BAG Urteil v. - 5 AZR 21/20

Außertariflicher Arbeitnehmer - Anspruch auf tarifliche Abstandsklausel wahrende Vergütung

Gesetze: § 1 TVG, § 611a Abs 2 BGB, § 2 Abs 1 S 2 Nr 7 NachwG

Instanzenzug: ArbG Osnabrück Az: 5 Ca 172/18 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 9 Sa 222/19 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung.

2Der Kläger ist seit 1989 bei der Beklagten als Diplomingenieur für IT-Angelegenheiten beschäftigt. Auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 17./ wurde er in ein „außertarifliches Arbeitsverhältnis“ „übernommen“. Nach ergänzenden Vereinbarungen, die Bestandteil des Arbeitsvertrags sind, steht er der Beklagten während einer Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche „zur Verfügung“. Seit bezog der Kläger ein Bruttomonatsgehalt von 6.300,00 Euro, das vereinbarungsgemäß zum auf 6.480,00 Euro und zum auf 6.513,00 Euro erhöht wurde. Außerdem hat er Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts.

3Die Beklagte ist kraft Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland gebunden und wendet diese auf ihre Arbeitnehmer unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit an, soweit die Beschäftigten dem persönlichen Geltungsbereich der Tarifverträge unterfallen.

4Im Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland vom idF des Änderungstarifvertrags vom (iF MTV) heißt es:

5In einem Beschluss der nach § 22 MTV für die Arbeitnehmer in der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland vom idF des Änderungstarifvertrags vom (iF MTV 2000) gebildeten Schiedsstelle vom heißt es, dass sich die für das tarifliche Mindestabstandsgebot in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV genannten durchschnittlichen Monatsbezüge aus der Summe aller im Jahr zu zahlenden nicht variablen Verdienstbestandteile ergeben, auf die der Angestellte einen unwiderruflichen Anspruch hat.

6Im Entgelttarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim vom , gültig ab , (iF ETV) ist geregelt:

7§ 7 Entgeltrahmen-Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland vom in der Fassung vom (iF ERA-TV) regelt für Beschäftigte im Zeitentgelt die Zahlung von Leistungszulagen. Dort ist bestimmt:

8Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Aufstockung seiner monatlichen Bezüge. Er hat gemeint, er habe Anspruch auf ein Entgelt, das den in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV geregelten Tarifabstand wahre. Für die Abstandsberechnung sei das Tarifgehalt der Tarifgruppe E 12 ETV, das den Tarifmitarbeitern bei einer Arbeitszeit von 35 Wochenstunden zustehe, auf eine 40 Stunden-Woche umzurechnen. Zudem sei dem Tarifgehalt die 10%ige Leistungszulage nach § 7 ERA-TV hinzuzurechnen. Daraus berechne sich ein im Streitzeitraum geschuldetes monatliches Gehalt iHv. 8.477,00 Euro.

9Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

11Das Arbeitsgericht hat - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dem zu 1. erhobenen Antrag iHv. 3.434,00 Euro brutto nebst Zinsen entsprochen und die Beklagte auf den zu 2. erhobenen Antrag verurteilt, an den Kläger ab dem wiederkehrend ein Bruttomonatsgehalt iHv. 7.417,00 Euro zu zahlen. Dem Kläger stehe eine Gehaltsaufstockung zu, allerdings nur unter dem Gesichtspunkt, dass die Leistungszulage nach § 7 ERA-TV in die Berechnung des Mindestabstands nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV einzustellen sei. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten sowie unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht dem Antrag zu 1. iHv. 6.064,00 Euro brutto nebst Zinsen und dem Antrag zu 2. hinsichtlich eines Bruttomonatsgehalts iHv. 7.706,00 Euro entsprochen. Ein höherer Gehaltsanspruch des Klägers bestehe deshalb, weil hinsichtlich der Einhaltung des Mindestabstands auf das sich nach einer Umrechnung auf eine 40-Stunden-Woche ergebende Tarifentgelt nach der EG 12 (Hauptstufe) abzustellen sei. Die Leistungszulage gemäß § 7 ERA-TV sei dagegen nicht zu berücksichtigen.

12Mit der nur für sie zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren, die Klage insgesamt abzuweisen, weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, dass der Klageantrag zu 2. als Feststellungsantrag zu verstehen ist.

Gründe

13Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers zu Unrecht entsprochen, soweit es ihm für April bis August 2018 Differenzvergütung von mehr als 4.707,90 Euro brutto und Zinsen auf diesen Betrag vor Rechtshängigkeit zuerkannt hat. Im Hinblick auf den Antrag zu 2., den der Kläger in der Revision zulässigerweise als Feststellungsantrag aufrechterhält, hat das Landesarbeitsgericht zwar in der Sache zutreffend erkannt, dass der Kläger ab September 2018 ein höheres Gehalt verlangen kann, jedoch steht ihm Vergütung nur auf der Grundlage eines Bruttomonatsentgelts iHv. 7.434,78 Euro zuzüglich der vereinbarten Sonderzahlung zu. Dies führt zur teilweisen Aufhebung des Berufungsurteils und zur teilweisen Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.

14I. Im Lauf des Revisionsverfahrens wurde die beklagte K GmbH & Co. KG im Wege des Formwechsels in die K GmbH mit Sitz in O umgewandelt. Nachfolgend wurde die Firma der K GmbH in die Firma K S GmbH (iF Beklagte) geändert. Das Rubrum war entsprechend - der Anregung der Parteien folgend - zu berichtigen.

15II. Die Klage ist, soweit sie den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildet, zulässig. Das gilt auch, soweit der Kläger den zu 2. erhobenen Antrag im Rahmen seines Begehrens auf Zurückweisung der Revision als Feststellungsantrag aufrechterhält.

161. Der Klageantrag zu 2. war, soweit er in den Vorinstanzen auf die Vornahme künftiger Gehaltszahlungen in der genannten Höhe gerichtet war, unzulässig. Die Voraussetzungen von § 259 ZPO lagen nicht vor. Es fehlte bereits an der Besorgnis der Leistungsverweigerung zum Fälligkeitstermin. Allein das Bestreiten der vom Arbeitnehmer beanspruchten Forderungen durch den Arbeitgeber reicht hierfür nicht aus (vgl.  - Rn. 11; - 5 AZR 450/17 - Rn. 38 mwN, BAGE 165, 168).

172. Der Antrag ist jedoch in einen Feststellungsantrag umzudeuten, der unter Berücksichtigung von Inhalt und Ziel der Klage als ein „Weniger“ in dem unzulässigen Leistungsantrag enthalten ist (vgl.  - Rn. 41 mwN, BAGE 165, 168). Gemäß ihrer Begründung zielte die Klage nicht ausschließlich darauf, einen vollstreckbaren Titel zu erlangen. Vielmehr wollte der Kläger durch gerichtliche Feststellung die Ungewissheit über die Höhe des vereinbarten Bruttomonatsgehalts, das die Grundlage für die Vergütungsberechnung bildet, beseitigt wissen. Dies hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt. Er konnte deshalb den Antrag zu 2. in der Revisionsinstanz zulässigerweise als Feststellungsantrag aufrechterhalten.

183. Der Feststellungsantrag ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Eine Feststellungsklage kann sich - wie hier - auf einzelne Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis beschränken ( - Rn. 19 mwN, BAGE 163, 192). Der nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Gegenwartsbezug ist gegeben. Das gilt auch, soweit sich der Feststellungsantrag auf bereits vergangene Monate bezieht. Insoweit erstrebt der Kläger rechtliche Vorteile in Form eines höheren Entgelts aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (vgl.  - Rn. 20 mwN).

194. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, dass die Höhe des ihm für die Zeit ab dem grundsätzlich zustehenden Bruttomonatsgehalts alsbald festgestellt wird (§ 256 Abs. 1 ZPO). Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien im Verlauf des Revisionsverfahrens nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB im Wege eines Betriebsteilübergangs auf die F GmbH und spätere K GmbH übergegangen ist (zur Berücksichtigung solcher, nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingetretener und zwischen den Parteien unstreitiger Rechtstatsachen vgl.  - Rn. 29 mwN). Dadurch ist das Feststellungsinteresse für den Antrag zu 2. nicht entfallen. Im Fall eines Betriebsteilübergangs kann der Arbeitnehmer den Rechtsstreit in analoger Anwendung von § 265 Abs. 2 ZPO gegen den alten Arbeitgeber fortsetzen, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Betriebsübergang nach Rechtshängigkeit erfolgt ist. Aufgrund der Rechtskrafterstreckung analog § 325 Abs. 1 ZPO wirkt die bindende Feststellung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebsveräußerer auch gegenüber dem Betriebserwerber ( - Rn. 21; MüKoBGB/Müller-Glöge 8. Aufl. § 613a Rn. 215).

20III. Der Leistungsantrag zu 1. ist iHv. 4.707,90 Euro brutto nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit begründet, im Übrigen ist der Antrag, soweit in die Revision gelangt, unbegründet.

211. Der Kläger hat nach § 611a Abs. 2 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag vom 17./ Anspruch auf eine Vergütung, die den Tarifabstand iSv. § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV wahrt. Das ergibt die Auslegung der Vertragsbestimmungen.

22a) Der Kläger wurde aufgrund des vorbezeichneten Arbeitsvertrags zum in ein „außertarifliches Arbeitsverhältnis“ „übernommen“ und hat damit den Status eines AT-Beschäftigten erhalten. Nach allgemeinem Begriffsverständnis zeichnen sich außertarifliche Arbeitnehmer dadurch aus, dass sie kraft ihrer Tätigkeitsmerkmale oder ihrer Vergütungshöhe nicht mehr unter den persönlichen Geltungsbereich des einschlägigen Tarifvertrags fallen ( - Rn. 23). Auf eine beiderseitige Tarifbindung kommt es insoweit nicht an. Es genügt, dass das Arbeitsverhältnis an sich vom Geltungsbereich des einschlägigen Tarifvertrags erfasst wird ( - aaO).

23b) Der MTV ist räumlich und fachlich einschlägig. Die Beklagte ist kraft Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie im Bereich Osnabrück-Emsland gebunden. Sie wendet die jeweils maßgeblichen Tarifverträge auf sämtliche bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit an. Soweit der MTV nach den Protokollnotizen zu § 1, erster Spiegelstrich, nur für Betriebe gilt, die den ERA-TV betrieblich eingeführt haben, hat das Landesarbeitsgericht hierzu zwar keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen. Mittelbar ergibt sich dies jedoch daraus, dass die Beklagte - unstreitig - ihre vom persönlichen Geltungsbereich des MTV erfassten Beschäftigten nach den Bestimmungen des ETV vergütet, dessen Geltungsbereich sich nach § 1 ETV gemäß den in § 1 MTV getroffenen Regelungen bestimmt. Insbesondere zahlt sie solchen Beschäftigten ein Leistungsentgelt gemäß § 7 ERA-TV.

24c) Nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV gelten die Beschäftigten nicht als Beschäftigte im Sinne des MTV, die durch Einzelarbeitsvertrag aus dem Geltungsbereich der Tarifverträge herausgenommen sind und deren durchschnittliche monatliche Bezüge das jeweils höchste in der Entgelttabelle ausgewiesene Tarifentgelt um mehr als 15 % übersteigen. Im Zusammenhang mit dieser Regelung des MTV, den die Beklagte auf alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer anwendet, kann die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung eines außertariflichen Vertragsverhältnisses nur so verstanden werden, dass seit Inkrafttreten des MTV die Bezüge des Klägers den in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV ausgewiesenen Mindestabstand aufweisen müssen.

252. Den hiernach bestehenden Vergütungsanspruch des Klägers hat die Beklagte nicht vollständig erfüllt. Sie hätte ihm zur Einhaltung des tariflichen Mindestabstands neben der ihm zustehenden Jahressonderzahlung ein Monatsgehalt von mindestens 7.434,78 Euro brutto zahlen müssen. Das ergibt die nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV vorzunehmende Vergleichsberechnung bei zutreffender Auslegung der für die Abstandsbemessung maßgeblichen Bezugsgrößen.

26a) Das Landesarbeitsgericht hat richtigerweise angenommen, dass der Begriff der „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ neben einer geschuldeten Monatsvergütung auch solche Entgeltbestandteile umfasst, die - wie die dem Kläger gewährte Jahressonderzahlung in Höhe eines hälftigen Bruttomonatsgehalts - dem AT-Arbeitnehmer nicht im Monatsturnus zufließen und den Charakter eines 13. Monatsgehalts haben. Das gibt bereits der Wortlaut vor. Die Formulierung „durchschnittliche monatliche …“ verdeutlicht, dass es für die auf Seiten des AT-Angestellten zu berücksichtigenden Bezüge nicht darauf ankommen soll, ob ihm die Zahlungen Monat für Monat in gleicher Höhe zufließen, und ob die „Bezüge“ als Monats- oder Jahresvergütung vereinbart sind. Zugleich ist der Begriff der „Bezüge“ weiter als der des laufenden Gehalts. Er erfasst sämtliche Zahlungen, die sich als Entgeltleistung des AT-Beschäftigten darstellen. Dieses Verständnis steht in Einklang mit dem Beschluss der tariflichen Schlichtungsstelle vom , soweit diese aufgrund von § 22 Nr. 2 MTV 2000 zur Vorgängerregelung entschieden hat, dass sich die in § 1 Ziff. 3 Buchst. c MTV 2000 genannten „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ aus der Summe aller im Jahr zu zahlenden nicht variablen Verdienstbestandteile ergeben, auf die der Angestellte einen unwiderruflichen Anspruch hat. Der Beschluss ist zwar für die Auslegung des aktuellen MTV nicht mehr bindend (vgl.  - BAGE 36, 183). Es ist aber davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien, soweit sie in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV für die Bemessung des tariflichen Mindestabstands weiterhin auf die „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ eines AT-Beschäftigten abstellen, die zur vorherigen Abstandsbestimmung gefundene Auslegung in ihren Regelungswillen aufgenommen haben und die Bezugsgröße entsprechend verstanden wissen wollen. Für einen abweichenden Regelungswillen enthält der Tarifvertrag keine Anhaltspunkte.

27b) Das für die Abstandsberechnung den Gehaltsbezügen gegenüber zu stellende „jeweils höchste in der Entgelttabelle ausgewiesene Tarifentgelt“ ist in Fällen, in denen die individuelle Arbeitszeit des AT-Angestellten von der tariflichen Regelarbeitszeit abweicht, das sich nach der Formel in § 2 Ziff. 2.3 ETV unter Zugrundelegung der individuellen Arbeitszeit des AT-Arbeitnehmers berechnende Tarifentgelt nach der Entgeltgruppe 12 (Hauptstufe).

28aa) Der Wortlaut von § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV ist insoweit allerdings nicht eindeutig. Die Bestimmung stellt auf das in der Entgelttabelle ausgewiesene Tarifentgelt ab und nimmt damit auf die Regelungen im einschlägigen ETV Bezug. Das Adjektiv „ausgewiesen“ steht für „nachgewiesen“ oder „gezeigt“ (vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Bd. 1 S. 385, 426) und deutet in Verbindung mit den Worten „in der Entgelttabelle“ auf den ersten Blick darauf hin, dass das maßgebliche „Tarifentgelt“ aus einer solchen Tabelle unmittelbar ablesbar sein muss. Danach könnte die Tarifregelung so zu verstehen sein, dass als Vergleichsgröße unabhängig von der Arbeitszeit eines Beschäftigten mit AT-Status das der Tabelle des § 2 Ziff. 2.2 ETV für die höchste Entgeltgruppe 12 (Hauptstufe) zu entnehmende Monatsgrundentgelt maßgeblich sein soll.

29bb) Zwingend ist ein solches Verständnis jedoch nicht. Vielmehr lässt der Wortlaut der Abstandsregelung unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs auch die Lesart zu, dass die individuelle Arbeitszeit des betroffenen Mitarbeiters bei der Ermittlung des maßgeblichen „Tarifentgelts“ mit in den Blick zu nehmen ist. Nach § 2 Ziff. 2.2 ETV handelt es sich bei der dortigen Tabelle um die „Monatsgrundentgelttabelle“, aus der sich die ab dem geltenden „Monatsgrundentgelte“ (in Euro) ergeben. Dieses Entgelt ist nach § 2 Ziff. 2.3 ETV bei solchen Arbeitnehmern maßgeblich, deren individuelle Arbeitszeit nicht von der tariflichen Regelarbeitszeit von 35 Wochenstunden abweicht. Andere Arbeitnehmer erhalten nach der Formel in § 2 Ziff. 2.3 ETV ein in Abhängigkeit von ihrer Arbeitszeit höheres oder geringeres Entgelt. Dies ist in § 2 Ziff. 2.3 Satz 2 ETV ausdrücklich als „Tarifentgelt“ bezeichnet. Ergeben sich „bei der Entgelttabelle“ Bruchteile von Euro, macht § 2 Ziff. 2.4 ETV Vorgaben zur Auf- bzw. Abrundung des Entgelts. Die hier verwendete Formulierung „bei der Entgelttabelle“ wiederum lässt erkennen, dass das nach der Formel in § 2 Ziff. 2.3 ETV zu ermittelnde Tarifentgelt seinerseits Bestandteil der Entgelttabelle ist. Diesem Tarifverständnis folgend bezeichnet die Überschrift zu § 2 ETV alle Regelungen in § 2 ETV und nicht nur die Bestimmungen in § 2 Ziff. 2.1 und Ziff. 2.2 ETV als „Entgelttabelle“. § 2 ETV verdeutlicht damit, dass die Höhe des Tarifentgelts stets in Relation zur Arbeitszeit des Beschäftigten steht. Wenn in diesem Zusammenhang § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV an das Tarifentgelt und nicht an das Monatsgrundentgelt anknüpft, spricht dies dafür, dass für die Abstandsermittlung das „Monatsgrundentgelt“ iSv. § 2 Ziff. 2.2 ETV nur maßgeblich ist, wenn die Arbeitszeit des Beschäftigten der tariflichen Regelarbeitszeit entspricht, und es andernfalls auf das Tarifentgelt ankommt, das sich unter Zugrundelegung der individuellen Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers nach der Formel des § 2 Ziff. 2.3 ETV ergibt.

30cc) Das Verständnis, wonach das Tarifentgelt iSv. § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV unter Berücksichtigung der individuellen Arbeitszeit des betroffenen Arbeitnehmers zu berechnen ist, erschließt sich auch aus dem Zweck der Tarifregelung. Dieser besteht darin, dem außertariflichen Angestellten eine Kompensation für die mit dem AT-Status verbundene Preisgabe tariflicher Ansprüche und Rechte zu schaffen. Für die sachliche Rechtfertigung des Verzichts auf tarifliche Ansprüche und Rechte ist nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV die Höhe des dem außertariflichen Angestellten als Ausgleich zugesagten Entgelts entscheidend (vgl.  - Rn. 20). Diese ist aber stets bestimmt durch die mit dem Entgelt abgegoltene Arbeitszeit. Davon geht die Beklagte im Übrigen selbst aus, soweit sie der Auffassung ist, das maßgebliche Tarifentgelt sei in Fällen, in denen die Arbeitszeit des AT-Beschäftigten die tarifliche Regelarbeitszeit von 35 Stunden unterschreitet, quotal zu verringern.

31c) Dieses Tarifverständnis steht entgegen der Auffassung der Beklagten in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Abstandsgebot bei AT-Angestellten. Danach soll in Ermangelung einer anderweitigen Bestimmung des Tarifvertrags das Tarifgehalt der höchsten Gehaltsgruppe für die Abstandsberechnung auch dann maßgeblich sein, wenn diesem die tarifliche Regelarbeitszeit zugrunde liegt und die Arbeitszeit des AT-Arbeitnehmers die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit überschreitet (vgl.  - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 109, 12; - 4 AZR 793/98 - zu II 1 b bb der Gründe, BAGE 95, 133). Bei Fehlen einer besonderen tariflichen Regelung oder im Zweifelsfall ist die tarifliche Regelarbeitszeit zugrunde zu legen ( - Rn. 33 mwN). Das im Streitfall anwendbare Tarifwerk enthält indes - wie gezeigt - hinreichend klare Regelungen zur konkreten Berechnung des Abstands, so dass sich ein Rückgriff auf „Zweifelsregeln“ verbietet.

32d) Der Hinweis der Beklagten, AT-Arbeitsverträge enthielten vielfach keine spezielle Regelung zu einer geschuldeten wöchentlichen Arbeitszeit, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Sollte diese nicht belegte Behauptung zutreffen, wäre dies nicht gesetzeskonform und damit keine taugliche Grundlage für die Ermittlung einer bei der Vertragsauslegung nach § 157 BGB zu beachtenden Verkehrssitte. Auch für AT-Arbeitnehmer gilt das Nachweisgesetz. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 NachwG ist in die vom Arbeitgeber zu fertigende Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen eine Angabe über die vereinbarte Arbeitszeit aufzunehmen, was zumindest eine abstrakte Mitteilung über die Dauer der Arbeitszeit verlangt (vgl. dazu Kelber in Kelber/Zeißig/Birkefeld Rechtshandbuch Führungskräfte B Rn. 364; HWK/Kliemt 9. Aufl. § 2 NachwG Rn. 34; ErfK/Preis 21. Aufl. NachwG § 2 Rn. 20). Im Übrigen kann ein AT-Arbeitnehmer, der mit dem Arbeitgeber ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet, redlicherweise davon ausgehen, dass er in gleichem Umfang wie andere Vollzeitarbeitnehmer des Arbeitgebers zur Arbeitsleistung verpflichtet ist und für ihn daher der betriebsübliche Umfang der für vergleichbare Vollzeitmitarbeiter geltenden Arbeitszeit maßgeblich ist (vgl.  - Rn. 21). Soll das vereinbarte Entgelt auch Mehrarbeit abgelten, ist dies vertraglich zu vereinbaren (zu den Anforderungen an derartige Regelungen: ErfK/Preis 21. Aufl. BGB §§ 305 - 310 Rn. 92; Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 35 Rn. 124 jeweils mwN). Unabhängig davon berechtigt der Umstand, dass es AT-Arbeitsverträge geben mag, bei denen sich die zeitliche Beanspruchung des Arbeitnehmers allein an dessen Aufgaben orientiert, nicht zu der Annahme, die Tarifvertragsparteien des MTV hätten hinsichtlich der Einhaltung des tariflichen Abstandsgebots einer Abweichung der Arbeitszeit des AT-Arbeitnehmers von der tariflichen Regelarbeitszeit keine Bedeutung beimessen wollen. Hierfür enthält der Tarifvertrag keinerlei belastbare Anhaltspunkte.

33e) Das Vorbringen der Beklagten zur Tarifentwicklung und zur Entstehungsgeschichte von § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV verlangt ebenso wenig eine Auslegung der tariflichen Abstandsregelung in dem von ihr favorisierten Sinne. Diese Kriterien sind lediglich dann ergänzend heranzuziehen, wenn die Auslegung nach Wortlaut, Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck der Tarifvorschrift zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zulässt (vgl.  - Rn. 19). Das trifft auf die Regelung in § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV nicht zu.

343. Die Leistungszulage nach § 7 ERA-TV findet bei der Ermittlung des tariflichen Mindestabstands keine Berücksichtigung. Nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV ist die den „durchschnittlichen monatlichen Bezügen“ des AT-Angestellten gegenüberzustellende Bezugsgröße das „jeweils höchste in der Entgelttabelle ausgewiesene Tarifentgelt“. Der Wortlaut der Abstandsregelung ist insoweit eindeutig. Er schließt die Berücksichtigung von Leistungen, die ein vom persönlichen Geltungsbereich des MTV erfasster Arbeitnehmer neben dem sich aus § 2 ETV ergebenden Tarifentgelt verlangen kann, aus.

354. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger für die Monate April bis August 2018 Anspruch auf Differenzvergütung, allerdings nicht in dem vom Landesarbeitsgericht zuerkannten Umfang, sondern nur iHv. 4.707,90 Euro brutto.

36a) Nach den nicht angegriffenen und damit bindenden (§ 559 Abs. 2 ZPO) Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Kläger aufgrund individueller Vereinbarung von April bis einschließlich Juni 2018 Anspruch auf ein monatliches Bruttogehalt iHv. von 6.480,00 Euro und ab Juli 2018 auf ein solches iHv. 6.513,00 Euro. Zusätzlich konnte er für das Jahr 2018 eine fest vereinbarte Sonderzahlung iHv. 50 % eines Monatsgehalts verlangen, wobei zwischen den Parteien kein Streit darüber besteht, dass sich diese Leistung nach dem für Dezember geschuldeten Grundgehalt bemisst. Diese Zahlung ist zu 1/12 in die „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ einzustellen. Dazu ins Verhältnis zu setzen ist das Tarifentgelt, das einem Tarifbeschäftigten bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden zusteht, erhöht um 15 %. Ausgehend von dem sich seit dem nach § 2 Ziff. 2.2 ETV für die höchste dort ausgewiesene Entgeltgruppe EG 12 (Hauptstufe) ergebenden Monatsgrundentgelt von 5.863,00 Euro errechnet sich auf der Basis der mit dem Kläger vereinbarten Arbeitszeit von 40 Wochenstunden ein in die Abstandsberechnung einzustellendes Tarifentgelt von gerundet 6.701,00 Euro brutto. Werden hierzu 15 % hinzugerechnet, ergibt sich daraus ein Betrag von 7.706,15 Euro. Unter Berücksichtigung erbrachter Leistungen errechnet sich daraus für die Monate April bis August 2018 ein Anspruch auf Differenzvergütung von (gerundet) 4.707,90 Euro brutto.

37b) Soweit das Landesarbeitsgericht den Antrag zu 1. in Höhe von weiteren 1.356,10 Euro brutto für begründet erachtet hat, beruht dies offenbar darauf, dass es trotz der von ihm zutreffend vorgenommenen Auslegung der Bezugsgröße der „durchschnittlichen monatlichen Bezüge“ die Jahressonderzahlung nicht in die Vergleichsberechnung einbezogen hat.

385. Soweit die Klage mit dem Antrag zu 1. begründet ist, stehen dem Kläger aus § 291 BGB Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage, dh. ab dem Tag nach Klagezustellung, die am erfolgte, zu. Im weitergehenden Umfang ist die Zinsforderung, soweit in die Revision gelangt, mangels Begründung unschlüssig und damit unbegründet.

39IV. Dem Antrag zu 2. hat das Landesarbeitsgericht, soweit über ihn nach Maßgabe der begehrten Feststellung noch sachlich zu entscheiden war, ebenfalls teilweise zu Unrecht entsprochen. Nach § 1 Ziff. 1.3 Buchst. c MTV und bei zutreffendem Verständnis der dort enthaltenen Bezugsgrößen kann der Kläger, wie gezeigt, aufgrund seines Arbeitsvertrags seit September 2018 ein monatliches Bruttogehalt von 7.434,78 Euro verlangen, wobei zur Klarstellung auszusprechen war, dass ihm dieses neben der vereinbarten Jahressonderzahlung zusteht. Soweit das Landesarbeitsgericht auf ein höheres Bruttomonatsgehalt erkannt hat, ist der Feststellungsantrag unbegründet.

40V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Von den Kosten der Revision entfallen - ausgehend von einem Streitwert von 42.948,00 Euro - auf den Kläger 23 vH und auf die Beklagte 77 vH. Die Kosten der Berufung und die Kosten erster Instanz haben jeweils - unter Berücksichtigung eines Gegenstandswerts von je 71.892,00 Euro - der Kläger zu 54 vH und die Beklagte zu 46 vH zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2020:181120.U.5AZR21.20.0

Fundstelle(n):
BB 2021 S. 947 Nr. 16
CAAAH-75205