BSG Beschluss v. - B 11 AL 14/21 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Versäumung der Begründungsfrist einer Nichtzulassungsbeschwerde - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Rechtsirrtum eines Prozessbevollmächtigten - Verschulden - Kernaufgabe eines Rechtsanwaltes - Wahrung von Rechtsmittelbegründungsfristen

Gesetze: § 67 Abs 1 SGG, § 160a Abs 2 S 1 SGG, § 145 Abs 2 SGG

Instanzenzug: Az: S 13 AL 502/17 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 9 AL 131/18 Urteil

Gründe

1Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG) zu gewähren.

2Nach § 67 Abs 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Solche Umstände hat die Klägerin mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag nicht dargelegt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin trägt vor, dass eine fristgerechte Vorlage der Beschwerdebegründung nicht erfolgt sei, weil sie davon ausgegangen sei, dass eine solche Frist nicht bestehe, da sie sich nicht an § 160a Abs 2 Satz 1 SGG, sondern an § 145 Abs 2 SGG (Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung) orientiert habe. Damit liegt auf Seiten der Klägerin Verschulden vor. Verschulden umfasst Vorsatz und Fahrlässigkeit. Schuldlos handelt, wer diejenige Sorgfalt beachtet, die einem gewissenhaften Prozessführenden, der seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnimmt, nach den Gesamtumständen des konkreten Falles zuzumuten ist ( - juris RdNr 14). Rechtsirrtümer sind grundsätzlich nicht unverschuldet ( - juris RdNr 17 - zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 65a Nr 6 vorgesehen; Jung in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, § 67 RdNr 43, Stand ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 67 RdNr 8a; Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 67 RdNr 50). Insbesondere gehört es zu den Kernaufgaben eines Rechtsanwalts, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit eines Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht ( - juris RdNr 6 mwN); Entsprechendes gilt für die Wahrung von Rechtsmittelbegründungsfristen. Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Rechtsirrtum vom Gericht oder einer Behörde verursacht worden ist (vgl - BSGE 91, 39 = SozR 4-1500 § 67 Nr 1, RdNr 9) oder der Beteiligte auf eine bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung vertraut hat (vgl - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr 11 = juris RdNr 4 mwN); beides ist hier nicht der Fall.

3Entgegen der Auffassung der Prozessbevollmächtigten ist dieser Fehler auch der Klägerin zuzurechnen. Dies folgt unmittelbar aus § 73 Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht ( - SozR 4-1300 § 37 Nr 1 RdNr 16-17; - juris RdNr 14 mwN).

4Damit bedarf es keiner Entscheidung über die erneute Beschwerde, die die Klägerin ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhoben hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:060421BB11AL1421B0

Fundstelle(n):
LAAAH-81358