Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Neufahrzeugs: Schätzung der Gesamtlaufzeit des Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung gezogener Nutzungsvorteile
Leitsatz
Zur Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile.
Gesetze: § 287 ZPO, § 31 BGB, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV
Instanzenzug: Az: I-25 U 53/18vorgehend LG Aachen Az: 7 O 115/18
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte als Herstellerin des in ihrem Fahrzeug eingebauten Dieselmotors auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
2Die Klägerin erwarb am von einem Autohaus einen neuen Skoda Yeti Greenline 1.6 TDI zum Kaufpreis von 23.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Prüfzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten.
3Nachdem das Kraftfahrtbundesamt diese Abgassteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft hatte, rief die Beklagte Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA189 zurück, um eine geänderte Software aufzuspielen. Das Fahrzeug der Klägerin wurde nicht nachgerüstet.
4Mit Rechtsanwaltsschreiben forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen gegen Rückgabe des Fahrzeugs bis auf.
5Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 21.689 € (Kaufpreis in Höhe von 23.000 € abzgl. Nutzungsvorteilen zzgl. ausgerechneter Deliktszinsen) nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 23.000 € seit Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung, dass der Klägerin weitere Schäden zu ersetzen sind, die ihr aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen am Fahrzeug entstehen.
6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht - unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zurückweisung der weitergehenden Berufung - das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.963,52 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 11.407,82 € vom bis und aus 7.963,52 € seit dem Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Es hat den Annahmeverzug festgestellt und die Beklagte zur Zahlung von Rechtsanwaltskosten verurteilt.
7Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des Berufungsgerichts teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.469,60 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 13.339,85 € vom bis und aus 10.469,60 € seit dem Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
Gründe
I.
8Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
9Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte habe die Klägerin durch das Inverkehrbringen des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet gewesen sei, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Auf den zu erstattenden Kaufpreis müsse sich die Klägerin allerdings im Wege der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen. Angesichts einer für das streitgegenständliche Fahrzeug zu schätzenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km und der mit dem Fahrzeug gefahrenen Strecke von 163.440 km ergebe sich eine vom Kaufpreis abzuziehende Nutzungsentschädigung von 15.036,48 €. Es verbleibe daher eine Restforderung von 7.963,52 €.
II.
10Die Revision der Klägerin, die sich allein gegen die tatrichterliche Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 250.000 km statt - so die Klägerin - 300.000 km richtet, ist unbegründet.
111. Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist insbesondere nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 79 mwN).
122. Rechtlich erhebliche Fehler der tatrichterlichen Schätzung zeigt die Revision nicht auf.
13a) Bei der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das Berufungsgericht von folgender Berechnungsformel ausgegangen:
14Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 12).
15b) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Schätzung der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km durch das Berufungsgericht nicht deshalb zu beanstanden, weil es an Anhaltspunkten für die Annahme einer solchen Gesamtlaufleistung durch das Berufungsgericht fehle und das Berufungsgericht sich nicht mit Vortrag der Klägerin zur Gesamtlaufleistung befasst habe.
16aa) Umstände, die für die Prognose der Gesamtlaufleistung in erster Linie maßgeblich sind, nämlich Fahrzeugtyp und Baujahr, hat das Berufungsgericht in seinem Urteil festgestellt. Auf dieser Grundlage hat es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 250.000 km geschätzt. Mit dieser Schätzung bewegt sich das Berufungsgericht innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der Gesamtlaufleistung und zwar nicht am unteren Rand (vgl. hierzu Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl., Rn. 3574; Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearbeitung 2012, § 346 Rn. 261). Einer näheren Begründung des Berufungsgerichts für seine Schätzung der Gesamtlaufleistung hätte es danach nur bedurft, hätte die Klägerin weitere aussagekräftige Umstände, die die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, dargetan (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 3/20, juris Rn. 11). Solchen Vortrag zeigt die Revision nicht auf.
17bb) Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift lediglich vorgetragen, die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs sei auf 300.000 km zu schätzen, wobei die von der Rechtsprechung angenommene zu erwartende Gesamtlaufleistung für Pkw zwischen 100.000 und 400.000 km schwanke. Sie hat die aus ihrer Sicht im Streitfall anzunehmende Gesamtlaufleistung von 300.000 km damit begründet, dass bei einer an einem nicht näher benannten Tag durchgeführten Recherche auf einer Internetplattform über 5.000 Pkw der Marken Volkswagen, Skoda und Seat mit mehr als 300.000 km Laufleistung erhältlich gewesen seien, davon über 4.000 Fahrzeuge mit Dieselmotor.
18Dieser Vortrag enthält jedoch keine die Prognose der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs beeinflussenden Umstände, mit denen sich das Berufungsgericht als Grundlage seiner Schätzung hätte auseinandersetzen müssen. Dem Vortrag ist weder zu entnehmen, in welchem Zustand die Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller waren, die angeboten wurden, noch, um welche Fahrzeugtypen und Baujahre es sich handelte. Das Berufungsgericht war - entgegen der Ansicht der Revision - angesichts dieses Vortrags nicht gehalten, auf eine Schätzung zu verzichten und zur Frage der zu prognostizierenden Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:270421UVIZR812.20.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2021 S. 1388 Nr. 21
ZIP 2021 S. 2183 Nr. 42
VAAAH-78262