Rechtsprechung | BFH urteilt zur Doppelbesteuerung der Renten I
Der BFH hat erstmals genaue Berechnungsparameter für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Zwar hatte die Revision des Klägers – der eine seit dem Jahr 2007 laufende Rente mit entsprechend hohem Rentenfreibetrag bezieht – keinen Erfolg. Allerdings ergibt sich auf der Grundlage der Berechnungsvorgaben des BFH, dass spätere Rentnerjahrgänge von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften. Dies folgt daraus, dass der für jeden neuen Rentnerjahrgang geltende Rentenfreibetrag mit jedem Jahr kleiner wird. Er dürfte daher künftig rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem Einkommen geleisteten Teile der Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren (; veröffentlicht am ).
Hintergrund: Bis 2004 unterlagen Renten nur mit einem geringen Anteil (dem sog. „Ertragsanteil“) der Einkommensteuer. Dadurch zahlten Rentner, die neben ihrer Rente keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte hatten, in der Praxis keine Einkommensteuer. Pensionäre – also insbesondere ehemalige Beamte, aber auch Empfänger von Betriebspensionen – mussten ihre Altersbezüge hingegen voll versteuern. Das BVerfG hat in dieser Rechtslage eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gesehen und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung spätestens mit Wirkung ab 2005 verpflichtet (, BVerfGE 105, 73). Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber mit dem Alterseinkünftegesetz nachgekommen. Seit dem sind nicht nur Pensionen, sondern auch Rentenbezüge im Grundsatz voll einkommensteuerpflichtig (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG). Im Gegenzug können die Steuerpflichtigen aber ihre Altersvorsorgeaufwendungen – insbesondere ihre Rentenversicherungsbeiträge - als Sonderausgaben von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abziehen (nachgelagerte Besteuerung). Eine sofortige volle Besteuerung der Renten war dem Gesetzgeber nicht möglich, weil die Rentner ihre bis 2004 geleisteten Beiträge nicht in vollem Umfang hatten einkommensteuerlich geltend machen können. Eine sofortige Steuerfreistellung sämtlicher Rentenversicherungsbeiträge erschien dem Gesetzgeber wegen des damit verbundenen Ausfalls an Steuereinnahmen unmöglich. Er hat daher sowohl für die Besteuerungsseite als auch für die Beitragsseite sehr langfristig wirkende Übergangsregelungen geschaffen. Diese sehen vor, dass bei Rentnern, die bis einschließlich 2005 in den Rentenbezug eingetreten sind, auf Dauer ein Betrag von 50 % ihrer damaligen Rente steuerfrei bleibt. Für Rentner, deren Rentenbezug später beginnt, vermindert sich der für den Freibetrag maßgebende Prozentsatz. So sind bei Rentnern, die im Jahr 2021 erstmals eine Rente beziehen, nur noch 19 % der Rente steuerfrei. Rentner, die ab 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, müssen ihre gesamte Rente versteuern. Für die Beitragsseite sehen die Übergangsregelungen vor, dass im Jahr 2005 zunächst nur 60 % der Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben abgezogen werden konnten, im Jahr 2021 sind es 92 %. Ab dem Jahr 2025 werden sämtliche Altersvorsorgeaufwendungen ungekürzt als Sonderausgaben abziehbar sein.
Das BVerfG hat in seinem Rentenurteil hinsichtlich der vom Gesetzgeber zu treffenden Übergangsregelungen u.a. formuliert: „In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“ In der steuerrechtlichen Literatur und in zahlreichen Verfahren vor den Finanzgerichten und dem BFH wird geltend gemacht, die gesetzliche Übergangsregelung führe in vielen Fallgruppen zu einer doppelten Besteuerung; dies sei verfassungswidrig.
Sachverhalt: Im Streitfall war der Kläger während seiner aktiven Erwerbstätigkeit überwiegend selbständig als Steuerberater tätig. Auf seinen Antrag hin war er in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er zahlte seine Rentenbeiträge größtenteils aus eigenem Einkommen. Dabei konnte er diese Aufwendungen nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen, also nur zum Teil „steuerlich absetzen“. Seit 2007 erhält der Kläger eine Altersrente. Im vorliegenden Verfahren wandte er sich gegen deren Besteuerung im Jahr 2008. Das Finanzamt hatte – entsprechend der gesetzlichen Übergangsregelung – 46 % der ausgezahlten Rente als steuerfrei behandelt und die verbleibenden 54 % der Einkommensteuer unterworfen. Der Kläger hat eine eigene Berechnung vorgelegt, nach der er rechnerisch deutlich mehr als 46 % seiner Rentenversicherungsbeiträge aus seinem bereits versteuerten Einkommen geleistet hat. Nach seiner Auffassung liegt deshalb eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung von Teilen seiner Rente vor. Das FG sah dies anders und wies die Klage ab.
Auch der BFH ist der Auffassung des Klägers nicht gefolgt:
Vielmehr hält er an seiner bisherigen, vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigten Rechtsprechung zur Rentenbesteuerung fest, nach der sowohl der mit dem Alterseinkünftegesetz eingeleitete Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung von Altersbezügen als auch die gesetzlichen Übergangsregelungen im Grundsatz verfassungskonform sind.
Klar ist danach aber auch, dass es im konkreten Einzelfall nicht zu einer doppelten Besteuerung von Renten kommen darf. Eine solche doppelte Besteuerung wird vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse (kurz: steuerfreier Rentenbezug) mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten Rentenversicherungsbeiträge.
Der Auffassung der Kläger, nach der die zwischen der früheren Beitragszahlung und dem heutigen bzw. künftigen Rentenbezug eintretende Geldentwertung im Rahmen der Berechnung zu berücksichtigen sei, folgte der Senat nicht. Für eine solche Abweichung vom sog. Nominalwertprinzip sah er weder im Einkommensteuerrecht noch im Verfassungsrecht eine Grundlage. Infolgedessen können Wertsteigerungen der Renten - unabhängig davon, ob sie inflationsbedingt sind oder eine reale Erhöhung darstellen - besteuert werden.
Erstmals wurden jetzt konkrete Berechnungsparameter für die Ermittlung einer etwaigen doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Dabei hat er klargestellt, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind.
Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als „steuerfreien Rentenbezug“ in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben allerdings nach Auffassung des BFH unberücksichtigt. Sie dienen anderen – überwiegend verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven – Zwecken und können daher nicht nochmals herangezogen wer-den, um eine doppelte Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden. Damit bleibt insbesondere auch der sog. Grundfreibetrag, der das steuerliche Existenzminimum jedes Steuerpflichtigen sichern soll, bei der Berechnung des „steuerfreien Rentenbezugs“ unberücksichtigt. Für die Ermittlung des aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Teils der Rentenversicherungsbeiträge hat der X. Senat ebenfalls konkrete Berechnungsparameter formuliert.
Bei Anwendung dieser Berechnungsgrundsätze konnte die Revision der Kläger keinen Erfolg ha-ben. Angesichts des noch recht hohen Rentenfreibetrags von 46 % der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung. Diese zeichnet sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter abgeschmolzen wird, ab. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.
Die nachgelagerte Besteuerung der Altersrente bleibt verfassungsgemäß. Ihre konkrete Ausgestaltung kann zur doppelten Besteuerung der Rente führen, und zwar je nach Einzelfall schon seit vielen Jahren. Dies ist die Quintessenz des lang erwarteten Urteils im Revisionsverfahren X R 33/19, welches im zweiten Rechtsgang nunmehr die im (BFH/NV 2016, 1719) aufgeworfenen Fragen beantwortet und im Wesentlichen als sog. obiter dicta zu den einzelnen Parametern einer Berechnung Stellung nimmt.
Wie in der Vergangenheit hält der X. Senat des BFH an seiner Einschätzung fest, dass auch die mit dem Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) geschaffene Übergangsregelung für die Besteuerung von Leibrenten aus der Basisversorgung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG grundsätzlich verfassungsgemäß ist. Das BVerfG hat in seinen Kammerbeschlüssen vom – 2 BvR 2683/11, BStBl. II 2016, 310; 2 BvR 1066/10, HFR 2016, 72; 2 BvR 1961/10, NJW 2016, 469 die Ansicht des BFH bestätigt, was insbesondere auch die Vergleichs- und Prognoserechnung auf der Grundlage des Nominalwertprinzips betraf ( BStBl II 2016, 310, Rz 51 ff.). Erneut und eigentlich abschließend hatte der X. Senat des BFH deshalb im Urteil v. – X R 2/15 (BStBl. II 2016, 733) nicht nur das AltEinkG erneut bestätigt, sondern auch das Vorbringen des dortigen Klägers, das sich gegen die Richtigkeit des (BStBl II 2002, 618) richtete, nicht als geeignet angesehen, in eine erneute verfassungsrechtliche Prüfung des AltEinkG einzutreten.
Im vorliegenden Urteil, wie auch im Urteil zum am gleichen Tag verhandelten Revisionsverfahren X R 20/19, konnte es deshalb nur noch um die Frage gehen, wie die konkrete Berechnungsformel für die doppelte Besteuerung aussieht. Dabei gilt abstrakt, dass eine doppelte Besteuerung nicht gegeben ist, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse mindestens ebenso hoch ist wie die Summe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen.
Folglich ist zunächst die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse des Rentners zu berechnen. Steuerfreier Rentenbezug ist dabei der durch die Übergangsregelung in § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 4 EStG vorgesehene steuerfreie Teil der Rente (steuerfreier Rentenbezug). Multipliziert mit der durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung anhand der bei Rentenbezug vorliegenden aktuellsten Sterbetafel des Statistischen Bundesamts ergibt sich die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden Rentenzuflüsse, allerdings „verlängert“ um die Jahre und Beträge, die statistisch betrachtet zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Hinterbliebenenrente (unter Einbeziehung der entsprechenden Anrechnungsregelungen) möglich erscheinen. Denn auch eine Hinterbliebenenrente ist Teil des Rentenversicherungsverhältnisses. Keine Rolle spielen der Grundfreibetrag, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wie der Beitragsanteil zur Krankenversicherung, der Werbungskosten-Pauschbetrag und der Sonderausgabenpauschbetrag, da sie nicht explizit nur den Zufluss von Altersrenten betreffen.
Die Höhe der aus versteuertem Einkommen aufgebrachten Altersvorsorgeaufwendungen ist für die Zeit vor dem Inkrafttreten des AltEinkG anhand der gemeinsamen Höchstbeträge für den Abzug von Vorsorgeaufwendungen zu ermitteln. Dabei sind die Beiträge zu den verschiedenen Sparten der gesetzlichen Sozialversicherungen gleichrangig, andere Vorsorgeaufwendungen aber nur nachrangig zu betrachten. Ab 2005 ergibt sich dieser Betrag aus den Regelungen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG.
Wenn auch im konkreten Einzelfall eine doppelte Besteuerung nicht gegeben war, zeichnet sich dennoch ab, dass sie für frühere Selbständige aufgrund des fehlenden steuerfreien Arbeitgeberanteils zur gesetzlichen Rentenversicherung, für Männer aufgrund ihrer statistisch geringeren Lebenserwartung und für Unverheiratete aufgrund der Verlängerung der Prognosezeiträume um die statistische Lebenserwartung der Witwen/Witwer und Waisen relevant geworden ist. Außerdem ist klar, dass künftige Rentnerjahrgänge der Gefahr einer doppelten Besteuerung ihrer Altersrenten ausgesetzt sind, können sie doch trotz immer geringerem steuerfreien Rentenbezug erst ab 2025 ihre Rentenbeiträge zu 100% als Sonderausgaben in Ansatz bringen.
Quelle: BFH Pressemitteilung Nr. 19 v. (JT)
Fundstelle(n):
NWB IAAAH-80079