BGH Beschluss v. - 2 StR 568/19

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Notwendige Urteilsfeststellungen bei Vorliegen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Limburg Az: 4 Js 15683/15 - 1 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Sachbeschädigung sowie Bedrohung und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Die Verfahrensrügen bleiben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen erfolglos.

32. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten im Schuldspruch nicht ergeben. Hingegen begegnet der im Übrigen rechtlich nicht zu beanstandende Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit dem Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist. Auch der Maßregelausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4a) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf als außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Angeklagten darstellt, nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Taten auf diesem Zustand beruht (Senat, Beschluss vom - 2 StR 108/16, StV 2017, 584). Dabei muss vom Tatgericht insbesondere im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH, aaO; s. auch Senat, Beschluss vom - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.

6bb) Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung leidet, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. , StV 2017, 584). Das Landgericht, das sich auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G.    bezieht, dem es sich formelhaft anschließt, legt zwar Kriterien für die Diagnose einer allgemeinen wie auch einer antisozialen Persönlichkeitsstörung dar. Es versäumt aber, im Einzelnen darzulegen, warum der Angeklagte - abgesehen von dem Punkt „Falschheit“, die sich in wiederholtem Lügen, dem Gebrauch von Decknamen oder dem Betrügen anderer zum persönlichen Vorteil oder Vergnügen äußert - alle übrigen Punkte im „starkem Maße“ erfüllt. Es werden lediglich einzelne Gesichtspunkte ohne greifbaren Bezug zu einzelnen Kriterien herausgegriffen und zu verschiedenen Geschehnissen im Leben des Angeklagten in Verbindung gebracht, ohne dass damit für das Revisionsgericht die Wertungen des Landgerichts auch nur annähernd nachvollziehbar werden.

7(1) So wird etwa mitgeteilt, der Angeklagte sei nicht in der Lage, sich an soziale bzw. gesellschaftliche Normen zu halten; er wisse zwar, dass es sie gebe, sei aber der Ansicht, dass diese nicht für ihn gälten, insbesondere wenn sie seiner Bedürfnisbefriedigung entgegenstünden. Als Beleg hierfür führt das Landgericht an, der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung mehrfach Impulsdurchbrüche gezeigt, wenn es um seine Bedürfnisbefriedigung gegangen sei. So habe er mehrfach durch Handheben und Dazwischenrufen auf sich aufmerksam gemacht, wenn er das Bedürfnis hierzu verspürt habe, sei es, um seine Kommentare über Beweisergebnisse oder sonstige Verfahrensverläufe zu äußern oder lautstark kundzutun, er müsse zur Toilette, und hierfür eine Pause zu fordern. Es mag dahinstehen, ob das unangemessene Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung tatsächlich so einzuordnen ist, wie es das Landgericht getan hat. Jedenfalls trägt es allein und ohne weitere Belege aus dem Leben des 24-jährigen Angeklagten nicht die Annahme, der Angeklagte sei grundsätzlich „nicht in der Lage, sich an soziale bzw. gesellschaftliche Normen zu halten“.

8(2) Die weitere Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei unfähig, auf Konfliktsituationen angemessen zu reagieren und seine Impulse unter Kontrolle zu halten, stützt die Strafkammer auf ein Geschehen vom April 2011, bei dem er seine Mutter aus einem nichtigen Anlass massiv verletzt hatte. Damals hatte der 16 Jahre alte Angeklagte seiner Mutter heftig mit der Faust ins Gesicht geschlagen, nachdem diese den Stecker des Fernsehers aus der Steckdose gezogen hatte, weil der Angeklagte diesen nicht hatte leiser stellen wollen. Bei dieser Wertung lässt das Landgericht außer Betracht, dass es sich um einen im jugendlichen Alter begangenen Übergriff handeln könnte, dessen Bedeutung für die im Urteilszeitpunkt angenommene Unfähigkeit zur angemessenen Reaktion auf Konfliktsituationen eher gering einzuschätzen wäre. Dies gilt im Übrigen auch vor dem Hintergrund der vom Landgericht übernommenen Wertung des Sachverständigen, dass diese Störung schon seit Jahren bestünde. Auch dies wird nicht näher erläutert; ebenso wenig trägt der bloße Hinweis auf Vorverurteilungen die gutachterliche Einschätzung. Es gibt zwar drei strafgerichtliche Erkenntnisse gegen den Angeklagten; es handelt sich dabei allerdings jeweils um jugendrichterliche Entscheidungen aus den Jahren 2011 bis 2015, denen Körperverletzungen aus den Jahren 2010, 2011 und 2015 zugrunde lagen und (nur) zu Verwarnungen und einem Jugendarrest führten. Ob und in welchem Umfang aus ihnen angesichts des Zeitablaufs heute noch Rückschlüsse auf die Unfähigkeit zu einer angemessenen Konfliktlösung abgeleitet werden können, hätte in inhaltlicher Auseinandersetzung mit den den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten näherer Erläuterung bedurft.

9(3) Soweit die Strafkammer weiter anführt, die Störung des Angeklagten schlage sich auch in seiner beruflichen Situation nieder, er sei bis heute nicht in der Lage gewesen, eine Ausbildung zu beenden, wird diese Einschätzung schon den getroffenen Feststellungen nicht vollständig gerecht. Sie verliert aus dem Blick, dass der Angeklagte nach mehreren Jahren Tätigkeit als Aushilfe und Hilfsarbeiter im Zeitpunkt der Hauptverhandlung seit zwei Jahren eine Lehre absolvierte und bereits die Zwischenprüfung bestand. Zudem ist nicht erkennbar, inwieweit diese berufliche Entwicklung des Angeklagten eines der Kriterien für eine antisoziale Persönlichkeitsstörung, insbesondere das einzig in Betracht kommende, vom Gutachter aufgeführte Kriterium der „durchgängigen Verantwortungslosigkeit (die sich im wiederholten Versagen zeigt, eine dauerhafte Tätigkeit auszuüben oder finanziellen Verpflichtungen nachzukommen)“, erfüllen soll. Dies gilt im Übrigen auch, soweit der Sachverständige die Privatinsolvenz des Angeklagten in den Blick nimmt und daraus den Schluss ziehen will, dass er kaum in der Lage sei, in finanziellen Dingen vorauszuplanen bzw. den Impuls, etwas kaufen zu wollen, zu unterdrücken. Einzelheiten und Hintergründe des Insolvenzverfahrens teilt das Landgericht nicht mit.

10Insgesamt vermitteln die einzelnen vom Landgericht aufgegriffenen Gesichtspunkte dem Revisionsgericht lediglich einen eingeschränkten punktuellen Eindruck vom Verhalten des Angeklagten. Es fehlt an der erforderlichen umfassenden Gesamtschau von dessen Eigenschaften und Verhaltensweisen in den verschiedenen Lebensbereichen, die den Senat in die Lage versetzt, die Annahme von Sachverständigem und Landgericht vom Vorliegen einer antisozialen Persönlichkeitsstörung einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen.

11cc) Auch die Einordnung der festgestellten Störung als schwere andere seelische Abartigkeit begegnet mit der gegebenen Begründung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

12Dabei war sich das Landgericht zwar bewusst, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht jede antisoziale Persönlichkeitsstörung eine andere schwere seelische Abartigkeit darstellt. Es hat jedoch nicht die nach dieser Rechtsprechung erforderliche Prüfung vorgenommen, ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie eine krankhafte seelische Störung (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 71/18 mwN). Die Strafkammer beschränkt sich auf die Feststellung, der Angeklagte leide unter so schweren Impulskontrollstörungen, dass er den erheblichen Zwang entwickele, andere Menschen zu verletzen. Sie weist ergänzend darauf hin, er könne diese Impulsdurchbrüche nur noch bis zu einem gewissen (Zeit-)Punkt steuern, danach breche der Impuls durch und müsse durch den Angeklagten abgearbeitet werden, was sich (auch) bei der Tat vom gezeigt habe. Dies genügt den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht.

13Danach ist eine - hier fehlende - Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der Vorgeschichte, dem unmittelbaren Anlass und der Ausführung der Tat sowie seines Verhaltens nach der Tat erforderlich (vgl. BGHSt 37, 397, 401; 49, 45, 54; BGH NStZ 2005, 326, 327; NStZ 2009, 258). Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass für die Schwere der Persönlichkeitsstörung maßgebend ist, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als Merkmal der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden (vgl. BGHSt 49, 45, 52; , StraFo 2016, 300, 301). Da es sich - wie bei der hier diagnostizierten antisozialen Persönlichkeitsstörung - um ein eher unspezifisches Störungsbild handelt, das immer noch als - möglicherweise extreme - Spielart menschlichen Wesens einzuordnen ist, wird dies im Übrigen erst dann der Fall sein, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. , NStZ-RR 2015, 137). Die knappe Würdigung des Landgerichts im Zusammenhang mit der Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit lässt - auch unter Hinzuziehung der Ausführungen zur Gefahrenprognose - die erforderliche Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten vermissen und belegt außerhalb des angeklagten Delikts keine relevanten Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens des Angeklagten. Das Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung genügt dafür allein nicht; nähere Feststellungen zu den Lebensbedingungen des Angeklagten und zu seinem persönlichen Umfeld fehlen. Die zu seiner beruflichen Entwicklung mitgeteilten Umstände weisen zudem darauf hin, dass der Angeklagte nach anfänglichen Schwierigkeiten im schulischen Bereich Fuß gefasst hat. Jedenfalls lässt sich der Feststellung, der Angeklagte absolviere seit zwei Jahren eine Lehre, habe die Zwischenprüfung bestanden und erhalte eine Ausbildungsvergütung von knapp 1.000 €, nicht entnehmen, dass sich die angenommene Persönlichkeitsstörung im beruflichen Bereich (noch) auswirkt.

14dd) Der Maßregelausspruch bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird sich dabei, naheliegender Weise unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, nicht nur mit der Frage zu beschäftigen haben, ob der Angeklagte eine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufweist, die den für die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit erforderlichen Schweregrad aufweist. Sie wird auch eingehender als bisher erörtern müssen, ob sich bejahendenfalls die Persönlichkeitsstörung bei Begehung der ihm vorgeworfenen Taten ausgewirkt und zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt hat oder ob die nicht ohne Anlass begangenen Taten womöglich auch normalpsychologisch zu erklären sind. Schließlich wird die Gefahrenprognose auch die Kriminalitätsentwicklung des Angeklagten genauer in den Blick zu nehmen haben. Drei Vorverurteilungen aus den Jahren 2011 bis 2015 sowie die jetzt zur Aburteilung gelangten Anlasstaten aus den Jahren 2015 bzw. 2017 belegen weder das allerdings angenommene „kontinuierliche Muster an aggressiven Tathandlungen seit dem zwölften Lebensjahr“ noch rechtfertigt dies ohne Weiteres auch im Zusammenspiel mit dem Hinweis auf die angenommene Erkrankung des Angeklagten den Schluss, „es könne jederzeit und ohne Vorankündigung zu schweren Gewalttaten gegenüber Menschen kommen“.

15b) Auch die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

16Das Landgericht stützt die Ablehnung einer positiven Sozialprognose allein auf das Vorliegen der sich aus der antisozialen Persönlichkeitsstörung ergebenden Impulskontrollstörung des Angeklagten. Soweit die Annahme der Persönlichkeitsstörung wie oben ausgeführt schon nicht rechtsfehlerfrei dargetan ist, führt dies ohne Weiteres auch zur Aufhebung der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:160620B2STR568.19.1

Fundstelle(n):
YAAAH-75805