Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen
Gesetze: § 1 Abs 1 TVG, § 3 Abs 2 TVG, § 4 Abs 1 TVG, § 134 BGB, § 139 BGB, § 305c Abs 1 BGB
Instanzenzug: ArbG Minden Az: 1 Ca 1146/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 4 Sa 1285/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Gewährung von tariflichen Freistellungstagen.
2Der Kläger ist mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden bei der Beklagten als Gießereiarbeiter langjährig in Wechselschicht beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom heißt es ua.:
3Die Beklagte ist Mitglied im METALL NRW Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V., seit dem mit dem Status „ohne Tarifbindung“ (OT-Mitgliedschaft).
4Am vereinbarten der METALL NRW Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. und die IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen einen „Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld“ (TV T-ZUG), der erstmals für das Jahr 2019 eine zusätzliche Einmalzahlung, bestehend aus zwei Komponenten, vorsieht. Unter Verzicht auf einen Teil des Zusatzgeldes können die Beschäftigten nach Maßgabe von § 25 des Manteltarifvertrags für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom (MTV) - bisher § 3d des Einheitlichen Manteltarifvertrags vom idF des Änderungstarifvertrags vom - die Gewährung von Freistellungstagen verlangen. In § 25 MTV heißt es ua.:
5Am beantragte der Kläger auf einem im Betrieb verwendeten Formular die Gewährung von acht Freistellungstagen für das Jahr 2019. Auf dem dafür vorgesehenen Formularfeld kreuzte er als Freistellungsgrund das Merkmal „Pflege“ an. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom unter Hinweis auf ihre fehlende Tarifgebundenheit ab. Eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 25.5 MTV fand nicht statt.
6Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die maßgeblichen Tarifbestimmungen seien nach § 1 des Arbeitsvertrags anwendbar. Die Beklagte könne sich mangels Erörterung mit dem Betriebsrat nicht auf die fehlende Möglichkeit einer betriebsinternen Kompensation des entfallenden Arbeitsvolumens berufen. Zudem seien Kompensationsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen gewesen.
7Der Kläger hat beantragt,
8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Zwar enthalte § 1 des Arbeitsvertrags eine dynamische Verweisung auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Nicht erfasst seien davon aber tarifliche Bestimmungen, mit denen die Vertragspartner im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Arbeitsvertrags nicht gerechnet hätten und auch nicht hätten rechnen können. Der MTV enthalte in § 25 erstmals in der Tarifgeschichte eine Regelung, wonach ein Arbeitnehmer statt einer Einmalzahlung acht zusätzliche Freistellungstage beantragen könne. Eine solche Bestimmung greife tief in die Organisationsfreiheit des Arbeitgebers ein und sei von so neuer Qualität, dass sie für den Arbeitgeber überraschend gewesen sei. Jedenfalls könne die Anwendbarkeit des TV T-ZUG und von § 25 MTV individualvertraglich nur ohne Einbeziehung betriebsverfassungsrechtlicher Klauseln erfolgen. In der Konsequenz dürfe der Arbeitgeber ohne Einschaltung des Betriebsrats Ansprüche bei Vorliegen der in § 25.5 MTV genannten Gründe ablehnen. Solche hätten - wie im Einzelnen ausgeführt wird - vorgelegen. Im Übrigen scheide ein Anspruch schon deshalb aus, weil der Kläger die bei der Antragstellung angegebene Begründung „Pflege“ nicht nachgewiesen habe und ein späterer Wechsel des Anspruchsgrunds ausscheide.
9Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin eine Abweisung der Klage. Eine zunächst im Hinblick auf Teile der Begründung des Landesarbeitsgerichts vom Kläger eingelegte Anschlussrevision hat dieser zurückgenommen.
Gründe
10Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
11I. Der Leistungsantrag ist zulässig (vgl. zuletzt zB - Rn. 18 mwN, BAGE 159, 92), insbesondere ist er hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Aus diesem und seiner Begründung ergibt sich, welcher tarifliche Freistellungsanspruch aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme gewährt werden soll.
12II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte ist nach § 1 des Arbeitsvertrags iVm. § 25.1 bis 25.3 MTV, § 2 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a TV T-ZUG verpflichtet, dem Kläger acht Freistellungstage zu gewähren. Demgegenüber ist § 25.5 MTV im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anzuwenden.
131. Die Bestimmungen des TV T-ZUG und des MTV gelten zwar nicht unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) für das Arbeitsverhältnis der Parteien, finden aber aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme grundsätzlich Anwendung.
14a) Bei § 1 des Arbeitsvertrags vom handelt es sich um eine zeitdynamische Verweisung (vgl. dazu zB - Rn. 23, BAGE 163, 175) auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen als Allgemeine Geschäftsbedingung iSd. § 305 Abs. 1 BGB. Diese Bezugnahmeklausel wurde nach dem vereinbart. Es handelt sich um einen sog. Neuvertrag (vgl. dazu zB - Rn. 30 mwN), auf den die frühere Rechtsprechung des Senats zur sog. Gleichstellungsabrede nicht anwendbar ist (ausf. - Rn. 27 ff., BAGE 122, 74). Ebenso wenig ist es für die zeitliche Dynamik der Bezugnahmeklausel von Bedeutung, dass die Beklagte ihre Mitgliedschaft im tarifvertragschließenden Arbeitgeberverband seit dem nur als OT-Mitgliedschaft weiterführt. Hiervon geht das Landesarbeitsgericht zutreffend aus und dies wird von der Revision im Grundsatz auch nicht in Frage gestellt.
15b) Entgegen der Auffassung der Revision werden von der Bezugnahmeklausel auch die dem begehrten Freistellungsanspruch zugrunde liegenden Vorschriften des TV T-ZUG und des MTV erfasst.
16aa) § 1 des Arbeitsvertrags bestimmt, dass für das Arbeitsverhältnis „die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in NRW in ihrer jeweils gültigen Fassung“ gelten. Dies erfasst schon nach dem Wortlaut der Klausel alle Tarifverträge des Tarifgebiets, unabhängig von deren Inhalt und dem Zeitpunkt ihrer Vereinbarung, also auch den TV T-ZUG und den MTV. Anhaltspunkte für eine Begrenzung der Verweisung auf bestimmte Teile dieser Tarifverträge ergeben sich weder aus der Klausel selbst noch aus sonstigen Bestimmungen des Arbeitsvertrags.
17bb) Es kann dahinstehen, ob sich in Einzelfällen aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes nach den §§ 305 ff. BGB Beschränkungen der Reichweite der Bezugnahme ergeben können. Die Beklagte als Verwenderin der Bezugnahmeklausel kann sich hierauf jedenfalls nicht berufen.
18(1) Mehrere Senate des Bundesarbeitsgerichts haben in der Vergangenheit offengelassen, ob tarifliche Bestimmungen, die für die Vertragspartner bei Abschluss des Vertrags „schlechterdings nicht vorhersehbar waren“, auf Grundlage einer allgemeinen Bezugnahmeklausel Vertragsinhalt werden ( - Rn. 31; - 6 AZR 76/07 - Rn. 21, BAGE 128, 73; - 6 AZR 114/00 - zu C der Gründe, BAGE 98, 175; vgl. dazu CKK/Hoefs AGB-Arbeitsrecht 2. Aufl. § 305c Rn. 30; Däubler/Bonin/Deinert/Däubler AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 4. Aufl. § 305c Rn. 22; ErfK/Preis 21. Aufl. BGB §§ 305 - 310 Rn. 80a; NK-GA/Krois § 3 TVG Rn. 105; weiter gehend Däubler TVG/Lorenz 4. Aufl. § 3 Rn. 219, der dynamische Bezugnahmeklauseln wohl insgesamt einer Angemessenheitskontrolle unterziehen will). Dabei handelte es sich jeweils um Fallgestaltungen, in denen von Arbeitnehmern die Einbeziehung bestimmter neuer tarifvertraglicher Regelungen in Abrede gestellt wurde. Bereits in der Entscheidung aus dem Jahr 2001, die eine Fallgestaltung vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform betraf, wurde die Problematik dabei unter dem Blickwinkel des Schutzes der Beschäftigten vor überraschenden Regelungen diskutiert. In den beiden neueren Entscheidungen erfolgte die Prüfung anhand von § 305c Abs. 1 BGB, also ob es sich bei der Bezugnahmeklausel insgesamt um eine überraschende Klausel handelt und ob eine an sich nicht überraschende Bezugnahme bestimmte, ihrerseits überraschende tarifliche Bestimmungen erfasst ( - Rn. 28 ff.; - 6 AZR 76/07 - Rn. 20 f., aaO).
19(2) Die Frage bedarf auch vorliegend keiner Beantwortung. Eine Berufung des Arbeitgebers darauf, dass eine von ihm selbst gestellte Bezugnahmeklausel unter dem Blickwinkel der AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB eine dem Arbeitnehmer günstige Tarifbestimmung ausschließen würde, scheidet nach allgemeinen Grundsätzen aus. Die Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen schafft lediglich einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender, dient aber nicht dessen Schutz vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen (st. Rspr., zuletzt zB - Rn. 42; - 2 AZR 509/15 - Rn. 20 mwN auch zur Rechtsprechung des BGH). Deshalb kommt eine Berufung der Beklagten auf eine Nichteinbeziehung der hier maßgeblichen Tarifvorschriften unter dem Gesichtspunkt der AGB-Kontrolle nicht in Betracht.
20cc) Der Senat kann weiterhin offenlassen, ob es - unabhängig von den §§ 305 ff. BGB - Grenzen der vertraglichen Einbeziehung „überraschender“ Tarifbestimmungen gibt (so zB Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 3 Rn. 566, 693 für den Fall, dass „schlechthin Unvorhersehbares zum Tarifinhalt geworden ist“; eine gerichtliche Kontrolle späterer tariflicher Änderungen dagegen grundsätzlich ablehnend Kempen/Zachert/Brecht-Heitzmann TVG 5. Aufl. § 3 Rn. 218; kritisch auch Wiedemann/Oetker TVG 8. Aufl. § 3 Rn. 359; ders. in JKOS 2. Aufl. § 6 Rn. 227). Weder beim TV T-ZUG noch bei § 25 MTV handelt es sich um „überraschende“ Tarifbestimmungen.
21(1) Die vertragliche Vereinbarung der dynamischen Geltung tarifvertraglicher Regelungen ist Ausdruck der Vertragsfreiheit ( - zu B II 1 a der Gründe). Wenn diese Vereinbarung - wie regelmäßig - als Allgemeine Geschäftsbedingung erfolgt, ist der Schutz des Arbeitnehmers grundsätzlich durch die §§ 305 ff. BGB sichergestellt. Ein besonderes Schutzbedürfnis des Arbeitgebers als Verwender - jenseits der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen (ua. §§ 134, 138, 242 BGB) - erscheint zweifelhaft. Ihm stand es frei, eine solche Klausel zu vereinbaren oder ihre Reichweite von vornherein zu beschränken. Im Übrigen stehen ihm Instrumente zur Verfügung, den Inhalt des Arbeitsvertrags einvernehmlich oder notfalls im Wege der Änderungskündigung zu ändern (vgl. dazu auch - Rn. 46 ff., BAGE 160, 87; zum Vorrang des Kündigungsrechts gegenüber § 313 BGB - Rn. 30 f., BAGE 161, 111; - 2 AZR 783/16 (F) - Rn. 30 mwN, BAGE 160, 364). Soweit die Arbeitsvertragsparteien die Bezugnahmeklausel - ausnahmsweise - frei ausgehandelt haben (vgl. zu den Voraussetzungen zB - Rn. 25 f. mwN), können sie diese jederzeit einvernehmlich abändern, wenn die in Bezug genommenen Tarifnormen aufgrund von Neuregelungen nicht mehr ihrem übereinstimmenden Willen entsprechen.
22(2) Letztlich bedarf auch diese Rechtsfrage keiner abschließenden Entscheidung. Die maßgeblichen Bestimmungen des TV T-ZUG und des MTV beinhalten keine besonders überraschenden oder fernliegenden Regelungen, mit denen in Tarifverträgen (vgl. § 1 Abs. 1 TVG) nicht zu rechnen gewesen wäre. Auf Grundlage des TV T-ZUG erhalten die Arbeitnehmer eine tarifliche Zusatzleistung (tarifliches Zusatzgeld). Die Gewährung besonderer Geldleistungen durch Tarifvertrag jenseits der regelmäßigen Vergütung ist eine tarifliche „Normalität“. Der MTV wiederum enthält im Grundsatz typische Regelungen, wie sie sich in fast allen Manteltarifverträgen finden, darunter zB auch Vorschriften zum bezahlten Erholungsurlaub und dessen Dauer oder zu Ansprüchen auf bezahlte Freistellung aus persönlichen Gründen (§ 34 MTV) oder bei besonderen Ereignissen (§ 26 MTV). Allein der Umstand, dass § 25 MTV darüber hinaus für bestimmte Arbeitnehmergruppen ein (begrenztes) Wahlrecht vorsieht, einen Teil des tariflichen Zusatzgeldes in bezahlte freie Tage umzuwandeln, ändert an dieser Wertung nichts. Die Belastung für den Arbeitgeber unterscheidet sich im Übrigen nicht von einer Regelung, bei der von vornherein für bestimmte, als besonders schutzbedürftig erachtete Arbeitnehmergruppen ein Anspruch auf zusätzliche freie Tage vereinbart oder deren Arbeitszeit verkürzt worden wäre.
23c) Das Landesarbeitsgericht geht auch zutreffend davon aus, dass der Kläger vom persönlichen Geltungsbereich des TV T-ZUG erfasst ist. Soweit in dessen Geltungsbereich auf den des Entgeltrahmenabkommens vom verwiesen wird und dort die Beschäftigten, die Mitglieder der IG Metall sind, genannt werden, handelt es sich nicht um eine weitere Anspruchsvoraussetzung im Sinne einer Differenzierungsklausel (vgl. dazu zB - Rn. 23 ff.; - 4 AZR 64/08 - Rn. 25 ff., BAGE 130, 43). Vielmehr wiederholt die Bestimmung lediglich deklaratorisch die Voraussetzungen für eine normative Wirkung des Tarifvertrags nach § 4 Abs. 1 TVG. Gleiches gilt für die identische Regelung in § 1 Nr. 3 MTV. Anhaltspunkte für eine gegenteilige Sichtweise ergeben sich aus den beiden Tarifverträgen nicht und werden von der Revision auch nicht mehr geltend gemacht.
242. Der Anspruch auf tarifliche Freistellungstage scheidet weiterhin nicht deswegen aus, weil die Bezugnahmeklausel insgesamt oder jedenfalls die Verweisung auf § 25 MTV nichtig wäre (ebenso im Ergebnis für die Bezugnahme von ERA-Bestimmungen - BAGE 145, 237).
25a) Nach § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 TVG können Tarifverträge neben Inhaltsnormen, Abschluss- oder Beendigungsnormen auch Rechtsnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen enthalten. Anders als Inhaltsnormen, die die beiderseitige Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG voraussetzen, genügt zu deren Geltung bereits die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers (§ 3 Abs. 2 TVG). Betriebsverfassungsrechtliche Normen sind solche, die sich auf Einrichtung und Organisation der Betriebsvertretung und deren Befugnisse und Rechte beziehen (vgl. ErfK/Franzen 21. Aufl. TVG § 1 Rn. 48). Dabei ist grundsätzlich auch die Erweiterung von (Mitbestimmungs-)Rechten des Betriebsrats zulässig (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 12 mwN, BAGE 130, 364 [zum Zustimmungserfordernis des Betriebsrats zu Kündigungen]; - 1 ABR 56/94 - zu B I 2 d der Gründe, BAGE 80, 104 [zu Mitbestimmungsrechten in sozialen Angelegenheiten]).
26b) Eine Schaffung von betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen im Wege des Einzelarbeitsvertrags scheidet hingegen mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage aus ( - Rn. 10 ff., BAGE 130, 364 [zum Zustimmungserfordernis des Betriebsrats zur Kündigung; ebenso KR-Rinck 12. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 325; insoweit aA Thüsing in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 102 Rn. 294; Fitting BetrVG 30. Aufl. § 87 Rn. 6; Wiese GK-BetrVG 11. Aufl. § 87 Rn. 10 f.: Erweiterung nur durch Tarifvertrag bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers). Mangels fehlender Regelungskompetenz sind arbeitsvertraglich vereinbarte betriebsverfassungsrechtliche Regelungen nichtig (§ 134 BGB). Durch diese wird in das gesetzlich geregelte System der Kompetenzverteilung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat eingegriffen, ohne dass dies vom BetrVG oder auf anderer gesetzlicher Grundlage zugelassen wäre ( - Rn. 10, 15, aaO). Gleiches gilt, soweit im Wege einer umfassenden Verweisungsklausel auch betriebsverfassungsrechtliche Normen des Tarifvertrags in Bezug genommen werden. Diese würden Inhalt des Arbeitsvertrags, ohne dass die Arbeitsvertragsparteien die Kompetenz zur Schaffung von Rechten oder Pflichten der betriebsverfassungsrechtlichen Organe hätten. Eine solche Rechtsfolge schließt das BetrVG aus. Die Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien ist insoweit begrenzt. Individualrechtliche Ansprüche können daraus nicht erwachsen ( - Rn. 32, BAGE 145, 237). Entgegen der vom Landesarbeitsgericht in seiner Hauptbegründung vertretenen Auffassung gilt dies auch bei einer „Nachrangigkeit“ der betriebsverfassungsrechtlichen Komponenten gegenüber den Inhaltsnormen. Unabhängig davon, wie eine solche Nachrangigkeit zu bestimmen wäre, erlaubt das BetrVG den Arbeitsvertragsparteien die Vereinbarung betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen generell nicht, unabhängig davon, ob diese gegenüber den Inhaltsnormen etwa von geringerer Bedeutung sein könnten.
27c) Die fehlende Befugnis der Arbeitsvertragsparteien führt allerdings nicht ohne Weiteres zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags oder zur Nichtigkeit einer darin enthaltenen Bezugnahmeklausel, sondern in der Regel lediglich zu deren Teilnichtigkeit, soweit durch sie betriebsverfassungsrechtliche Regelungen in Bezug genommen werden.
28aa) Anders als das Landesarbeitsgericht annimmt, folgt dies nicht bereits aus der Rechtsprechung des Senats, wonach § 139 BGB auf Tarifverträge keine Anwendung findet (st. Rspr., zuletzt zB - Rn. 27). Vorliegend geht es nicht um die Teilnichtigkeit einer tariflichen Bestimmung, sondern um die einer vertraglichen Regelung, der Bezugnahmeklausel. Nicht die Schaffung einer betriebsverfassungsrechtlichen Norm durch den MTV ist rechtlich unzulässig, sondern deren individualrechtliche Begründung im nicht tarifgebundenen Betrieb über den Weg der arbeitsvertraglichen Bezugnahme.
29bb) Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Nichtigkeit einzelner Vertragsbestimmungen entgegen § 139 BGB aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des gesamten Arbeitsvertrags führt (vgl. ErfK/Preis 21. Aufl. BGB § 611a Rn. 342 ff. mwN; als selbstverständlich vorausgesetzt in - zu II 4 der Gründe, BAGE 66, 220; ausdrücklich - zu II 2 a der Gründe [zu Kündigungsfristen]; - 5 AZR 466/80 - zu III der Gründe, BAGE 39, 67 [zu einer vereinbarten Kürzungsmöglichkeit von Sonderzahlungen bei Krankheit]; - 2 AZR 660/78 - zu 2 a der Gründe, BAGE 33, 220 [zur nichtigen Befristungsabrede]; - 5 AZR 199/74 - zu II 3 b der Gründe [im Ausbildungsverhältnis]; grundlegend schon - zu VI der Gründe, BAGE 4, 274 [zu einer sog. Zölibatsklausel]).
30cc) Gleiches gilt im Hinblick auf eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel, die auch betriebsverfassungsrechtliche Normen eines Tarifvertrags oder eines Tarifwerks in Bezug nimmt: Auch diese ist nur insoweit nichtig, als die Kompetenz der Arbeitsvertragsparteien überschritten wird (vgl. auch - zu II 4 der Gründe, BAGE 63, 181 [zur Nichtigkeit von Teilen der Vergütungsabrede wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz]).
31(1) Nach § 139 BGB ist das ganze Rechtsgeschäft (nur) nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Maßgebend ist, welche Entscheidung die Parteien bei Kenntnis der Teilnichtigkeit nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten. In der Regel ist davon auszugehen, dass sie das objektiv Vernünftige gewollt und eine gesetzeskonforme Regelung angestrebt haben ( - Rn. 15 mwN, BAGE 130, 364).
32(2) Ziel der Aufnahme einer Bezugnahmeklausel ist, das Arbeitsverhältnis inhaltlich durch Verweisung auf tarifliche Regelungen zu gestalten. Diesem (übereinstimmenden) Willen der Vertragsparteien kann nur entsprochen werden, wenn die Bezugnahmeklausel insoweit aufrechterhalten bleibt, als die Inhaltsnormen der Tarifverträge in zulässiger Weise in Bezug genommen werden und dadurch ihr Ziel, die inhaltliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses, erreicht wird. Zweck des Verbots der individualrechtlichen Vereinbarung betriebsverfassungsrechtlicher Normen ist hingegen der Schutz der durch das BetrVG und ggf. durch Tarifverträge geschaffenen kollektiven Ordnung im Betrieb. Diesem Schutzzweck wird mit einer Teilnichtigkeit der Klausel nur im Hinblick auf die Bezugnahme gerade solcher Normen Genüge getan (ähnlich zu § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG - Rn. 34, BAGE 165, 205).
33d) Ausgehend von diesen Grundsätzen sind sowohl der TV T-ZUG als auch § 25.1 bis 25.3 MTV wirksam in Bezug genommen, nicht hingegen § 25.5 MTV.
34aa) Der TV T-ZUG enthält - was auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wird - ausschließlich Inhaltsnormen. Gleiches gilt für § 25.1 bis 25.3 MTV. Dort sind die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Freistellungstagen festgelegt (vgl. dazu - Rn. 43 ff.). Elemente einer Betriebsnorm (vgl. dazu zB - Rn. 33 mwN) enthält § 25 MTV - wovon das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeht - nicht.
35bb) Hingegen handelt es sich bei § 25.5 MTV um eine betriebsverfassungsrechtliche Norm, die nicht wirksam in Bezug genommen werden konnte.
36(1) § 25.5 MTV begründet die Verpflichtung des Arbeitgebers, mit dem Betriebsrat bis zum Jahresende anhand der vorliegenden Anträge auf Gewährung von Freistellungstagen zu erörtern, wie das entfallende Arbeitsvolumen betriebsintern qualifikationsentsprechend ausgeglichen (kompensiert) werden kann. Dabei sind betriebliche und tarifliche Instrumentarien genannt, die für eine solche Kompensation nach den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien genutzt werden können, wobei die Aufzählung nicht abschließend ist („insbesondere“). Diese Instrumentarien, wie zB die Vereinbarung von Mehrarbeit oder die Auszahlung aus Arbeitszeitguthaben (§ 13 MTV) setzen wiederum die Beteiligung des Betriebsrats bei ihrer Umsetzung voraus. Die Norm eröffnet den Betriebsparteien darüber hinaus die Möglichkeit, eine Reihenfolge der Antragsteller festzulegen, wenn eine vollständige Kompensation nicht erfolgen kann. Zwar begründet § 25.5 MTV kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, da der Arbeitgeber im Fall des Nichtzustandekommens einer Einigung Anträge von Arbeitnehmern ablehnen kann, wenn das entfallende Arbeitsvolumen nicht mit einer entsprechenden Qualifikation betriebsintern ausgeglichen werden kann, ohne dass er verpflichtet wäre, die Einigungsstelle anzurufen. Die Tarifvertragsparteien haben mit § 25.5 MTV aber ein verpflichtendes Erörterungsverfahren geschaffen, das in dieser Form im BetrVG nicht vorgesehen ist und zwingend durchlaufen werden muss, wenn der Arbeitgeber Anträge auf die Gewährung tariflicher Freistellungstage ablehnen will.
37(2) Innerhalb des § 25.5 MTV kann - anders als die Revision meint - nicht zwischen einer Inhaltsnorm einerseits und einer betriebsverfassungsrechtlichen Norm andererseits mit der Folge unterschieden werden, erstere sei in Bezug genommen. Zwar könnte das Ablehnungsrecht des Arbeitgebers nach § 25.5 Abs. 3 Satz 2 MTV isoliert betrachtet als Inhaltsnorm qualifiziert werden. Das würde aber voraussetzen, dass dieses nach der Konzeption des Tarifvertrags vom vorgeschalteten Erörterungsverfahren zu trennen ist. Hiervon ist aber nicht auszugehen. Vielmehr ist das Ablehnungsrecht des Arbeitgebers untrennbar mit dem vorgeschalteten Erörterungsverfahren der Betriebsparteien verbunden und in die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen eingebettet. Bereits der Wortlaut des § 25.5 Abs. 3 MTV macht dies deutlich. Voraussetzung für eine Ablehnung durch den Arbeitgeber sind das Nichtzustandekommen einer Einigung mit dem Betriebsrat und die fehlende betriebsinterne Kompensationsmöglichkeit der ausfallenden Arbeitsstunden. Dies wird von der Systematik des § 25.5 MTV bestätigt: Insbesondere dessen Abs. 1 gibt vor, welche betrieblichen und tariflichen Instrumente von den Betriebsparteien zu prüfen sind, bevor es zu einer Ablehnung der Freistellungsanträge kommen kann. Dabei handelt es sich um solche, die grundsätzlich wiederum nur unter Beteiligung des Betriebsrats und nicht rein individualvertraglich umsetzbar sind. Dies gilt für die Nutzung des tariflichen Volumenmodells nach § 12 MTV ebenso wie für die Vereinbarung der Auszahlung aus Zeitguthaben (§ 13 MTV). Auch im Hinblick auf die Nutzung von Mehrarbeit zur Kompensation ausfallender Arbeitsstunden ist nicht die Rede von (einseitiger) Anordnung durch den Arbeitgeber, sondern von einer „Vereinbarung“, die mit dem Betriebsrat zu erfolgen hat. Gleiches wird - je nach betrieblicher Ausgestaltung - regelmäßig für die Nutzung von Arbeitszeitkonten (vgl. § 19 MTV) zutreffen.
38(3) Hingegen ist § 25.5 MTV von den Normteilen, in denen die Inhaltsnormen enthalten sind (§ 25.1 bis 25.3 MTV), trennbar, ohne dass diese ihre Bedeutung für die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses verlieren würden (vgl. ähnlich bezogen auf die ERA-Einführung - BAGE 145, 237). Weder bedarf es für die Prüfung der Entstehung der Anspruchsvoraussetzungen einer Beteiligung des Betriebsrats noch handelt es sich bei § 25.5 MTV - wie der Senat bereits entschieden hat - um eine weitere (kollektivrechtliche) negative Anspruchsvoraussetzung ( - Rn. 45). Gleiches gilt im Übrigen - ohne dass dies vorliegend von Bedeutung wäre - für das Verhältnis von § 25.1 bis 25.3 MTV zu den Bestimmungen in § 25.4 und § 25.6 MTV. Diese betreffen ausschließlich das Erörterungsverfahren zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Personalplanung nach § 92 BetrVG und die Möglichkeit der Erweiterung des Kreises der Anspruchsteller im Wege der Betriebsvereinbarung.
39(4) Keiner Entscheidung bedarf vorliegend, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen einem tarifgebundenen Arbeitgeber, in dessen Betrieb kein Betriebsrat gebildet ist (vgl. zu einer solchen Konstellation in anderem Zusammenhang zB - Rn. 34, BAGE 145, 237), ein Ablehnungsrecht bei fehlender qualifikationsentsprechender Kompensationsmöglichkeit nach § 25.5 MTV zustünde. Diese Situation ist mit der vorliegenden bereits deshalb nicht vergleichbar, weil nach § 3 Abs. 2 TVG die betriebsverfassungsrechtlichen Normen des Tarifvertrags - und damit auch § 25.5 MTV - in einem solchen Betrieb gelten. Dies ist bei der lediglich individualrechtlichen Bezugnahme auf Tarifverträge - wie dargelegt - nicht der Fall.
40cc) Soweit dieses Verständnis dazu führt, dass für nicht tarifgebundene Arbeitgeber, die die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens lediglich arbeitsvertraglich in Bezug genommen haben, kein Ablehnungsrecht wegen fehlender innerbetrieblicher Kompensationsmöglichkeit der ausfallenden Arbeitszeit besteht, ist dies die Folge der rechtlichen Begrenzung der Reichweite von Bezugnahmeklauseln im Hinblick auf betriebsverfassungsrechtliche Normen (so im Ergebnis bereits in Bezug auf die ERA-Einführung - Rn. 32 ff., BAGE 145, 237). Für deren Anwendung ist nach § 3 Abs. 2 TVG die bloße Tarifgebundenheit des Arbeitgebers ausreichend, aber auch erforderlich.
41e) Eine ergänzende Vertragsauslegung, etwa in dem Sinne, dass der Beklagten bei fehlender innerbetrieblicher Kompensationsmöglichkeit ein einseitiges Ablehnungsrecht ohne Beteiligung des Betriebsrats zustünde, scheidet mangels Vorliegen der Voraussetzungen aus. Es fehlt schon an einer Regelungslücke.
42aa) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit. Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält, bedeutet noch nicht, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt. Von einer Planwidrigkeit kann nur dann die Rede sein, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich wäre, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (st. Rspr., zuletzt zB - Rn. 24 f., BAGE 164, 345). Letzteres gilt auch im Fall der Unwirksamkeit einer Vertragsklausel und einer dadurch entstandenen Lücke. Der Wegfall von Klauseln oder Klauselteilen müsste eine Vertragspartei über Gebühr benachteiligen und umgekehrt die andere Vertragspartei in einem Maße begünstigen, das durch dessen schutzwürdige Interessen nicht mehr gerechtfertigt wäre ( - Rn. 23 [Wegfall einer Klausel nach §§ 305 ff. BGB]; - 5 AZR 703/15 - Rn. 31, BAGE 156, 150 [für den Fall einer nach § 134 BGB teilunwirksamen Klausel]; - 3 AZR 69/12 - Rn. 28, BAGE 147, 279 [Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG]).
43bb) Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.
44(1) Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags im Jahr 2007 war der Vertrag nicht lückenhaft. Vielmehr galten aufgrund der Tarifgebundenheit der Beklagten die betriebsverfassungsrechtlichen Normen der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens kraft Gesetzes unabhängig von der Tarifgebundenheit des einzelnen Arbeitnehmers (§ 3 Abs. 2 TVG). Auf die Reichweite der vertraglichen Bezugnahmeklausel kam es insoweit nicht an.
45(2) Erst aufgrund des Wechsels der Beklagten in die OT-Mitgliedschaft im Jahr 2008 galten die im Jahr 2018 in die manteltariflichen Bestimmungen eingefügten betriebsverfassungsrechtlichen Normen des § 25.5 MTV nicht mehr und konnten auch nicht über den Weg der arbeitsvertraglichen Bezugnahme Anwendung finden. Auch unter Beschränkung auf die Inhaltsnormen erfüllt die Bezugnahme aber weiterhin ihren Zweck der dynamischen inhaltlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses (vgl. zu Fallgestaltungen, in denen dies nicht mehr gegeben war zB -; - 4 AZR 796/08 - BAGE 134, 283 [Wegfall des BAT]; - 4 AZR 706/09 - BAGE 138, 269 [Wegfall der in Bezug genommenen Tarifverträge nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost]). Der betriebsverfassungsrechtlichen Normen des MTV - die nicht auf § 25.5 MTV beschränkt sind - bedarf es dabei nicht zwingend, um einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Vertragsparteien herbeizuführen. Dies hat die Beklagte auch nicht behauptet, sondern sich insoweit ausschließlich auf § 25.5 MTV bezogen. Soweit diese Bestimmung betroffen ist, führt dies unter Berücksichtigung des Gesamtgefüges der in Bezug genommenen Tarifnormen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Durch den Wegfall der Möglichkeit zur Ablehnung der Freistellung werden die Interessen der Arbeitgeberin nicht derart beeinträchtigt, dass von einem ergänzungsbedürftigen Arbeitsvertrag auszugehen wäre.
463. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrten acht Freistellungstage aus dem Jahr 2019 nach § 25 MTV iVm. § 2 Nr. 2 Buchst. a TV T-ZUG. Dass der Kläger auf dem Antragsformular als Freistellungsgrund zunächst „Pflege“ (§ 25.1 Buchst. b MTV) ankreuzte und sich erst später auf den Freistellungsanspruch wegen Schichtarbeit (§ 25.1 Buchst. a MTV) bezog, ist unschädlich.
47a) Die Geltendmachung des Freistellungsanspruchs nach § 25 Einleitungssatz MTV ist nach § 25.2 MTV nicht formbedürftig und verlangt keine Begründung. Es kommt deshalb nach erfolgter rechtzeitiger Geltendmachung grundsätzlich nur auf das objektive Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für den Freistellungsanspruch an. Lediglich in akuten Fällen der Pflegebedürftigkeit ist nach den tariflichen Bestimmungen auf Verlangen des Arbeitgebers ein Nachweis über die Pflegebedürftigkeit durch ärztliche Bescheinigung und über die Antragstellung zur Feststellung des Pflegegrads zu erbringen (§ 25.2 Abs. 3 MTV). Gleiches dürfte aufgrund der Protokollnotiz zu § 25.1 Buchst. b MTV allgemein für den Fall der Inanspruchnahme der Freistellungstage nach § 25.1 Buchst. b MTV wegen Pflegebedürftigkeit (Alt. 1) oder Kinderbetreuung (Alt. 2) gelten, da es sich um Umstände aus der Sphäre des Beschäftigten handelt. Für den Anspruch auf die Gewährung von Freistellungstagen wegen Schichtarbeit nach § 25.1 Buchst. a MTV ergeben sich hieraus aber keine weiteren (ungeschriebenen) Anspruchsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen. Ob der Beschäftigte in tariflich gefordertem Umfang Schichtarbeit geleistet hat und voraussichtlich weiterhin leisten wird, ist dem Arbeitgeber regelmäßig bekannt oder zumindest unschwer aus eigenen Aufzeichnungen zu ermitteln. Eines besonderen Nachweises durch den Beschäftigten bedarf es insoweit typischerweise nicht. Allein die Angabe einer der beiden Möglichkeiten (§ 25.1 Einleitungssatz MTV) - etwa auf einem betrieblich verwendeten Formular - ist für diesen Freistellungsanspruch deshalb weder anspruchsbegründend noch anspruchsvernichtend.
48b) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfüllt der Kläger - wie der Beklagten bei Antragstellung bekannt war - die Anspruchsvoraussetzungen nach § 25.1 Buchst. a Alt. 2 MTV. Er verfügt über eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren und ist mit einer Arbeitszeit von 36 Wochenstunden in Wechselschicht tätig. Auch im Jahre 2019 war er weiterhin in diesem Schichtmodell eingesetzt (§ 25.1 Buchst. a letzter Halbs. MTV). Den Anspruch für das Jahr 2019 hat er mit Schreiben vom fristgemäß iSv. § 25.2 MTV geltend gemacht. Der Antrag konnte nach seinem Inhalt von der Beklagten auch nicht so verstanden werden, dass der Kläger ausschließlich einen Freistellunganspruch nach § 25.1 Buchst. b MTV geltend machen und auf einen bestehenden Anspruch nach § 25.1 Buchst. a MTV verzichten wollte. Der Freistellungsanspruch betrug daher für das Jahr 2019 bei einer Arbeitszeitverteilung auf fünf Wochentage acht Tage (§ 25.3 Abs. 1 MTV).
49c) Eine Ablehnung der Freistellung wegen einer von der Beklagten näher dargelegten fehlenden betrieblichen Kompensationsmöglichkeit (§ 25.5 MTV) scheidet - wie dargelegt - mangels wirksamer vertraglicher Bezugnahme dieses Teils der Tarifbestimmung aus. Hiervon geht das Landesarbeitsgericht zutreffend in seiner zweiten tragenden Begründung aus. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der entsprechende Vortrag der Beklagten ausreichen würde, um eine Ablehnung zu rechtfertigen.
50d) Der Freistellungsanspruch ist auch nicht mit Ablauf des Jahres 2019 erloschen, da er nach § 25.3 Abs. 3 MTV nur dann untergeht, wenn er aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig genommen werden kann. Solche personenbedingten Gründe sind weder festgestellt noch von der Beklagten behauptet worden. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt - wie der Senat bereits entschieden hat - auch kein Fall der objektiven oder subjektiven Unmöglichkeit iSv. § 275 BGB vor, da die Gewährung von Freistellungstagen, deren Anspruch aus einem früheren Kalenderjahr stammt, im fortbestehenden Arbeitsverhältnis regelmäßig ohne Weiteres noch möglich ist (vgl. - Rn. 46). Der Anspruch besteht deshalb als originärer Erfüllungsanspruch fort.
51III. Die Kostenentscheidung folgt - unter Einschluss der Kosten der zurückgenommenen Anschlussrevision des Klägers - aus § 97 Abs. 1, § 565 Satz 1 iVm. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:200121.U.4AZR286.20.0
Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 10 Nr. 23
AAAAH-78619