Strafurteil wegen Mordes: Geltung des Doppelverwertungsverbotes bei der Entscheidung über die besondere Schwere der Schuld
Gesetze: § 46 Abs 2 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 57a Abs 1 S 1 Nr 2 StGB, § 211 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 9 Ks 7/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit „vorsätzlichem Verstoß gegen das Waffengesetz“ zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Dagegen richtet sich die auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer klarstellenden Änderung des Schuldspruchs und hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
32. Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO, weil der Urteilstenor im Hinblick auf die abgeurteilten Waffendelikte unklar ist und nicht zum Ausdruck bringt, dass der Angeklagte - wie das Landgericht in den Urteilsgründen zutreffend ausgeführt hat - des Mordes in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition schuldig ist (§ 52 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2b WaffG).
43. Der Ausspruch über die besondere Schwere der Schuld hat keinen Bestand.
5a) Nach den Feststellungen war der Angeklagte ebenso wie seine Familie traditionellen kurdisch-islamischen Wertvorstellungen verhaftet. Er akzeptierte deshalb nicht, dass seine jüngere Schwester mit dem Geschädigten A. zusammenleben wollte, der kein muslimischer Kurde, sondern irakischer Christ war. Um die nach seinem Verständnis durch die Beziehung verletzte Familienehre wiederherzustellen, beschloss er, A. zu töten. Zu diesem Zweck verschaffte er sich eine Schusswaffe, bei der es sich wahrscheinlich um einen Revolver, möglicherweise aber auch um eine Pistole handelte, und lauerte A. auf, als dieser abends seinen Pkw auf einem in der Nähe seiner Wohnung gelegenen Parkplatz abstellte. Nachdem A. der gerade mit seiner Mutter telefonierte, aus dem Auto ausgestiegen war, trat der Angeklagte aus dem Dunkeln an ihn heran und tötete ihn durch fünf kurz nacheinander abgegebene Schüsse.
6b) Das Landgericht ist bei der Prüfung, ob die Schuld des Angeklagten besonders schwer wiegt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB), von einem zutreffenden Maßstab ausgegangen. Die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen erweisen sich indes in zweifacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft. Dazu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Die Erwägung des Gerichts zu etwaigen Querschlägern und der potentiellen Gefährdung anderer Menschen (UA S. 119 2. Absatz) begegnet vor dem Hintergrund der tatsächlichen Feststellungen durchgreifenden Bedenken. Der Parkplatz war zum konkreten Tatzeitpunkt nicht stark frequentiert. Der Tatortbereich war vielmehr menschenleer, weswegen das Geschehen ausschließlich von den in ihren Wohnungen befindlichen Nachbarn verfolgt werden konnte (UA S. 21 3. Absatz). Die bloße abstrakte Gefahr, dass weitere Personen zu dem Geschehen hinzutreten könnten (UA S. 95 2. Absatz), begründet zumindest in Ansehung der konkret in Rede stehenden Schüsse keinen rechtlich belangvollen Aspekt. Die kurz nacheinander gezielt auf den Geschädigten abgegebenen fünf Nahschüsse (Bereich von ein bis drei Metern, UA S. 20 4. Absatz) lassen Querschläger nicht ernsthaft erwarten. (...)
Rechtlich nicht statthaft erscheint überdies die schulderhöhende Erwägung, dass sich der Angeklagte nicht von den - recht pauschalen - Ermahnungen des Zeugen D. habe abhalten lassen (UA S. 120 2. Absatz). Damit wertet das Landgericht zulasten des Angeklagten, dass er die Tat überhaupt begangen hat, anstatt davon Abstand zu nehmen. Darin liegt ein Verstoß gegen das auch für die Schuldschwereentscheidung anwendbare Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB (vgl. ).
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Rechtsfehlerhaft sind lediglich daraus abgeleitete Schlussfolgerungen.“
7Dem tritt der Senat trotz der in erheblichem Maße für die Bejahung der besonderen Schwere der Schuld sprechenden Gesichtspunkte bei, weil er ein Beruhen des Urteils auf den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht gänzlich auszuschließen vermag.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:031120B6STR328.20.0
Fundstelle(n):
SAAAH-75700