BGH Beschluss v. - 1 StR 310/20

Betrugstatbestand: Anmeldung zu niedriger Bruttolöhne und Zahlung entsprechend zu niedriger Beiträge an die SOKA-Bau; Bedeutung der elektronischen Abgabe der Meldungen für Täuschung und irrtumsbedingte Vermögensverfügung

Gesetze: § 263 Abs 1 StGB, § 1 VTV-Bau, §§ 1ff VTV-Bau

Instanzenzug: Az: 1 StR 310/20 Beschlussvorgehend Az: 544 Js 26328/19 - 6 KLsnachgehend Az: 1 StR 310/20 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 62 Fällen, Betruges in 35 Fällen und Steuerhinterziehung in 37 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Ergänzend bemerkt der Senat:

3Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges (§ 263 StGB) in 35 Fällen im Hinblick auf die Meldung zu niedriger Bruttolohnsummen und Abführung zu niedriger Beiträge für die Monate September 2016 bis Juli 2019 an die SOKA-Bau im Rahmen des Urlaubskassenverfahrens im Baugewerbe (Fälle 63 bis 97 der Urteilsgründe) ist rechtsfehlerfrei.

4Der Angeklagte war gemäß den §§ 6, 18 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) verpflichtet, der SOKA-Bau für jeden Kalendermonat bis zum 15. des folgenden Monats den beitragspflichtigen Bruttolohn zu melden und die fälligen Beiträge für die von ihm geleitete R.    GmbH bis zum 20. des dem Abrechnungszeitraum folgenden Monats abzuführen. Dieser Pflicht kam er nicht ordnungsgemäß nach, indem er für die Monate September 2016 bis Juli 2019 zu niedrige Bruttolöhne anmeldete und entsprechend zu niedrige Beiträge an die SOKA-Bau zahlte. Für die R.    GmbH galt diese Bestimmung unabhängig davon, ob es sich bei ihr um ein unmittelbar tarifgebundenes Unternehmen handelte oder ob sie dem Tarifvertrag aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des VTV unterlag. Die Allgemeinverbindlicherklärungen für die verfahrensgegenständlichen Kalenderjahre waren - im Gegensatz zu vorangegangenen Zeiträumen (vgl. Rn. 153 ff.; Rn. 7) - auch wirksam (vgl. BAG, Beschlüsse vom - 10 ABR 62/16 und vom - 10 ABR 12/18 Rn. 14 ff.).

5Der Umstand, dass die Meldungen an die SOKA-Bau gemäß § 4 VTV elektronisch abzugeben waren, steht der Annahme einer Täuschung und irrtumsbedingten Vermögensverfügung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB bei den zuständigen Mitarbeitern der SOKA-Bau nicht entgegen. Nach den Urteilsfeststellungen unterließen sie in Unkenntnis der tatsächlichen monatlichen Bruttolohnsummen die Einforderung der ausstehenden Beiträge (UA S. 14, 27). Entgegen der Auffassung der Revision ist nicht von Bedeutung, ob in die Geltendmachung von gemeldeten Beiträgen Mitarbeiter der SOKA-Bau eingebunden waren oder ob dies rein elektronisch erfolgte. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Mitarbeiter der SOKA-Bau in den Fällen, in denen monatliche Meldungen erfolgten, allgemein von einer Geltendmachung der geschuldeten Beiträge absahen und dabei das generelle sachgedankliche Mitbewusstsein hatten, dass es in diesen Fällen auch im Hinblick auf die Beitragshöhe eines Einschreitens nicht bedurfte. Einer detaillierten Darstellung der konkreten Aufgabengebiete der Mitarbeiter der SOKA-Bau bedurfte es dabei in den Urteilsgründen nicht.

6Durch die irrtumsbedingte Nichtgeltendmachung der nicht gemeldeten Beitragsteile ist auch ein Schaden im Vermögen der SOKA-Bau entstanden. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 33). Der SOKA-Bau ist damit durch die täuschungsbedingt unterlassene Geltendmachung der ausgehend vom VTV geschuldeten und nicht abgeführten Beitragsteile unabhängig davon ein Vermögensschaden entstanden, ob und ggf. in welcher Höhe die R.    GmbH zu einem späteren Zeitpunkt Erstattungsbeträge hätte geltend machen können. Die sich aus dem Tarifvertrag ergebenden Ansprüche auf Beitragszahlung sind Bestandteile des Vermögens der SOKA-Bau. Dies wird durch den Umstand, dass die SOKA-Bau die von den Arbeitgebern zu zahlenden Beträge ansammelt und hiermit im Rahmen ihrer Zwecksetzung wirtschaftet (vgl. zum Zweck des Urlaubskassenverfahrens: Rn. 19 f.), nicht in Frage gestellt, zumal das Urlaubskassenverfahren die Bezahlung gleichmäßig auf alle Arbeitgeber der Branche verteilen soll (BAG aaO Rn. 19 mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:231220B1STR310.20.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2021 S. 927 Nr. 7
wistra 2021 S. 238 Nr. 6
wistra 2021 S. 277 Nr. 7
YAAAH-80937