Gewerbemietrecht | Herabsetzung der Miete wegen der Corona-Pandemie (Kammergericht)
Bei einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung wegen der Corona-Pandemie kann die Gewerbemiete wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf die Hälfte herabzusetzen sein, ohne dass eine Existenzbedrohung des Mieters im Einzelfall festgestellt werden muss (; nicht rechtskräftig).
Sachverhalt und Verfahrensgang: Der Beklagte begehrt in diesem Verfahren als Eigentümer einer als Spielhalle vermieteten Gewerbeeinheit im Wege einer Widerklage die Zahlung der restlichen Gewerbemiete für die Monate April und Mai 2020. Die Zivilkammer 34 des Landgerichts Berlin hatte im erstinstanzlichen Urteil die Widerklage abgewiesen.
Nach Auffassung des Kammergerichts kann sich die Klägerin wegen der Schließungsanordnung des Landes Berlin auf die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB berufen, sodass der vertraglich vereinbarte Mietzins um 50% zu reduzieren ist:
Zwar ist der Mietzahlungsanspruch für die Monate April und Mai 2020 nicht aufgrund des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom zu verneinen, da dieses ohnehin nur bis zum geregelte Leistungsverweigerungsrecht nicht für Miet- und Pachtverträge gilt.
Die Miete ist aber wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB anzupassen und – für den hier vorliegenden Fall der vollständigen Schließung des Geschäftsbetriebes der Mieterin – um 50% zu reduzieren.
Zur Geschäftsgrundlage der Parteien als Vermieter und Mieterin von Geschäftsräumen gehört auch die Vorstellung, dass es nicht zu einer Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens infolge pandemiebedingter Nutzungsuntersagungen und -beeinträchtigungen kommen wird, so dass das Auftreten einer Pandemie mit den entsprechenden weitreichenden staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und soziale Leben eine schwerwiegende Änderung der für die Vertragslaufzeit vorgestellten Umstände bedeutet und damit das tatsächliche Element der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht.
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall die Räume, die sie vor Beginn der Covid-Pandemie angemietet hat, durch hierzu ergangene staatliche Vorschriften oder Anordnungen über die Schließung überhaupt nicht in der vertraglich vorgesehenen Weise für ihr Gewerbe nutzen können. Es liegt daher nahe, dass die Vertragsparteien, wenn sie diese Veränderung vorhergesehen hätten, den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten.
Dabei ist zu vermuten, dass eine Mietabsenkung für den Zeitraum einer zweimonatigen Zwangsschließung der Spielhalle vereinbart worden wäre, wenn die Parteien die Beschränkungen im Zuge der Covid-Pandemie vorhergesehen hätten.
Es geht im vorliegenden Fall nicht um ein „normales“ Risiko der Gebrauchstauglichkeit bzw. Verwendung des Mietobjekts, sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie, die als Systemkrise eine Störung der Geschäftsgrundlage ist. Das mit der Störung der Geschäftsgrundlage verbundene Risiko kann daher regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.
Der aufgrund der Pandemie staatlich angeordnete Shutdown stellt einen derart tiefgreifenden, unvorhersehbaren, außerhalb der Verantwortungssphäre beider Vertragsparteien liegenden und potentiell existenzgefährdenden Eingriff in die im Vertrag vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit dar, dass – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – die Nachteile solidarisch von beiden Vertragsparteien zu tragen sind und die Miete daher bei vollständiger Betriebsuntersagung zur Hälfte zu reduzieren ist.
Dabei muss eine konkrete Existenzbedrohung für den Mieter anhand seiner betriebswirtschaftlichen Daten nicht positiv festgestellt werden. Die unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen im Sinne der Rechtsprechung des BGH sind auch dann zu vermuten, wenn eine angeordnete Schließung einen Monat oder länger andauert.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; soweit die Widerklage auf Zahlung der rückständigen Miete in Höhe von 50% abgewiesen wurde, kann dagegen Revision beim BGH innerhalb von einem Monat ab förmlicher Zustellung des Urteils eingelegt werden.
Der Volltext der Entscheidung ist noch nicht verfügbar.
Quelle: Kammergericht, Pressemitteilung v. 16.4.2021 (il)
Fundstelle(n):
GAAAH-76352