Strafurteil: Wahlfeststellung zwischen einzelnen Mordmerkmalen; Verhältnis von Verdeckungsabsicht und bedingtem Tötungsvorsatz; Annahme besonders schwerer Brandstiftung nach vorheriger Tötung des einzigen Gebäudebewohners
Gesetze: § 211 StGB, § 306a StGB, § 306b Abs 2 Nr 2 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: Az: 3610 Js 44002/18 - 10 Ks
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes sowie wegen besonders schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und den Wert von Taterträgen in Höhe von 3.054,80 € eingezogen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die er mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
21. Nach den Feststellungen tötete der Angeklagte in der Nacht vom 19. auf den das ihm seit längerer Zeit bekannte 79-jährige Tatopfer durch massive Gewalthandlungen mit „zumindest bedingtem Tötungsvorsatz“ in dessen Wohnhaus. Für den konkreten Tathergang hat die Strafkammer alternativ vier mögliche Geschehensabläufe festgestellt, wobei der Angeklagte in jedem Fall „zwecks Erlangung von Geld/geldwerten Gegenständen bzw. zwecks Erhalt des Besitzes von Geld/geldwerten Gegenständen den körperlichen Übergriff auf den Geschädigten ausübte“. Weitere denkbare Tatabläufe hat sie ausgeschlossen.
3a) Entweder drang der Angeklagte unbemerkt in das Wohnhaus des Geschädigten ein und wurde von diesem entdeckt, nachdem er bereits Geld und/oder geldwerte Gegenstände an sich genommen hatte (Variante 1 a) oder die Entdeckung erfolgte bereits, bevor er sein Vorhaben, Geld oder geldwerte Gegenstände an sich zu nehmen (teilweise) umsetzen konnte (Variante 1 b). Die Tötung des Geschädigten erfolgte entweder unmittelbar nachdem der Geschädigte den Angeklagten „auf frischer Tat ertappt“ hatte oder im Anschluss an ein nachfolgendes Streitgespräch, wobei der Angeklagte „jedenfalls“ in der Absicht handelte, das an sich genommene Geld bzw. den oder die an sich genommenen geldwerten Gegenstände zu behalten oder sein Vorhaben umsetzen zu können.
4Möglich ist auch, dass der Geschädigte den Angeklagten freiwillig in sein Haus ließ. Dort versuchte der Angeklagte, heimlich an Geld und/oder geldwerte Gegenstände zu gelangen. Dabei wurde er von dem Geschädigten entdeckt, nachdem er bereits Geld und/oder geldwerte Gegenstände an sich genommen hatte (Variante 2 a) oder noch bevor er sein Vorhaben (teilweise) umsetzen konnte (Variante 2 b). Der Angriff auf den Geschädigten erfolgte wiederum entweder unmittelbar nachdem dieser den Angeklagten „auf frischer Tat ertappt“ hatte oder im Anschluss an ein nachfolgendes Streitgespräch, wobei der Angeklagte „jedenfalls“ in der Absicht handelte, das an sich genommene Geld bzw. den oder die an sich genommenen geldwerten Gegenstände zu behalten oder sein Vorhaben umsetzen zu können.
5Denkbar ist ferner, dass der Angeklagte zunächst den Geschädigten um die freiwillige Überlassung von Geld und/oder geldwerten Gegenständen bat. Entweder die Ablehnung dieser Bitte durch den Geschädigten oder ein anschließendes Streitgespräch führten zur Tötung des Geschädigten, wobei der Angeklagte in der Absicht handelte, sein Vorhaben, Geld und/oder geldwerte Gegenstände an sich zu bringen, umsetzen zu können (Variante 3).
6Möglich ist schließlich, dass der Angeklagte, nachdem er sich mit dem Einverständnis des Geschädigten einige Zeit in dessen Haus aufgehalten hatte, für diesen völlig überraschend die tödlichen Gewalthandlungen ausführte. Dabei handelte er in der Absicht, Geld und/oder geldwerte Gegenstände an sich zu bringen (Variante 4).
7b) Das Landgericht ist - der rechtlichen Wertung der Anklage folgend - davon ausgegangen (UA S. 110 f.), dass der Angeklagte entweder mit Verdeckungsabsicht handelte, sofern der körperliche Übergriff und der Todeseintritt erfolgten, nachdem der Angeklagte jedenfalls einen Teil der von dem später genutzten Giro- bzw. Kreditkarten des Geschädigten entwendet, das heißt eingesteckt hatte; andernfalls habe er mit der Ermöglichungsabsicht gehandelt, sofern der körperliche Übergriff und der Todeseintritt erfolgten, bevor der Angeklagte irgendeinen der von ihm später entwendeten Gegenständen eingesteckt hatte.
82. Nach dem Tod des Geschädigten geriet der Angeklagte zunächst in Panik und verließ den Tatort. Er kehrte jedoch noch in der Tatnacht dorthin zurück, um seine Spuren zu verwischen. Zu diesem Zweck setzte er das bis dahin von dem Geschädigten alleine bewohnte und von Wiesen- und Ackerflächen umgebene Wohnhaus unter Einsatz von Benzin in Brand, nachdem er zunächst diverse, im Eigentum des Geschädigten stehende (weitere) Gegenstände an sich genommen hatte. Das Wohnhaus wurde durch das Brandgeschehen massiv beschädigt bzw. zerstört und später abgerissen.
93. Die von ihm entwendeten Kreditkarten setzte der Angeklagte am 23. und für mehrere Einkäufe in Tschechien im Gesamtwert von 3.054,80 € ein.
II.
10Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet.
111. Die Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
122. Der auf die Sachrüge veranlassten sachlich-rechtlichen Prüfung hält das Urteil nur eingeschränkt stand.
13a) Die Verurteilung wegen Mordes hat keinen Bestand.
14Die Strafkammer ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage auch im Hinblick auf die alternative Verwirklichung verschiedener Mordmerkmale rechtlich möglich ist. Dies setzt jedoch voraus, dass bei sämtlichen Sachverhaltsvarianten, welche der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Beweismittel unter Ausschluss anderweitiger Geschehensabläufe für möglich erachtet, eines der Mordmerkmale erfüllt sein muss (vgl. , juris Rn. 9 mwN).
15Hieran fehlt es. Die rechtliche Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe mit Verdeckungsabsicht gehandelt, sofern der körperliche Übergriff und der Todeseintritt erfolgten, nachdem der Angeklagte jedenfalls einen Teil der von ihm später benutzten Giro- bzw. Kreditkarten des Geschädigten bereits entwendet, das heißt eingesteckt hatte, wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.
16aa) Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz schließen einander nicht grundsätzlich aus, sondern können auch zusammen bestehen. Dies kann der Fall sein, wenn die maßgebliche Handlung vom Täter vorgenommen wird, um eine vorangegangene Straftat zu verdecken, dieser Erfolg nach seinem Vorstellungsbild aber auch ohne den Eintritt des für möglich gehaltenen und billigend in Kauf genommenen Todeserfolgs bewirkt wird, der bedingt vorsätzlich herbeigeführte Tod des Opfers mithin keine verdeckungsspezifische Funktion aufweist. Geht der Täter dagegen davon aus, dass nur der Tod des Opfers zur Vortatverdeckung führt, können Verdeckungsabsicht und lediglich bedingter Tötungsvorsatz nicht nebeneinander angenommen werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 239/10, juris Rn. 10; , NJW 2021, 326, 328 f.; Beschlüsse vom - 4 StR 564/19, juris Rn. 6; vom - 1 StR 160/18, juris Rn. 12; Urteil vom - 4 StR 361/17, juris Rn. 11, jew. mwN).
17bb) Hieran gemessen wird eine Verdeckungsabsicht des Angeklagten durch die Feststellungen der Strafkammer zu dessen Motivlage nicht belegt. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass dem bedingt vorsätzlich herbeigeführten Tod des Opfers aus der Sicht des Angeklagten eine verdeckungsspezifische Funktion zukam. Mit Blick darauf, dass dieser nach den Feststellungen mit dem Tatopfer gut bekannt war, bestand die erörterungsbedürftige Möglichkeit, dass seine (des Angeklagten) Vorstellung dahinging, das Opfer werde ihn im Fall des Überlebens als Täter benennen. In dieser Sachverhaltskonstellation können Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz regelmäßig nicht nebeneinander angenommen werden.
18cc) Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen Mordes. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen.
19b) Die Feststellungen tragen auch nicht die Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB.
20aa) Hierfür fehlt es an einer Haupttat nach § 306a StGB, die von dem Qualifikationstatbestand des § 306b Abs. 2 StGB vorausgesetzt wird. In Betracht kommt hier, wie die Strafkammer zutreffend gesehen hat, alleine eine Tat nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Tatvariante des Inbrandsetzens eines Gebäudes, das der Wohnung von Menschen dient. Zwar stellt das Wohnhaus des Geschädigten grundsätzlich eine solche Räumlichkeit dar. Die Strafkammer hat jedoch übersehen, dass die Zweckbestimmung des Gebäudes zu Wohnzwecken mit dem Tod des einzigen Bewohners endete. Hierbei kommt es nicht darauf an, wie lange vor der Tat dessen Tod eintrat und ob die Leiche sich zum Zeitpunkt der Brandstiftung noch im Haus befand (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 295/19, juris Rn. 5; Urteil vom - 2 StR 276/69, BGHSt 23, 114, 115; , juris Rn. 18; vgl. auch Urteil vom - 3 StR 54/07, BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Wohnung 5; vom - 3 StR 134/87, juris Rn. 7).
21bb) Mit dem Ende der Wohnnutzung durch den Tod des Geschädigten stellt sich das nachträgliche Inbrandsetzen des Gebäudes als (einfache) vorsätzliche Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte hiergegen nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
22c) Die Schuldspruchänderung hat die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall 2 der Urteilsgründe zur Folge. Der Wegfall dieser und der im Fall 1 wegen Mordes verhängten Einzelstrafe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
23d) Die Einziehungsentscheidung hat in mehrfacher Hinsicht keinen Bestand. Ungeachtet der Aufhebung des Schuldspruchs wegen Mordes belegen die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte den eingezogenen Wert von Taterträgen in Höhe von 3.054,80 € durch oder für die zur Aburteilung stehende Taten erlangt hat.
24aa) Ein auf einer Erwerbstat beruhender Vermögenszufluss des Angeklagten ist nicht festgestellt (vgl. , juris Rn. 6). Bei den unter Einsatz der entwendeten Kreditkarten erlangten Waren handelt es sich nicht um ein durch die − mit dem ausgeurteilten Mord materiell-rechtlich in Tateinheit stehende − Raubtat „erlangtes Etwas“ im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB (vgl. dazu , NStZ-RR 2018, 335, 336 mwN). Diese sind auch keine aus einem solchen Etwas gezogene Nutzungen (§ 73 Abs. 2 StGB), sondern der Ertrag des unberechtigten Einsatzes der Kreditkarten in Tschechien (vgl. hierzu , juris Rn. 4). Letzterer ist jedoch weder Gegenstand der Anklage noch der Verurteilung.
25bb) Der Rechtsfehler bedingt die Aufhebung der Einziehungsentscheidung. Er führt hier gleichwohl nicht zu ihrem endgültigen Wegfall. Denn nach den Feststellungen entwendete der Angeklagte neben den Giro- und Kreditkarten weitere Gegenstände, hinsichtlich derer die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegebenenfalls anzuordnen ist, soweit diese nicht bei dem Angeklagten sichergestellt und an die Berechtigten zurückgeführt wurden.
III.
26Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
271. Sollte sich der neue Tatrichter neuerlich nicht von einem direkten Tötungsvorsatz des Angeklagten überzeugen können, wird er in Betracht zu ziehen haben, dass auch bei der Sachverhaltsvariante, in der der Angeklagte handelte, um sich den Besitz der bereits entwendeten Gegenstände zu erhalten, das Mordmerkmal der „Ermöglichungsabsicht“ in Betracht zu ziehen ist (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 275/15, juris; Urteil vom - 2 StR 422/14, juris Rn. 9, jeweils mwN). Diese wäre gegeben, wenn der Angeklagte sich für die (bedingt) vorsätzliche Tötungshandlung entschieden hätte, um den möglicherweise noch nicht beendeten Diebstahl (vgl. hierzu , NJW 1987, 2687 mwN) schneller und leichter fortzusetzen (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 370/16, juris Rn. 9; Urteil vom - 3 StR 117/84, NStZ 1984, 453, 454). Der Senat kann offenlassen, ob die bisherigen Feststellungen zur subjektiven Tatseite die Annahme einer Ermöglichungsabsicht auch bei diesem Geschehensablauf getragen hätten. Einer entsprechenden Verurteilung stünde § 265 Abs. 1 StPO entgegen. Der Angeklagte hatte bisher keine Möglichkeit, sich auch für diese Sachverhaltsvariante gegen die Annahme des Mordmerkmals der Ermöglichungsabsicht angemessen zu verteidigen.
282. Daneben wird der neue Tatrichter auch zu sehen haben, dass das Mordmerkmal der Habgier in der Regel naheliegt, wenn es dem am Tatort anwesenden Täter bei der Tötungshandlung auch um die Sicherung der Beute geht (vgl. , juris Rn. 9).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:160221B2STR391.20.0
Fundstelle(n):
TAAAH-80943