Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Schuldfähigkeitsprüfung hinsichtlich Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit; Gefährlichkeitsprognose bei längerer Straffreiheit
Instanzenzug: Az: 32 KLs 46/18
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das nach antragsgemäßer Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist und Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die von der Revision erhobene Beanstandung, die dem Sicherungsverfahren zugrundeliegenden Antragsschriften genügten den Anforderungen des § 414 Abs. 2 StPO nicht, weil die von der Staatsanwaltschaft erstrebte Maßregel darin entgegen § 414 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht bezeichnet werde, geht fehl; den Antragsschriften ist hinreichend klar zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus erstrebt.
32. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung überwiegend nicht stand.
4a) Die Feststellungen und Wertungen zur Schuldunfähigkeit des Beschuldigten halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Es fehlt an tatsachenfundierten und widerspruchsfreien Darlegungen, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild der schizoaffektiven Psychose auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den konkreten Tatsituationen und damit auf seine Einsichts- oder seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2017, 165, 166).
5aa) Im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwischen der Aufhebung der Einsichtsfähigkeit und der Aufhebung der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren; die Frage der Steuerungsfähigkeit ist erst zu prüfen, wenn der Täter in der Lage ist, das Unrecht seines Tuns einzusehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 25/20; vom - 4 StR 365/18; vom - 2 StR 72/18; vom - 2 StR 375/17). Nur in Ausnahmefällen ist in Betracht zu ziehen, dass krankheitsbedingt neben der Einsichtsfähigkeit auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben ist (vgl. , NStZ-RR 2006, 167, 168). Bleibt nach den Urteilsgründen zweifelhaft, welche Alternative das Tatgericht annehmen wollte, gefährdet dies den Bestand des Urteils (vgl. , NStZ-RR 2017, 201, 202).
6bb) So liegt es hier. Den Urteilsgründen ist nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob das Landgericht von fehlender Einsichtsfähigkeit oder von fehlender Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten ausgeht. Während das Urteil an mehreren Stellen festhält, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten - dem im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung erfolgten körperlichen Übergriff auf die Zeugin S. , den anschließenden Delikten zum Nachteil der herbeigerufenen Polizeibeamten (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Bedrohung) sowie den weiteren Widerstandshandlungen gegenüber den im Fall II.2. der Urteilsgründe herbeigerufenen Polizeibeamten - aufgrund einer schizoaffektiven Psychose aufgehoben war, ist an anderer Stelle ausgeführt, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten krankheitsbedingt aufgehoben war. Auch die Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. sind einerseits dahin wiedergegeben, dass das schizoaffektive Krankheitsbild die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten so beeinträchtigt habe, dass dieser nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Taten zu erkennen; andererseits wird ausgeführt, dass der Beschuldigte sich nach Auffassung des Sachverständigen aufgrund „krankhafter Wahnideen in Form von verfolgungswahnbedingten Vorstellungen“ jeweils in einen Erregungszustand hineingesteigert habe, der zum Verlust der Steuerungsfähigkeit geführt habe. Schließlich ist auch im Rahmen der Darlegungen zu den Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB an einer Stelle ausgeführt, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sicher aufgehoben gewesen sei, und an anderer Stelle festgehalten, dass die Steuerungsfähigkeit bei Begehung der beiden Anlassdelikte sicher aufgehoben gewesen sei, ohne dass diese jedenfalls nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang stehenden Wertungen erläutert würden. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht die konkreten Auswirkungen des Krankheitsbilds auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den jeweiligen Tatsituationen nicht - wie von Rechts wegen geboten ‒ hinreichend konkret festgestellt und bewertet hat.
7b) Auch die Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose begegnen durchgreifenden Bedenken; sie sind lückenhaft.
8Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens sowie der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2013, 141, 142). Hieran fehlt es. Das Landgericht hat sich mit der prädeliktischen Persönlichkeitsentwicklung und der Krankheitsgeschichte des 52 Jahre alten Beschuldigten nicht auseinandergesetzt. Es hat nicht erkennbar berücksichtigt, dass der spätestens seit 2007 an einer schizoaffektiven Psychose leidende Beschuldigte bisher nur einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wobei unklar bleibt, ob die im Jahr 2014 erfolgte Verurteilung zu Geldstrafe eine Tat betrifft, die auf dem festgestellten Krankheitsbild beruht. Die länger währende Straffreiheit wäre jedenfalls dann als ein prognosegünstiger Umstand anzusehen, wenn der Beschuldigte in den vergangenen Jahren in vergleichbaren Lebensverhältnissen wie im Zeitpunkt der beiden Anlasstaten gelebt hätte. Die insoweit zum Vorleben des Beschuldigten getroffenen, lückenhaften Feststellungen, wonach der Beschuldigte sich in den vergangenen Jahren mehrfach wegen bestehender Wahnideen in psychiatrischen Kliniken befunden haben soll, schließen dies jedenfalls nicht aus. Darüber hinaus wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen verlaufen regelmäßig phasenhaft, wobei es zu Zeiträumen einer vollständigen Remission der Krankheitssymptome kommen kann (vgl. , NStZ-RR 2013, 141, 143). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind.
93. Diese Erörterungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Geschehen der Anlasstaten können bestehen bleiben. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen - neuer Verhandlung und Entscheidung.
10Der Senat sieht Anlass zu dem Hinweis, dass die schriftlichen Urteilsgründe sorgfältig abzufassen sind; die erhebliche Zahl von Schreibversehen und Ungenauigkeiten weckt Zweifel daran, ob diesem Erfordernis vorliegend Rechnung getragen worden ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:060520B4STR12.20.0
Fundstelle(n):
KAAAH-75801