisung der Anträge.
9B. Die Rechtsbeschwerden der Schwerbehindertenvertretung und der Arbeitgeberin haben keinen Erfolg.
10I. Die Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung ist unzulässig, da die Schwerbehindertenvertretung mit ihr nicht die Beschwer aus der angefochtenen Entscheidung bekämpft.
111. Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels setzt voraus, dass der Rechtsmittelführer durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist und mit seinem Rechtsmittel gerade die Beseitigung dieser Beschwer begehrt ( - Rn. 16; - 1 ABR 5/11 - Rn. 19, BAGE 141, 110). Dies erfordert, dass der in der Vorinstanz erhobene Anspruch wenigstens teilweise weiterverfolgt wird ( - Rn. 10). Ein lediglich im Wege der Antragsänderung neuer, bisher nicht gestellter Anspruch kann nicht das alleinige Ziel eines Rechtsmittels sein ( - Rn. 9, BAGE 160, 386; - 9 AZR 125/16 - Rn. 10; - 1 ABR 5/14 - Rn. 12 mwN).
122. Vorliegend zielt der im Rechtsbeschwerdeverfahren von der Schwerbehindertenvertretung nunmehr gestellte Hauptantrag nicht auf die Beseitigung einer mit der Abweisung des vorinstanzlich gestellten Hauptantrags durch das Landesarbeitsgericht verbundenen Beschwer.
13a) Der vom Landesarbeitsgericht abgewiesene Hauptantrag der Schwerbehindertenvertretung war auf Aussetzung „der Minderung der Leistungsbeurteilung im Rahmen der ERA-Leistungsbeurteilungsgespräche in 2018“ gerichtet und auf § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX gestützt. Danach ist die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX getroffenen Entscheidung auszusetzen und die Beteiligung innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden. Die Aussetzung einer Entscheidung beinhaltet ein Verbot der Durchführung und des Vollzugs der Entscheidung bis zur Nachholung der Beteiligung, sie wirkt wie ein vorläufiges Vollzugsverbot (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 76). Mit Ablauf der Sieben-Tage-Frist wird die zuvor ohne Beteiligung getroffene Entscheidung nicht automatisch durchführbar, vielmehr muss zuvor die Beteiligung nachgeholt werden. Deshalb währt das Verbot, die Maßnahme durchzuführen, so lange, bis der Arbeitgeber die unterlassene Beteiligung nachgeholt hat (vgl. Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 178 Rn. 77). Gegenstand des auf Aussetzung nach § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX gerichteten Hauptantrags der Schwerbehindertenvertretung war damit die Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Durchführung bzw. den Vollzug der „Minderung der Leistungsbeurteilung im Rahmen der ERA-Leistungsbeurteilungsgespräche betreffend Schwerbehinderte und Gleichgestellte in 2018“ zu unterlassen.
14b) Mit ihrem in der Rechtsbeschwerde verfolgten Begehren wendet sich die Schwerbehindertenvertretung nicht - auch nicht teilweise - gegen die Abweisung dieses vorinstanzlich geltend gemachten Antrags. In der Rechtsbeschwerde begehrt die Schwerbehindertenvertretung vielmehr die Nachholung der Leistungsbeurteilung 2017/2018 sowie die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung. Damit verfolgt die Schwerbehindertenvertretung in der Rechtsbeschwerde ein anderes Begehren als das, mit dem sie in der Vorinstanz beim Landesarbeitsgericht unterlegen ist.
15aa) Die beim Landesarbeitsgericht geltend gemachte Aussetzung der „Minderung der Leistungsbeurteilung in 2018“ ist nicht in dem im Rechtsbeschwerdeverfahren verfolgten Begehren enthalten. Der nunmehr gestellte Hauptantrag ist vollständig neu formuliert, auf die Nachholung der Leistungsbeurteilung 2017/2018 unter ihrer Beteiligung beschränkt und erwähnt die „Aussetzung der Minderung der Leistungsbeurteilung“ nicht. Auch der Umstand, dass die Schwerbehindertenvertretung mit dem im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten neu gefassten Antrag zugleich die Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses begehrt, in welchem dem Hauptantrag mit der begehrten „Aussetzung der Minderung der Leistungsbeurteilung“ stattgegeben worden war, spricht dafür, dass sie an der ursprünglich verlangten Aussetzung nicht mehr festhält, sondern ausschließlich die Nachholung der Leistungsbeurteilung sowie ihre Beteiligung bei dieser (neuen) Entscheidung begehrt. Das Vorbringen in der Rechtsbeschwerdebegründung bestätigt dieses Verständnis. Mit dem Wechsel auf die Nachholung der Leistungsbeurteilung reagiert die Schwerbehindertenvertretung auf die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die „Aussetzung der Minderung der Leistungsbeurteilung 2018“ sei nicht mehr möglich, da die Leistungsbeurteilung bereits vollzogen sei. Vor diesem Hintergrund führt die Schwerbehindertenvertretung in der Rechtsbeschwerdebegründung aus, die monatliche Auszahlung der Leistungszulage hindere sie nicht, ihren Anspruch auf Nachholung der Entscheidung unter gesetzmäßiger Beteiligung geltend zu machen, die Auszahlung der Leistungszulage könne einer Nachholung der Beteiligung nicht entgegenstehen. Daraus wird deutlich, dass es der Schwerbehindertenvertretung - in Übereinstimmung mit dem Antragswortlaut - nicht mehr um die „Aussetzung der Minderung der Leistungsbeurteilung“ geht.
16bb) Die Nachholung der Leistungsbeurteilung 2017/2018 war auch nicht in dem vorinstanzlich mit dem vom Landesarbeitsgericht abgewiesenen Hauptantrag verfolgten Begehren enthalten. Weder dem Wortlaut des dort gestellten Antrags noch dem zu dessen Begründung gehaltenen Vorbringen der Schwerbehindertenvertretung ist zu entnehmen, dass Gegenstand des Hauptantrags (auch) die Nachholung der Leistungsbeurteilung 2017/2018 und die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der darin ggf. liegenden Entscheidung war. Auch die Nachholung der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung war zuletzt nicht Gegenstand des in den Vorinstanzen gestellten Hauptantrags. Die Schwerbehindertenvertretung hatte ihren darauf erstinstanzlich mit Schriftsatz vom angekündigten Antrag im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am zurückgenommen und nur noch die Aussetzung beantragt.
17II. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem ihm mit der Abweisung des Hauptantrags zur Entscheidung angefallenen Hilfsfeststellungsantrag zu Recht stattgegeben.
181. Der Feststellungsantrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig. Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und genügt den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO.
19a) Der Antrag bedarf der Auslegung. Zwar lässt der Antragswortlaut nicht genau erkennen, zu welchem Zeitpunkt und in Bezug auf welche konkrete Entscheidung die geltend gemachte Unterrichtung und insbesondere die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vorgenommen werden soll. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag aber zutreffend dahin verstanden, dass die Schwerbehindertenvertretung die Feststellung begehrt, dass die Arbeitgeberin sie vor einer schriftlichen Mitteilung und Erläuterung der ERA-Leistungsbeurteilung an schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer zu unterrichten und auch zu der beabsichtigten Mitteilung und Erläuterung der Leistungsbeurteilung anzuhören habe, und es hat den Beschlusstenor entsprechend gefasst. Dieses Antragsverständnis entspricht dem Antragswortlaut und dessen Begründung unter Berücksichtigung der wohlverstandenen Interessenlage der Schwerbehindertenvertretung.
20aa) Nach dem Antragswortlaut hat die Schwerbehindertenvertretung ihre Unterrichtung ausdrücklich „vor der Bekanntgabe der Leistungsbeurteilung an den jeweiligen Mitarbeiter“ geltend gemacht. Soweit sie mit dem Antrag ihre Anhörung unbestimmt „vor einer Entscheidung“ verlangt hat, ergibt sich aus dem antragsbegründenden Vorbringen der Schwerbehindertenvertretung, dass sich auch dies auf die Bekanntmachung der Leistungsbeurteilung an den schwerbehinderten bzw. gleichgestellten Arbeitnehmer bezieht. Die Schwerbehindertenvertretung hat in der Antragsschrift ausgeführt, die Anhörung zu der Leistungsbeurteilung 2017/2018 hätte „bereits vor der Bekanntmachung der negativen Leistungsbeurteilung“ erfolgen müssen. Im Schriftsatz vom heißt es, die für die Beteiligung maßgebliche Entscheidung sei die Leistungsbeurteilung, „da diese unmittelbar zur Entgeltmodifizierung führt, dazwischen liegt kein anderes Verfahren“, somit sei „einzig möglicher Zeitpunkt der Beteiligung vor der Mitteilung der Leistungsbeurteilung“; sie habe einen Anspruch darauf gehabt, „vor der Mitteilung an den entsprechenden Mitarbeiter gehört zu werden“.
21bb) Die Unterrichtung und Anhörung im Vorfeld der schriftlichen Mitteilung und Erläuterung der ERA-Leistungsbeurteilung entspricht auch dem wohlverstandenen Interesse der Schwerbehindertenvertretung. Eine Beteiligung vor der Bekanntgabe der Leistungsbeurteilung erhält ihr die Möglichkeit, an der Willensbildung des Arbeitgebers mitzuwirken, ohne dass durch eine Bekanntmachung und etwaige Minderung der Leistungszulage Rechtswirkungen eintreten. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht die begehrte Feststellung dahin verstanden hat, die Beteiligung solle erfolgen, bevor die auf der Grundlage der Leistungsbeurteilung errechnete Leistungszulage den betreffenden Mitarbeitern nach Nr. 3.5 ERA-BV schriftlich mitgeteilt und erläutert wird. Es ist nicht erkennbar und von der Schwerbehindertenvertretung auch nicht geltend gemacht worden, dass die Bekanntmachung der Leistungsbeurteilung gegenüber dem Arbeitnehmer bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt. Soweit die Schwerbehindertenvertretung im Rechtsbeschwerdeverfahren anführt, zum Zeitpunkt dieses Bekanntmachungsgesprächs sei auf der Grundlage der mitzuteilenden Leistungsbeurteilung bereits eine Berechnung der zeitgleich bekanntzugebenden Leistungszulage erfolgt, ergibt sich daraus kein Interesse an einer noch frühzeitigeren Beteiligung bereits im Vorfeld einer konkret festgelegten Beurteilung oder erfolgten Berechnung der Leistungszulage. Eine Anhörung zu einer beabsichtigten Entscheidung setzt eine arbeitgeberseitig ins Auge gefasste Entscheidung mit einem bestimmten Inhalt voraus. Dieser manifestiert sich bei der Leistungsbeurteilung in der beabsichtigten Punktvergabe sowie der daraus unmittelbar resultierenden Zulagenhöhe.
22cc) Dem Vorbringen der Schwerbehindertenvertretung in den Vorinstanzen war nicht zu entnehmen, dass sie ihre Unterrichtung und Anhörung bereits zu einem früheren Zeitpunkt fordert, wie sie nunmehr in der Rechtsbeschwerdeinstanz geltend macht. Insbesondere war weder dem Antrag, der ausdrücklich auf die Bekanntmachung der Leistungsbeurteilung an den jeweiligen Mitarbeiter abstellte, noch den weiteren Ausführungen der Schwerbehindertenvertretung zu entnehmen, sie verlange ihre Beteiligung bereits vor „Verschriftlichung“ der Leistungsbeurteilung auf einer Beurteilungskarte nach § 10 Nr. 3 ERA-TV. Dieses Vorbringen erfolgte erstmals in der Rechtsbeschwerde und kann deshalb nicht berücksichtigt werden. Eine etwaige Antragsänderung wurde in der Rechtsbeschwerdeinstanz insoweit nicht vorgenommen; sie wäre zudem mit einem erweiterten Prüfprogramm verbunden und daher im Rechtsbeschwerdeverfahren auch nicht zulässig.
23b) Der Antrag ist in der vom Landesarbeitsgericht vorgenommenen Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Antrag lässt erkennen, für welche Angelegenheit und Entscheidung das Beteiligungsrecht festgestellt werden soll. Der Bestimmtheit des Antrags steht nicht entgegen, dass er keine näheren Angaben dazu enthält, wie die begehrte Beteiligung im Einzelnen ausgestaltet sein soll. Wenn bereits das Bestehen des Beteiligungsrechts als solches streitig ist und über dessen ggf. zu beachtende Ausgestaltung noch kein Streit besteht, kann dieses zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden, ohne dass die Modifikationen bereits im Einzelnen beschrieben werden müssten ( - Rn. 17 mwN; - 7 ABR 39/16 - Rn. 20). Das ist hier der Fall. Über die einzelnen bei der Ausübung des Beteiligungsrechts zu beachtenden gesetzlichen Vorgaben besteht gegenwärtig kein Streit.
24c) Der Antrag genügt den Erfordernissen des § 256 Abs. 1 ZPO. Der Antrag ist darauf gerichtet, das Bestehen eines Rechtsverhältnisses festzustellen. Der Streit um die Reichweite eines gesetzlichen Beteiligungsrechts betrifft den Inhalt eines Rechtsverhältnisses zwischen den Beteiligten. Dieser ist einer gesonderten Feststellung zugänglich (vgl. - Rn. 18; - 7 ABR 39/16 - Rn. 23 mwN). Die Antragstellerin besitzt auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Schwerbehindertenvertretung vor der Bekanntmachung der Leistungsbeurteilung nach ERA-TV über die beabsichtigten Leistungsbeurteilungen schwerbehinderter oder gleichgestellter Arbeitnehmer zu unterrichten und anzuhören ist. Es ist davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Sachverhaltskonstellation auch zukünftig auftreten wird.
252. Der Antrag ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Arbeitgeberin nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet ist, die Schwerbehindertenvertretung vor einer Mitteilung der ERA-Leistungsbeurteilung an schwerbehinderte oder gleichgestellte behinderte Arbeitnehmer über die beabsichtigte Leistungsbeurteilung zu unterrichten und zu dieser anzuhören.
26a) Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX muss der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören.
27aa) Zum einen wird vom Arbeitgeber danach verlangt, die Schwerbehindertenvertretung umfassend zu unterrichten. Der Arbeitgeber muss dieser daher unverzüglich die zu der Angelegenheit gehörenden Informationen geben (vgl. dazu - Rn. 20). Die Verpflichtung zur Anhörung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX geht über die Unterrichtungspflicht insofern hinaus, als sie verlangt, dass der Schwerbehindertenvertretung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und der Arbeitgeber eine entsprechende Stellungnahme auch zur Kenntnis nimmt. Anders als die Unterrichtung hat die Anhörung nicht „unverzüglich“, sondern „vor“ der Entscheidung zu erfolgen. Der Arbeitgeber genügt daher seiner Pflicht zur Anhörung nicht, wenn er die Schwerbehindertenvertretung erst nach der Entscheidung anhört ( - Rn. 21).
28bb) Der weit gefasste Unterrichtungsanspruch erstreckt sich nicht nur auf einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auf alle Angelegenheiten, die sich spezifisch auf schwerbehinderte Menschen auswirken. Die Anhörungspflicht hingegen bezieht sich nicht auf sämtliche die schwerbehinderten Menschen betreffenden Angelegenheiten, sondern nur auf die diesbezüglichen Entscheidungen des Arbeitgebers. Entscheidungen in diesem Sinne sind die einseitigen Willensakte des Arbeitgebers. Das entspricht dem Wortsinn des Begriffs und wird dadurch bestätigt, dass das Gesetz in § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB IX von der „getroffenen“ Entscheidung spricht. Auch Sinn und Zweck des Anhörungsrechts zielen darauf, der Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit zu geben, an der Willensbildung des Arbeitgebers mitzuwirken ( - Rn. 21; - 7 ABR 39/16 - Rn. 33). Trifft der Arbeitgeber keine Entscheidung, hat er die Schwerbehindertenvertretung auch nicht anzuhören ( - Rn. 21; - 7 ABR 39/16 - Rn. 33).
29cc) Gegenstand der Unterrichtung und Anhörung sind alle Angelegenheiten und Entscheidungen, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren ( - Rn. 26, BAGE 169, 267; - 7 ABR 80/16 - Rn. 21). Die Unterrichtungs- und Anhörungspflicht besteht allerdings dann nicht, wenn die Angelegenheit oder die Entscheidung die Belange schwerbehinderter Menschen in keiner anderen Weise berührt als nicht schwerbehinderte Beschäftigte (vgl. - Rn. 35; - 7 ABR 67/10 - Rn. 20; - 9 ABR 83/09 - Rn. 13, 18, BAGE 135, 207). Die gleiche Betroffenheit „berührt“ weder den einzelnen schwerbehinderten Menschen noch die schwerbehinderten Menschen als Gruppe. Ziel der gesetzlichen Regelungen in § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX ist es ua., behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen und gleiche Teilhabechancen zu eröffnen. Die Schwerbehindertenvertretung soll daher Gelegenheit haben, den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche, ggf. nicht bedachte Auswirkungen seiner Entscheidung hinzuweisen. Die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sollen es ihr ermöglichen, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die Belange eines schwerbehinderten Menschen oder schwerbehinderter Beschäftigter als Kollektiv für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind. Wirkt sich eine Angelegenheit gleichmäßig und unabhängig von einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung auf alle Beschäftigten oder mehrere Beschäftigte aus, benötigt der einzelne schwerbehinderte Mensch keine Beratung oder helfende Unterstützung durch die Schwerbehindertenvertretung. Die Vertretung allgemeiner Arbeitnehmerinteressen ist durch das Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat oder durch die Personalvertretungsgesetze dem Personalrat zugewiesen (vgl. - Rn. 17 f., aaO). Ist die rechtliche und tatsächliche Stellung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen jedoch anders als die eines nicht behinderten Beschäftigten betroffen, sodass die Schwerbehindertenvertretung aus ihrer fachlichen Sicht sinnvoll auf mögliche behindertenspezifische Auswirkungen der Entscheidung hinweisen könnte, besteht regelmäßig ein Beteiligungsrecht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX.
30b) Danach ist die Arbeitgeberin verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor einer schriftlichen Mitteilung der ERA-Leistungsbeurteilung an einen schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer und deren Erläuterung hierüber zu unterrichten und sie hierzu anzuhören.
31aa) Die nach § 10 Nr. 7 bis 9 ERA-TV, Nr. 3 ERA-BV von der Arbeitgeberin vorzunehmende Leistungsbeurteilung ist sowohl eine Angelegenheit als auch eine Entscheidung iSv. § 178 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX. Mit der Leistungsbeurteilung ist eine einseitige Willensbildung des Arbeitgebers über die Bewertung der Arbeitnehmer nach den vorgegebenen Beurteilungskriterien verbunden. Bei dieser Willensbildung kann die Schwerbehindertenvertretung den Arbeitgeber aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche Auswirkungen hinweisen und so auf die Willensbildung Einfluss nehmen. Da die Willensbildung des Arbeitgebers jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Leistungsbeurteilung gegenüber dem Arbeitnehmer noch beeinflussbar ist, kann die Schwerbehindertenvertretung bereits davor ihre Unterrichtung über die beabsichtigte Leistungsbeurteilung und ihre Anhörung dazu verlangen.
32Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass eine dienstliche Beurteilung und die darin enthaltene Aussage über die Eignung eines Beamten keine Entscheidungen im Sinne des § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX darstellen, bei denen die Schwerbehindertenvertretung anzuhören wäre, da darin keine Regelung mit unmittelbaren Rechtswirkungen liegt ( - zu II 1 a der Gründe; Bayerischer 6 ZB 15.2148 - juris-Rn. 9 zu § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF; 2 B 106.90 - zu § 25 Abs. 2 SchwbG idF vom ). Eine Leistungsbeurteilung nach § 10 Nr. 7 bis 9 ERA-TV, Nr. 3 ERA-BV hat demgegenüber mit der darin festgelegten Bewertungsstufe nach § 10 Nr. 9, 10 ERA-TV, Nr. 3.3 ERA-BV unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Leistungszulage.
33bb) Die Leistungsbeurteilung berührt die Belange schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin in besonderer Weise und anders als die der nicht behinderten Beschäftigten. Zwar sind die Leistungsbeurteilungen nach denselben Beurteilungskriterien und mit den gleichen Auswirkungen für die Entgelthöhe sowohl für die schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Arbeitnehmer als auch für die übrigen Beschäftigten vorzunehmen. Bei schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmern können jedoch je nach Art und Schwere der Behinderung bei der Ausübung der jeweiligen Tätigkeit Einschränkungen bestehen, die sich auf das Beurteilungsergebnis und damit auf die Zulagenhöhe auswirken können. Das gilt insbesondere für die nach § 10 Nr. 8 ERA-TV sowie Nr. 3.1 ERA-BV vorgesehenen Beurteilungsmerkmale „Anwendung der Kenntnisse und Fertigkeiten (Sorgfalt, Genauigkeit, Zuverlässigkeit)“, „Beweglichkeit (Setzen von Prioritäten, Überblick, Arbeitsverhalten bei verschiedenen Arbeitssituationen)“ und „Arbeitseinsatz (Intensität, Selbstständigkeit, Wirksamkeit, …)“. Ohne Erfolg macht die Arbeitgeberin insoweit geltend, eine ggf. bestehende behindertenbedingte Beeinträchtigung könne sich nach dem in sich abgeschlossenen und einheitlich für alle Arbeitsplätze und Tätigkeiten geltenden Beurteilungssystem nicht in der Leistungsbeurteilung bzw. der Zulagenberechnung niederschlagen. Mit diesem Einwand verkennt die Arbeitgeberin, dass das Beurteilungssystem neben den allgemein gehaltenen Beurteilungsmerkmalen (§ 10 Nr. 8 ERA-TV; Nr. 3.1 ERA-BV) Beurteilungsstufen (§ 10 Nr. 9 ERA-TV; Nr. 3.2 ERA-BV) vorsieht, die die Leistungsbeurteilung im Hinblick auf die Beurteilungsmerkmale mithilfe unbestimmter Begriffe (vgl. § 10 Nr. 9 ERA-TV: „genügt den Leistungsanforderungen nicht immer“; „genügt den Leistungsanforderungen fast immer“; „genügt den Leistungsanforderungen in vollem Umfang“; „übertrifft die Leistungsanforderungen“; „übertrifft die Leistungsanforderungen in besonderem Umfang“) in ein Punkteschema überführen, um auf dieser Grundlage die individuelle Leistungszulage zu berechnen. Diese in Abhängigkeit von der Erfüllung jeweils zu stellender Leistungsanforderungen vorgesehenen Beurteilungsstufen lassen Bewertungsspielräume zu, die unter Berücksichtigung der ggf. behinderungsbedingten Einschränkungen und der Verpflichtungen nach § 164 Abs. 4 SGB IX auszufüllen sein können. Das hat sich insoweit auch im tariflichen Beurteilungssystem des ERA-TV niedergeschlagen, als nach § 10 Nr. 2 ERA-TV die Anforderungen an die Leistung im Zeitentgelt so zu gestalten sind, dass sie von für die auszuführenden Arbeiten geeigneten, genügend eingearbeiteten und eingeübten Beschäftigten auf Dauer ohne Gefährdung für ihre Gesundheit bewältigt werden können. Daher besteht bei der Leistungsbeurteilung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten behinderten Menschen ein besonderes Bedürfnis dafür, es der Schwerbehindertenvertretung zu ermöglichen, aus ihrer fachlichen Sicht auf mögliche behindertenspezifische Zusammenhänge hinzuweisen. Dies ist auch deshalb geboten, weil der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IX ua. die Aufgabe zugewiesen ist, über die Erfüllung der nach § 164 Abs. 4 SGB IX dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen zu wachen. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben die schwerbehinderten Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können; § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber zur behinderungsgerechten Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr; nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX ist der Arbeitgeber zur Ausstattung des Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung verpflichtet. Durch diese dem Arbeitgeber auferlegten Pflichten sollen auch leistungsabhängige Entgeltdifferenzierungen zu Lasten schwerbehinderter Menschen vermieden werden (Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 164 Rn. 203; ErfK/Rolfs 21. Aufl. SGB IX § 164 Rn. 13).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:240221.B.7ABR9.20.0
Fundstelle(n):
ZAAAH-82386