Online-Nachricht - Donnerstag, 06.05.2021

Verfahrensrecht | Festsetzungsverjährung bei Erstattungsansprüchen im dreistufigen Verfahren (BFH)

Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 14 AO kann durch jeden mit dem Steueranspruch zusammenhängenden Erstattungsanspruch ausgelöst werden. Der Erstattungsanspruch muss vor Ablauf der Festsetzungsfrist entstanden sein. § 171 Abs. 14 AO ist für die Frage, ob ein Erstattungsanspruch besteht, im Sinne der formellen Rechtsgrundtheorie auszulegen (Anschluss an : ; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Das Verfahren zur Festsetzung der Grundsteuer vollzieht sich in drei Stufen. Es besteht zweifach ein Verhältnis zwischen Grundlagenbescheid und Folgebescheid. Auf der ersten Stufe stellt das FA im Einheitswertbescheid den Einheitswert für die wirtschaftliche Einheit des Grundbesitzes fest (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 19 Abs. 1 BewG). Auf der zweiten Stufe setzt das FA im Grundsteuermessbescheid den Steuermessbetrag fest (§ 184 Abs. 1 AO, § 13 Abs. 1 GrStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Auf der dritten Stufe schließlich setzt die Gemeinde - bzw. nach § 1 Abs. 2 GrStG das Land - die Grundsteuer fest (§ 27 Abs. 1 GrStG). Der Einheitswertbescheid ist Grundlagenbescheid für den Grundsteuermessbescheid, Letzterer wiederum alleiniger Grundlagenbescheid für den Grundsteuerbescheid (vgl. , unter II.2.c, cc, m.w.N.).

Sachverhalt: Die Klägerin war Eigentümerin einer Liegenschaft, die mit einem Geschäftshaus bebaut ist. Auf der Grundlage einer Einheitswertfeststellung auf den waren Grundsteuern festgesetzt worden. Auf den und den waren Einheitswertbescheide ergangen. Auf Grundlage dieser Bescheide sowie der Grundsteuermessbescheide setzte das FA höhere Grundsteuern als bisher fest. Gegen die Einheitswertbescheide legte die Klägerin Einspruch ein und erhob Klage (3 K 2488/04 B). Dabei berief sie sich auf den Eintritt der Feststellungsverjährung. Das FA hob auf Hinweis des FG Berlin-Brandenburg die Bescheide sowie am die entsprechenden Grundsteuermessbescheide auf.

Die Klägerin beantragte, im Wege der Folgebescheidsänderung die auf den Einheitswerten/Grundsteuermessbeträgen auf den und beruhenden Grundsteuerbescheide aufzuheben. Das FA hob die Grundsteuerbescheide nicht auf.

Am erließ das FA auf den erneut einen Einheitswertbescheid, dem ein Wirkhinweis nach § 181 Abs. 5 AO beifügt war, sowie einen Grundsteuermessbescheid. Am erließ es auf den einen mit einem Wirkhinweis für die Jahre bis 2004 versehenen Einheitswertbescheid und einen Grundsteuermessbescheid. Die Einsprüche gegen alle vier Bescheide blieben erfolglos. Das FG wies die (nur) gegen die beiden Grundsteuermessbescheide gerichtete Klage ab ().

Mit Bescheiden vom hatte das FA zwischenzeitlich die beantragte Folgebescheidsänderung abgelehnt. Es wies die Einsprüche zurück, mit denen die Klägerin den Eintritt der Festsetzungsverjährung der Grundsteuer geltend machte. Das FG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen ().

Der BFH hat die Revision als begründet angesehen und das FG Urteil aufgehoben:

  • Die Grundsteuerbescheide sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aufzuheben, nachdem das FA die Grundsteuermessbescheide auf den und auf den am aufgehoben hatte. Die neuerlichen Grundsteuermessbescheide vom 28./ stehen dem nicht entgegen, da sie ihrerseits wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung der Grundsteuer keine Änderungsverpflichtung begründen.

  • Nach Aufhebung der Grundsteuermessbescheide vom war das FA zur Folgeänderung hinsichtlich der Grundsteuerbescheide verpflichtet. Dem doppelten Verhältnis von Grundlagenbescheid zu Folgebescheid tragen die Anpassungsverpflichtungen Rechnung. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Wird ein Grundsteuermessbescheid ersatzlos aufgehoben, ist folglich der Grundsteuerbescheid aufzuheben. Ebenso berücksichtigt die Hemmung der Verjährung nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO dieses doppelte Stufenverhältnis.

  • Nach diesen Maßstäben waren - vorbehaltlich nachfolgender Grundlagenbescheide - nach der Aufhebung der Grundsteuermessbescheide am die Grundsteuerbescheide 1994 bis 2004 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aufzuheben. Soweit für die Grundsteuer bereits die reguläre Festsetzungsfrist abgelaufen war, war der Eintritt der Verjährung nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt. Da die Klägerin innerhalb der Frist des § 171 Abs. 10 AO zudem einen Aufhebungsantrag gestellt hatte und über diesen noch nicht unanfechtbar entschieden worden ist, ist die Verjährungsfrist insoweit bisher nach § 171 Abs. 3 AO nicht abgelaufen.

  • Die Anpassung der Grundsteuerbescheide an die Grundsteuermessbescheide vom 28./ ist nicht vorzunehmen. Für die Grundsteuer 1994 bis 2004 war am , dem Zeitpunkt des Erlasses der Grundsteuermessbescheide, bereits Festsetzungsverjährung eingetreten.

Anmerkung von Prof. Dr. Matthias Loose, Richter im II. Senat des BFH:

Die Festsetzung der Grundsteuer vollzieht sich in drei Stufen. Auf der ersten Stufe stellt das Finanzamt den Einheitswert für den Grundbesitz und auf der zweiten Stufe den Steuermessbetrag fest. Erst auf der dritten Stufe setzt die Gemeinde die Grundsteuer fest. Der Einheitswertbescheid ist Grundlagenbescheid für den Grundsteuermessbescheid. Der Grundsteuermessbescheid ist Folgebescheid und zugleich Grundlagenbescheid für den Grundsteuerbescheid.

Die Verjährung ist in diesem Stufenverhältnis von Grundlagen- und Folgebescheiden häufig nicht einfach zu beurteilen. Das zeigt auch der Streitfall. Nach § 171 Abs. 10 Satz 1 AO endet die Verjährungsfreist für den Folgebescheid nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids. Gleichzeitig kann ein Grundlagenbescheid auch noch nach Ablauf der für ihn geltenden Festsetzungsfrist ergehen, wenn er mit einem sog. Wirkhinweis nach § 181 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 AO versehen ist. Die Vorschriften bedingen sich gegenseitig. Diesen argumentativen „Teufelskreis“ hat der BFH aufgebrochen. Sind Einheitswertbescheide mit einem Wirkhinweis erlassen worden, sind die Grundsteuerbescheide nur anzupassen, wenn für die Grundsteuer noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, und zwar ohne Anwendung von § 171 Abs. 10 AO.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NAAAH-78042