Freistellung vom Steuerabzug und einschränkende Anwendung der Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG
Leitsatz
1. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt (nur) dann, wenn bei Erteilung der Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 Satz 1
EStG keinerlei Vorteil mehr für den Kläger denkbar ist, insbesondere keine Abzugssteuern in dem streitigen Zeitraum entstanden
sind bzw. entstehen können. Dies ist nicht der Fall, wenn in Bezug auf gezahlte Vergütungen Abzugssteuern einbehalten und
abgeführt worden sind und damit die Freistellungsbescheinigung als Grundlage einer Erstattung beim örtlich zuständigen Finanzamt
dienen kann.
2. Betrifft eine innerstaatliche Maßnahme sowohl den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 56 AEUV) als auch den freien Kapitalverkehr
(Art. 63 AEUV), ist zu prüfen, inwieweit diese Maßnahme die Ausübung dieser Grundfreiheiten berührt und ob eine von ihnen
hinter die andere zurücktritt. Der Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit scheidet aus, wenn die Zahlung einer Lizenzgebühr
lediglich einen Transfer von Zahlungsmitteln darstellt, der für die Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen eines Lizenzvertrages
als erfolgt. Die Kapitalverkehrsfreiheit ist gegenüber der konkurrierenden Dienstleistungsfreiheit zweitrangig und tritt hinter
dieser zurück, wenn sich die Zahlungsverpflichtung aus einer Transaktion auf dem Gebiet des Waren- und Dienstleistungsverkehrs
ergibt und das Leistungsverhältnis durch die Überlassung der Lizenzen geprägt wird.
3. Die Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung (; vom , C-504/16 und C-613/16), die im Hinblick
auf die Verletzung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit durch die Antimissbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG
ergangen ist, gelten auch für die Verletzung der Dienstleistungsfreiheit. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, die Verletzung
der verschiedenen Grundfreiheiten unterschiedlich zu beurteilen. Demgemäß ist dem Steuerpflichtigen mit Blick auf § 50d Abs.
3 EStG der unionsrechtlich gebotene Gegenbeweis über einen mangelnden Regelungsmissbrauch im Einzelfall zu eröffnen.
4. Bei einer ausländischen vermögensverwaltenden Zwischengesellschaften kann im Zuge des Gegenbeweises nicht von einer rechtsmissbräuchlichen
Gestaltung ausgegangen werden, wenn im Einzelfall aufgrund der Dauerhaftigkeit und Funktion der Gesellschaft im Ansässigkeitsstaat
und bei im selben Staat ansässiger aktiver Konzerngesellschaft, die über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb
verfügt und die eine aktive Wirtschaftstätigkeit ausübt und damit frei von Missbrauchszweifeln ist, nicht anzunehmen ist,
dass der Bezug von Erträgen von einer deutschen Gesellschaft gerade bei dieser Zwischengesellschaft nur aus steuerlichen Gründen
erfolgt.
Fundstelle(n): DStRE 2022 S. 119 Nr. 2 EFG 2021 S. 960 Nr. 11 EStB 2021 S. 446 Nr. 10 IWB-Kurznachricht Nr. 14/2021 S. 563 KÖSDI 2021 S. 22310 Nr. 7 PAAAH-77039
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