Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verlusts des fristgebundenen Schriftsatzes auf dem Postweg: Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Einlegung des Schriftsatzes in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts; postfertiger Schriftsatz
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO
Instanzenzug: Az: 9 U 125/19vorgehend Az: 10 O 230/18
Gründe
1I. Der Kläger erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung.
2Er hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil des Landgerichts, mit dem seine Klage abgewiesen wurde, fristgerecht Berufung eingelegt. Auf seinen Antrag vom ist die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat, d.h. bis Montag, den verlängert worden. Nachdem innerhalb dieser Frist keine Berufungsbegründung eingegangen war, hat das Berufungsgericht den Kläger mit Schreiben vom auf diesen Umstand sowie die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig hingewiesen.
3Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom , der am selben Tage beim Berufungsgericht einging, unter gleichzeitiger Vorlage einer Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
4Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er sich auf eine gleichzeitig vorgelegte eidesstattliche Versicherung einer Kanzleiangestellten bezogen, die folgenden Wortlaut hat:
"Hiermit versichere ich, [...], die Berufungsbegründung an das versandt zu haben.
Ich habe am gleichen Tage die von Herrn Rechtsanwalt [...] über das Spracherkennungssystem DRAGON erstellte Berufungsbegründung in 3-facher Ausfertigung ausgedruckt, zur Unterschrift vorgelegt und in den Postausgang übergeben, wo sie am gleichen Tage über den sich in der Nähe befindlichen Briefkasten zur Post gegeben wurde."
5Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
6Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger weder schlüssig dargetan noch hinreichend glaubhaft gemacht habe, unverschuldet an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen zu sein.
7Schriftsätzlich sei nur vorgetragen, dass die von seinem Prozessbevollmächtigten unterschriebene Berufungsbegründung vom von dessen Rechtsanwaltsfachangestellter noch am gleichen Tage zur Post gegeben worden sei. Daraus sei nicht zu entnehmen, wie diese Aufgabe zur Post erfolgt sei; insbesondere sei nicht vorgetragen, dass die Angestellte die Berufungsbegründung persönlich in den Postkasten oder zu einer Poststelle gebracht habe.
8Dies ergebe sich auch nicht aus ihrer eidesstattlichen Versicherung. Diese sei so zu verstehen, dass die Unterzeichnerin die Berufungsbegründung nur in den Postausgang übergeben, nicht aber selbst zum Briefkasten gebracht und dort eingeworfen habe. Unklar sei schon, was mit "Postausgang" gemeint sei. Mangels weiterer Angaben dazu, wer für die Weiterbeförderung der abgelegten Schriftstücke aus diesem "Postausgang" in den Briefkasten zur Post zuständig sei, und wie im Rahmen der Büroorganisation sichergestellt sei, dass im Postausgang befindliche fristwahrende Schriftstücke rechtzeitig bei einer Poststelle zur Versendung aufgegeben oder in den nahe gelegenen Briefkasten verbracht werden, sei nicht auszuschließen, dass ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten vorliege, das zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt habe.
9Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
10II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung verletzt weder den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich.
111. Das Berufungsgericht hat seiner rechtlichen Beurteilung zutreffend zugrunde gelegt, dass sich das Wiedereinsetzungsgesuch alleine auf den Inhalt der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung gestützt hat, weil darüber hinaus keine weitergehenden tatsächlichen Erklärungen im Schriftsatz enthalten sind, und diese eidesstattliche Versicherung so zu verstehen ist, dass deren Unterzeichnerin aus eigenem Wissen lediglich bestätigt, die unterschriebene Berufungsbegründung in den Postausgang gelegt, nicht aber, diese selbst in den Briefkasten befördert und eingeworfen zu haben.
12Letzteres folgt ungeachtet des ersten Satzes im Text der eidesstattlichen Versicherung aus der differenzierenden Formulierung in der eidesstattlichen Versicherung, in der die Unterzeichnerin das Ausdrucken der Berufungsbegründung, die Vorlage zur Unterschrift und die Übergabe in den Postausgang in der Ich-Form beschreibt, während die Weitergabe zur Post über den Briefkasten nachfolgend in der Passivform ohne Bezeichnung der handelnden Person geschildert wird. Diese Abweichung lässt den Schluss zu, dass dieser Vorgang eben nicht mehr von der die Erklärung abgebenden Kanzleiangestellten durchgeführt wurde.
132. Auf dieser Grundlage ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes als nicht ausreichend dargelegt angesehen hat.
14a) Wird - wie im Streitfall - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener Schriftsatz sei auf dem Postweg verloren gegangen, ist Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren, wenn der Antragsteller auf der Grundlage einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post (zunächst) darlegt und (dann auch) glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten eingetreten ist. Erforderlich ist Vortrag zu der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post (oder Verbringung in den Gerichtsbriefkasten), die als letzter Teil des Übermittlungsgeschehens noch der Wahrnehmung der Partei zugänglich ist. Die Schilderung muss (mindestens) eine lückenlose Darstellung des Weges des konkreten Schriftstücks in den dafür vorgesehenen Postausgangskorb als der letzten Station auf dem Weg zum Adressaten enthalten und den hinreichend sicheren Schluss erlauben, dass das Schriftstück nach der Unterschrift durch den Prozessbevollmächtigten nur in das Ausgangsbehältnis gelangt sein konnte und nicht unterwegs liegen geblieben, verloren gegangen oder fehlgeleitet worden ist (, VersR 2020, 507 Rn. 11 m.w.N.).
15Es kann somit unter Umständen die Darlegung und Glaubhaftmachung genügen, dass der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt worden ist, von wo die abgehende Post unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich. Ein Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dann ebenso wenig gefordert wie eine - meist nicht mögliche - Darlegung, wann und wie genau ein Schriftstück verloren gegangen ist (, VersR 2012, 506 Rn. 7 m.w.N.).
16Voraussetzung hierfür ist aber, dass das Postausgangsfach des Rechtsanwalts "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist. Der fristwahrende Schriftsatz muss "postfertig" sein, d.h. die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, muss organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann (BGH aaO Rn. 8 m.w.N.).
17b) Dass diese Voraussetzung erfüllt ist, ist im Streitfall nicht ersichtlich. So ist ein in das Postausgangsfach des Rechtsanwalts gelegter Schriftsatz noch nicht postfertig, wenn die dort gesammelten Schriftsätze noch in Umschläge einsortiert werden müssen, wodurch die Gefahr entsteht, dass ein Schriftsatz in ein anderes Kuvert gerät, und erst im nächsten Schritt zur Post gebracht werden können (vgl. BGH aaO Rn. 10 m.w.N.). Dazu, ob die in das Postausgangsfach gelegten Schriftsätze noch kuvertiert werden mussten, bevor sie zur Post gebracht werden konnten, verhalten sich weder die vorgelegte eidesstattliche Versicherung noch der allein auf deren Inhalt bezugnehmende Wiedereinsetzungsantrag.
183. Zu Unrecht vertritt die Beschwerde die Ansicht, das Berufungsgericht hätte dem Kläger einen Hinweis auf die unzureichende Glaubhaftmachung seines Vortrages erteilen oder die benannte Rechtsanwaltsangestellte auch ohne einen solchen Hinweis als Zeugin vernehmen müssen.
19a) Zwar trifft es zu, dass ein Gericht, das einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, die Partei zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben muss, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 39/19, NJW-RR 2020, 499 Rn. 18 m.w.N.; vom - VIII ZB 20/17, juris Rn. 14; vom - III ZB 43/16, juris Rn. 13; st. Rspr.). Auch ist in der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung regelmäßig der Antrag zu sehen, denjenigen, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, als Zeugen zu vernehmen (BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 67/15, FamRZ 2018, 281 Rn. 18; vom - VIII ZB 45/10, WuM 2011, 176 Rn. 9; jeweils m.w.N.).
20b) Im Streitfall hat das Berufungsgericht aber entscheidend nicht auf eine ungenügende Glaubhaftmachung des vorgetragenen Wiedereinsetzungsgrundes abgestellt, sondern bereits eine schlüssige Darlegung dieses Grundes verneint. Dem Vortrag sei nicht zu entnehmen, dass im Rahmen der Büroorganisation bereits mit der Übergabe des Schriftstücks in den Postausgang dessen rechtzeitige Aufgabe in den Briefkasten oder direkt bei einer Poststelle sichergestellt gewesen sei.
21Das betrifft nicht die Glaubhaftigkeit des zur Entschuldigung vorgetragenen Geschehensablaufs oder die Glaubwürdigkeit der benannten Rechtsanwaltsfachangestellten. Es geht vielmehr bereits um die Ergiebigkeit der dargestellten Geschehnisse in ihrer Eignung, zumindest indiziell die Absendung des im Streit stehenden Schriftsatzes als überwiegend wahrscheinlich erscheinen zu lassen (vgl. auch , juris Rn. 15).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:080720BIVZB10.20.0
Fundstelle(n):
IAAAH-80173