Online-Nachricht - Donnerstag, 08.04.2021

Einkommensteuer | Änderung von Einkommensteuerbescheiden nach § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG (BFH)

Die Mitteilung der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) führt bei Abweichungen in Bezug auf den Sonderausgabenabzug nach § 10a Abs. 1 Satz 1 EStG nicht dazu, dass das Finanzamt ungeprüft den Inhalt dieser Mitteilung umzusetzen hat; die Mitteilung nach § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG ist im Verhältnis zum Einkommensteuerbescheid weder ein Grundlagenbescheid noch kommt ihr grundlagenbescheidsähnliche Wirkung zu (; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Gem. § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG ist dem Finanzamt mitzuteilen, wenn die Überprüfung der Altersvorsorgezulage eine Abweichung von dem in der Steuerfestsetzung berücksichtigten Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG oder der gesonderten Feststellung nach § 10a Abs. 4 EStG ergibt; die Steuerfestsetzung oder die gesonderte Feststellung ist insoweit zu ändern.

Sachverhalt: Die Kläger werden in den Streitjahren 2010 bis 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Kläger machten in ihren Steuererklärungen für die Streitjahre jeweils einen Sonderausgabenabzug gem. § 10a Abs. 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung geltend. In den Anlagen AV zu den Einkommensteuererklärungen gaben die Kläger an, dass jeder von ihnen unmittelbar zulageberechtigt sei. Das FA veranlagte die Kläger zunächst erklärungsgemäß.

Im Jahr 2015 teilte die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) dem FA mit, dass der Kläger nur mittelbar zulageberechtigt sei. Daraufhin änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzungen sowie die Feststellungen nach § 10a Abs. 4 EStG für die Streitjahre.

Das FA wies die Einsprüche der Kläger gegen die geänderten Einkommensteuerfestsetzungen und die gesonderten Feststellungen nach § 10a Abs. 4 EStG für die Streitjahre zurück. Auch die Klage blieb erfolglos. Aufgrund des § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG habe das FA die Bescheide zu ändern ().

Der BFH hat die Revision als begründet angesehen und das FG Urteil aufgehoben:

  • Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig, da den Klägern aufgrund ihrer unmittelbaren Zulageberechtigung (§ 79 Satz 1 EStG) der Sonderausgabenabzug gem. § 10a Abs. 1 EStG zu gewähren war. Der Kläger ist, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, in den Streitjahren in der landwirtschaftlichen Alterskasse pflichtversichert gewesen. Somit ist auch er gem. § 79 Satz 1 EStG unmittelbar zulageberechtigt und kann gem. § 10a Abs. 1 Satz 1 EStG zusätzlich Sonderausgaben geltend machen.

  • Das FG war verpflichtet, diesen Umstand bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Es hat eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bei seiner Entscheidung ausnahmsweise nur dann hinzunehmen, wenn der Kläger aufgrund einer Anfechtungsbeschränkung gem. § 42 FGO sachlich nicht befugt ist, im anstehenden Verfahren eine dementsprechende Rechtsverletzung geltend zu machen.

  • Eine derartige Beschränkung ist im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 42 FGO i. V. mit § 351 Abs. 2 AO nicht vor, wonach Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung jenes Bescheides, nicht aber auch durch eine solche des Folgebescheides, angegriffen werden können.

  • Bei der Mitteilung der ZfA an das FA i. S. von § 91 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 EStG handelt es sich nicht um einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO).

  • Der Mitteilung nach § 91 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 EStG kommt auch keine grundlagenbescheidsähnliche Wirkung zu. Unabhängig davon, dass eine solche Wirkung mangels Bekanntgabe an den Zulageberechtigten überhaupt nicht möglich ist, fehlt es bereits an einer entsprechenden Formulierung in § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG. Auch § 10a EStG enthält keinen Hinweis auf eine solche Bindungswirkung.

  • § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG ermächtigt das Finanzamt lediglich, die Einkommensteuerfestsetzung i. S. des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO zu ändern. Der Wortlaut des § 91 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 EStG sieht lediglich vor, dass das FA aufgrund der Mitteilung der ZfA die Steuerfestsetzung oder die gesonderte Feststellung gem. § 10a Abs. 4 EStG zu ändern hat. Diese Änderungsnorm ist aber nicht mit einer inhaltlichen Bindungswirkung ausgestaltet worden. Vielmehr bleibt das FA auch weiterhin verpflichtet, die Steuerfestsetzung auf ihre materielle Richtigkeit hin zu überprüfen.

  • Ebenso wenig kommt der Mitteilung aus sonstigen Gründen Tatbestandswirkung zu.

  • Die von der Vorinstanz angenommene Anfechtungsbeschränkung führt zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes für den Steuerpflichtigen.

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Auch im Rahmen des digitalen Datenabgleichs darf die Finanzverwaltung trotz des verfassungsrechtlich zu beachtenden Gesichtspunkts einer möglichst effizienten Verwaltung (, Rz. 45) den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes nicht vergessen.

Schafft der Gesetzgeber wie im Fall der sog. Riester-Förderung ein mehrstufiges Verfahren, führt dies nicht automatisch zur Anpassung auf allen Ebenen. So kann der Mitteilung der ZfA nach § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG nur dann eine Bindungswirkung für die Einkommensteuerfestsetzung zukommen, wenn es sich um einen Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO handelt. Denkbar ist daneben eine grundlagenbescheidsähnliche Wirkung, wie sie etwa § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG im Fall eines Verlustfeststellungsbescheides vorsieht. Bei ressortfremden Verwaltungsakten ist außerdem eine Tatbestandswirkung im finanzbehördlichen Verfahren möglich.

All diese Voraussetzungen erfüllt die Mitteilung der ZfA nach § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG nicht. Sie verpflichtet das FA nur zur Änderung der Einkommensteuerfestsetzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG – allerdings nach Überprüfung der materiellen Richtigkeit der Mitteilung.

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
TAAAH-75594