Online-Nachricht - Freitag, 04.06.2021

Verfahrensrecht | Gestaltungsmissbrauch bei Verschmelzung einer "Gewinngesellschaft" auf eine "Verlustgesellschaft" (BFH)

Einzelsteuergesetzliche Vorschriften zur Verhinderung von Steuerumgehungen, die tatbestandlich nicht einschlägig sind, schließen die Anwendung des § 42 AO nicht aus (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach § 42 Abs. 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden (Satz 1). Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (Satz 2). Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs i. S. des Abs. 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (Satz 3).

Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob die Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Verlustgesellschaft einen Gestaltungsmissbrauch i. S. des § 42 AO in der im Streitjahr (2008) geltenden Fassung darstellt.

Die Klägerin (A-GmbH) geriet Ende des Jahres 2008 aufgrund angespannter Liquiditätsverhältnisse in die Gefahr der Insolvenz. Die C-AG war zu 100 % an der D-GmbH, welche in den Jahren 2008 und 2009 Gewinne aus stehengelassenen Sicherungs- und Finanzgeschäften (Swaps) erzielte, beteiligt. Nach Vorabausschüttungen an die C-AG bestand das Vermögen der D-GmbH im Wesentlichen aus liquiden Mitteln und Steuerforderungen. Darüber hinaus waren Steuerrückstellungen passiviert. Mit notariell beurkundetem Vertrag veräußerte die C-AG am sämtliche Anteile an der D-GmbH an die Klägerin; dies steuerfrei aus § 8b KStG.

Anschließend ist die D-GmbH mit Verschmelzungsvertrag vom rückwirkend auf den (steuerlicher Übertragungsstichtag am ) auf die Klägerin verschmolzen worden. Die Übertragung wurde nach § 11 Abs. 2 UmwStG zu Buchwerten und damit steuerneutral durchgeführt.

Nach Abzug des Kaufpreises für die Anteile gingen der Klägerin durch die Auflösung der Steuerrückstellungen liquide Mittel in erheblicher Höhe zu, da das Aktivvermögen der D-GmbH nach der Verschmelzung nicht mehr durch die Rückstellungen überlagert wurde.

Das Finanzamt vertrat nach einer steuerlichen Betriebsprüfung die Auffassung, dass das durch die D-GmbH im Rückwirkungszeitraum erzielte Einkommen von derselben als Steuersubjekt zu versteuern sei. In der Anteilsübertragung und der anschließenden Verschmelzung sei ein steuerlicher Gestaltungsmissbrauch i. S. von § 42 AO zu erkennen. Daher versagte das Finanzamt die Verrechnung mit den Verlustvorträgen der Klägerin und erließ daraufhin geänderte Bescheide für 2008 betreffend die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag. (siehe )

Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich ().

Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen:

  • Das FG hat zwar die Regelungen in § 12 Abs. 3 Halbsatz 2 i. V. mit § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG in der im Streitjahr geltenden Fassung und in § 8c Satz 2 KStG zu Unrecht als einzelsteuergesetzliche Umgehungsverhinderungsvorschriften i. S. des § 42 Abs. 1 Satz 2 AO qualifiziert und diesen eine "Abschirmwirkung" gegenüber der Anwendung des § 42 AO zuerkannt. Das führt allerdings nicht zum Erfolg der Revision, weil der Erwerb der Anteile an der D-GmbH und deren anschließende rückwirkende Verschmelzung auf die Klägerin keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. des § 42 Abs. 2 AO darstellt.

  • Im Unterschied zu früheren Fassungen enthält § 42 AO in Abs. 1 Satz 2 und 3 nunmehr eine ausdrückliche Regelung zum Verhältnis einzelsteuergesetzlicher Umgehungsverhinderungsregelungen gegenüber der Missbrauchsklausel der AO. Der Wortlaut lässt keinen Zweifel daran, dass solche einzelsteuergesetzlichen Vorschriften die Anwendung des § 42 AO nur dann verdrängen, wenn sie tatbestandlich einschlägig sind. Sind sie tatbestandlich nicht einschlägig ("anderenfalls"), dann wird § 42 AO nicht verdrängt. Für eine gesetzestechnisch begründete "automatische" Abschirmwirkung der einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschrift ist danach kein Raum.

  • Bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs i. S. des § 42 Abs. 2 AO sind diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen einzelsteuergesetzlichen Vorschriften zur Verhinderung von Steuerumgehungen zugrunde liegen, zu berücksichtigen.

  • Wird eine "Gewinngesellschaft" auf eine "Verlustgesellschaft" verschmolzen und verrechnet diese die positiven Einkünfte der "Gewinngesellschaft" des Rückwirkungszeitraums mit ihren eigenen Verlusten, dann stellt dies nach der Rechtslage des Jahres 2008 keinen Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar. Dies gilt auch dann, wenn die "Gewinngesellschaft" die Gewinne des Rückwirkungszeitraums bereits an ihre frühere Muttergesellschaft ausgeschüttet hatte.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
TAAAH-80502