Unwirksames Urteil
Leitsatz
NV: Das den Beteiligten mittels Empfangsbekenntnis am zugestellte Urteil des Senats vom - I R 32/17 ist unwirksam; es wird jedenfalls klarstellend aufgehoben.
Gesetze: FGO § 105
Instanzenzug:
Gründe
1 Das den Beteiligten mittels Empfangsbekenntnis am zugestellte Urteil enthält einen (unheilbaren) Verfahrensmangel, es ist deshalb unwirksam und jedenfalls klarstellend aufzuheben. Die mündliche Verhandlung ist wieder zu eröffnen.
2 1. § 105 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestimmt, dass das schriftlich abzufassende Urteil von den Richtern, die bei der Entscheidungsfindung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen ist. Die Unterschriften der Richter unter einem Urteil müssen dabei stets einen Text decken, der dem Beratungsergebnis entsprechend verfasst und den Unterschreibenden zur Gänze bekannt war (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1978, 899, Rz 6; , Deutsches Verwaltungsblatt 1996, 106, Rz 7). Daran fehlt es.
3 Wie der damalige Senatsvorsitzende mit Schreiben vom erläutert hat, ist im Zuge des Unterschriftenumlaufs vom Berichterstatter des Verfahrens ein Textvorschlag erarbeitet und dem Urteilsentwurf beigefügt worden. Dieser Vorschlag bezieht sich auf die Möglichkeit einer „Risikokompensation“ im Rahmen des streiterheblichen sog. Fremdvergleichs bei gewinnabhängiger Verzinsung eines partiarischen Darlehens, die einen gewichtigen Unterschied zu den bisher vom Senat entschiedenen Festverzinsungsfällen ausmachen könnte. Dieser Textvorschlag ist im Senat „umgelaufen“ und von den Unterschriften der mitwirkenden Richter gedeckt gewesen. Er hat allerdings nicht Eingang in das den Beteiligten zugestellte Urteil gefunden. Dies geht auf eine von dem damaligen Senatsvorsitzenden veranlasste Änderung des Urteilsentwurfs zurück, der den übrigen am Urteil mitwirkenden Richtern nach der Unterschriftsleistung nicht mehr zur Kenntnis gebracht worden ist. Die Unterschriften dieser Richter decken daher nicht den Text des Urteils ab, das den Beteiligten zugestellt worden ist.
4 2. Eine nachträgliche Heilung des Mangels ist ausgeschlossen. Entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO hat bei der Zustellung an Verkündungs statt (§ 104 Abs. 2 FGO) die Übergabe der vollständigen, mit den Unterschriften der beteiligten Richter versehenen Urteilsfassung an die Geschäftsstelle „alsbald nachträglich“ zu erfolgen. Der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Parallelvorschrift des § 117 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung ( GmS-OGB 1/92, NJW 1993, 2603) ist zu entnehmen, dass die äußerste Grenze für dieses „alsbald“ bei fünf Monaten nach der Übermittlung der Urteilsformel an die Geschäftsstelle liegt. Ansonsten wäre eine Übereinstimmung der Entscheidungsgründe mit dem Ergebnis der Verhandlung und Beratung nicht mehr sichergestellt. Vorliegend ist diese Grenze von fünf Monaten —nach Abfrage des Urteilstenors bei der Geschäftsstelle durch die Beteiligten— nicht eingehalten worden, da die der Geschäftsstelle übermittelte Urteilsfassung nicht von den Unterschriften aller mitwirkenden Richter gedeckt ist.
5 3. Das zugestellte Urteil ist unwirksam. Da der Urteilstenor bei der Geschäftsstelle des Senats von den Beteiligten abgefragt wurde, ist es, um den Rechtsschein eines wirksamen Urteils zu beseitigen, jedenfalls klarstellend aufzuheben.
6 4. Um eine Übereinstimmung der Entscheidungsgründe mit dem Ergebnis der Verhandlung und Beratung sicherzustellen, ist die mündliche Verhandlung gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO wieder zu eröffnen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.030321.IR32.17.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2021 S. 363 Nr. 11
BFH/NV 2021 S. 644 Nr. 6
IStR 2021 S. 369 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2021 S. 347
LAAAH-74726