Selbstleseverfahren in Strafsachen: Inbegriffsrüge wegen fehlender Abschlusseintragung im Hauptverhandlungsprotokoll
Gesetze: § 249 Abs 2 S 2 StPO, § 261 StPO, § 337 StPO
Instanzenzug: LG Dessau-Roßlau Az: 681 Js 4580/17 - 3 KLs
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Der Schuldspruch betreffend die Tat 2 hält auf die Verfahrensrüge rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3a) Die Revision beanstandet, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 261 i. V. m. § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO seine Entscheidung bezüglich dieser Tat auf ein Behördengutachten des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt vom gestützt, obwohl dieses Gutachten weder verlesen noch - wegen der fehlenden Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO - im Selbstleseverfahren noch in sonstiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei.
4b) Die Inbegriffsrüge dringt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom durch. Dieser hat insbesondere ausgeführt:
„Der Vorsitzende hat in der Hauptverhandlung vom gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO das Selbstleseverfahren hinsichtlich des Wirkstoffgutachtens vom und des daktyloskopischen Gutachtens vom angeordnet (PB Bl. 40; RB S. 20). Im Hauptverhandlungstermin am wurde festgestellt, „dass die Kammermitglieder das Wirkstoffgutachten des LKA vom - wie im letzten Termin angeordnet - gelesen und die übrigen Prozessbeteiligten vom Wortlaut und Inhalt der Urkunde Kenntnis genommen haben“ (PB Bl. 41; RB S. 31).
Einen Eintrag über den Abschluss des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO betreffend das daktyloskopische Gutachten enthält das Hauptverhandlungsprotokoll hingegen nicht. Auch dem Hinweis auf die Anordnung („wie im letzten Termin angeordnet“) kann hier - im Wege einer grundsätzlich zulässigen Auslegung (vgl. , BGHR StPO § 249 Abs. 2 Selbstleseverfahren 8) - nicht entnommen werden, dass sich die Abschlussanordnung auch auf das daktyloskopische Gutachten bezogen hat. Denn dem stehen die eindeutig auf das Wirkstoffgutachten bezogene Formulierung und der Hinweis auf den Inhalt der Urkunde entgegen.“
52. Die Aufhebung des Schuldspruchs betreffend die Tat 2 bedingt die Aufhebung der für diese Tat verhängten Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren, der Gesamtstrafe und der - an diese Tat anknüpfenden - Einziehungsentscheidung hinsichtlich der im Tenor des angefochtenen Urteils unter 1. bis 9. aufgeführten „Gegenstände laut Sicherstellungsprotokollen vom ‚EA II‘“.
63. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts hält die Einziehungsentscheidung auch insoweit rechtlicher Prüfung nicht stand, als das Landgericht die Einziehung der anlässlich der Tat 3 sichergestellten „Ü-Ei-Verpackung mit Anhaftungen aus AMG“ angeordnet hat. Denn insoweit fehlt es an Feststellungen, aus denen sich ergibt, dass es sich bei diesem Gegenstand um ein Tatmittel (§ 74 Abs. 1 StGB) oder ein Tatobjekt (§ 33 Satz 1 BtMG i. V. m. § 74 Abs. 2 StGB) handelt.
74. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, bei einer erneuten Einziehungsentscheidung auch bezüglich der „Gegenstände laut Sicherstellungsprotokollen vom ‚EA II‘“ genauer als bisher geschehen die Voraussetzungen für eine Einziehung der jeweiligen Gegenstände festzustellen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:230920B6STR206.20.0
Fundstelle(n):
EAAAH-79928