Keine Zwangsbetriebsaufgabe durch Veräußerung der Hofstelle eines verpachteten land- und forstwirtschaftlichen Betriebs
Leitsatz
NV: Die Veräußerung der Hofstelle eines verpachteten land- und forstwirtschaftlichen Betriebs führt nicht zu dessen zwangsweiser Aufgabe.
Gesetze: EStG § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1; EStG § 16 Abs. 3
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine aus den drei Kindern der 2010 verstorbenen Erblasserin (E) bestehende Erbengemeinschaft. Die Erben haben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge verpachtete landwirtschaftliche Flächen erworben.
2 E hatte im Jahr 1973 nach dem Tod ihres Ehemanns die landwirtschaftlich genutzten Flächen nacheinander an verschiedene Pächter jeweils im Ganzen verpachtet. Die Hofstelle veräußerte sie mit Vertrag vom ...1974 zum ...1975. Spätestens seit dem Jahr 1976 wurden die Einkünfte bei E als solche aus Vermietung und Verpachtung behandelt.
3 In ihrer Feststellungserklärung für das Streitjahr (2010) erklärte die Klägerin ebenfalls Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) ging demgegenüber von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft aus.
4 Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Es war der Ansicht, der von E bis ins Wirtschaftsjahr 1973/1974 geführte land- und forstwirtschaftliche Betrieb sei von dieser mit dem Verkauf der Hofstelle im Wirtschaftsjahr 1974/1975 zwangsweise aufgegeben worden.
5 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
6 Es beantragt,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Gründe
II.
8 Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
9 Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass E den landwirtschaftlichen Verpachtungsbetrieb durch die Veräußerung der Hofstelle im Wirtschaftsjahr 1974/1975 zwangsweise aufgegeben hat. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des FG aber nicht abschließend prüfen, ob die Klägerin im Streitjahr durch die Verpachtung der landwirtschaftlichen Nutzflächen tatsächlich Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 13 EStG erzielte.
10 1. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat daher bindenden Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) hatte E nach dem Tod ihres Ehemanns die vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen —ohne die Hofstelle— im Jahr 1973 zunächst im Ganzen verpachtet.
11 2. Entgegen der Auffassung des FG hat E den von ihr geführten land- und forstwirtschaftlichen Verpachtungsbetrieb mit dem Verkauf der Hofstelle im Wirtschaftsjahr 1974/1975 nicht zwangsweise aufgegeben. Denn durch den Verkauf der Hofstelle ist das Verpächterwahlrecht nicht entfallen.
12 a) Der Steuerpflichtige hat nach ständiger Rechtsprechung im Fall der Verpachtung seines Betriebs ein Wahlrecht, ob er den Vorgang als Betriebsaufgabe i.S. des § 16 Abs. 3 EStG behandeln und damit die Wirtschaftsgüter seines Betriebs unter Auflösung der stillen Reserven in sein Privatvermögen überführen oder (ob und wie lange er) das Betriebsvermögen während der Verpachtung fortführen und daraus betriebliche Einkünfte erzielen will (grundlegend Urteil des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom - GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124; zuletzt z.B. , Rz 26, und vom - VI R 26/17, BFHE 265, 82, BStBl II 2019, 660, Rz 21).
13 b) Das Wahlrecht entfällt aber, wenn anlässlich oder während der Verpachtung die wesentlichen Betriebsgrundlagen des landwirtschaftlichen Betriebs so umgestaltet werden, dass sie nicht mehr in der bisherigen Form genutzt werden können. Denn die identitätswahrende Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebs ist an den Fortbestand der verpachteten wesentlichen Betriebsgrundlagen gebunden. Dass die Hofstelle bei der Verpachtung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs im Ganzen ebenso wie bei der parzellenweisen Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen mitverpachtet wird, ist für die Anwendung der Betriebsverpachtungsgrundsätze nicht erforderlich (, BFHE 191, 547, BStBl II 2000, 470, unter 1.; vom - IV R 29/99, BFH/NV 2001, 433, und vom - IV R 35/03, BFH/NV 2005, 1046, m.w.N.).
14 Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass es schon immer land- und forstwirtschaftliche Betriebe ohne Hofstelle gab, es namentlich bei der Bewirtschaftung von Stückländereien einer Hofstelle nicht bedarf (, BFH/NV 2007, 1640, unter II.3.). So lange der Verpächter keine eindeutige Erklärung der Betriebsaufgabe abgibt, ist er daher grundsätzlich frei, den Verpachtungsbetrieb zu Beginn oder während der Verpachtung in einem Umfang umzustrukturieren, der einer Wiederaufnahme der Eigenbewirtschaftung, wenn auch in abgewandelter Form, nicht entgegensteht (s. , BFHE 188, 310, BStBl II 1999, 398; von Schönberg, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2003, 1052).
15 Ist aber eine Hofstelle keine unabdingbare Voraussetzung für die steuerrechtliche Anerkennung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, folgt daraus zugleich, dass das weitere Schicksal der zurückbehaltenen Hofstelle für die Absicht der Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit auf den verpachteten Grundstücksflächen ebenfalls keine Bedeutung (mehr) haben kann (BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1640). Mithin führt auch die Veräußerung der Hofstelle nicht zu einer Zwangsbetriebsaufgabe (, BFHE 202, 525, BStBl II 2003, 755, unter 3.b, und in BFH/NV 2005, 1046, unter 2.a, sowie ). Entscheidend ist, ob der Verpächter ausdrücklich die Aufgabe des Betriebs erklärt (von Schönberg, HFR 2003, 1052). Dies ergibt sich auch aus der —im Streitjahr allerdings noch nicht anwendbaren— Vorschrift in § 16 Abs. 3b Satz 1 Nr. 1 EStG (i.V.m. § 14 Satz 2 EStG).
16 c) Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Unrecht eine durch den Verkauf der Hofstelle ausgelöste Zwangsbetriebsaufgabe des land- und forstwirtschaftlichen Verpachtungsbetriebs der E bejaht.
17 Entgegen der Ansicht der Vorinstanz wurde der Betrieb nicht zwangsweise dadurch zerschlagen, dass E die Hofstelle veräußerte. Infolge der Veräußerung der Hofstelle entfielen nicht die Voraussetzungen für die Fortführung des Verpächterwahlrechts. Denn E war als Verpächterin grundsätzlich frei, den Verpachtungsbetrieb in einem Umfang umzustrukturieren, der einer Wiederaufnahme der Eigenbewirtschaftung nicht entgegenstand. Sie konnte daher die Hofstelle auch veräußern. Dass mit den verbliebenen, verpachteten Flächen eine Wiederaufnahme der Eigenbewirtschaftung nicht möglich war, ist nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich.
18 3. Das FG hat —aus seiner Sicht zu Recht— nicht geprüft, ob E (ausdrücklich oder konkludent) eine Betriebsaufgabeerklärung abgegeben hat, obwohl die Klägerin geltend gemacht hatte, sie gehe davon aus, die Betriebsaufgabe sei für 1974 erklärt worden.
19 Diese Prüfung wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
20 4. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:U.110221.VIR17.19.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2021 S. 930 Nr. 8
KÖSDI 2021 S. 22387 Nr. 9
StBp 2022 S. 108 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2021 S. 551
WAAAH-80472