BFH Beschluss v. - IX B 74/20

Verfahrensmangel: Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan

Leitsatz

1. NV: Für die Geschäftsverteilung ist der vom Präsidium beschlossene und in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des FG zur Einsichtnahme aufgelegte Geschäftsverteilungsplan (§ 21e Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GVG) maßgebend, nicht auf der Website des Gerichts veröffentlichte Pläne oder Übersichten.

2. NV: Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans bestehen nicht, wenn die nachträgliche („unterjährige“) Änderung des gerichtlichen Geschäftsverteilungsplans durch die Einrichtung eines weiteren Senats und die damit naturgemäß einhergehende „ungenügende Auslastung des Spruchkörpers“ i.S. des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG veranlasst ist.

3. NV: Für die Einzelzuweisung einer Sache im gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan besteht ein sachlicher Grund, wenn diese durch den Senatswechsel der zuständigen Berichterstatterin veranlasst ist (§ 21e Abs. 4 GVG). Dies gilt auch dann, wenn die Berichterstatterin in dieser Sache noch nicht unmittelbar, jedoch in einem mit diesem Verfahren sachlich zusammenhängenden Klageverfahren tätig geworden ist.

Gesetze: GVG § 21e Abs. 1; GVG § 21e Abs. 9; GVG § 21e Abs. 3; GVG § 21e Abs. 4; FGO § 4;

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—), zuzulassen.

2 1. Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügte Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (§ 119 Nr. 1 FGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des GrundgesetzesGG—) liegt nicht vor.

3 a) Ein Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan führt nur dann zu einem Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO und § 119 Nr. 1 FGO, wenn er sich zugleich als Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt (, BFH/NV 2012, 431). Dies ist allein bei willkürlichen Verstößen gegen diese Verfahrensvorschriften der Fall. Von Willkür kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung sich so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom  - I B 14/13, BFH/NV 2014, 880, Rz 4; vom  - IX B 94/15, BFH/NV 2016, 581, Rz 5; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 4 Rz 27, m.w.N.).

4 b) „Erkennendes Gericht“ i.S. des § 119 Nr. 1 FGO ist das Gericht in der Besetzung bei der abschließenden Entscheidung. Maßgebend für die Ordnungsmäßigkeit der Besetzung des Spruchkörpers ist der für diesen Zeitpunkt geltende Geschäftsverteilungsplan des Gerichts; er regelt konstitutiv auch die Zuständigkeit des Spruchkörpers für bereits anhängige Sachen. Denn der Geschäftsverteilungsplan einschließlich etwaiger Änderungen wirkt nur für die Dauer eines Geschäftsjahres (Jährlichkeitsprinzip) und tritt an dessen Ende ohne weiteres Zutun außer Kraft (vgl. BFH-Beschlüsse vom  - IX B 179/05, BFH/NV 2006, 1873, unter II.1.a, Rz 5; in BFH/NV 2012, 431, Rz 5; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).

5 § 21e Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) i.V.m. § 4 FGO verbietet es nicht, durch den jährlichen Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zuzuweisen als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind. Hierbei ist jedoch —wie bei der Verteilung der Geschäfte allgemein— das Abstraktionsprinzip zu beachten. Der jeweilige Geschäftsverteilungsplan muss die Aufgaben nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen (d.h. nicht speziell, sondern generell) verteilen. Dies schließt zwar nicht aus, bereits anhängige, neu zu verteilende Sachen —soweit notwendig— in gewissem Umfang zu konkretisieren. Keinesfalls dürfen aber einzelne ausgesuchte Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden. Geschieht dies dennoch —wenn auch in dem anerkennenswerten Bemühen, bestimmte Verfahren zu beschleunigen—, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 1873, unter II.1.b, Rz 6; in BFH/NV 2012, 431, Rz 6; jeweils m.w.N. aus der Rechtsprechung).

6 c) Im Streitfall liegt kein Verfahrensfehler in Gestalt eines Verstoßes gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan vor. Der erkennende Senat des Finanzgerichts (FG) war nach dem vom Kläger vorgelegten —im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung geltenden— Geschäftsverteilungsplan u.a. für das Verfahren 8 K 1075/19 zuständig. Bei diesem Verfahren handelte es sich um eines von mehreren ausdrücklich bezeichneten Verfahren, die sich gegen das Finanzamt . richteten und trotz Einganges im Jahr 2019 dem 8. und nicht dem 7. Senat zugewiesen wurden. Maßgebend ist der vom Präsidium beschlossene und in der vom Präsidenten bestimmten Geschäftsstelle des FG zur Einsichtnahme aufgelegte Geschäftsverteilungsplan (§ 21e Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 GVG), nicht auf der Website des Gerichts veröffentlichte Pläne oder Übersichten.

7 Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Geschäftsverteilungsplans bestehen nicht. Dies gilt nach den zuvor dargestellten Grundsätzen auch im Hinblick darauf, dass durch den (jährlichen) Geschäftsverteilungsplan bereits anhängige Sachen einem anderen Spruchkörper zugewiesen werden als dem, bei dem sie im Zeitpunkt ihres Einganges anhängig geworden sind (Abgabe vom 7. Senat an den 6. Senat und später an den 8. Senat). Die nachträgliche („unterjährige“) Änderung war —worauf der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) zu Recht hinweist— durch die Einrichtung des 8. Senats und die damit naturgemäß einhergehende „ungenügende Auslastung des Spruchkörpers“ i.S. des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG veranlasst.

8 Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip vor. Zwar handelt es sich bei dem Verfahren, das der Vorentscheidung zu Grunde liegt, um eines von insgesamt vier einzeln zugewiesenen Verfahren (das Finanzamt . betreffend), für die der 8. Senat zuständig sein sollte. Das FA hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Anordnung ihren Grund im Wechsel der zuständigen Berichterstatterin in den 6. Senat bzw. 8. Senat hatte. Wenngleich die Berichterstatterin in dieser Sache noch nicht unmittelbar tätig geworden war, war dies im sachlich mit dem Verfahren 8 K 1075/19 zusammenhängenden Klageverfahren 8 K 566/19, das ebenfalls die Einkommensteuer 2006 bis 2008 betraf, der Fall. Vor dem Hintergrund der Regelung in § 21e Abs. 4 GVG, die eine Zuständigkeitsperpetuierung in derartigen Konstellationen ausdrücklich zulässt (vgl. Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 4 FGO Rz 94 ff.; Gräber/Herbert, a.a.O., § 4 Rz 27), ist daher ein ausreichender sachlicher Grund für den Zuständigkeitswechsel gegeben (s. , BFH/NV 1996, 908, unter 3., Rz 18). Hingegen bestehen keine Hinweise auf eine Manipulation durch gezielte und willkürliche Zuweisung einzelner Sachen, etwa im Hinblick auf die Person des Prozessbevollmächtigten (dazu , VIII R 1/94, BFH/NV 1996, 416, unter II.1., Rz 21).

9 2. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

10 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.120521.IXB74.20.0- 2 -

Fundstelle(n):
BFH/NV 2021 S. 1082 Nr. 9
XAAAH-81931