Krankenversicherung - Einsatz von Hilfsmitteln zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung bzw zum Behinderungsausgleich
Gesetze: § 12 Abs 1 SGB 5, § 33 Abs 1 S 1 SGB 5, § 135 Abs 1 SGB 5
Instanzenzug: Az: S 36 KR 1341/16 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 9 KR 62/18 Urteil
Gründe
1I. Der 2013 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger leidet seit seiner Geburt an einer Stoffwechselerkrankung (Glykogenose Typ Ia). Mit seinem Begehren auf Kostenerstattung (in Höhe von 3999 Euro) für die Anschaffung eines Galileo®-Trainingsgeräts zur Durchführung einer biomechanischen Ganzkörper-Vibrationstherapie ist er bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben: Die Kostenerstattung scheitere daran, dass der Kläger keinen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel habe. Es fehle an einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für diese Behandlungsmethode. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung objektiv geeignet sein könne.
2Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Er rügt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Daneben hat er Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt K aus S gestellt.
3II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH war abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier. Die vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat aus den unten mitgeteilten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht. Daher entfällt zugleich auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
4Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache den gesetzlichen Anforderungen entsprechend nicht hinreichend dargelegt hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
6Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
8Hierzu trägt er vor, dass das BSG noch keine Entscheidung zu der aufgeworfenen Frage getroffen habe.
9Diesem Vortrag fehlt es an hinreichender Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG und der Darlegung weiteren revisionsrechtlichen Klärungsbedarfs. Soweit sich der Kläger selbst auf Rechtsprechung des BSG beruft (Urteile vom - B 3 KR 6/16 R - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 und vom - B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1) und hierzu ausführt, dass der im Streit stehende Fall dieser Rechtsprechung "ähnele", fehlen Ausführungen, aus welchem Grund das BSG die geschilderte Konstellation einer erneuten revisionsrechtlichen Prüfung unterziehen sollte.
10Der Senat hat bereits entschieden, dass ein Hilfsmittel zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung bzw zum Behinderungsausgleich nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann eingesetzt werden kann, wenn es auch im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden darf. Hierfür bedarf es einer positiven Empfehlung des GBA zu der zugrunde liegenden Behandlungsmethode nach § 135 SGB V. Ohne eine positive Empfehlung des GBA kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Einsatz des Hilfsmittels unter Berücksichtigung möglicher Risiken und des Wirtschaftlichkeitsgebots positive Wirkungen auch in Bezug auf Spätfolgen bringe (vgl - SozR 4-2500 § 33 Nr 47 RdNr 46 f). Der Kläger geht nach seinem Vortrag selbst davon aus, dass der Einsatz des streitigen Hilfsmittels nicht von der zugrunde liegenden Behandlungsmethode zu trennen sei.
11Für die Darlegung erneuten Klärungsbedarfs von höchstrichterlich bereits grundsätzlich entschiedenen Rechtsfragen müssen in Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG neue, noch nicht erwogene Gesichtspunkte vorgetragen werden, die eine andere Beurteilung nahelegen könnten (stRspr; vgl nur - juris RdNr 11; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 316; jeweils mwN). Daran fehlt es hier wie im Übrigen auch daran, dass und mit welchen Gründen den genannten Senatsentscheidungen im Schrifttum oder in der Rechtsprechung substanziell widersprochen worden ist (zu diesem Erfordernis vgl BSG aaO und Kummer aaO). Allein die Darstellung einer bestimmten eigenen Gesetzesauslegung reicht zur Darlegung einer weiteren Klärungsbedürftigkeit von grundsätzlich vom BSG bereits entschiedenen Rechtsfragen insofern nicht aus (vgl nur B 10 ÜG 7/18 B - juris RdNr 8 mwN). Daher genügt es nicht, wenn geltend gemacht wird, dass die Versorgung im Rahmen des neuen Behandlungskonzepts "Auf die Beine" auch ohne positive Empfehlung des GBA belege, dass die Ganzkörper-Vibrationsmethode einen positiven Nutzen für Kinder habe. Ebenfalls reicht es für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht aus, dass das BSG - wie hier - über die in Rede stehende besondere Behandlung noch nicht entschieden hat, wie die Beschwerde möglichweise meint.
12Schließlich enthält die Beschwerdebegründung auch keine Darlegungen zu einem Ausnahmefall, in dem eine Behandlungsmethode ohne positive Empfehlung des GBA zur Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zuzulassen ist. Eine solche Ausnahme regelt § 2 Abs 1a SGB V, wonach Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung (und damit eine Leistung, deren Qualität und Wirksamkeit entsprechend dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse noch nicht feststeht) beanspruchen können, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (vgl - SozR 4-2500 § 33 Nr 51 RdNr 53 mwN). Damit hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) aufgegriffen und gesetzlich fixiert. Dass der Kläger an einer solchen Krankheit leiden könne oder dass ein Ausnahmefall aufgrund eines Seltenheitsfalls oder von Systemversagen vorliege, hat der Kläger nicht behauptet.
13Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
14Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:130121BB3KR4220B0
Fundstelle(n):
NAAAH-74546